REINHARD JUNKER
LEBEN
DURCH
STERBEN?
Schöpfung, Heilsgeschichte
und Evolution
INTEGRALE
Reinhard Junker Leben durch Sterben?
C
/iu^Sc’u./ L
STUDIUM INTEGRALE INTERDISZIPLINÄRE THEOLOGIE
Studiengemeinschaft
Wort und Wissen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einbeitsaufhahme Junker, Reinhard:
Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. / Reinhard Junker - Berlin: Pascal-Verl., 1993
(Studium Integrale)
ISBN 3-927390-06-2
ISBN 3-927390-06-2
Bestell-Nr. 899.806 Studium Integrale «PascaU-Verlag Berlin
© Copyright 1993 by Evangelical Theological Faculty, Heverlee/Leuven, Belgium Umschlaggestaltung: I. Arfaoui und J. Weiss; Wandgemälde aus der Caballoshöhle / Ostspanien Satzherstellung: Studienkolleg Wort und Wissen, Baiersbronn-Röt
Druck und Bindung: Weihen Druck, Darmstadt
Vorwort
“Leben durch Sterben?” Trotz gleichlautendem “Ja” kann die Antwort auf diese Frage grundverschieden ausgelegt werden. Leben wir durch das Sterben Jesu Christi am Kreuz? Leben wir, weil Christus für uns starb und auferweckt wurde (2 Kor 5,15)? Die Auferstehung Jesu ist das Angeld für die Auferstehung der Gläubigen (1 Kor 15). Durch Jesu Sterben ist der Tod besiegt, und dieser Sieg ist durch seine Auferstehung bestätigt. So hat Jesus durch sein Sterben Leben ermöglicht (2 Tim 1,10).
“Leben durch Sterben” kann jedoch auch ganz anders verstanden werden - in der Sprache der Evolutionslehre. Im Denkrahmen einer universalen Evolution ist das Sterben eine unabdingbare Voraussetzung für das Hervorbringen neuer und höherentwickelter Lebensformen. Unsere eigene Existenz, unser eigenes Leben verdanken wir danach dem Sterben zahlloser Generationen, die vor uns in der Abstammungskette des Lebens standen. Das Leben ist geradezu auf den Tod gebaut, der Tod gilt als “kreativer Faktor” in der Evolution des Lebens. Auch hier gilt: “Leben durch Sterben.”
Können beide Auslegungen zur Deckung gebracht werden? “Leben durch Sterben” steht pars pro toto für die Auseinandersetzung um die theologische Relevanz der Evolutionslehre. In der zeitgenössischen Theologie gilt es als unzweifelhaft, daß die Evolutionsanschauung (Abstammungslehre) und die biblische Heilslehre miteinander vereinbar sind. In dieser Arbeit werden die unterschiedlichen Versuche, Evolutionsvorstellungen und die biblische Heilsgeschichte zur Deckung zu bringen, dargestellt
und kritisiert. Es zeigt sich, daß eine konsequent durchdachte Evolutionslehre zu einer fundamentalen Neuinterpretation traditioneller christlicher Vorstellungen von Sünde, Inkarnation, Erlösung und Vollendung führt. Demgegenüber wird hier am Primat der biblischen Glaubensinhalte festgehalten und von dort aus die evolu-tionistische Weltanschauung hinterfragt.
Die vorliegende Arbeit wurde 1992 als Dissertation von der Evangelischen Theologischen Fakultät Leuven-Heverlee (Belgien) unter dem Titel “Konsequenzen der Evolutionslehre für das biblische Heilsverständnis — Dokumentation und Kritik theistisch-evolutionistischer Konzepte und Darstellung von Grundlinien einer biblisch-heilsgeschichtlichen Alternative” angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Außerdem konnten noch einige neuere Publikationen berücksichtigt werden.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Horst W. Beck. Ohne seine Ermutigung und sein in mich gesetztes Vertrauen wäre diese Arbeit nicht entstanden. Er hat mich angeregt, ein inter-disziplinär-theologisches Thema zu bearbeiten. Herrn Professor Siegfried Scherer danke ich für die kritische Begleitung in den naturwissenschaftlichen Aspekten. Ein treuer Helfer beim Korrekturlesen war mir Norbert van Cleve. Für ihre finanzielle Unterstützung danke ich schließlich der Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. und der Haug-Taxis-Stiftung, Stuttgart.
Baiersbronn-Röt, Ostern 1993
Reinhard Junker
Inhalt
1.	Problemstellung...............................11
1.1	Biblisch-heilsgeschichtlichc und evolutionäre
Gcschichtsschau ............................ 11
Die evolutionäre Geschichtsschau ......... 11
Die biblisch-heilsgeschichtliche Geschichtsschau 11
1.2	Kurzgefaßter geschichtlicher	Rückblick.... 12
13 Der Einfluß der Evolutionslehre auf
hermeneutisch-dogmatische Grundlagen______ 15
Evolution als Tatsache ..................... 15
1.4	Das Theorienpluralismus-Modell______________ 17
Grenzen des Pluralismus-Modells............. 19
13 Grundweisen der Verhältnisbestimmung der biblisch-heilsgeschichtlichen und evolutionären Geschichtsschau _____________20
1.5.1	Die Priorität der biblischen Ur-, Heils-
und Endgeschichte................... 21
1.5.2	Die Priorität der evolutionären
Geschichtsschau..................... 21
1.5.2.1	Konsequente Evolutionsanschauung.. 21
Die Entflechtungslösung............... 22
Konsequente Einbindung der
Evolutionsanschauung................ 23
1.5.2.2	Gottes Eingreifen in der Evolution . 23
1.6	Zielsetzung der Arbeit.......................24
Auswahl der Autoren......................... 25
Abgrenzung der Fragestellung................ 25
2.	Strukturen evolutionärer Konzepte..........27
2.1	Zunehmende Komplexität ______________________27
2.2	Die Methodik der Evolutionsforschung______29
Zur Herkunft des Neuen...................... 31
2.3	Vom Gen zum Phän_____________________________32
Formbildung, Hierarchieebenen der
Organismen und das Leib-Seele-Problem... 32
2.4	Evolutionsmechanismen _______________________35
2.4.1	Mutationen und die Rolle des Zufalls .... 36
2.4.2	Die Wirkungsweise der Selektion..... 37
Auch Selektion bewirkt keine
Zielgerichtetheit................... 37
Trotzdem Zielgerichtetheit?........... 38
2.4.3	Die Rolle des Leides und des Todes.. 39
Evolutionsmechanismen vom Tier zum
Menschen - einige Szenarien ........ 40
2.5	Ablehnung des Esscntialismus_________________42
Das Tier-Mensch-Übergangsfeld............... 43
2.6	Umfang des Erklärungsanspruchs ..............43
2.7	Evolution und Zukunft _______________________45
2.8	Der “kleinste Nenner” von
Evolutionstheorien___________________________46
3.	Theistisch interpretierte...................
Evolutionsauffassungen......................... 47
3.1	Hauptmerkmale thcistischcr
Evolutionskonzepte _________________________47
Gott schuf durch Evolution..................47
Ohne Schöpfung keine Evolution..............47
Schöpfung als immerwährendes (Evolutions-)
Geschehen................................48
Schöpferische Erstursache und geschöpfliche
Zweitursachen............................48
Die Erhellung der Schöpfungsvorgänge bleibt den Naturwissenschaften (weitgehend)
überlassen ..............................48
Schöpfung und Evolution: zwei Aspekte der
Welt und ihrer Geschichte................48
3.2	Gemäßigte thcistisch-evolutionistische
Sichtweisen_________________________________49
3.2.1	Kennzeichen der gemäßigten theistisch-
evolutionistischen Position .......50
Eingriffe Gottes im Evolutionsgeschehen 50 Grenzen der naturwissenschaftlichen
Erklärungsmöglichkeiten............50
Der Mensch als besonderes
Schöpfungswerk.....................52
Evolutionstheorie und Evolutionismus .. 54 Beibehaltung der Geschichtlichkeit
Adams und des Urstands ............54
3.2.2	Bewertung und Kritik ..............55
a.	Durchbrechung des Evolutionsprinzips56
b.	Leib, Seele und Geist können nicht
getrennt werden....................57
Lösungsversuche ...................57
c.	Eingriffe in die Evolution sind ein
Nachbessern........................58
d.	Unklarer Bezug zu den Daten der
Paläanthropologie..................59
e.	Zusammenfassung..................59
33 Konsequent cvolutionistischc Sichtweisen ..59 3.3.1 Zuordnung von Evolutionslehre und Glaubensaussagen in verschiedene
Ebenen.............................61
Bibel, Naturgeschichte und Weltbild .63
3.3.2	“Grenzüberschreitungen”.............63
3.3.3	Bewertung und Kritik ...............64
a.	Gott handelt in der Geschichte...64
b.	Die Rolle des Schöpfers im
Evolutionsgeschehen................64
c.	Der Zusammenhang zwischen dem
göttlichen Wirken und dem Evolutionsverlauf..................66
d.	Existentialisierung des Schöpfungsglaubens als Folge der Trennung..... 66
e.	Falsche Vergleiche................... 66
f.	Die Unmöglichkeit einer Entflechtung 67
3.3.4	Ergebnis und Schlußfolgerungen ......... 68
3.4	Argumente für eine theistischc Evolution? 69
3.4.1	Die Tatsache der Evolution.............. 69
3.4.2	Hermeneutische Gesichtspunkte und
Folgerungen aus Quellenscheidungshypothesen............................ 70
3.4.3	Überlegungen zum Gottesbild ............ 72
3.4.3.1	Der überlegene Gott der Erstursachen ..	72
3.4.3.2	Gottes beständiges Wirken ............. 72
3.4.4	Vergleich zwischen Stammesgeschichte
und Individualentwicklung............. 74
3.4.5	Verschiedene Argumente ................. 77
Geworden, geschaffen und erwählt.... 77
“Die Erde lasse sprossen”................ 78
“Es werde”............................... 79
Die “Toledot” ........................... 79
Der göttliche Segen...................... 80
Psalm 104 ............................... 80
Röm 8,19-22.............................. 81
Gleiche Bezeichnung für tierisches und
menschliches Leben.................... 81
Läßt die Bibel die Entstehungsweise
ausdrücklich offen? .................. 81
3.4.6	Schlußfolgerung ........................ 82
3.5	Gemeinsamkeiten und Unterschiede
verschiedener thcistisch-evolutionistischer Entwürfe ............................. 82
3.6	Theistisch-evolutionäre Entwürfe und die
Daten	der Wissenschaft........................83
3.6.1	Daten, Theorien, historische
Rekonstruktionen...................... 83
3.6.2	Gleichsetzung von “Naturwissenschaft”
und “Evolution”....................... 86
Methodischer Atheismus................... 87
3.6.3	Fehleinschätzung der Erklärungskraft
der Evolutionslehre................... 88
4.	Biblische Heilstatsachen in
evolutionärer Perspektive.......................89
Die Notwendigkeit der Rückfrage nach dogmatischen Konsequenzen der Evolutionslehre .. 89
Der Bezugsrahmen............................... 89
Die Vorgehensweise ............................ 90
Mangelndes Rückfragen nach dogmatischen Konsequenzen............................... 90
4.1	Der Mensch als Geschöpf:
Evolutionäre Anthropologie......................92
4.1.1	Konsequent evolutionstheoretische
Lösungen...........................92
Auflösung des Begriffs vom Menschen .... 92
Bewertung.............................93
Gottesebenbildlichkeit und Evolution .... 94
4.1.2	Ein Eingriff Gottes in der Evolution
des Menschen?......................95
Bewertung.............................96
4.1.3	Sind biologische Ursprungstheorien
für die Wesensbestimmung des Menschen irrelevant?...............98
4.1.4	Zusammenfassung.....................100
42 Der Mensch als Sünder: Hamartiologic........101
4.2.1	Sünde gegen die Evolution...........101
Bewertung............................103
Evolution und Verhalten .............105
4.2.2	“Gemäßigte" Vorstellungen...........106
4.2.3	Zusammenfassung.....................106
43	Der Einbruch der Sünde in die Welt .......107
4.3.1	Problemstellung.....................107
4.3.2	Historizität des Sündenfalls? ......108
4.3.2.1	Der Einbruch von Sünde und Tod nach
Römer 5,12-21 und Genesis 2-3 .... 109
Genesis 2-3 .........................113
Schlußfolgerungen....................114
Der Tod ist sekundär.................115
Urständ, Sündenfall, Erbsünde .......116
4.3.2.2	Die Unterwerfung unter die Knecht-
schaft der Vergänglichkeit nach Römer 8,19-23.....................116
4.3.2.3	Der Einbruch von Sünde und Tod nach
dem gesamtbiblischen Zeugnis .....118
4.3.2.4	Gründe für die Ablehnung eines
historischen Urstands und Sündenfalls.......................119
a.	Evolutionslehre..................120
b.	Vorstellbarkeit..................121
c.	Exegetische und religionsgeschichtliche Erwägungen....................122
d.	Theologische Gründe..............123
4.3.3	Herkunft der Sünde im
evolutionstheoretischen Kontext ..124
4.3.3.1	Konsequent evolutionstheoretische
Neuformulierungen....................125
Urständ und Ursünde am Ende.........126
4.3.3.2	Bewertung der konsequent
evolutionstheoretischen Positionen .. 129
a.	Der Sündenfall: ein Umbruch oder ein
Nebenprodukt der Evolution?......129
b.	Wer verantwortet die Sünde? .....130
Leiblichkeit, Endlichkeit und Sünde 130
c.	Sünde wird verharmlost ..........131
d.	Sünde ist ein personales Geschehen.. 131
e.	Die Bedeutung der Heilszeiten...132
f.	Gott ist in seinem Handeln frei.132
g.	Der Bezug zu den paläanthropolo-
gischen Daten fehlt............... 132
4.3.3.3	Beibehaltung traditioneller dogmatischer Positionen im evolutionstheoretischen Rahmen........................... 133
a.	“Virtueller” Urständ ........... 133
b.	Ein anderer Umgang mit dem Übel
vor dem Söndenfall................ 134
c.	Der Urständ als Ausdruck von
Gottes Willen .................... 135
d.	Realer Urständ und Sündenfall
während der Evolution ............ 135
e.	Die Möglichkeit zur Sünde als
Evolutionsfolge................... 136
f.	Auswahl aus der vorhandenen
“Menschheit” ..................... 137
g.	Der Mensch des Paradieses war
nicht auf der Erde................ 138
4.33.4	Zusammenfassende Bewertung........ 138
4.3.4	Fehlendes Rückfragen nach der
Evolutionslehre................... 139
4.3.5	Monogenismus...................... 144
4.3.5.1	Schicksalsverbundenheit durch
soziale Verbundenheit............. 145
4.2.5.2	Ein erstes Menschenpaar im
Evolutionsprozeß?................. 146
4.3.6	Zusammenfassung................... 147
4.4	Die Bewertung von Krankheit, Leid
und Tod ..................................  149
Bewertung von Krankheit ............ 149
4.4.1	Konsequent evolutionstheoretische
Konzepte ......................... 151
a.	Der Tod als etwas Positives..... 151
b.	Der Tod als Notwendigkeit....... 151
c.	Das Leid als notwendiger
Bestandteil der Schöpfung ........ 152
4.4.2	Andere Konzepte ................... 153
a.	Unterschiedliche Qualität des
Todes vor und nach dem Fall ...... 154
b.	Die Möglichkeit des frühen Todes
als Sündenfolge................... 155
c.	Der Tod ist nur geistlich zu verstehen 156
Nur das moralische Übel als Sündenfolge....................... 156
d.	Der Tod als Folge des Satansfalls vor
der Evolution..................... 157
Lückentheorie (Restitutionstheorie) 157
e.	Positive Aspekte des Todes und des
Leides?........................... 158
4.4.3	Zusammenfassung.................... 159
4.5	Christologie.............................  160
4.5.1	Die Person Jesu Christi ........... 160
Die Göttlichkeit Jesu und seine
Menschwerdung .................... 160
Kritik.............................. 162
a. Die Göttlichkeit Jesu nach den Zeugen
des NT............................162
b.	Die Menschwerdung Jesu..........163
c.	Die Einzigartigkeit Jesu........163
d.	Jesus - ein Kind seiner Zeit?...164
4.5.2 Das Werk Jesu Christi...............164
a. Christus evolutor...............164
b.	Erlösung: Die Weiterführung und das
Ende der Evolution und die Befreiung von ihr...........................165
c.	Die Bedeutung des Kreuzes.......166
d.	Erlösung als ein Aspekt der
Schöpfung.........................167
Kritik .............................168
a.	Jesus: Evolutor oder Redemptor? .... 168
b.	Verlust der Kreuzestheologie bzw.
evolutionär angepaßte Interpretation des Kreuzestodes Jesu.............168
c.	Die Opfer der Evolution.........169
d.	Gottes Handeln aus Liebe oder
Automatismus der Evolution?......169
e.	Kontinuität oder Umbruch? ......170
f.	Was gehört zur Kirche? .........170
g.	Christusähnlich werden durch
Evolution? .......................170
4.5.3	Auferstehung.........................170
4.5.4	Evolution und die Mächte der
unsichtbaren Welt.................173
4.5.5	Zusammenfassung......................174
4.6	Eschatologie______________________________175
4.6.1	Evolutionäre Eschatologie............175
Die Wiederkunft Jesu ...............177
Kritik .............................177
4.6.2	Die Beauftragung und Verantwortung
des Menschen......................179
4.6.3	Eine evolutionäre Heilsgeschichte ...180
Die Heilsgeschichte ist nicht an den
Menschen gebunden.................181
4.6.4	Zusammenfassung......................183
4.7	Das Gottesbild der Evolutionsichre________184
4.7.1	Konsequent evolutionstheoretische
Konzepte..........................184
4.7.1.1	Was wirkt Gott in der Evolution?...184
Kritik .............................186
a.	Was folgt aus der Eigengesetzlichkeit
der Welt?.........................186
Gottes Wirken ist nicht
denknotwendig.....................186
Gottes Beziehung zur Welt ........187
Einschränkung der Souveränität Gottes? ..........................187
b.	Der Zusammenhang zwischen
Erstursache und Zweitursachen ....189
c.	Karl Heims voluntaristisches
Weltbild..........................191
4.7.1.2	Wie wirkt Gott in der Evolution?. 191
Fragwürdige Schöpfungsmethoden .... 191
Zielgerichtetheit.................. 192
Kritik............................. 192
a.	Selektion als Schöpfungsprinzip? .... 192
b.	Das Schöpfungshandeln des irdischen
Jesus........................... 193
c.	Theologische Bewertung des
Daseinskampfes ................. 193
4.7.2	Gemäßigte Vorstellungen ......... 194
a.	Teleologie .................... 194
b.	Besondere Eingriffe Gottes ins
Evolutionsgeschehen............. 195
4.7.3	Die Theodizee-Frage im evolutionären
Kontext.......................... 1%
Theodizee nach Genesis 1-11 und dem Buch Hiob.......................... 198
4.7.4	Zusammenfassung.................. 199
5.	Geschichtsrekonstruktion auf biblischheilsgeschichtlichem Fundament..........201
5.1	Die biblische Urgeschichte als Rahmen für
die Rekonstruktion der Naturgeschichte	..	201
5.2	Glaube und Geschichte________________________ 203
53	Weltbild und Weltanschauung___________204
Problemstellung...................... 204
Exkurs: Zum Verhältnis von Genesis 1 und	2	..	206
Weltbild und Aussageinhalt biblischer Texte -eine Verhältnisbestimmung.......... 208
5.4	Inwiefern betreffen Aussagen der Bibel
die Wissenschaft?_____________________214
5.5	Grundriß biblisch fundierter
Geschichtsrekonstruktion______________217
5.5.1	Grundtypenbiologie.................... 218
5.5.2	Folgen des Sündenfalls................ 220
Entwicklung zur fallsgestaltigen
Lebensweise?......................... 223
Sprunghafte Veränderungen?............. 224
Fremdbestimmung der Lebewesen..... 224
Die Theodizee-Frage im Rahmen dieses Erklärungsversuchs ................ 225
5.5.3	Folgen der Sintflut .................. 227
5.5.4	Ausbreitung der nachsintflutlichen
Menschheit ...........................229
5.5.5	Die Zerteilung der “Erde”.............231
5.5.6	Deutung von Ähnlichkeit...............232
5.5.7	Deutung von rudimentären Organen .... 234 Die Abdominalknochen der Walartigen 237
5.5.8	Schlußfolgerungen.....................239
5.6	Einwände .................................240
5.6.1	Einwand: Das Wort Gottes wird zur wissenschaftlichen Theorie ausgebaut .. 240
5.6.2	Einwand: Der Glaube soll intellektuell
gestützt oder bewiesen werden.........240
5.6.3	Einwand:Die Schöpfungsforschung ent-
zieht naturkundlich verstandene Aussagen der Bibel der Erfahrungskritik..242
5.6.4	Einwand: In der Schöpfungsforschung stehen die Ergebnisse von vornherein
fest..................................244
5.6.5	Einwand: Ein diesen Äon und seine Frühgeschichte charakterisierendes
Verständnis der biblischen Urgeschichte
ist aufgrund der wissenschaftlichen Daten nicht haltbar ...............244
5.6.6	Einwand: Die schöpfungstheoretischen
Forschungsansätze sind wissenschaftlich nicht fruchtbar ...................245
5.6.7	Einwand: Die biblisch begründete
Schöpfungslehre ist eine “andere Naturwissenschaft”.................245
5.6.8	Gottesbild und Gottes Handeln......247
Gottes Beziehung zur Schöpfung nach
dem Anfang.......................248
5.6.9	Zusammenfassung....................248
5.7	Eine konsistente schöpfungswisscnschaft-
lichc historische Rekonstruktion der Erd-
und Menschheitsgeschichte?...............249
6.	Ergebnis ................................ 252
Literatur ................................... 261
Autorenregister ............................. 279
Bibelstellenregister ........................ 282
1.	Problemstellung
1.1	Biblisch-heilsgeschichtliche und evolutionäre Geschichtsschau
Die Diskussion um die Evolutionslehre seit der raschen Durchsetzung der Evolutionsanschauung nach der Veröffentlichung von Charles Darwins “Entstehung der Arten” im Jahre 1859 dauert in der Theologie wie auch in den Naturwissenschaften bis heute an. Auch wenn sehr bald nach 1859 die Mehrheit nicht nur der Naturwissenschaftler, sondern auch der Theologen, sich mit dem Evolutionsgedanken - von Mechanismenfragen einmal abgesehen - grundsätzlich anfreundete, gab es doch immer Kritiker, die das evolutionäre Paradigma prinzipiell in Frage stellten — aus naturwissenschaftlichen und theologischen Gründen.1
Die evolutionäre Geschichtsschau
Das Grundprinzip der Evolutionslehre besteht in der Umwandlung des Vorhandenen in neue Formen und Zustände auf der Basis des zuvor schon Vorhandenen. Mit diesem allgemeinen Kennzeichen kann man gleichermaßen zahlreiche Kosmogonien der Menschheitsvölker2 wie moderne Evolutionstheorien beschreiben.
Nach den heutigen, mit wissenschaftlichem Anspruch auftretenden Evolutionstheorien wird der Beginn dieser Entwicklung gewöhnlich in einen sogenannten “Urknall” (“big bang”) gelegt, dem eine physikalische Evolution der Elementarteilchen und Atome sowie eine astrophy-sikalische Konstituierung des Weltalls folgte. Im Zuge der Zusammenballungen der Materie entstanden unzählige Galaxien aus Milliarden von Sonnen, in deren Begleitung Planeten aufgetreten sind. Auf geeigneten Planeten wie unserer Erde sollen in Urozeanen in einer chemischen Evolution organische Moleküle entstanden sein, die schließlich zum Inventar erster lebender Zellen wurden, womit die biologische Phase der Evolution erreicht war.3 Mit Evolution im biologischen Sinne ist die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von einem Urorganismus gemeint. Der
Mensch entstand demnach durch allmähliche Umbildung über einen Zeitraum von einigen Millionen Jahren aus tierischen Vorfahren. Der gesamte Evolutionsprozeß soll sich nach gegenwärtigen Vorstellungen über ca. 15—20 Milliarden Jahre erstrecken. Kennzeichnend für alle Evolutionsvorstellungen ist das Postulat einer allmählichen Komplexitätszunahme (“Höherentwicklung”) über unermeßliche Zeiträume hinweg. (Eine ausführliche Beschreibung erfolgt in Abschnitt 2.1.)
In diesem Sinne werden in dieser Arbeit die Begriffe Evolution und Evolutionslehre (oder Evolutionsanschauung) gebraucht. Es wird bewußt von “Evolutions/e/ire” gesprochen, da das Gesamtkonzept einer umfassenden Evolution über naturwissenschaftliche Aspekte4 hinausgeht und weltanschaulich fundiert ist (vgl. Abschnitt 3.6). Bestimmte Teilhypothesen der Evolutionslehre sind jedoch der Empirie zugänglich und damit wissenschaftlich testbar; für solche speziellen evolutionären Teilhypothesen wird der Begriff Evolutionstheorie gebraucht.
Die biblisch-heilsgeschichtliche Geschichtsschau
Der “Evolutionsgeschichte” steht die biblische Ur- und Heilsgeschichte gegenüber.5 Nach der in dieser Untersuchung vertretenen Sichtweise wird die biblische Urgeschichte historisch verstanden. D. h. Genesis 1 — 11 wird als Dokument
1	Für den deutschsprachigen protestantischen Raum in der Zeit von 1859-1966 s. Holthaus, Fundamentalismus; für den deutschsprachigen katholischen Bereich im Zeitraum von 1854—1914 s. Dorpinohaus, Darwins Theorie', für den angelsächsischen Bereich von 1870—1900 s. Moore, Controversies.
2	Dieses Prinzip findet sich bereits in den mythischen Kosmogonien der Völker der Antike; vgl. von Stockhausen, Mythos.
3	Gelegentlich wurde auch spekuliert, daß das Leben durch eine “Infektion” aus dem Weltall auf die Erde kam: Hoyle & WicKRAMAstNGHE, Evolution from Space.
4	Zum Begriff “Naturwissenschaft” vgl. Abschnitt 2.2.
5	Zum Begriff “Heilsgeschichte” s. Abschnitt 5.2.
realer Geschehnisse in der Geschichte der Menschheit gewertet (vgl. dazu Abschnitt 4.3.2). Danach ist die Welt auf das freie Schöpfungshandeln Gottes zurückzuführen, und zwar nicht nur in ihrem Anfang, sondern im gesamten geschichtlichen Verlauf. Daß die Welt Schöpfung ist, besagt, daß sie durch den Willen Gottes ins Dasein gesetzt worden und in ihrer Ganzheit nicht allein durch innerweltliche Prozesse aus jeweiligen Vorstufen ableitbar ist. Diese durch das biblische Wort bezeugte Geschichte wird nicht nur durch das Schöpfungs- und Erhaltungshandeln Gottes gestaltet, sondern sie muß auch unter dem Aspekt des Gerichtshandelns Gottes infolge des Einbruchs der Sünde in die Welt, sowie des Erlösungshandelns durch das Kommen des Erlösers und des eschatologischen Handelns Gottes verstanden werden.
In diesem konkret historischen und umfassenden Sinne wird in dieser Arbeit von biblisch-heilsgeschichtlicher Geschichtsschau (oder kurz: biblischer Geschichtsschau) gesprochen. Das Charakteristikum der biblischen Geschichtsschau ist einerseits eine “Abwärtsbewegung” der Menschheit (eine Tendenz der Loslösung von Gott) und des gesamten Kosmos; andererseits wird dieser Bewegung durch Gottes analogielo-
ses Handeln (und nur durch dieses) Einhalt geboten und dem Menschen Umkehr ermöglicht. Gott ist der souveräne Herr der Geschichte. Dadurch ist die Weltgeschichte zwar zielorientiert; das Ziel der eschatologischen Herrschaft Gottes kann aber nicht aufgrund immanenter Möglichkeiten erreicht werden.6
Unter Schöpfung im biblisch-heilsgeschichtlichen Sinne wird somit die sichtbare und unsichtbare Gesamtwirklichkeit begriffen, die das in der Bibel bezeugte Handeln Gottes — Erschaffens-, Gerichts-, Erhaltungs-, Erlösungs- und Vollendungshandeln — schafft. “Schöpfung” umfaßt so alle Wirklichkeitsbereiche, also auch diejenigen Ausschnitte der Wirklichkeit, die von den Natur-und Geschichtswissenschaften untersucht werden können, und betrifft nicht nur ein persönliches Existenzverständnis.
Die Schöpfungslehre orientiert sich am biblischen Offenbarungswort, um Grundfragen der Kosmosgeschichte zu beantworten. Sie befaßt sich nicht nur mit Ursprungsfragen, sondern auch mit dem weiteren Handeln Gottes mit seiner Schöpfung, dem Gerichtshandeln und dem Erhaltungshandeln, das die Gegenwart garantiert und bis in die Zukunftsvollendung im Zeichen der Wiederkunft Jesu Christi hineinreicht.7
1.2	Kurzgefaßter geschichtlicher Rückblick
Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die biblische Urgeschichte im christlichen Raum weithin als realhistorisches Zeugnis von der Menschheitsgeschichte verstanden. Im Zuge der Aufklärung gewannen dagegen evolutionäre Vorstellungen an Boden. Solange sie jedoch spekulativ blieben, konnten sie sich nicht durchsetzen. Erst dem britischen Theologen und Naturforscher Charles Darwin gelang es, die Evolutionsanschauung mit naturkundlichen Daten zu stützen. Er stellte ein umfassendes Tatsachenmaterial zusammen, das er im Rahmen seiner Evolutionsund Selektionstheorie deuten konnte bzw. zu deuten versuchte.
Van Melsen stellt dazu fest:
“Die spezifische Bedeutung Darwins liegt darin, daß seine Evolutionslehre den Versuch enthält, einen naturwissenschaftlichen Mechanismus zu entwerfen, nach dem die Evolution sich hätte vollziehen können. F.r verband das historische Element der Entwicklung mit dem naturwissenschaftlichen Element, indem er sich ausschließlich auf allgemeine, naturwissenschaftlich kontrollierbare Phänomene und Theorien stützte.”8
Weissmahr kommentiert:
“Die darwinistische Entwicklungslehre leistete also das, was vorher noch nicht gelungen war; sie trat mit
6	Zur Gegenüberstellung der evolutionären und biblisch-heilsgeschichtlichen Geschichtsschau vgl. Beck, Genesis 20.
7	Vgl. Studiengemeinschaft Wort u. Wissen, Schöpfung Kap. 2.
8	Van Melsen, Evolution 97.
einer Theorie auf, die die Vielfalt der Organismen auf rein innerweltliche Wirkursachen zurückführen zu können beanspruchte. Deshalb bedeutete diese Theorie viel mehr als eine mögliche naturwissenschaftliche Deutung gewisser Phänomene. Es ging von Anfang an um die innerweltliche Erklärung nicht nur des Lebens auf der Erde, sondern um die Fragen des Ursprungs überhaupt.”“
Auch Dörpinghaus stellt in seiner Arbeit über die frühe theologische Auseinandersetzung mit der Abstammungslehre diesen Sachverhalt heraus:
“Die Theorie von der dem Zufall überlassenen Auslese des Stärkeren im Kampfe ums Dasein, von der stetig wachsenden Zuchtwahl ließ das Zustandekommen sinnvoller Gebilde auf rein mechanischem Wege verständlich werden, ohne daß man eine Intervention Gottes in den Naturprozeß zu Hilfe nehmen mußte. Gerade die Zweckmäßigkeit, die immer den Einsatz eines intelligenten, transzendenten Prinzips zu fordern schien, ließ sich nun auf eine rein mechanische Bedingtheit zurückführen. Der in der Natur herrschende Mechanismus erwies sich als omnipotent, die Behauptung vom Nichtvorhandensein eines weisen und vorsorgenden Gottes erhielt ihre letzte Fundierung. Damit kamen Darwins Gedankengänge dem materialistischen und antichristlichen Weltbild der Zeit in unerhörtem Maße entgegen.”10
Dörpinghaus erwähnt hier einen Zusammenhang, den viele Historiker konstatieren: einen Zusammenhang zwischen der weltanschaulichen Geisteslage der damaligen Zeit und dem rasanten Erfolg von Darwins Abstammungslehre." Die Zeitumstände in Wissenschaft und Gesellschaft trugen wesentlich dazu bei, daß nach der Veröffentlichung der “Entstehung der Arten” von Darwin der Evolutionsgedanke einen schnellen Durchbruch erlebte.12 Dazu kam, daß die traditionellen schöpfungstheoretisch-biologischen Vorstellungen damals recht starr waren. Die angewachsenen Erkenntnisse sprengten die Konzeption eines strengen Arten-Fixismus.13 Die fälschliche Identifikation eines bestimmten, sehr engen Artbegriffs der biologischen Wissenschaft mit den Arten, von denen der biblische Schöpfungsbericht (Genesis 1) spricht, war nicht haltbar. Dies sei nur beispielhaft als einer von vielen Gründen genannt, aufgrund derer durch falsche Identifikation spezieller Schöpfungsvorstellungen mit dem biblischen Zeugnis die naturkundli-
che Relevanz des Schöpfungsberichtes bezweifelt wurde. Von diesem Zweifel blieben auch die weiteren Zeugnisse der biblischen Urgeschichte nicht verschont. Durch die aufkommende Bibelkritik fielen diese naturkundlich begründeten Zweifel in der Bibelwissenschaft auf fruchtbaren Boden.14
Damit war eine Auseinandersetzung zwischen der (oben charakterisierten) biblischen und evolutionären Geschichtsschau vorprogrammiert. Dabei wurde eine Gefahr für theologische Aussagen vielfach weniger im Evolutionsgedanken an sich gesehen. Vielmehr provozierte vor allem die Behauptung Widerstand, mit der Evolutionstheorie (insbesondere dem Selektionsprinzip) könnten teleologische Aspekte der Schöpfung ausgeschaltet werden;15 das Dasein der Lebewesen sei letztlich von niemandem beabsichtigt gewesen. “Der Kampf, den viele Theologen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gegen die Evolutionslehre geführt haben, war darin begründet, daß sie durch die Evolutionstheorie die Unableitbarkeit der einzelnen Schöpfungswerke Gottes aus den jeweils vorangegangenen gefährdet oder bestritten sahen.”16 Diese Gefahr wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehung des Menschen gesehen. Man sah dagegen i. a. keine Probleme darin, Evolution als Methode der Schöpfung zu interpretieren, solange die Notwendigkeit der Existenz des Schöpfers und eine Planmäßigkeit (Teleologie) in der Schöpfung nicht bestritten wurden und solange
“ Weissmahr, Gottes Wirken 20.
10	Dorpinghaus, Darwins Theorie 5. Vgl. auch Moore, Controver-sies 220; Benz, Evolution 50: “Von vornherein wird also Darwins Evolutionstheorie als ein Gegenbeweis gegen die christliche teleologische Geschichtsbetrachtung verstanden.”
11	Stuhlhofer, Darwin', vgl. Benz, Evolution.
12	Ebd.; zusammenfassend in Junker & Scherer, Entstehung 2. Kap.; vgl. Guck, Reception.
13	LefEvre, Entstehung. Allerdings hatte bereits LinnE in späteren Jahren die Grenze der geschaffenen "Arten” etwa auf das Gattungsniveau verlegt. Er vertrat also keine strenge Artkonstanz und kam heutigen schöpfungstheoretischen Vorstellungen damit recht nahe; vgl. Abschnitt 5.5.1.
14	Vgl. Beck, Genesis. Der interessanten Frage, inwieweit hier ein Kausalzusammenhang besteht, kann hier nicht nachgegangen werden; vgl. dazu Kraus, Geschichte.
13 Vgl. Holthaus, Fundamentalistnus.
16 Pannenberg, Schöpfungstheologie 289.
auch im neuen Denkrahmen die Sonderstellung des Menschen gewährleistet blieb (vgl. Abschnitte 3.2 und 4.1.2).
In der theologischen Auseinandersetzung um die Evolutionsanschauung wurde um die Stellung des Menschen im evolutionären Geschichtsrahmen bis weit in unser Jahrhundert hinein heftig und oft sehr emotional gestritten.17 Beim Menschen ergänzten viele Theologen das evolutionäre Denkmodell dahingehend, daß man hier besondere Eingriffe Gottes postulierte. Der Evolutionsgedanke war zwar durchaus akzeptiert, aber nicht als Alleinerklärungsprinzip. Eine vollständige Ableitbarkeit aller Phänomene des Lebens “von unten”, d. h. aus physikalisch-chemischen Gegebenheiten, wurde zunächst bestritten. Doch konnte der Mensch auf Dauer nicht als Sonderling aus dem allgemeinen Evolutionsgeschehen herausgehalten werden.
Unter dem Einfluß der Dialektischen Theologie der beiden Hauptströmungen, die vorwiegend von Barth und Bultmann geprägt sind, wurde etwa ab dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts ein friedliches Nebeneinander von Naturwissenschaft und Theologie befürwortet. Die Fragen der Abstammung des Menschen wurden jetzt weithin der vermeintlich ohne metaphysische Prämissen arbeitenden Naturwissenschaft überlassen. Theologisch relevant blieb vielfach allein das Zeugnis, daß Gott Schöpfer sei. Der Schöpfungsbegriff wurde mehr oder weniger exi-stentialisiert. Es kam zum viel beschworenen und oft so bezeichneten “Burgfrieden” zwischen Theologie und Naturwissenschaft bzw. der Evolutionsanschauung.18 Diese Situation erschwert bis heute die Diskussion in diesem Spannungsfeld. Denn das Hinterfragen dieser “Revierabgrenzung” wird als unnötiges Vorgehen beargwöhnt, das die mühsam gekittete Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft (die eigentlich gar keine mehr war), belaste und dem
Anliegen des christlichen Glaubens schade.19
Dennoch wächst in den letzten Jahrzehnten der Einspruch gegen die stillschweigende Vereinbarunggegenseitiger Nichteinmischung. Vor dem Hintergrund des erreichten Diskussionsstandes in der Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und der Evolutionslehre kann es nicht überraschen, daß wesentliche Schützenhilfe, die gesteckten Revierabgrenzungen zu hinterfragen, von kritisch argumentierenden Evolutionstheoretikern20 sowie aus der Wissenschaftstheorie21 kam. So paradox es klingt: Naturwissenschaftler stehen im Großen und Ganzen der Evolutionstheorie deutlich kritischer gegenüber als Theologen (vgl. Abschnitt 1.3).
Naturwissenschaftlich begründete Evolutionskritik alleine motiviert noch nicht unbedingt zur Suche nach Alternativen. Das neuerliche Hinterfragen der Evolutionsanschauungen (auch der theistisch geprägten) und die Arbeit an Alternativen ist vor allem theologisch motiviert. Um die einzelnen Gründe für diesen Einspruch wird es in der vorliegenden Untersuchung gehen (Kapitel 4).
17	Vgl. z. B. Dörpinghaus, Darwins Theorie; Wasmann, Kampf.
18	Die komplexe Geschichte dieser Entwicklung ist nicht Thema dieser Arbeit. Vgl. dazu von Stockhausen, Mythos; von Stockhausen, Entwicklung und Daecke, Naturwissenschaft 252f.
19	Bavink, Naturwissenschaft 38, geht soweit, den Kampf gegen die Abstammungslehre “mit gutem Gewissen” als “die größte aller Dummheiten zu bezeichnen, die im Laufe der christlichen Kirchengeschichte gemacht worden sind.” Nicht anders sieht es neuerdings Pannenberg, SystTheol 143: “Der Kampf gegen den Darwinismus gehört zu den folgenschwersten Fehlentwicklungen im Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft.”
20	Denton, Evolution; Dose, Präbiotische Evolution; Illies, Jahrhundertirrtum', W. Kuhn, Stolpersteine\ Shapiro, Schöpfung; Vollmert, Molekül. Diese Autoren akzeptieren trotz ihrer Kritik die Evolutionsanschauung.
21	Spinner, Pluralismus.
1.3	Der Einfluß der Evolutionslehre auf henneneutisch-dogmatische Grundlagen
Es fällt auf, daß der evolutionäre Denkrahmen fast ohne Widerstände von weiten Kreisen von Naturwissenschaftlern und Theologen akzeptiert wurde und daß die Evolutionsanschauung weitgehend mit “Wissenschaft” identifiziert wird. Man sprach und spricht meist von der evolutionären als der “wissenschaftlichen” Sicht der Entstehung und Geschichte der Welt. Diese Identifikation “Naturwissenschaft = Evolutionslehre” muß kritisch hinterfragt werden (vgl. Abschnitt 3.6.2 und Kapitel 5); sie belegt eindrücklich, wie sehr sich die Auffassung, Evolution sei eine wissenschaftliche Tatsache, im Denken festgesetzt hat.
Evolution als Tatsache
Angesichts der Gleichsetzung von Evolutionslehre und Naturwissenschaft und der Auffassung, Naturwissenschaft ermittle objektive Ergebnisse, kann es nicht überraschen, daß nahezu alle Autoren, die sich mit der Verhältnisbestimmung von der Evolutionsanschauung und den Inhalten des christlichen Glaubens befassen, explizit oder implizit die Feststellung treffen, daß die Evolution als Tatsache vorauszusetzen sei. Das gilt bereits für die Zeit um die Jahrhundertwende. Wenn auch die Frage nach den Mechanismen der Evolution bis heute sehr kontrovers diskutiert wird, so wird doch die Evolutionsanschauung als Geschichtsrahmen fast durchweg unkritisch akzeptiert. Aus dieser Situation folgt, daß das Nachdenken über die Bestimmung der Beziehung zwischen der Evolutionslehre und dem biblischen Schöpfungs- und Heilszeugnis eindeutig kanalisiert ist. Ebenso kann man vermuten, daß die Auslegung biblischer Texte von der Akzeptanz der Evolutionslehre unterschwellig oder explizit beeinflußt ist.22
Bereits um die Jahrhundertwende wurde die Evolutionslehre weitgehend als Tatsache akzeptiert.23 Durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch wird die Faktizität einer Evolutionsgeschichte von den meisten christlichen Theologen kritiklos vorausgesetzt. Die folgende Zusammen-
stellung stellt eine repräsentative Auswahl dar und soll einen Eindruck davon vermitteln, wie fest das Denken im evolutionstheoretischen Rahmen verankert war und ist.24
Für Teilhard de Chardin gibt es über den Ursprung des Menschen auf evolutivem Wege für die Wissenschaft “nicht den geringsten Zweifel” mehr. Jede weitere Diskussion darüber sieht er als verlorene Zeit an.25 Tillich will die Berichte
22	Vgl. dazu Holthaus, Fundamentalismus. Bezeichnenderweise präsentiert der Anthropologe Heberer die Deszendenztheorie in RGG3 als “bewiesene Theorie” (Sp. 92), ebenso betrachtet Süssmann in seinem RGG-Artikel “Naturwissenschaft und Christentum” die Evolutionslehre als “gesichert” (Sp. 1381).
23	Dazu einige typische Stimmen: Peters, Glauben und Wissen (1907): “Es war eine Torheit, die Entwicklungslehre so leidenschaftlich zu bekämpfen, wie es Jahrzehnte hindurch, von wenigen Einsichtigen abgesehen, geschehen ist, der Sache der Religion zum Schaden, dem Glauben vieler Gebildeter zum Verderben. Man sollte das heule in unseren Kreisen nirgends zu leugnen versuchen und dadurch dem Gegner neue Waffen für die Polemik in die Hand geben” (52).
Zur selben Zeit hält Beth, Entwicklungsgedanke (1909), die wissenschaftliche Abweisung des Evolutionsgedankens für unmöglich (4). Evolution sei eine der “bestbegründeten Hypothesen, die es zur Erklärung von naturwissenschaftlichen Tatbeständen gibt” (90). Er bemängelt übrigens zurecht, daß “vielfach im Namen des Christentums und von dessen berufenen Vertretern der Entwicklungsgedanke verurteilt wurde, ohne daß auch nur der Versuch einer wissenschaftlichen Widerlegung desselben gemacht wäre” (4). (Diese Situation besteht heute so nicht mehr, vgl. Kapitel 5. Dennoch gibt es ähnliche Stellungnahmen.) Beth bemerkt weiter (185), daß die “Tatsachen der Naturwissenschaft” der Vorstellung vom Einbruch des physischen Todes in die Menschheit aufgrund der Sünde zu widersprechen scheinen. Die Faktenlage spreche so eindeutig für Evolution, daß man Gott als Täuscher ansehen müßte, hätte es doch keine Evolution gegeben (108).
Im selben Jahr schriebTENNANr./nyiuence 420: “The truth that the world, including man, is a product of gradual evolution, however it may stand with Darwin’s account of the process, is nowadays received practically without exception amongst Churchmen equipped with any knowledge of modern theolo-gy; and many at least can say that the truth has made them free.”
Zapletal, Schöpfungsbericht 53, gibt die buchstäbliche Erklärung des Schöpfungsberichtes, die die älteste sei und die meisten Kirchenväter und Scholastiker für sich habe, auf, weil sie mit den Resultaten der Naturwissenschaften unvereinbar sei.
24	Unter Publikationen aus jüngerer Zeit sind z. B. Moltmann, Schöpfung 192ff., Pannenberg, SystTheol, Schunk, Ökum Dogm 93, und Bosshard, Erschafft die Welt 192, zu nennen.
25	Teilhard de Chardin, Glaube 167.
der biblischen Urgeschichte nicht als Berichte tatsächlicher Geschehnisse wörtlich nehmen, u. a. weil man sonst leichte Beute für die Angriffe der biologischen und historischen Wissenschaften werde.26
Die Evolutionstheorie kann, so Hübner, “als exakt bewiesen gelten”.27 Köberle sah die Ablehnung der Evolutionsanschauung als eine “schäbige Verteidigungskunst” an, die unbedingt aufgegeben werden müsse.28 Für Brunner ist Genesis 3 als historisches Bild vom ersten Menschen “ein für allemal und restlos zertrümmert.”29 Ebenso nötige uns die heutige naturwissenschaftliche Erkenntnis, die Vorstellung von der Konstanz der Arten gänzlich preiszugeben.30 Über einen Punkt sei die Diskussion für immer abgeschlossen, daß die meisten heutigen Lebensformen früher nicht existierten. Den Hinweis auf den hypothetischen Charakter evolutionärer Vorstellungen nennt Brunner einen “üblen Trick fauler Apologetik”. Auch die Herausbildung des Menschen aus primitiveren Formen des Tierreiches betrachtet er als “gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis”.31
Auch Althaus32 nennt neben theologischen Gründen auch einen archäologisch-prähistorischen Grund, nach dem für den urständlich vollkommenen Menschen der alten Dogmatik kein Platz sei. “Wir wissen heute: dem Menschen im vollen Sinne, dem homo sapiens, gehen Vorformen voraus. Er wird langsam aus tiernäheren Zuständen heraus.”33
Geradezu programmatisch wird auf dem Umschlag der Arbeit über die Erbsünde von Schmitz-Moormann34 diese Denkrichtung wiedergegeben: “Die bisher allgemein verbindliche Lehre über die Urschuld der Menschheit wird heute bestritten. Die Ergebnisse der Naturwissenschaft zwingen die Theologie zu neuen Deutungen.”35
Resümee: Die genannten Belege, deren Zahl um ein Vielfaches erhöht werden könnte, zeigen, daß sich die Evolutionsanschauung (abgesehen von Detailfragen der Evolutionsmechanismen) weithin als Erkenntniskonstante im Denken der Theologie unseres Jahrhunderts etabliert hat. Gelegentlich wird sogar explizit eingeräumt, daß der Stand der naturwissenschaftlichen Forschung
die Auslegung der biblischen Texte beeinflußt. Wo die Evolutionstheorie als bewährtes Wissen angenommen werde, lehre sie den Glauben zwischen geschichtsgebundener Ausdmcksform und der Intention biblischer Berichte über die Schöpfung und Gottes Handeln zu unterscheiden.36 Hier tritt die Evolutionslehre explizit als herme-neutischer Schlüssel für bestimmte exegetische Fragen auf. Zu einer ähnlichen Feststellung gelangt auch Köster in bezug auf die Diskussion um die Problematik von Urständ, Sündenfall und Erbsünde.37 Für ihn ist die “zu allgemeiner Anerkennung aufrückende Evolutionstheorie” ein nachhaltig bestimmendes Element des geistigen Bewußtseins. Fast alle Theologen übernähmen sie, nicht nur in Fragen der Schöpfung, sondern auch in Fragen von Urständ, Fall und Erbsünde. Insbesondere die Diskussion zur Frage des Monogenismus (vgl. Abschnitt 4.3.5) sieht Köster “unter dem Horizont einer wachsenden Plausibilität der Entwicklungstheorie”.38 Weiter
24 Tillich, Werke V, 46. An anderer Stelle bemerkt dieser Autor: “Man zweifelt heute im allgemeinen nicht mehr an der Gültigkeit der Entwicklungslehre auch in dieser Beziehung [Entstehung des Menschen aus verwandten tierischen Arten] trotz der Gegensätze innerhalb der Theorie selbst” (Tiluch, Verlorene Dimension 83).
27	J. Hübner, Theologie 29.
28	Köberle, Ursprung 98.
29	Brunner, Widerspruch 88.
30	Brunner, Dogmatik II41.
51	Ebd. 94. Brunner meint (ebd. 44), die Biologen würden bei ihren Versuchen Entwicklung immerwieder feststellen. - Das gilt jedoch nur für Mikroevolution.
52	Althaus, Wahrheit 147f.
33	Man beachte die Formulierung “wir wissen".
34	ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde.
35	Dieser Autor sieht eine Notwendigkeit der Transposition von der “Seins-Welt” zur “Werdc-Welt”. Dabei erweise sich unsere Sprache als hinderlich, da sie Ausdruck eines “Seins-Denkens” sei (ebd. 9). Schmitz-Moormann beklagt sich darüber (15ff.), daß den Schülern eine Schizophrenie des Denkens zugemutet werde: Der Katechismus werde so gelehrt, als ob es das Wissen um Evolution nicht gäbe.
34 Track, Evolution 489: Die Evolutionstheorie deckt die Zeitbedingtheit der Aussageform auf. Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 84, stellt heraus, daß es im Rahmen der Evolutionslehre keine “ewige Sprache" geben könne; daher könne das der Menschheit geoffenbarte Wort Gottes nicht für alle Zeiten in einem bestimmten Wortlaut fixiert werden. “Auf dem Wortlaut zu bestehen, könnte also durchaus bedeuten, daß man die Botschaft selbst verliert.”
37	Köster, Urständ 47; weitere Zitate dort; vgl. auch Anm. dort.
38	Ebd. 53, 141. Wesiermann, Genesis 4, stellt fest, daß die Er-
stellt er fest, daß u. a. vor allem die Deszendenztheorie die Frage weckte, ob es einen dem Sündenfall zeitlich vorausliegenden Urständ mit den von der traditionellen Theologie gelehrten Vorzügen überhaupt gegeben habe.”39 Als weitere Faktoren nennt Köster dort: die Geltung der natürlichen Vernunft in Glaubensfragen,40 die Anerkennung der literarischen Arten in der Heiligen Schrift und die Neigung, an der überkommenen kirchlichen Lehre den Anteil der Offenbarung klein, den des menschlichen Denkens groß anzusetzen.41 Auch Seybold erwähnt ausdrücklich “Anfragen aus dem naturwissenschaftlichen Raum”, die die Diskussion um die Erbsünde beeinflußt hätten.42 In seinem Vorwort zur Dissertation von Baumann meint Haag, es seien einmal mehr die umwälzenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gewesen, die zur kritischen Überprüfung von theologischen Lehrmeinungen führen mußten.43 Baumann selber spricht
vom Faktum eines durch die Evolutionstheorie geprägten Selbst- und Weltverständnisses.44
Demgegenüber ist beispielsweise der evolutionstheoretisch denkende Biologe Mollenhau er weitaus vorsichtiger, wenn er feststellt:
“Obwohl Argumente in überwältigender Fülle für sie [die Evolutionstheorie) sprechen, ist sie prinzipiell nicht beweisbar_Nichtsdestoweniger ist sie
ein Erklärungsversuch und gilt, wie alle naturwissenschaftlichen Aussagen, unter bestimmten Voraussetzungen und vorbehaltlich des Aufspürens einer besseren Deutungsmöglichkeit, die auch Phänomene zu erklären erlaubt, zu denen von der Abstammungsvorstellung her kein Zugang besteht."45
Zum selben Urteil gelangt der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Hübner. Weder aufgrund der Indizienlage noch aus wissenschaftstheoretischen Gründen gebe es zwingende Gründe, an die biologische Evolutionstheorie mit Selbstverständlichkeit zu glauben.46
1.4	Das Theorienpluralismus-Modell
Wissenschaftstheoretisch gesehen können Evolutionstheorien nicht mit Absolutheitsanspruch vertreten werden. Wissenschaftliche Theorien beschreiben und erklären Ausschnitte aus der Wirklichkeit nur vorbehaltlich besserer Ansätze. Auch vielfach bestätigte und fest etablierte Theorien können sich als falsch erweisen. Diese Situation wird im Theorienpluralismus-Modell47 aufgegriffen. Danach sind Alternativansätze, die gegen etablierte Theorien konkurrieren, wünschenswert und notwendig, um ein Höchstmaß an Kritik und dadurch maximalen Erkenntnisfortschritt zu ermöglichen. Denn die empirischen und historischen Wissenschaften können den Wahrheitsanspruch ihrer Theorien niemals zureichend begründen und dadurch geltungsmäßig rechtfertigen. Letzte Gewißheit, wie es nach dem Rechtfertigungsmodell der Erkenntnis (Certis-mus) angestrebt wird, ist nicht möglich. Eine Basis der Erkenntnis, die nicht (mehr) problematisiert werden kann, gibt es nicht. Dieser Diskussionsstand der Wissenschaftstheorie muß in der Auseinandersetzung mit der Evolutions-
lehre und in der Verhältnisbestimmung von christlichem Glauben und Natur- sowie Geschichtswissenschaft berücksichtigt werden.
schütterung der traditionellen Auslegung der biblischen Urgeschichte nicht von der Exegese ausging, sondern von der entstehenden Naturwissenschaft und Anthropologie. Er nennt als Ursache für das neue Verständnis außerdem u. a. die historisch-kritische Bibelauslegung und die Auffassung, daß die EntstehungderTextevonGen 1-11 weit entfernt sei von ihrer Niederschrift.
w Ebd. 124.
® Es würde zu weit führen, auf die Problematik der natürlichen Theologie und deren Zusammenhang mit unserem Thema einzugehen.
41	Die Ablehnung der sogenannten "außernatürlichen Gaben“ (dona praeternaturalia) erfolgte nach Köster (a. a. O. 127) aus der “Erkenntnis, daß (vor allem bei Beachtung ihrer literarischen Gattung) die Genesis-Kapitel diese Gaben nicht enthalten. Der andere nicht minder gebieterische Grund ist die allgemeine Plausibilität der Entwicklungslehre.”
42	Seybold, Erbsündendiskussion 267ff.
43	Baumann, Erbsünde.
44	Ebd. 85.
43 Mollenhauer, Erkenntnis 22.
* K. Hübner, Schöpfungsgeschichte 202.
47 Überblick bei Spinner, Pluralismus, Lenx, Wissenschaftstheorie-, Steinebrunner, Sturz.
Für die geschilderte Situation führt Spinner zwei Gründe auf:4*
1.	Das sogenannte Münchbausen-Trilemma (nach Albert49), wonach die Suche nach einer Letztbegründung von Theorien entweder in einen unendlichen Regreß (der nicht durchführbar ist) oder in einen epistemologischen Zirkel führt, durch den auf das zu Beweisende selbst zurückgegriffen wird (was zu Scheinbegründungen führt). Die dritte Möglichkeit besteht in einem Abbruch des Begründungsverfahrens an einem letztlich willkürlichen Punkt. Das Rechtfertigungsproblem ist also nicht rational, sondern nur pragmatisch oder dogmatisch lösbar.
2.	Das Paradox der Rechtfertigungsbasis. Man muß ein Minimum an entproblematisierter Primärerkenntnis (Basis) annehmen. Dieses ist erkenntnistheoretisch das Problematischste. Die Rechtfertigungsbasis müßte durch besonders beweiskräftige Argumente gestützt sein; sie fehlen hier aber gerade am meisten: Wenn die Basis der Erkenntnis vor dem Risiko des Scheiterns möglichst bewahrt werden soll, darf sie im Idealfall keine potentiell widerlegenden Instanzen haben. Um jedoch besonders gut durch rationale Argumente stützbar zu sein, müßte sie jedoch ein Maximum an kritischen Instanzen haben. Die Basis müßte also gleichzeitig hochwiderlegbar und absolut unwiderleglich sein — ein Paradox. Im Sinne des Rechtfertigungsmodells sind Informationsgehalt und Sicherheit konträre epi-stemologische Eigenschaften.
Da es also kein Fundament der Erkenntnis gibt, da Wahrheit immer nur vermutet, nicht aber positiv begründet werden kann, ist eine Konzeption einer kritisch-rationalen Erkenntnis ohne Fundament erforderlich: faüibilistisches Konzept.x Da es keine voraussetzungslose Erkenntnis gibt, kommt auch das fallibilistische Erkenntnismodell nicht ohne einen Anfang der Erkenntnis aus. Bestimmte Annahmen (auch inhaltlicher Art) müssen vorgegeben werden. Dabei ist jeder beliebige Anfang “grundsätzlich gut genug, um im fallibilistischen Erkenntnismodell als Ausgangspunkt für Verbesserungen... zu dienen.”51 Daher sind biblisch motivierte schöpfungs- oder katastrophentheoretische Modelle vom heutigen wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus nicht a
priori zu verwerfen (vgl. Abschnitt 5.5).52 Dem Ziel der Wahrheitserkennung kann man sich nur durch Elimination des Falschen nähern. Darin besteht die fallibilistische Methode der Erkenntnis. Um Falsches erkennen zu können, ist Kritik notwendig, und zwar je mehr, desto besser.
Eine direkte Konsequenz des fallibilistischen Erkenntnisprogramms ist das pluralistische Modell. Denn die beste Kritik besteht in der Konfrontation mit einer strengen, globalen Alternative. Fehlen Theoriekonkurrenten, besteht die starke Neigung, theorieinkonsistente Daten zu ignorieren oder zu bagatellisieren.53
Gegen das monistische Modell ist daher die Idee der Kritik zu stellen. Alle Teile der Erkenntnis- und Wissenschaftslehre sollen dabei erfaßt werden. Die Kritik kann die Theorie treffen (Falsifikation) oder die Erfahrung (die falsifizierenden Daten; Exhaustion). Dabei ist nicht dogmatisch zu entscheiden, wann Exhaustion und wann
® Spinner, a. a. O. 32ff.
45 Albert, Traktat.
50	Popper, Logik.
51	Spinner, a. a. O. 52; Popper, Historizismus 106: Vom Standpunkt der Wissenschaft ist es irrelevant, “ob wir zu unseren Theorien durch voreilige Schlüsse gelangen oder dadurch, daß wir sozusagen einfach über sie ‘stolpern’, also durch ‘Intuition’, oder mit Hilfe irgendeines induktiven Verfahrens.” Wissenschaftlich relevant ist allein die Prüfung von Theorien, nicht die Art und Weise des Findens. Vgl. Spinner, Begründung 10.
52	Nach Popper bleibt dabei die Idee der objektiven, absoluten Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie regulatives Prinzip aller Erkenntnisbemühungen, ohne jedoch zum Cer-tismus der Doktrin absoluter WahrheitscrLermmis zu führen (Spinner, a. a. O. 53). Der Prozeß von Spekulation und Kritik hat kein erkenntnislogisches Ende. “Sobald wir es aufgeben, unsere Theorien kritisch infrage zu stellen, sind sie von einem Dogmensystem ununterscheidbar geworden” (ebd. 56).
53	Spinner, a. a.O. 74f. zählt Gründe gegen den Theorienmonismus auf, u. a.: Der Ausschluß alternativer Theorien oder Erkenntnissysteme ist Ausschluß von Theorienkonkurrenz, dem fruchtbarsten Stimulans für den Erkenntnisfortschritt; die Bevorzugung einer einzigen Theorie bedeutet eine Behinderung von Alternativen, die besser sein könnten; die Erfahrung wird ihrer kritischen Funktion beraubt, denn Erfahrung wird erst in Verbindung mit einer Theorie (durch “theoretische Verstärkung”) stark und wirksam; Erfahrung allein hat keine so starke falsifikatorische Kraft; das Problematisieren des Hintergrundwissens wird verhindert; neue Theorien haben faktisch keine Chance, weil sie am Anfang notgedrungen unterentwickelt sind, woraus eine Chancenungleichheit folgt; die Tendenz wird unterstützt, Probleme, deren Lösung im bisherigen Rahmen aussichtslos erscheint, zu ignorieren.
Falsifikation die vernünftigste Strategie ist. Falsifikation ist nicht pauschal positiv, Exhaustion nicht grundsätzlich degenerativ; das gälte nur im monistischen Modell.
Nur im Rahmen pluralistischer Ideenkonkurrenz sind Theorien einem Maximum an Kritik ausgesetzt:54
—	Tatsachen allein können eine Theorie nicht erfolgreich falsifizieren: “Nur in ihrer kritischen Funktion durch (Alternativ-)Theorien verstärkte Tatsachen sind genügend starke kritische Instanzen mit potentieller Falsifikationswirkung gegenüber anspruchsvollen Theorien.”55
—	Alternativen können eher die “blinden Flek-ken” etablierter Theorien aufdecken;
—	der “metaphysische” Teil von Theorien ist nur durch alternative Theorien kritisierbar zu machen;
—	ein experimentum crucis ist nur möglich bei einem Vorliegen von Alternativen;
—	Alternativen können zur Entdeckung neuer Tatsachen führen.
“Theoretischer Pluralismus erhöht die Intensität und die Reichweite kritisch-rationaler Argumentation sowie die Chancen für ‘außerordentlichen’, revolutionären Erkenntnisfortschritt. Das fallibili-stisch-pluralistische Erkenntnismodell macht es möglich, alle Teile unseres falliblen Wissens im Interesse der kritischen Erkenntnis und ihres Fortschritts in Bewegung zu setzen. Mehr können wir nicht tun, um den Erkenntnisfortschritt zu fördern.”56
“Das fallibilistisch-pluralistische Erkenntnisprogramm empfiehlt, ja verlangt die Einführung neuer Theorien, die den herrschenden Standpunkten widersprechen - und zwar selbst dann, wenn die alten Theorien noch nicht versagt haben oder sonstwie in Schwierigkeiten gekommen sind.”57 Das Nicht-Versagt-Haben kann am Fehlen von Alternativen liegen. Zur vermehrten Einführung neuer Theorien muß ein ebenfalls pluralistisch wirkendes Erhaltungs- oder Bewahrungsprinzip hinzukommen. Den zunächst unterlegenen Rivalen muß die Chance der Entwicklung zu reifen, ausgewachsenen Theorien gegeben werden.58 Um sich bewähren zu können, müssen neue Theorien erst bewahrt werden: der “Mord” an neugeborenen Ideen ist zu verhindern.
Alternativen brauchen also eine Bewährungs-
chance, durch die sie beweisen müssen, daß sie der alten Theorie auf breiter Front widersprechen und diese an Problemlösungskraft übertreffen (d. h. den Erfolg und das Versagen der alten Theorie erklären können). Sie müssen sich als strenger und unabhängiger prüfbar erweisen. Der theoretische Pluralismus ist nicht als vorübergehendes nützliches Stadium anzusehen wie die KuHNSchen Revolutionsphasen,59 sondern als Dauerzustand.
Nach dem Pluralismusmodell der Erkenntnistheorie sind Alternativen zur Evolutionslehre nicht nur prinzipiell möglich, sondern wünschenswert. Da alle Theorien metaphysische Grundlagen besitzen, stellt sich eine auf die biblische Überlieferung gegründete und von daher motivierte Schöpfungsforschung60 nicht außerhalb der Wissenschaft. Das Unternehmen “Schöpfungsforschung” ist wissenschaftstheoretisch legitimiert. Die Problemlösungskraft und Prüfbarkeit von Theorien der Schöpfungsforschung wird in Abschnitt 5.5 anhand einiger Beispiele dargelegt.
Grenzen des Pluralismus-Modells
Ein Theorienpluralismus scheint im Gegensatz zum biblischen Absolutheitsanspruch zu stehen. Das im Wort Gottes verbindlich Gesagte wird in der Schöpfungsforschung in der Tat nicht hinterfragt (vgl. dazu Abschnitt 5.4). In diesem Sinne gibt es doch eine Basis, die nicht hinterfragt wird. Diese Basis (aber nur diese) wird nicht der Kritik ausgesetzt.
Die radikale Kritik im Sinne des Theorienpluralismus-Modells, die auch die Erkenntnisbasis der Kritik aussetzt61, ist auf alle Erkenntnis anzuwenden. So bleibt “Wahrheit” relativ, wenn es keine verbindliche Offenbarung62 im Hinblick
54	Spinner, a. a. O. 87ff.
55	Ebd.87.
56	Ebd.89.
57	Ebd.89.
58	Ebd. 91.
59	Th. Kuhn, Stmkiur.
60	Zum Begriff “Schöpfungsforschung’' s. Abschnilt 5.4.
61	Vgl. Spinner, Begründung 6ff.
62	Zum Begriff "Offenbarung": Hier wird nicht übersehen, daß zum Verstehen der biblischen Zeugnisse ein hermeneutischer
auf Schöpfung und Geschichte gibt. Davon geht die biblisch fundierte Schöpfungsforschung aber gerade nicht aus. In der Praxis besteht dennoch insofern kein Unterschied zur evolutionstheoretisch orientierten Wissenschaft, als deren Vertreter die Evolutionsanschauung ebenfalls grundsätzlich nicht hinterfragen.
Theorien sind immer mit vorausgesetzten weltanschaulichen oder religiösen Grundlagen verflochten.63 Das Aufgeben umfassender Theorien zugunsten einer Alternative kann daher in der Praxis eine Art “Bekehrung” erfordern, die mehr ist als eine bloße Denkübung. Wegen dieser
Verflochtenheit, weil also persönlich-existentielle Momente nicht ausgeschaltet werden können, sind Theorienbewertungen und Kritik nicht bloß eine intellektuelle Angelegenheit. Diese Situation trifft insbesondere auf die Auseinandersetzung um die Evolutionsanschauung zu. Die weltanschauliche Verankerung von Theorien begrenzt die Offenheit für andere Theorienansätze. Trotz dieser Einschränkung kann das Pluralismusmodell klarstellen, daß Monopolstellungen von wissenschaftlichen Theorien fehl am Platz und daß Auseinandersetzungen mit Alternativen gewinnbringend sind.
1.5	Grundweisen der Verhältnisbestimmung der biblisch-heilsgeschichtlichen und
evolutionären Geschichtsschau
Man kann die beiden zur Diskussion stehenden Geschichtskonzeptionen (Abschnitt 1.1) im wesentlichen auf zweierlei Weisen ins Verhältnis zueinander setzen: Entweder man setzt die biblische Geschichtsschau, wie sie in den biblischen Geschichtsbüchern einschließlich der Urgeschichte geschildert ist, für die historische Realität dieses Äons als daseinsbegründend voraus und hinterfragt und kritisiert von dort aus evolutionäre Hypothesen. Diese Rangfolge wird in dieser Arbeit vertreten. Oder man wählt die Evolutionsgeschichte “vom Urknall bis zum menschlichen Geist” als Erkenntniskonstante, an die das Verständnis der biblischen Geschichte anzugleichen ist. Einen Mittelweg kann es hier nicht geben, sondern lediglich verschiedene Ausprägungen im Detail.64
Daß es sich hier um wirkliche und nicht etwa um scheinbare Alternativen handelt, soll diese Arbeit im einzelnen begründen. Schon an dieser Stelle kann man jedoch festhalten, daß die biblische Urgeschichte als Überlieferung, die für die historische Realität von Belang ist, mit einer Evolutionsgeschichte nicht vereinbar ist. Wenn dagegen behauptet wird, hier liege im Grunde kein Gegensatz, sondern eine Scheinalternative vor, verbirgt sich dahinter ein unhistorisches Verständnis der biblischen Urgeschichte. Damit
aber ergibt sich die Frage nach einer Ursprungsund Geschichts-Alternative. Sie heißt heute “Evolutionsgeschichte”. Diese ist eine klare Alternative zu einem historischen Verständnis von Genesis 1 — 11. Hier gibt es keine sachliche Vermittlung. Es geht also nicht um die Frage, ob hier eine echte Alternative vorliegt, sondern ob auf die diesen Äon begründende Wahrheit der biblischen Urgeschichte verzichtet werden kann, ohne daß Substanz der christlichen Botschaft preisgegeben wird. Historizität bedeutet im Sinne der Ausführungen in Abschnitt 1.1, daß die geschil-
Weg gegangen werden muß. Erst am Ende dieses Weges ist auch das für die Geschichtsauffassung und Wissenschaft “Verbindliche” zu sehen; vgl. Maier, Hermeneulik. ö Vgl. Funke, Gesichtspunkte. Alle wissenschaftlichen Theorien basieren auf einer Willenszuwendung, einer wertnehmenden Stellungnahme.
64 Es stellt keinen Mittelweg dar, wenn in derzeitigen Theologieentwürfen konservativer Provenienz der Schöpfungsbericht als Bekenntnis oder geistgewirktes, dem menschlichen Denken adäquater Versuch der Darstellung der Schöpfungsereignisse gilt (vgl. Bayer, Schöpfung). Denn in diesen Entwürfen bleibt die Frage der Historizität im Sinne einer historischen Rekonstruktion offen. Wird diese Frage aber offen gelassen, so besteht die Möglichkeit einer Rekonstruktion im Sinne der Evolutionslehre. Die vorliegende Untersuchung widmet sich aber gerade der Frage, mit welchen Konsequenzen die Akzeptanz der Evolutionslehre verbunden ist bzw. wäre. Darüber hinaus nähert sich diese Position einer Entflechtung im unten beschriebenen Sinne (Abschnitt 1.5.2.1)an.
derten Ereignisse (hier aus Genesis 1 — 11) die reale Menschheitsgeschichte betreffen und daß daher die Überlieferungen der Genesis auch als Dokumente für geschichtliche Rekonstruktionen (einschließlich der Naturgeschichte oder besser “Schöpfungsgeschichte”) relevant sind.
1.5.1	Die Priorität der biblischen Ur-, Heils- und Endgeschichte
Beck65 spricht bei der ersten im vorigen Abschnitt genannten Alternative von einem Sinn-apriori der biblischen Offenbarung und von einem “Prinzip der Erhaltung der Faktizität des Heilshandelns Gottes.”66 Dieses “Prinzip” bedeutet: Aus dem Heilshandeln Gottes, wie es in den biblischen Überlieferungen bezeugt ist, ist die tragende Erkenntnisbasis (Erkenntniskonstante) zu gewinnen.
Aus dieser Verhältnisbestimmung resultiert eine enge Beziehung von Geschichtswissenschaft (einschließlich der Rekonstruktion der Geschichte der außermenschlichen Schöpfung) und dem biblischen Glauben, indem die biblische Geschichte den Rahmen für die Geschichte der Natur bildet. Damit ist nicht gemeint, daß die Bibel direkt “naturwissenschaftliche” Aussagen enthält - das ist ein weit verbreitetes Mißverständnis über diese Position -, sondern daß die biblischen Berichte über die Geschichte der Menschheit naturkundlich relevant sind. Konkret heißt dies schlaglichtartig:67 Eine ursprünglich durch Gottes Allmachtswort als “sehr gut” (Gen 1,31) prädizierte Schöpfung wurde im Gefolge des Sündenfalls durch den Fluch Gottes lebenseinschränkenden Bedingungen und einem Zerfallsprozeß unterworfen.68 Das Sintflutgericht bedeutete einen weiteren globalen Einschnitt in der Schöpfung. Auch für die Zukunft gilt, daß durch Gottes Handeln die Gestalt der Welt grundlegend gewandelt werden wird. Diese wesentlichen Marken der Welt- und Menschheitsgeschichte haben auch Bedeutung für die wissenschaftliche Geschichtsrekonstruktion. Da dies im Gegensatz zum evolutionären Geschichtskonzept steht, ist ein Konflikt unausweichlich, wie im Verlaufe dieser Arbeit noch im einzelnen zu zeigen sein wird.
1.5.2	Die Priorität der evolutionären Geschichtsschau
Wird die Evolutionsgeschichte vom Urknall bis zum Menschen als Erkenntniskonstante vorgegeben, müssen die biblischen Zeugnisse vom Weg Gottes mit der Menschheit auf diese Konstante bezogen werden. Dies wird im einzelnen in unterschiedlicher Weise durchgeführt. Man kann hier im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen unterscheiden, die man als “konsequente” und “gemäßigte” Evolutionsanschauung (vgl. Abschnitte 3.2 und 3.3) charakterisieren kann. Beiden ist die Auffassung gemeinsam, daß die biblische Urgeschichte ganz oder teilweise “ent-mythologisiert” werden mi^sse, um zum eigentlichen Aussageinhalt zu gelangen. ScHMrrz-MooR mann betont, daß sich in dieser Perspektive “der klassische Begriff eines depositum ftdei als des unwandelbaren Offenbarungsinhaltes nicht länger aufrechterhalten” lasse.69
1.5.2.1	Konsequente Evolutionsanschauung
Die Vertreter einer konsequenten Evolutionsanschauung kann man nochmals unterteilen in solche, die eine sog. “Entflechtung” wissenschaftlicher Erkenntnisse und biblischer Glaubenszeugnisse bevorzugen und die Evolutionslehre (wie auch andere Anschauungen) als irrelevant für Fragen des Glaubens werten, und andere, die die Evolutionslehre in ihren Entwürfen positiv verarbeiten. Die Befürworter einer Entflechtung sind insofern zur konsequenten Evolutionsanschauung zu rechnen, als sie die (vermeintlich naturwissenschaftliche) Evolutionslehre gewöhnlich in keiner Weise kritisieren und sie daher uneingeschränkt akzeptieren.70 Wenn auch gemäß einer Entflechtung die Evolutionslehre als irrelevant für Fragen des Glaubens gewertet und der
65 Beck, Universalität 4.
“ Ebd.3.
47	Ausführlich behandelt in Kapitel 5.
48	Ausführliche Exegese in Abschnitt 4.3.2.
4, Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 88.
70	Es sei denn, es werden aus ihr Schlußfolgerungen gezogen, die als nicht naturwissenschaftlich begründbar angesehen werden.
Streit über Alternativkonzepte in Ursprungsfragen überhaupt als belanglos angesehen wird, so wird doch der biblischen Urgeschichte keine historische Bedeutung zugebilligt. Da als Alternative dazu nur Evolutionsanschauungen (wenn auch unterschiedlichster Schattierungen) möglich sind, läuft die “Entflechtungslösung” faktisch doch auf eine konsequente theistische Evolutionsanschauung hinaus.
Die Entflechtungslösung
Schon zu Beginn der Auseinandersetzung im Gefolge der Veröffentlichung der DARwiNSchen Theorie gab es Stimmen, die in der theologischen Auseinandersetzung um die Abstammungslehre kein “Entweder - oder” sehen wollten, sondern meinten, beide Sichtweisen harmonisieren zu können. Der Ablauf einer Evolution könne akzeptiert werden, ohne daß ein Widerspruch zum biblischen Zeugnis auftrete. Andererseits könne und dürfe die Naturwissenschaft ein finales Prinzip nicht aus dem Evolutionsgeschehen ausschließen. Auch könne die Naturwissenschaft nichts über den Sinn und das Ziel der Evolution aussagen. Diese Autoren plädieren für eine weitgehende oder sogar völlige Trennung (Entflechtung) von Aussagen, die Naturkundliches oder die Geschichte betreffen, und Inhalten des Glaubens. Die Naturwissenschaft äußere sich über das “Wie” der Schöpfung, der Glaube über das “Daß” und über Sinnfragen. Biblische Aussagen werden in einen anderen Bereich der Realität verwiesen, der den Bereich der Natur- und Geschichtswissenschaft allenfalls tangiert. Durch klare Revierabgrenzungen sollen scheinbar unnötige Reibereien vermieden werden.71 Die Folge ist eine weitgehende Beschränkung des Aussagebereichs des christlichen Glaubens auf den existentiellen Bereich.
Auch Autoren, die eine Verbindung von Glauben und Naturwissenschaft sehen, trennen oft weitgehend beide Gebiete, sobald es um konkrete Sachfragen geht. Ein typisches Beispiel dafür bietet Goez. Er schreibt zunächst: “Das Menschenbild der Wissenschaft und das Menschen-
bild des Glaubens gehen einander an.”72 - “Wir müssen uns hüten, der Naturwissenschaft das Diesseits, der Theologie das Jenseits anzuvertrauen ... Die Theologie wäre ... in ein fernes Nirwana verdrängt.”73 — “Sobald die Naturwissenschaft oder die Theologie chinesische Mauern baut und sich abkapselt, steht sie selbst in Gefahr, krank zu werden; gleichzeitig fehlt dem gegenüberliegenden Gebiet das Korrektiv.”74 Entgegen diesen programmatischen Sätzen laufen Naturwissenschaft und Theologie in Goez’ Werk faktisch doch weitgehend nebeneinander. Beispielsweise betreffen die “Glaubenssaussagen” über die Tierschöpfung (nur oder hauptsächlich?) den Tierschutz, nicht aber die Frage, wie die Tiere tatsächlich ins Dasein gekommen sind. Das wird offenbar der Evolutionslehre überlassen. In Gen 1 gehe es nicht um die Schöpfungswerke als solche, sondern darum, daß Gott geschaffen habe.75 Es komme in den Schöpfungsberichten nur auf die Glaubensaussage an, nicht auf die “historische” Darstellung. Das heißt aber nichts anderes, als daß Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis doch weitgehend getrennt werden. Ein anderes Beispiel für die faktisch vollzogene Trennung besteht bei Goez darin, daß er einerseits die Evolutionslehre akzeptiert, andererseits eine Zeit vor dem Sündenfall von einer Zeit danach mit den Worten unterscheidet: “Noch stört kein Mißklang den Frieden.”76 In einem evolutionstheoretischen Kontext ist dieser Satz nicht haltbar, denn diesen Mißklang gab es in diesem Rahmen notwendigerweise immer, seit
71	“Beide, Naturwissenschaft und Theologie, übersahen, daß es gar nicht dasselbe war, was sie zu erklären hatten. Die experimentell feststellbare Entwicklung, die zunächst allein der Naturwissenschaft zugänglich ist, liegt auf einer anderen Ebene als die Schöpfung, Erhaltung und Lenkung der Welt, die zunächst allein die Theologie angeht” (Breuning & Lakner, Handbuch 124; als Komm, zu Scheebens Dogmatik von 1877). Orr, in Buri u. a., Dogmalik 36, spricht von einem “indifferen-tistischen” Verhältnis: “Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft werden auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, so, daß sie sich gar nicht mehr widersprechen können.” Vgl. Orr, Antwort 13 lff.
72	Goez, Naturwissenschaft 6.
73	Ebd. 22.
74	Ebd. 23.
75	Ebd. 64.
76	Ebd. 109; gemeint ist der Friede zwischen Tier und Mensch.
es Leben gibt (vgl. Abschnitte 2.4.3 und 4.4). Manche Autoren schwanken in ihrer Auffassung über den Zusammenhang von Bibel und Wissenschaft. Im allgemeinen habe der Naturforscher für sein Fach in der Bibel nichts zu suchen und von seiten der Bibel nichts zu befürchten, so Schwegler.77 Ein Widerspruch entstehe erst, wenn “die Vertreter des einen Gebietes in das andere Gebiet in unbefugter Weise eindrängen.” Also gibt es für diesen Autor doch Bereiche, wo sich beide ins Gehege kommen können. Er bemerkt dies selber, denn er stellt fest, daß, wenn auch Bibel und Naturforschung verschiedenen Ebenen angehören, sie doch “freilich irgendwie Zusammenhängen.”78
Konsequente Einbindung der Evolutionsanschauung
Eine zweite Gruppe von Autoren hält die strikte Trennung von Glauben und Wissen für undurchführbar. Die existentialistische Verengung von Schöpfung und Sündenfall wird bemängelt, beispielsweise von Rahner:
“Immerhin: wenn der katholische Theologe den Zustand des Menschen im ‘Paradies’ als Mythos interpretieren kann... und wenn er dieses Paradies nicht gnostisch von der Erde wegverlegen kann..., sondern es auf der Erde, in dieser Raumzeitlichkeit denken muß, weil er an der ‘Geschichtlichkeit’ der Genesisberichte in ihrem eigentlich gemeinten und wirklich ausgesagten Kern festhalten muß, dann kann er nicht von vornherein so tun, als ob naturwissenschaftliche und theologische Fragen und Erkenntnisse keine Berührungspunkte haben können .. ,”7*
Der Theologe betreibe auch sein eigenes Geschäft schlecht, wenn er hochmütig meint, die anderen Wissenschaften entbehren zu können.80 Diese Gruppe plädiert dafür, das Evolutionskonzept in jeder Hinsicht anzuerkennen und die biblische Botschaft entsprechend neu zu inter-
pretieren. Damit das biblische Zeugnis überhaupt noch verstehbar bleibe, müsse mit den Erkenntnissen moderner Wissenschaft (= Evolutionslehre; s. o.) Ernst gemacht und der christliche Glaube in einer evolutiven Welt neu ausformuliert werden. Die Einengung auf die persönliche Existenz wird zugunsten des Aussagebereichs des Glaubens überwunden, der Glaube in evolutionäre Termini übersetzt. Die Evolutionsfaktoren werden als voll ausreichend angesehen, um die Lebensvielfalt, den Menschen eingeschlossen, hervorzubringen. Auch wenn man erkennt, daß die Wissenschaft die Evolutionsmechanismen noch nicht geklärt hat, geht man davon aus, daß dies prinzipiell möglich sei und daß in der evolutiven Geschichte des Lebens und des Menschen keine besonderen Eingriffe Gottes erforderlich gewesen seien, um schließlich den Menschen hervorbringen zu lassen.
1.5.2.2	Gottes Eingreifen in der Evolution
Die zweite, früher stärker vertretene, heute dagegen deutlich abnehmende Gruppe akzeptiert ebenfalls den historischen Evolutionsverlauf, geht aber davon aus, daß Gott an manchen Stellen besonders eingegriffen habe, insbesondere bei der Menschwerdung. Den Evolutionstheoreti-kem wird ihr Arbeitsfeld nicht unbesehen überlassen. Wichtige Schritte auf dem Weg vom Tier zum Menschen sollen nicht allein evolutionär verstehbar, die postulierte Evolution nicht allein naturgesetzlich erklärbar sein. Aus dogmatischen Rücksichten werden evolutionstheoretische Vorstellungen hinterfragt.
77	Schwegler, Urgeschichte 85.
78	Ebd.
79	Rahner, Vorwort zu Overhage, Erscheinungsbild.
80	Ebd. 30.
1.6	Zielsetzung der Arbeit
Wenn im vorigen Jahrhundert das Aufkommen der Evolutionslehre die Theologen zu einem Neubedenken von naturkundlichen Fragen und ihrer Beziehung zum biblischen Zeugnis geführt hat (Lohfink81), so ist heute aufgrund deutlich veränderter Faktenlage diese Motivation erneut gegeben. In der Zwischenzeit ereignete sich ein “Plausibilitätssturz”82. Um zwei wichtige Aspekte zu nennen: Nachdem 1959,100 Jahre nach der Publikation von Darwins Theorie, weithin unwidersprochen festgestellt worden war, daß nicht nur die Tatsache der Evolution, sondern auch ihre Mechanismen im wesentlichen geklärt seien, begann die Zahl von Evolutionstheorien ab den siebziger Jahren rapide zuzunehmen. Mehr und mehr war zu hören, daß wesentliche Aspekte des Evolutionsmechanismus nicht geklärt seien, weshalb neue Theorien entwickelt werden müßten. Die Mechanismenfrage kann heute erfolgreich kritisiert werden; insbesondere im Bereich der “Urzeugung” des Lebens.83 Problematisch für die Evolutionslehre ist auch der Fossilbefund. Trotz der immens wachsenden Anzahl von Fossilfunden können die systematisch auftretenden Lücken zwischen verschiedenen Organisationstypen nicht geschlossen werden.84 Wenn auch in der vorliegenden Arbeit die Kritik an Harmonisierungen mit der Evolutionslehre primär aufgrund dogmatischer Gesichtspunkte motiviert ist (s. Kapitel 4), so kann doch auch die naturwissenschaftlich begründete Schwächung der Plausibilität der Evolutionslehre ein zusätzlicher Anstoß für das Hinterfragen etablierter Vorstellungen über die Zusammenschau der evolutionären und biblischen Geschichtsschau sein.
Vor dem Hintergrund der angerissenen Situation in der Diskussion um die Evolutionslehre und um das gesamtbiblische Zeugnis sollen in dieser Arbeit folgende Themenkomplexe dargestellt bzw. Fragen aufgegriffen werden:
1.	Es sollen Versuche einer Zusammenschau einer Evolutionsgeschichte mit der biblischen Heilsgeschichte dargestellt werden. Diese Ver-
suche sollen unter folgenden Fragestellungen kritisch gesichtet werden:
-	Werden bei Vereinbarungsversuchen die Inhalte der Evolutionslehre realistisch zur Kenntnis genommen? Dahinter steht die schon hier zu vermerkende Beobachtung, daß in vielen Konzepten einer “theistischen Evolution” von einem idealisierten Evolutionsbild ausgegangen wird. Es soll ein Spezifikum der vorliegenden Arbeit sein, den Bezug zur Evolutionslehre konsequent einzufordern, und möglichst umfassend berücksichtigt werden, was es bedeutet, die Evolutionslehre als Rahmenparadigma vorauszusetzen.
-	In Konzepten, die wesentliche Elemente der traditionellen Sicht evolutiv angepaßt neu formulieren, soll herausgearbeitet werden, wie unter der Vorgabe der Evolutionsanschauung Glaubensinhalte, fundamental verändert, neu formuliert werden müssen.
-	Es soll der Vermutung nachgegangen werden, daß eine Zusammenschau von Evolutionsgeschichte und biblischer Heilsgeschichte nur auf Kosten entweder von zentralen biblischen Aussagen oder von vitalen Elementen der Evolutionslehre möglich ist.
Am Rande soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit exegetische Begründungen von Neuformulierungen evolutionstheoretisch motiviert bzw. bedingt sind und ob man hier einen Zusammenhang nachweisen kann.
Insgesamt lassen sich diese Fragestellungen wie folgt zusammenfassen:
81	Lohfink, Bibelauslegung.
82	Beck, Biologie; Beck, Schöpfungs- oder Naturwissenschaft.
83	Z. B. Grrr, Am Anfang, Illies, Jahrhundenirrtum, W. Kuhn, Darwin, W. Kuhn, Stolpersteine, Vollmert, Molekül', Shapiro, Schöpfung, Dose, Präbiotische Evolution', im Überblick: Junker «ScScherer, Entstehung Kap. 5.
M Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß zahlreiche “Mosaikformen” existieren, die teilweise als Modelle für Zwischenstufen gewertet werden. Denn die paläontologischen Stammbäume sind durchweg strauchartig und nicht baumartig. Evolutionstheoretische Erklärungen für dieses systematische Fehlen sind fragwürdig. Die Diskussion ist hier offener geworden.
Kann man die biblische Sicht der Welt- und Menschheitsgeschichte einerseits und eine evo-lutiv interpretierte Geschichte andererseits widerspruchsfrei miteinander verbinden, ohne daß Elemente der Evolutionslehre zurückgewiesen werden müssen und ohne daß die biblische Botschaft an Substanz verliert?85 Damit unmittelbar verquickt ist die Frage, was substantiell zur biblischen Botschaft gehört. Die Antwort auf diese Frage hängt mit von der hermeneutischen Position ab, die wiederum von der Vorgabe der Evolutionslehre beeinflußt sein kann. Dieser zirkuläre Zusammenhang verkompliziert die Fragestellung; er muß im Auge behalten werden. Diesen Fragen widmen sich die Kapitel 3 und 4.
2.	Neben diesem kritischen Aspekt der vorliegenden Arbeit sollen aus der Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre Grundzüge einer positiven Verhältnisbestimmung von Daten der Natur- und Geschichtswissenschaften und dem biblischen Zeugnis entwickelt werden, die die traditionelle, biblisch begründete christliche Sicht von der Schöpfung in ihrem geschichtlichen Aspekt beibehält. Dieser Aufgabe stellt sich Kapitel 5.
Da die Aussagen der Evolutionslehre biblische Inhalte z. T. in ihrem Kern betreffen - wie in dieser Arbeit im einzelnen gezeigt werden soll -, wird der Untersuchung ein Kapitel vorangestellt, in dem die wesentlichen Inhalte von Evolutionstheorien zusammengefaßt werden (Kapitel 2).
Dabei geht es vornehmlich um solche Aspekte der Evolutionslehre, die allen Varianten -theistisch oder atheistisch - gemeinsam sind, die also in jeder Art von Vereinbarungsversuchen von Evolution und christlichem Glauben Relevanz besitzen.
Auswahl der Autoren
Die vorliegende Arbeit bietet keine geschichtliche Darstellung, sondern behandelt die anstehende Problematik nach systematischen Gesichtspunkten. Dabei wird keine Vollständigkeit in der Zitierung von Autoren angestrebt, die sich zum
Spannungsfeld von Evolutionslehre und biblischer Ur- und Heilsgeschichte geäußert haben. Vielmehr stehen die vorgebrachten Argumente, die sich bei verschiedenen Autoren häufig wiederholen, im Mittelpunkt. Da es auf die Argumente ankommt, mag die Autorenauswahl gelegentlich willkürlich erscheinen. Im Wesentlichen erfolgte eine Beschränkung auf die Auseinandersetzung in unserem Jahrhundert und im deutschsprachigen Raum. Da man sich den hier behandelten Fragen in unserem Jahrhundert besonders im katholischen Bereich gewidmet hat, wird stärker auf katholische als auf evangelische Positionen eingegangen. Die Gründe für die unterschiedliche Gewichtung der Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre in beiden großen Konfessionen sollen hier nicht erörtert werden.
Abgrenzung der Fragestellung
Auf die naturwissenschaftliche Kritik der Evolutionslehre wird nicht näher eingegangen, da dies an anderen Stellen teilweise ausführlich geschehen ist.86 Es geht in dieser Arbeit um die theologischen Gesichtspunkte. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, daß naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien keine Bedeutung für die anstehenden theologischen Fragen hätten — im Gegenteil. Doch soll keine Auseinandersetzung mit den naturwissenschaftlichen Argumenten pro und contra Evolutionslehre stattfinden. Die Diskussion der theologischen Argumente kann ohnehin großenteils unabhängig vom Plausibilitätsgrad der Evolutionslehre (nicht unabhängig von den Inhalten!) erfolgen.
Philosophische Kritik an der Evolutionslehre als Allerklärungsprinzip wird ebenfalls nur am
85	In der Formulierung Scheffczyks, Chrisiogenese 168: “Kann bei der Transformation der biblischen Wahrheit in ein evoluti-ves Weltbild der Inhalt dieser Wahrheit erhalten bleiben oder vollziehen sich an ihr solche Veränderungen, daß die neue Gestalt der alten nicht mehr kongruent erscheint?”
86	Deftton, Evolution', Grrr, Am Anfang-, Ilues, Jahrhundertirrtum', Junker & Scherer, Entstehung, Kahle, Evolution; W. Kuhn, Darwin; W. Kuhn, Stolpersteine; Lonnig, Artbildung, Vollmert, Molekül; Scherer, Probleme (Literaturtiberblick) u. a.
Rande berücksichtigt. Hierzu wird auf Heng-
STENBERG87, VON StOCKHAUSEN88, LOCKER89, SpAE-mann & Löw90, Spaemann u. a.9' verwiesen.
Weitgehend ausgeklammert bleibt auch der Bereich der Ethik, der im Zusammenhang mit der Evolutionslehre in die Soziobiologie führt, ein Gebiet, das eine eigene Behandlung erfordert und wegen seines Umfangs hier nicht ausführlich berücksichtigt werden kann. Eine Kritik soziobiologischer Auffassungen findet sich bei Hemminger.92
Auch die Sintflutthematik wird nicht systematisch behandelt, denn auch die Bearbeitung des Gebietes “Sintflut, Geowissenschaften und Paläontologie” würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
87	Hengstenberg, Evolution.
88	Von Stockhausen, Mythos.
87 Locker, Evolution.
Spaemann & Löw, Wozu.
81 Spaemann u. a., Sein; Spaemann u. a., Evolutionismus. n Hemminger, Marionette, der allerdings die Evolutionslehre als Rahmenparadigma beibehalt.
2.	Strukturen evolutionärer Konzepte
Die vorliegende Untersuchung widmet sich den Konsequenzen für die christliche Schöpfungs-, und Erlösungslehre, die sich aus der Akzeptanz der Evolutionslehre ergeben. Für die Beurteilung solcher Folgerungen besteht die Schwierigkeit, daß es nicht die Evolutionstheorie schlechthin gibt. Es liegen recht unterschiedliche Evolutionsvorstellungen vor. Um theologische Bewer-
tungen vornehmen zu können, ist es erforderlich, eine geeignete “Bezugsgröße” zu wählen. Ein solcher Bezugsrahmen liegt in den Gemeinsamkeiten aller Evolutionsvorstellungen. Nach einem Überblick über die wesentlichen Aspekte der Evolutionstheorien und der wichtigsten Varianten sollen die Grundelemente aller Varianten zusammengestellt werden (Abschnitt 28).
2.1	Zunehmende Komplexität
Unter Evolution wird eine Kosmosgeschichte verstanden, die folgende Merkmale aufweist:
1.	Ausgangspunkte einzelner Entwicklungsstadien sind Zustände jeweils geringerer Komplexität. Für den astrophysikalischen Bereich bedeutet dies, daß das Weltall mit seinen Galaxiensystemen im Anfang in einem strukturlosen Zustand war. Gegenwärtig haben sich sogenannte “Urknair’-Theorien etabliert, nach denen sich die Strukturen des Universums als Folge einer Ur-Explosion gebildet haben.1 In verschiedenen Phasen folgten einander die Zusammenlagerungen von Atomteilchen zu Atomen, von Atomen zu Molekülen usw. Im Laufe der Zeit bildeten sich im Weltall Sonnen und Planetensysteme, Galaxien und Galaxienhaufen; auf der frühen Erde begann eine “chemische Evolution” mit Zusammenlagerungen von Kleinmolekülen zu Molekülketten und einer Wechselwirkung zwischen verschiedenen Kettenmolekülen bis zur Entstehung einer ersten “Urzelle”. Bresch spricht vom Gesamtablauf als einem Prozeß wachsender Integration.2
Der chemischen Evolution folgt dem Evolutionskonzept gemäß die biologische. In diesem Bereich bedeutet Evolution die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von einem Urorga-nismus.3
In diesem Sinne — wachsende Komplexität und zunehmende Integration im Laufe der Zeit - soll im folgenden der Begriff Evolutionslehre (vgl. Abschnitt 1.1) gebraucht werden, unabhän-
gig von speziellen Ausformulierungen in Fragen der Evolutionsmec/ia/mme/j und -faktoren. Evolution wird hier also immer im umfassenden Sinne gebraucht, nicht im Sinne einer bloßen Variation schon vorhandener Lebewesen oder Lebensstrukturen.4
Der postulierte Evolutionsprozeß ist der experimentellen Forschung prinzipiell nicht zugänglich, da es sich um einen vergangenen, einmaligen Ablauf handelt. Es können nur Spuren aus der Geschichte des Lebens und der unbeleb-
1	Die Urknall-Vorstellung gerät in den letzten Jahren aufgrund neuer unerwarteter Daten von Raumsonden allerdings mehr und mehr “unter Beschuß”, vgl. z. B. Oldershaw, COBE; Lerner, Whal's wrong.
2	Bresch, Zwischenstufe. Diese Szenarien sind jedoch durch Simulationsexperimente empirisch nur unzureichend gestützt. Heute wird offen eingeräumt, daß die bisherigen Forschungen im Bereich der chemischen Evolution bislang nur das Scheitern der getesteten Ansätze erwiesen hätten; vgl. Dose, Präbiotische Evolution; Shapiro, Schöpfung.
3	Angesichts einer Reihe von Schwierigkeiten wird verschiedentlich postuliert, ein “Urorganismus" habe die “Urerde" aus dem Weltall “infiziert" (Hoyle & Wickramasinghe, Evolution from Space). Das Problem der Biogenese wird dadurch natürlich der Lösung nicht näher gebracht.
4	Variation vorhandener Merkmale ist auch im Grundtypmodell der Schöpfungslehre deutbar, vgl. Abschnitt 5.5.1. Variation beruht im Wesentlichen auf der Auslese aus einer variablen Population (durch Züchtung oder aufgrund spezieller Umweltbedingungen), was Spezialisierungen zur Folge hat, und durch Änderungen des Erbguts (Mutationen). Durch Mutation konnte bisher jedoch nur vorhandenes Erbgut geändert (Mikroevolution), nicht jedoch qualitativ neues Erbgut erzeugt werden (Makroevolution); vgl. Junker & Scherer, Entstehung Kap. 3 und 4; Scherer, Photosynthese, Schneider, Kraftwerke.
ten Welt sowie Phänomene der heutigen Welt als Indizien durch eine historische Rekonstruktion gedeutet werden. Zu den Phänomenen der heutigen Welt gehören auch Ergebnisse aus Simulationsexperimenten.5 Simulationsexperimente können nur darüber Auskunft geben, welche Prozesse auf einer gedachten frühen Erde abgelaufen sein könnten, nicht aber darüber, wie es tatsächlich war. Evolutionsforschung ist also im Grunde eine Geschichtswissenschaft, die neben den historischen Dokumenten (wie z. B. Fossilien, Abfolgen von Sedimentgesteinen usw.) auch Befunde aus dem experimentellen Bereich für historische Rekonstruktionen heranzieht.
2.	Die Evolution verlief im wesentlichen klein-schrittig.6 Die auf biologischem Sektor maßgeblichen Mechanismen der Entwicklung (s. u.) können nach bisherigen Erkenntnissen nur allmähliche Änderungen bewirken (vgl. Abschnitt 2.4).7
3.	Der zeitliche Rahmen der evolutiven Geschichte ist in Jahrmilliarden zu bemessen. Die großen Zeiträume müssen vorausgesetzt werden, da die Veränderungen nur kleinschrittig verlaufen sollen und daher sehr zeitraubend sind.8
Im folgenden werden wir uns weitgehend auf den biologischen Bereich beschränken. Für diesen Bereich heißt Evolution weiterhin:
4.	Alle Arten von Lebewesen, die heute lebenden und die ausgestorbenen, sind durch gemeinsame Abstammung miteinander verbunden. Ausgangspunkt der Evolution war ein erstes einzelliges Urlebewesen.9 Das heißt: Alle Lebewesen hängen durch einen einzigen gemeinsamen Stammbaum genetisch miteinander zusammen. Auch der Mensch ist ein Zweigstück dieses Stammbaumes.
5.	Für den Menschen bedeutet dies: Er hatte nicht immer seine heutige Erscheinungsform, sondern ein gedachter Organismenstamm wandelte sich allmählich über tausende von Generationen in einem Zeitraum von Millionen Jahren von der tierischen (affenartigen) zur menschlichen Gestalt.
6.	Die Evolution läuft in Populationen ab.10 Populationen, durch Kreuzung miteinander verbundene Individuen einer Art, sind die Grundeinheit der Evolution. Die mutative (erbliche)
Änderung einzelner Individuen ist zwar eine notwendige Voraussetzung für die Abwandlungen der Populationen und Arten, doch ist es erforderlich, daß Neuvarianten sich in der Population ausbreiten und andere Formen im Laufe der Zeit verdrängen. Die stammesgeschichtliche Evolution verläuft also nicht von Individuum zu Individuum oder von Pärchen zu Pärchen, sondern durch Abwandlung einer mehr oder weniger großen Gruppe."
5	Z. B. aus der sog. “Ursuppenchemie”.
‘ Vgl. Diskussion bei Vollmer, Erkenntnis 9f.
I	Vollmer, Erkenntnis 10: “Der Evolutionsbiologe sollte also zeigen können, daß das evolutive Geschehen sich über zahlreiche kleine, ungerichtete Mutationsschritte verstehen laßt, die nacheinander auftreten und von denen jeder oder nahezu jeder positiv bewertet und deshalb beibehalten wird.”
8	“Hopeful monsters" (plötzlich auftretende große Slrukturän-derungen von Organismen) und Punktualismus sind keine Gegenargumente gegen die prinzipielle Kleinschrittigkeit. Hopeful monsters müssen nach der Idee ihrer Vertreter die kleinschrittigen Änderungen latent angesammelt haben, bis sie plötzlich phänotypisch durchbrechen. Die Idee der hopeful monsters ist im übrigen nur ein theoretisches Konstrukt. Man spricht zwar bei den sog. “homöotischen Mutationen”, durch die (wie z. B. bei der Fruchtfliege Drosophila) ganze Körperteile an eine falsche Körperstelle geraten (z. B. Beine anstelle von Antennen), auch von “Monstermutationen”. Doch handelt es sich hierbei nicht um hopeful monsters, sondern um wenig hoffnungsvolle Mißbildungen, die auf einen Defekt in der Formbildung zurückzuführen sind.
Nach der Vorstellung des Punktualismus geht die Evolution ebenfalls grundsätzlich kleinschrittig vor sich; im Gegensatz zum Gradualismus unterscheidet man lediglich Phasen schneller Anhäufungen kleiner Evolutionsschritte, denen lange Phasen von Stagnationen folgen.
9	Evtl, sehr wenige verschiedene Einzeller, was allerdings angesichts der tiefgreifenden Ähnlichkeiten aller Lebewesen unter evolutionstheoretischen Prämissen extrem unwahrscheinlich ist.
10	Vgi. z. B. Kull, Evolution 112ft.; Wuketits, Evolutionstheorien 62ff.; Mayr, Vielfalt 159.
II	In seltenen Ausnahmefällen kann unter passenden Rahmenbedingungen theoretisch auch nur ein einziges Paar Gründerpopulation einer neuen Art sein, nicht jedoch ein einzelnes Individuum. Voraussetzung dafür ist eine geographische Trennung (Separation) von den anderen Individuen derselben Art und dadurch die Verhinderung eines Genflusses. Während der Trennungszeit muß es außerdem zur Ausbildung von Isolationsmechanismen kommen, damit bei späterer Überlappung der besiedelten Areale eine erneute Vermischungausgeschlossen ist. Die biologischen und ökologischen Voraussetzungen für die Artbildung sind bedeutsam für die evolutive Entstehungstheorie des Menschen (vgl. Abschnitt 4.1).
2.2	Die Methodik der Evolutionsforschung
In allen Lehrbüchern über die Evolutionslehre wird als eine der Aufgaben der Evolutionsforschung die Aufdeckung der Ursachen und Mechanismen genannt, die als Triebkräfte den Wandel in den Ahnenreihen bewirken. Ausgesprochen oder unausgesprochen lebt diese derzeit als am wichtigsten angesehene Aufgabenstellung der Evolutionsforschung von der Vorstellung bzw. Motivation, diese Mechanismen vollständig auf der Basis physikalisch-chemischgesetzmäßiger Grundlagen zu beschreiben.12 Die kausale Evolutionsforschung basiert auf der Meinung, die Entstehung des Lebens und die Höherentwicklung der Lebensformen allein durch immanente, regelhaft-kausale Prozesse erklären zu können.
Mit der Evolutionslehre soll also nicht etwa nur der postulierte stammesgeschichtliche Verlaufbeschrieben, sondern es sollen auch Mechanismen der Evolution geklärt werden. Dabei ist man bemüht, möglichst strenge Gesetzmäßigkeiten abzuleiten: “Nur durch diese Gesetze, die man als Evolutionstheorie zusammenfaßt, wird die Evolutionsforschung zur Wissenschaft.”13 Diese ausschließliche Verwendung von prinzipiell empirisch erfaßbaren Gesetzmäßigkeiten unter Ausschluß supranaturaler Wirkungen wird gewöhnlich als “naturwissenschaftliche Methode” verstanden. In diesem Sinne soll der Begriff “naturwissenschaftlich ” im folgenden verstanden werden.14 Die Methode der Naturwissenschaft ist nach dem Biochemiker Kaplan durch einen Zyklus von Beobachtung, Induktion, Deduktion und Falsifikation gekennzeichnet, wobei dieser Durchgang mehrfach wiederholt werden kann. Dabei sollen alle Wissensgebiete und Fakten in ein Netz von Kausalbeziehungen eingefügt werden. Es sei legitim, wenn die Forschung vor keinem unverstandenen Problem Halt macht, sondern wenigstens versuche, die Welt der stofflichkörperlichen Dinge aus den ihnen allen gemeinsamen Bau- und Kausalgesetzen zu erklären. Dabei werden die Lebewesen und ihr Ursprung, aber auch ihre seelischen Vorgänge ausdrück-
lich eingeschlossen.15
Aus den eben geschilderten Ausführungen Kaplans geht bereits hervor, daß auch in der Rekonstruktion der Naturgeschichte naturwissenschaftlich nicht faßbare Wirkungen nicht berücksichtigt werden sollen. Wenn auch solche Wirkungen nicht ausgeschlossen werden können, so hat die Rekonstruktion der Naturgeschichte doch so zu erfolgen, als ob kein Schöpfer am Werke gewesen wäre.16 Der Philosoph Vollmer bemerkt hierzu: “Vor allem wird kein teleologisches Element in evolutionistische Erklärungen aufgenommen.”17 Rensch sieht Evolution “immer deutlicher” als zwangsläufigen Vorgang an, “d. h. daß sie sich dem lückenlosen kausalen Geschehen einfügt, das die Geschichte unseres Planeten und des uns bekannten Universums beherrscht.”18 Nach Kaplan ist es Ziel der Evolutionsforschung, “die Entstehung des Lebens naturwissenschaftlich zu verstehen bzw. zu erklären.”19 Dieses Ziel wird auch durch die Auffassung Kaplans deutlich, es sei “schon gelungen, mögliche Wege zu konstruieren, die die Biogenese aus natürlich-physischen Vorgängen
12	Als weilere Aufgaben der Evolutionsforschung werden genannt: 1. Zusammenstellen von Belegen dafür, daß eine universelle Evolution stattgefunden hat. Diese Aufgabe gilt als gelöst. Das “Faktum der Evolution” wird weder hinterfragt noch gezielt durch weitere Indizien zu stützen versucht; manche Lehrbücher verzichten inzwischen darauf, Belege überhaupt noch anzuführen (z. B. Kull, Evolution). 2. Die Rekonstruktion von Stammbaumen einzelner Organismengruppen. Dieser Aufgabenbereich hat nicht den Stellenwert wie die kausale Evolutionsforschung.
13	Kull, Evolution 1; Zimmermann, Sielhoden 129—153 (besonders 153).
14	Kraus, SystTheol 255: “Naturwissenschaft hat es mit immanenten, empirischen Weltverhältnissen zu tun, in ihrem Beob-achtungs- und Forschungsbereich kommt Gott nicht vor. Objektivität und Kritik befördern einen ‘methodischen Atheismus’. Die Theologie kann diesem Prozeß nur zustimmen.
15	Kaplan, Ursprung 18f. Vgl. dazu aber das Theorienpluralismus-Modell (Abschnitt 1.4).
16	Kritik zu dieser Vorgehensweise im Abschnitt 4.7.
17	Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie 63.
18	Rensch, Biophilosophie 115.
18 Kaplan, a. a. O. 16.
erklären können.”20 Nach den bisher erarbeiteten Einsichten sei die Fähigkeit der Materie, belebte Systeme zu entwickeln, allein in ihrer Struktur und ihren möglichen Wirkungen gegeben.21
Der Darwinismus sei überholt - so Eigen & Winkler22 — nicht weil seine Gegner, die Vitali-sten, am Ende doch recht behalten hätten, sondern weil ein auf die fundamentalen Prinzipien der Physik zurückführbares Naturgesetz (sie meinen damit das Prinzip einer Makroevolution) nicht als “Ismus” bezeichnet werden sollte. Dieses Gesetz der Evolution sei die Grundlage aller biologischen Selbstorganisation, von der Evolution über die Morphogenese bis zu den Gedächtnisleistungen des Zentralnervensystems. Wenn auch noch manches geheimnisvoll erscheine, z. B. nicht-materielle Wirkungen aus materieller Organisation, so liege das am Mangel an Detailwissen, nicht aber an Widersprüchen zu den bekannten Gesetzmäßigkeiten der Physik. Der Versuch, das Phänomen Leben auf die Gesetze der Physik und Chemie zurückzuführen, würde dadurch nicht in Frage gestellt.23
Jessberger schreibt: “Für die wissenschaftliche Betrachtung von Naturprozessen sind ausschließlich kausale Erklärungsweisen annehmbar.”24 Dabei ist für ihn der Evolutionsprozeß eingeschlossen.
“Die Evolutionstheorie ist. . . der Versuch, das Entstehen und Werden der gesamten Wirklichkeit aus dieser selbst zu erklären, d. h. aus Gründen, Gesetzmäßigkeiten und Prozessen, die in ihr liegen” (Kaiser).25 Nach einem Grund außerhalb der Materie-Welt werde prinzipiell nicht gesucht. Das gelte auch dann, wenn für qualitativ-wesentliche Sprünge keine hinreiche Kausalerklärung gefunden wird; der Grund werde dennoch selbstverständlich im Prozeßgeschehen selbst gesucht.26 Fäh sieht den Prozeß der Lebensentwicklung als genetisch erklärbar an.27
Auch der Biologe und Erkenntnistheoretiker WuKEms äußert sich in diesem Sinne: “Wie immer die Evolutionsmechanismen im einzelnen gedacht werden, der Evolutionstheoretiker operiert nicht mit übernatürlichen Kräften, sondern versucht, die Evolution durch natürliche Kräfte zu erklären... Die Ursachen für die Phänomene
werden in den Phänomenen selbst gesucht.”2* -“Der Evolutionsbiologe... wird, dem Selbstverständnis seiner Wissenschaft gemäß, die Kausalität der Phänomene in den Phänomenen selbst suchen und auf die Annahme jeder ‘höheren Kraft’ verzichten.”29
Für den Biologen Mahner gilt das Axiom, wonach es auf dieser Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zugeht, nicht nur für die Evolution oder die Biologie, sondern für alle Wissenschaften.30 Er lehnt die Einschränkung des “methodischen Atheismus” auf den Experimentalrahmen ausdrücklich ab.31
“Unsere Welt ist eine notwendige Folge des ‘Urknalls’, aber nur eine aus einer unübersehbaren Zahl von möglichen Welten.”32 Der Biologe Kull zitiert in diesem Zusammenhang Eigen: “Alles Geschehen in unserer Welt gleicht einem großen Spiel, in dem von vornherein nichts als die Regeln festliegen.”
20	Ebd. IV.
21	Ebd. 281. Durch das Eingreifen mikrophysikalischer Einzelakte ins Lebensgeschehen erhält die Evolution nach Kaplan (ebd. 21) eine .sMrumr/i-kausale, “indeterministische” Komponente. Somit sei die Evolution nicht allein mechanistisch zu verstehen, sondern sei durchsetzt mit nur statistisch bestimmten, “freien" Einzelereignissen. Die monistische Erklärung des Lebens und seiner Geschichte bleibe davon, ob die Kausalität streng oder statistisch sei, unberührt (22). Sie deduziere die Lebendigkeit einschließlich der Evolution aus den für alle stofflichen Systeme gehenden Grundgesetzen (22).
“Die mikrophysikalischen Wahrscheinlichkeitsgesetze erlauben keineswegs, daß durch Eingriff übernatürlicher Mächte etwa zweckmäßige Erbänderungen häufiger oder zu günstigeren Zeitpunkten geschehen, als sie durch die stoffliche Struktur der Erbsubstanz der existierenden Individuen in ihren Wahrscheinlichkeiten festgelegt sind. Der Evolutionsmechanismus der natürlichen Auslese von Erbvarianten schließt deren ungerichtete, ‘blinde’ Zufälligkeit sogar als Notwendigkeit für Leben ein" (22). Die Tatsache, daß noch keine überzeugende naturwissenschaftliche Theorie der Biogenese eni-wickelt werden konnte, bedeute keineswegs, daßdie naturwissenschaftliche Methode unfähig sei, das Problem des Lebensursprungs zu lösen (23).
22	Eigen & Winkler, Spiel 189.
23	Ebd. 189f.
24	J essberger, Krealiotusmus 25.
23 Kaiser, Problem 16.
26	Ebd. 17.
27	Fäh, Biologie 10.
28	WuKEms, Kreationismus 29.
29	Wuketits, Evolutionstheorien 31.
30	Mahner, Schöpfungstheorie 33.
31	Ebd. 34.
32	Kull, Evolution 286.
Auch von wissenschaftsphilosophischer Seite kommt Unterstützung für diese Sichtweise. Stegmüller plädiert für eine Orientierung am Subsumtionsmodell, d. h. die Auffassung der Evolution als einen wissenschaftlich erklärbaren Prozeß, der unter klar formulierbare und nachprüfbare Gesetze subsumiert werden könne.33
Wuketits sieht als eine Folge der modernen Evolutionstheorie die “Verabschiedung des Gedankens an universelle Zwecke”. Die Teleologie habe abgedankt. Aus einer biologisch zu verstehenden Evolutionslehre könne man keinerlei Hinweise dafür ableiten, daß die Entwicklung der Organismen irgendwo an einem vorgesehenen Endpunkt irgendein Ziel erreicht haben wird.34 Funktionale Anpassungen seien historisch zu verstehen.35 “Der in einer Struktur, Funktion oder Verhaltensweise sichtbare Finalnexus läßt sich rückwärts in einen Kausalnexus auflösen.”36 Damit werde dem Finalnexus jeder ‘echt’ teleologische Zug genommen.37 Auch Mayr, einer der Konstrukteure der modernen Evolutionslehre auf dem Gebiet der Biologie, konstatiert eine “Ausschaltung der Planmäßigkeit aus der Natur.”38
Die Erkenntnismethode der Evolutionsforschung wird indirekt auch daran deutlich, daß als eines der Kennzeichen der konkurrierenden Schöpfungsforschung die Ablehnung der Vorstellung einer natürlichen und im Diesseits erklärbaren Entwicklung von Vielfalt, Komplexität und Ästhetik genannt wird.39 Das impliziert, daß für die Evolutionslehre das Gegenteil vorauszusetzen ist.40
Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß der Durchbruch des Evolutionsgedankens nach der Veröffentlichung von Charles Darwins “Entstehung der Arten” eng damit verbunden war, daß Darwins Theorie einen natürlichen Mechanismus für Evolution anbieten konnte, die Selektionstheorie (vgl. Abschnitt
2.4). Zwar war die Selektionstheorie heftig umstritten (während der Evolutionsgedanke an sich relativ schnell weitgehend akzeptiert wurde), aber Darwins Versuch einer mechanistischen Erklärung hatte Hoffnungen geweckt, das Problem der Entstehung des Lebens mit naturwissenschaftlichen Methoden lösen zu können.41
“Nicht vom Schöpfungsglauben zum Entwicklungsgedanken, sondern von der Einstellung der Unlösbarkeit der Frage nach der Herkunft der Arten zu der Hoffnung, daß sich diese Frage vielleicht doch auf wissenschaftliche Weise lösen lassen würde, bekehrten sich Darwins Kollegen.”42 “Ein Betrachten der ‘Durchsetzungsgeschichte’ des Darwinismus zeigt, daß tatsächlich der Wunsch nach einer natürlichen Erklärung das stärkste ‘Argument’ für Darwin war.”43
Zur Herkunft des Neuen
Durch Evolutionsforschung soll die Entstehungsweise von Neuem in der Evolution geklärt werden. Die Forschung beschränkt sich nicht darauf, Veränderungen am Vorhandenen zu erklären, sondern durch sie soll das echt Neue von “primitiveren” Ausgangsbedingungen abgeleitet und verstanden werden. Mit dem Begriff “Evolution” wird das mit der Abstammungslehre Gemeinte paradoxerweise nicht getroffen. Denn “Evolution” meint die Ausprägung von bereits Vorhandenem,44 nicht die Entstehung von echt Neuem.45 Der Begriff “Evolution” wird auch für die Individualentwicklung (mit Recht) verwendet; noch einige Jahrzehnte nach dem Durch-
33 Stegmüller, Probleme 768, 762.
33 Wurettts, Evolution 53.
35	Ebd.55.
36	Ebd.57.
37	Das Zitat S. 57 drückt indirekt die Methode und das Ziel der Evolutionsforschung aus, auch wenn sie oft nicht explizit genannt wird.
38	Mayr, Vielfalt 14. Diese Position wird von Spaemann & Low, Wozu, detailliert kritisiert.
39	Stripf u. a., Kreationismus 2.
40	J. Haas, Biologie 18, stellt fest, daß sich bei vielen Biologen die Überzeugung gefestigt habe, das Leben könne "weiter nichts” sein als ein materieller Prozeß. So komme es, daß die wissenschaftliche Biologie ein ausgesprochen materialistisches Gepräge habe.
41	Stuhlhofer, Darwin 118; Stuhlhofer, Weltengrund 497.
42	Stuhlhofer, Darwin 118.
43	Stuhlhofer, Weltengrund 497.
44	Wörtlich “Herauswälzung”; es kann aber nur etwas “herausgewälzt” werden, was bereits vorhanden ist. Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 86, beklagt, daß selbst die Begriffe Evolution und Entwicklung uns in eine statische Sicht des Universums versetzen, weil sie wörtlich ein “Auswickeln” meinen. “Eine solche Vorstellung von Evolution läßt sich sinnvoll nicht vertreten.”
45	Locker, Evolution', Blechschmidt, Erhaltung.
bruch der ÖARWiNschen Theorie wurde sie nicht “Evolutionstheorie”, sondern “Deszendenztheorie” oder “Abstammungslehre” genannt. Erst später wurde der Begriff “Evolution” mißbräuchlich für die Abstammungslehre benutzt. Vor diesem begrifflichen Hintergrund wird verständlich, daß der Anspruch der stammesgeschichtlichen Evolutionslehre neue Wortschöpfungen erforderlich macht. Man spricht von “Fulgura-tion” (“Blitzschlag”)46, “Emergenz” (“Auftauchen”)47 oder “Selbstorganisation”4®. Vollmer bedauert, daß die Begriffe “Evolution” und “Entwicklung” vom Wortsinn her eine präformisti-sche Deutung nahelegten, was aber gerade ausgeschlossen sein solle.49 Die Evolutionstheoretiker wollen also mehr als nur die Entfaltung von Vorhandenem erklären.50
Mit “Fulguration” oder “Emergenz” soll dagegen zum Ausdruck gebracht werden, daß Neues in der Evolution einerseits nicht vorhersehbar ist
und wie ein “Blitzschlag” (fulgur) auftaucht, andererseits in den vorhergehenden Bedingungen des Ausgangszustandes ausreichende Ursachen Vorgelegen haben. Auf einer höheren Inte-graticnsstufe der Evolution sollen neue Systemeigenschaften unerwartet und unvorhersehbar auftreten, aber nicht etwa durch ein übernatürliches Geschehen, sondern ganz auf der Basis physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten. Der Fulgurationismus und der Emergentismus entpuppen sich als materialistische Varianten der Evolutionsanschauung.51
Der Begriff “Selbstorganisation” suggeriert ein organisierendes “Selbst”, ein handelndes Subjekt in der Evolution.52 Da nach Auskunft der Wissenschaftler, die diesen Begriff bevorzugen, dies gerade nicht mit ihm gemeint sei, ist er ebenso wie der Begriff “Evolution” ungeeignet, um den postulierten Prozeß der Abstammung des Komplexen vom Einfachen zu beschreiben.53
2.3	Vom Gen zum Phän
Formbildung, Hierarchieebenen der Organismen und das Leib-Seele-Problem
Das Ziel der Evolutionsforschung, das Werden der Organismen durch physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten unter natürlichen Randbedingungen (z. B. “Ursuppen”-Bedingungen) zu erklären, schließt das Bemühen ein, die Lebensäußerungen als Ausdruck materieller Konstellationen verständlich zu machen. Damit verbindet sich die Vorstellung, die Erscheinungsweisen (Phänotyp) und die Formbildung der Lebewesen durch das in der DNS verschlüsselte Erbgut (Genotyp) und die in der befruchteten Eizelle gegebenen Randbedingungen erklären zu können. Seelische oder geistige Aspekte des Lebens werden nach diesem Ansatz als Epiphänomene der Materie und daher als irrelevant für das Verständnis von Leben und seinen Erscheinungsweisen gewertet. In diesem Sinne arbeiten die meisten Evolutionsforscher methodisch materialistisch und versuchen, “von unten nach oben”
zu erklären, d. h. das Phän (die äußere Form und Struktur des Organismus) vom Genotyp (den genetischen Grundlagen) abzuleiten.
Allerdings sind keineswegs alle Evolutionsanschauungen materialistisch orientiert. Finalisti-
44 Nach Lorenz, Rückseite.
47	Vgl. Vollmer, Erkenntnis 178; Wuketits, Evolutionäre Erkenntnistheorie 23f.
48	Eigen, Seiforganization', Eigen & Winkler, Spiel.
49	Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie 67.
50	Im Gegensatz zur Auffassung Scheffczyks, Schöpfungswahrheit 312, die Evolutionslehre wolle “nur die Entfaltung des schon Vorhandenen erklären... Wenn man sich streng an den Begriff‘Evolution’ halt, hat man eigentlich schon zugegeben, daß man gar nicht den Ursprung des Seins der Dinge erklären will, sondern nur die Veränderung am Seienden.” Genau damit begnügt sich die Evolutionsforschung gerade nicht. Evolution in ihrer allgemeinsten Fassung meine vielmehr - so Schmitz-Moormann (Evolutionstheorie 33) -, “daß etwas Neues wird, das vor dem Zeitpunkt dieses Gewordenseins nicht vorhanden, auch nicht keimhaft vorhanden war. Die Evolutionstheorie in ihrer allgemeinsten Fassung besagt somit, daß ein Mehr aus dem Weniger hervorgeht.”
51	Löw, Evolution.
52	Vgl. zur Begriffskritik in Evolutionstheorien Locker, Evolu-
sehe Evolutionstheorien wie die von Teilhard de Chardin (vgl. Abschnitt 4.2.1), Eccles54, von Drr-furth55 u. a. gehen von einem geistigen Prinzip aus, durch dessen Wirkung erst die Lebewesen und ihre Evolutionsgeschichte verstanden werden können. Von Ditfurth beispielsweise vertritt die Auffassung, daß im Laufe der Evolution sich der Geist immer mehr in den höherentwik-kelten Evolutionsstufen manifestiert.56
Die enormen Erfolge der Biochemie und Molekularbiologie scheinen den Ansatz, die Lebewesen (oder das “Leben” schlechthin) durch die Eigenschaften der biologischen Makromoleküle zu erklären zu versuchen, zu bestätigen. Die Entdeckung der DNS als Informationsträgerin (Erbfaktoren) für die “Bausteine des Lebens”, die Entschlüsselung des genetischen Codes, die Aufklärung von Transkription und Translation und viele weitere Erkenntnisse über die DNS haben das Schlagwort von der “DNS als T rägerin des Bauplans der Lebewesen” aufkommen lassen. Die Erfolge in der Erforschung der Lebensvorgänge sind in der Tat bewundernswert.
Trotz allem wird damit das Phänomen “Leben” nicht erfaßt, geschweige denn erklärt. Man weiß zwar, wie in der Zelle Proteine hergestellt werden, aber nicht, warum die verschiedenen Zellen je nach der räumlichen Lage im wachsenden Organismus zu verschiedenen Zeiten gerade die jeweils erforderlichen Proteine hersteilen mit dem Ergebnis, daß aus einer einzigen befruchteten Eizelle die verschiedenartigsten Zelltypen hervorgehen (Differenzierungsprozeß). Ein Rätsel ist auch nach wie vor, wie es möglich ist, daß Körperzellen sich zu Organen ganz bestimmter Größe und Form zusammenlagern (Ausbildung des Phänotyps). Die molekularen Bausteine, deren Sequenz in der DNS verschlüsselt ist (Genotyp), werden zu Formen zusammengelagert, die bisher, von wenigen Teilaspekten abgesehen, nicht aus den Eigenschaften der Bauelemente abgeleitet werden können.
Damit erhebt sich die Frage nach formgebenden Instanzen. Nach allem, was man heute über die DNS weiß, ist die DNS nicht diese Instanz. Isolierte DNS-Moleküle sind “tot”. Sie sind keine Akteure, sondern re agieren auf bestimmte
Reize im Zellganzen. Die DNS ist zwar eine unabdingbare Voraussetzung für die Lebensprozesse, und die Vorgänge in der Zelle bzw. im ganzen Organismus sind an das “Baumaterial” gebunden, das in der DNS codiert ist, aber durch die Bausteine (Proteine) und deren Bauplan (DNS) werden die raum-zeitlichen Formbildungsvorgänge nicht erklärt. Auch das hauptsächlich an Bakterien gewonnene Wissen über Gen-Regulation (Existenz sogenannter Regulatorgene, deren Produkte bei der Steuerung der Transkription (Ablesung) von Strukturgenen beteiligt sind) gibt hier keine Antwort, da nach der Steuerung der Regulatorgene weitergefragt werden muß.
Die Genome (das Erbgut) der Organismen sind also nicht chaotische Ansammlungen von Genen, sondern wirken hierarchisch gesteuert. Man unterscheidet zwischen Strukturgenen, den “Vorlagen” für die Proteine, und Regulatorgenen, die für das kontrollierte Ablesen der Strukturgene benötigt werden. Strukturgene sind
(ion; Beck, Universalität 218. Eine teilweise kritische Auseinandersetzung mit Selbstorganisationskonzepten, allerdings unter Vorgabe des evolutionären Paradigmas bietet Niemann, Selbstorganisation.
53	“Die Vertreter einer epigenetischen Auffassung der Evolutionslehre im Sinne einer ‘emergent evolution’ betonen heule selber die Unableitbarkeit der spateren aus den früheren und niedrigeren Lebensformen” (Pannenberg, Schöpfungstheo-logie 289; vgl. Pannenberg, SystTheol 147; Pannenberg, Creation). In der Sicht der emergentistischen Evolution bleibe die Kontingenz der neu auftretenden Formen gewahrt, und daher stehe die Evolutionslehre nicht im Gegensatz zu den leitenden Intentionen des Schöpfungsgedankens (Pannen berg, Schöpfungstheologie 290). "Entscheidend für die Möglichkeit einer theologischen Interpretation der evolutiven Prozesse im Sinne eines schöpferischen Geschichtshandelns Gottes ist der 'epigenetische', auf jeder Stufe durch das Hinzutreten von unableitbar Neuem gegebene Charakter der Evolution” (SystTheol 147). Pannenberg übersieht, daß der Emergentismus das Auftreten neuer Systemeigenschaften in keiner Weise mit dem Wirken einer supranaturalen Kraft in Verbindung bringt. Das Neue tritt zwar überraschend auf, soll aber auf naturgesetzlicher Basis voll verstehbar sein (vgl. WuKETrrs, Evolutionäre Erkenntnistheorie, Vollmer, Erkenntnis). Der Emergentismus kann nicht als Beieg dafür herangezogen werden, daß der Rekonstruktionsansalz der Evolutionslehre für das souveräne Handeln eines im Evolutionsprozeß wirkenden Gottes ausdrücklich offen sei.
54	Eccles & Robinson, Wunder.
35 Von DrmiRTH, Leib-Seele-Problem', von DnruRTH, Nicht nur von dieser Welt.
» Ebd.
“Bauanleitungen” für die Eiweißstoffe (Proteine), die für den Aufbau und den Stoffwechsel der Organismen benötigt werden. Die Regulatorgene sind erforderlich, um den zeitgerechten Einsatz der Strukturgene zu kontrollieren. Regulatorgene werden bei der Steuerung der Produktion derjenigen Proteine eingesetzt, die von Strukturgenen codiert werden. Die Regulatorgene steuern selber nicht, sondern sind lediglich eine notwendige Voraussetzung dafür, daß die Information auf den Strukturgenen kontrolliert abgelesen und für den Zellstoffwechsel zur richtigen Zeit nutzbar gemacht werden kann. Die Regulatorgene bedürfen ihrerseits der Regulation. Deren Steuerung muß wiederum durch eine weitere übergeordnete Instanz geregelt werden. So kommt man zu immer höheren hierarchischen Steuerinstanzen.
Zunächst ist also festzuhalten, daß man nach bisherigen Forschungsergebnissen davon ausgehen muß, daß die Genome und ihre informationsgesteuerten Funktionszyklen hierarchisch strukturiert sind.
Aufgrund seiner ausgiebigen Studien der menschlichen Embryonalentwicklung gelangt Blechschmidt57 zur Sichtweise, daß nicht Stoffe (etwa DNS oder Hormone), sondern Gestaltungskräfte die Motoren der Formbildung sind.58 Der menschliche Embryo entwickelt sich - wie Blechschmidt sich ausdrückt — durch Arbeit gegen Widerstand. Gutmann sieht die Formbildung als aktive, endogene Leistung des organismischen Systemes, dem er “Subjektcharakter” zuschreibt.59 Allerdings entzieht sich die steuernde Instanz (die Gestaltungskraft) der wissenschaftlichen Verobjektivierung, d. h. sie kann nicht in exakten Gesetzmäßigkeiten eingefangen werden. Doch um die Lebensäußerungen der Organismen verstehen zu können, ist das Postulat einer steuernden Instanz sinnvoll. Man könnte sie die “Ganzheit” eines Organismus nennen oder vom “handelnden Organismus” oder auch von der “Seele” und in diesem Sinne von einem “Leib-Seele-Problem derTier- und Pflanzengestalt” sprechen. (“Seele” ist dabei nicht im Sinne der Tier- und Menschenseele, der des alttestamentlichen Sprachgebrauchs zu verstehen, sondern als Kurzwort für die erwähnte
Steuerungsinstanz.) Noch einmal: Es ist nicht möglich, unter Reduktion auf Teilsystemebenen der organismischen Ganzheiten die Organismen zu verstehen. Die “steuernde Instanz” (die “Seele”, die gestaltende Kraft) kann allerdings nicht vorgezeigt, sondern nur an ihren Wirkungen erkannt werden.“
Nicht nur die Ergebnisse der Embryogeneseforschung lassen nicht-verobjektivierbare Steuerungsinstanzen (“Seele”) plausibel erscheinen. Auch die Gehirnforschung hat viele Ergebnisse erbracht, die es nahelegen, daß Seelisches nicht etwa Nebenwirkung von Körperlichem (z. B. Stoffwechselvorgängen) ist (im Sinne eines materiellen Monismus). Die seelischen Begleiterscheinungen körperlicher Vorgänge wirken auf diese zurück und umgekehrt.61
Mit diesen Darlegungen ist das uralte “Leib-Seele-Problem” aufgeworfen. Darunter versteht man die “Frage nach der Seinsweise von Leib und Seele, allgemeiner von Materie und Geist, und nach ihren wechselseitigen Beziehungen”62. Nach Vollmer stehen sich in der Verhältnisbestimmung von Materie und Geist (bzw. Leib und Seele) vor allem Interaktionismus und Identitätstheorie gegenüber.63 Nach dem interaktioni-stischen Modell verhalten sich Materie und Geist wie Musikinstrument und Spieler.64 Dem empi-
57	Blechschmidt, Erhaltung.
58	Ähnlich haben sich unter evolutionstheoretischen Prämissen Gutmann, Evolution, Gutmann & Bonik, Kritische Evolutionstheorie, und Franzen, Biogenetisches Grundgesetz, geäußert.
59	In einem Vortrag am 25. April 1992 in der Gustav-Siewerth-Akademie Weilheim-Bierbronnen; vgl. Gi/imann, Evolution
M Ein Vergleich mag dies verdeutlichen: Die Herstellung eines Tisches erfordert Baumaterial, Bauplan und einen Handwerker. (Die Herkunft des Bauplans spielt in diesem Vergleich keine Rolle.) Nun blende man bei der Beobachtung der Entstehung des Tisches das formende Handeln des Handwerkers aus. Man kann auch ohne Kenntnis des Handwerkers registrieren, wie die zunächst noch ungeformten Baumaterialien “sich zusammenfügen’’. Töricht wäre es aber zu behaupten, das Formprinzip des Tisches liege in seinen Bausteinen oder im Bauplan. Auf diesen Ebenen ist die Tischform nicht verstehbar. Bauplan und Material ergeben noch keinen Tisch.
61	Popper & Eccles, Das Ich', Eccles & Robinson, Wunder. Auf die Details und Begründungen kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden.
62	Vollmer, Erkenntnis. ö Ebd. 80
64 Vgl. dazu Beck, Universalität 23211.
risch arbeitenden Naturwissenschaftler ist — in diesem Vergleich gesprochen — der Spieler nicht zugänglich. Lediglich seine Wirkung kann sich empirisch faßbar niederschlagen. Phänomene z. B. aus der Embryologie (Morphogenese) und der Gehirnforschung werden von Vertretern des Interaktionismus in diesem Sinne interpretiert.
Dagegen vertreten die meisten zeitgenössischen Biologen die Identitätstheorie, wonach Geistiges ein Epiphänomen des Materiellen ist. Folglich wird die Entstehung des Geistes in der Evolution nicht als etwas wirklich Neues verstanden, sondern als Ausdruck dessen, daß ein bestimmter materieller Komplexitätsgrad erreicht wurde, dessen Nebeneffekt Geistiges darstellt.65
Die beiden einander gegenüberstehenden Verhältnisbestimmungen von Leib und Seele kann man auf folgenden Nenner bringen: Bedient sich die Seele des Leiblichen, um sich auszudrücken oder ist Seelisches eine Funktion des Materiellen? Im Rahmen der biologischen Evolutionslehre ist diese Alternative in der Bestimmung des Verhältnisses von Genotyp und Phänotyp bedeutsam. Nach klassisch molekularbiologischer, wenn auch unbewiesener Sicht bedingt der Genotyp den Phänotyp. Die oben angeführten Überlegungen lassen dagegen den Genotyp lediglich als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Ausprägung des Phänotyps erscheinen. Der Genotyp muß demnach von einer gestaltenden Instanz (“Seele” im o. g. Sinne) zur Formbildung herangezogen werden. Einen Weg vom Gen zum Phän gibt es nur, wenn diese gestaltende Größe wirkt.
Die Formbildungsproblematik und die sich angesichts vieler biologischer Phänomene aufdrängende Frage nach gestaltenden Instanzen läßt nach einem Zusammenhang der Biologie mit der Informationswissenschaft fragen. In den Organismen wirkt Information, Lebensprozesse sind informationsgesteuert. Für den Bereich der Technik hat Girr herausgearbeitet, daß Information als dritte Grundgröße neben Materie und Energie behandelt werden muß.66 Als grundlegende Theoreme nennt Gitt u. a., daß es keine Information ohne geistigen Urheber gebe, daß Information wesensmäßig eine geistige, aber keine materielle Größe sei und daß es keine Information ohne einen Willen gebe. In statistischen Prozessen könne keine Information entstehen. Noch ist es allerdings nicht gelungen, biologische Information zu definieren. Angesichts der Komplexität biologischer Prozesse handelt es sich um eine gewaltige Aufgabe. Die Problemanzeige und die Nennung der damit verbundenen Aufgabe muß an dieser Stelle genügen. Hier muß interdisziplinär gearbeitet werden.
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden Merkmale aller Evolutionstheorien zusammengestellt. Zum Leib-Seele-Problem gibt es hier keine einheitliche Sichtweise; in dieser Beziehung können Evolutionstheorien stark variieren. Auch Eccles, der die Interaktionstheorie entschieden vertritt, bevorzugt ausdrücklich die Evolutionsanschauung.67 Da es in dieser Arbeit um theistische Evolutionskonzepte geht, wird auf die materiell-monistische Sicht des Geistigen nicht weiter eingegangen.68
2.4	Evolutionsmechanismen
Grundsätzlich muß zwischen “Evolutionslehren” bzw. allgemeinen Evolutionsanschauungen als beschreibenden Rekonstruktionsversuchen der Organismen- und Kosmosgeschichte und erklärenden Theorien unterschieden werden, die die Mechanismen und Faktoren untersuchen, welche den Prozeß der Evolution bewirken konnten und weiter voranbringen (z. B. Neodarwinismus, Synthetische Theorie, Systemtheorie der Evolu-
tion, Neutrale Theorie, kybernetische Theorie). Dennoch ist mit dem Evolutionsgedanken an sich (d. h. der Evolutionsanschauung als solcher)
65	Vollmer, <l a. O. 84ff., stellt Argumente gegen den Interaktionismus und gegen die Identitätstheorie zusammen.
66	Gnr, Information; vgl. Gnr, Am Anfang.
61 Eccles & Robinson, Wunder.
66 Eine materiell-monistische Evolutionsauffassung kann nicht gleichzeitig theistisch sein.
untrennbar die Art und Weise verknüpft, wie Evolution ablaufen bzw. abgelaufen sein soll. Die sogenannte “Tatsache” der Evolution ist nicht völlig von ihren Mechanismen zu trennen. Beispielsweise gehört die Kleinschrittigkeit (s. Abschnitt 2.1) zum Evolutionsgedanken. Des weiteren sind nach übereinstimmender Auskunft der Evolutionstheoretiker unabdingbare Voraussetzungen für die evolutive Entstehung der Artenvielfalt einschließlich des Menschen eine Überproduktion von Nachkommen und in deren Folge eine Auslese (Selektion; zum Begriff s. u.) der am besten Angepaßten auf Kosten der schlechter Angepaßten. Mutationen (Änderungen des Erbguts) sollen letztlich die einzige Quelle für neue biologische Information sein, die für Evolution gebraucht wird.69 Diese Quelle der Mutation bringt aber in großem Ausmaß (in weit über 99% der Fälle) verminderte Vitalität, Erbdefekte, Krankheiten und Mißbildungen hervor, die durch Selektion wieder ausgemerzt werden müssen. Diese Phänomene sind folglich feste Bestandteile jeder Evolutionsanschauung, ob theistisch oder nicht (und unabhängig von den speziellen Varianten theistischer Evolutionsvorstellungen). Ohne diese beiden Faktoren und die mit ihnen verbundenen Folgeerscheinungen gibt es jedenfalls keine Evolution, auch wenn man einen lenkenden Gott dahinter sieht.
Notwendige Bestandteile des Evolutionsmechanismus sind weiterhin der individuelle Tod und der Artentod. Spätestens mit dem Auftreten von mehrzelligen Organismen mußte die (potentielle) Unsterblichkeit der Einzeller ein Ende haben; die Mehrzeller “überleben” sozusagen nur durch ihre Nachkommen.70
Diese summarisch aufgelisteten Punkte sollen im folgenden näher beleuchtet werden.
2.4.1	Mutationen und die Rolle des Zufalls
Es ist ein Ergebnis bisheriger Untersuchungen über das Auftreten von Mutationen, daß
-	Mutationen verschiedener Gene desselben Individuums,
-	nacheinander auftretende Mutationen desselben Gens und
- Mutationen desselben Gens in verschiedenen Individuen einer Population in der überragenden Mehrheit aller Fälle unabhängig voneinander auftreten und daher nicht zueinander passen. In der Regel werden sich verschiedene Mutationen gegenseitig mehr oder weniger “neutralisieren”. Insbesondere wurde kein Zusammenhang zwischen den Bedürfnissen einer Art und den auftretenden Mutationen gefunden.71 Dies ist unter der “Zufälligkeit” des Mutationsprozesses zu verstehen. Um den schillernden Begriff des “Zufalls” zu vermeiden, sollte man vielleicht besser von “Richtungslosig-keit” des Mutationsgeschehens sprechen.
Nach der klassischen “synthetischen Evolutionstheorie” sollen Gen- und Chromosomenmutationen ausreichend sein, um das “Rohmaterial” für den evolutiven Wandel bereitzustellen. Damit wird das entscheidende Evolutionsgeschehen auf den Genotyp reduziert, d. h. Genotypwandlungen durch Mutationen sollen die
M Durch Rekombination (Durchmischung des Erbguts bei der sexuellen Fortpflanzung) werden zwar ständig neue Varianten erzeugt; diese Quelle versiegt jedoch auf längere Sicht, wenn die Mutationsquelle nicht mehr sprudelt. Durch Gentransfer (Übertragung von Genen einer Art in das Erbgut einer anderen) können zwar einzelne Individuen und damit ihre Arten neue Eigenschaften erwerben. Diese lagen aber bereits in einem anderen Organismus vor, sind also, wenn man den Akzeptor und den Donor betrachtet, nichts evolutiv Neues.
70	Die potentielle Unsterblichkeit der Einzeller in einer “Ursup-pe" ist allerdings auch durch irgendwann auftretenden Platzmangel aufgehoben.
71	Mögliche Ausnahmefälle zielorientierter Mutationen bedürfen genauerer Analysen. Es muß geprüft werden, inwieweit eventuell gerichtete Mutationen auf vorgeprägten “Schalter-Stellungen” beruhen. Es könnte sein, daß manche Organismen mit einem genetischen Potential ausgerüstet sind, das ihnen erlaubt, je nach Umweltreizen verschiedene phänotypische Ausprägungen auszubilden. Vielleicht gibt es Vorrichtungen dafür, daß durch Umweltreize Mutationen ausgelöst werden (ähnlich wie im Falle von Modifikationen ohne Erbgutänderung die Phäne aufgrund von Umweltreizen verändert werden können). In diesem Fall bestünde die Erklärungs-aufgabe einer Evolutionstheorie darin, diese Schalterslellun-gen herzuleiten. Die entscheidende - auch theologisch relevante - Frage ist, ob Genmaterial mit neuer Funktion durch gerichtete Mutationen entstehen kann. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. “Mutationen scheinen niemals einem Bedürfnis nach einer speziellen genetischen Veränderung entgegenzukommen, und ebensowenig wird eine bestimmte Mutation durch eine bestimmte Konstellation von Umweltfaktoren ausgelöst" (Mayr, Vielfalt 16).
Wandlungen des Phänotyps bis hin zur Ausbildung neuer Organisationstypen von Lebewesen vollständig verständlich machen. Wenn aber der Genotyp, wie in Abschnitt 2.3 erläutert, unter einer regulativen Instanz steht, die sich seiner bedient, so kann mit Genotypänderungen allein evolutiver Wandel nicht begründet werden, sofern er über die Variation vorhandener Strukturen hinausgeht. Dem versuchen manche neuere Ansätze zu begegnen, etwa die Konzeption der “kybernetischen Evolution” (Schmidt72). Danach werden lebende Zellen und lebende Organismenais sich selbst steuernde Supercomputer betrachtet; Evolution soll nach kybernetischen Prinzipien verlaufen, Mutationen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die steuernde Instanz wird allerdings nicht als immaterielle Größe angesehen, die mit dem Organismus zusammenwirkt, sondern als Teil des Organismus selbst.
Gutmann & Bonik kritisieren den Darwinismus, der von der Molekularbiologie aufsteigend Form und Funktion der Organismen und ihre Entstehung erklären will, als völlig unzureichend. Ontogenetische Formbildung und stammesgeschichtliche Formveränderungen müßten über hydraulische Mechanismen verstanden werden. Die komplexe Apparatur des Organismus als Ganzes sei führend und kanalisiere die “unteren” organismischen Instanzen wie Physiologie und Molekularbiologie. Die stammesgeschichtliche Entwicklungsrichtung werde aus der Organisation heraus, nicht durch Zufallsmutationen der DNS, gebahnt.73 Auf Details braucht hier nicht eingegangen zu werden. Für unsere Fragestellung genügt die Problemanzeige.
2.4.2	Die Wirkungsweise der Selektion
Der Evolutionsfaktor “Selektion” hat in der kausalen Evolutionsforschung eine zentrale Bedeutung. Selektion erfolgt dadurch, daß die Individuen einer variablen Population unterschiedlich an die Umweltbedingungen angepaßt sind. Statistisch gesehen haben die Bestangepaßten die meisten Nachkommen. Selektion ist letztlich gleichbedeutend mit unterschiedlichem Fortpflanzungserfolg. Die Selektionsbedingungen hängen
von der biotischen (Konkurrenz, Feinde, Nahrungsressourcen etc.) und abiotischen Umwelt (Klima etc.) ab und können sich mit dieser verändern.74
Die Wirkungsweise der Selektion wurde oft einseitig als “Kampf ums Dasein” mit Klauen und Zähnen verstanden. Eine Selektion (unterschiedlicher Fortpflanzungserfolg) kann jedoch ohne Kampf erfolgen. Der “Kampf ums Dasein” findet zum einen innerhalb von Arten statt. Das kann durch gegenseitiges Bekämpfen erfolgen (z. B. Kampf um Reviere, Brutplätze, Nahrungsquellen etc.), kann aber auch ohne direkten innerartlichen Kampf geschehen (wer Feinden besser entkommen kann, ist selektiv im Vorteil). Darüber hinaus kommt es auch zu zwischenart-licher Konkurrenz, wenn verschiedene Arten um dieselben Nahrungsressourcen streiten oder wenn insgesamt die ökologischen Ansprüche (nahezu) identisch sind. Die weniger taugliche Art muß auf Dauer ausweichen, indem sie andere Gebiete besiedelt oder ausstirbt.
Auch Selektion bewirkt keine Zielgenchtetheit'15
Selektion wird als einzig richtunggebender Faktor der postulierten Evolution angesehen.76 Sie verwandle selbst den Zufall in Plan.77 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Auslesebedingungen ebenfalls keinerlei Steuerung erkennen lassen. Durch gleichgerichtete Selektionsbedingungen ergibt sich zwar eine gewisse Richtung trotz des ungerichteten Mutationsgeschehens, doch hängt es von umweltbedingten Faktoren
72	F. Schmidt, Grundlagen. Eine knappe Zusammenfassung findet sich in F. Schmidt, Kybernetische EvcJution.
73	Outmann & Bonus, Kritische Evolutionstheorie.
74	Nur am Rande sei erwähnt, daß durch Selektion allein keine Makroevolution (Entstehung evolutiver Neuheiten) erfolgen kann. Selektion heißt lediglich unterschiedliche umweltabhängige Bewertung bereits vorliegender Varianten. Vgl. dazu Junker & Scherer, Entstehung 35ff.
75	Die nachfolgende Darstellung und Diskusson muß auch vor dem Hintergrund der Gen-Phän-Problemaik (Abschnitt 2.3) gesehen werden. Die Argumentation soll teigen, daß unter Ausblendung dieses Aspekts (wie dies in colutionstheoreti-schen Entwürfen gang und gäbe ist), ein 3erichtetsein des Evolutionsprozesses aufgrund empirisch faJbarer Phänomene nicht plausibel gemacht werden kann.
76	Mayr, Revolution 222.
77	Mayr, Vielfalt 33.
ab, welche Richtung eingeschlagen wird. Die Veränderungen der Umweltbedingungen im Laufe der evolutionstheoretisch benötigten Jahrmillionen lassen aber wiederum kein Gerichtetsein erkennen. Daher kann auch durch Selektionswirkungen keine bestimmte Richtung von Organismenwandlungen vorhergesehen werden. Durch Selektion kann sich also eine Richtung lediglich des M/Äro-Evolutionsgeschehens herausschälen, jedoch wird dadurch kein Plan erstellt.78 Aus diesem Grunde ist m. E. die Behauptung folgerichtig, daß - evolutionär gesehen -der Mensch keineswegs ein Ziel im Evolutionsprozeß war und daß er es nicht sein konnte (das gilt auch für alle anderen Lebewesen). “Der Mensch war gewiß nicht das Ziel der Evolution, die offensichtlich kein Ziel hatte, ln eine vollkommen planlose Unternehmung war er nicht eingeplant worden.”79 Von Ditfurth verdeutlicht diese Konsequenz aus der Evolutionstheorie folgendermaßen:80 Würde das Evolutionsspiel von neuem beginnen, entstünden sicher ganz andere Organismen als die heute existierenden.81
Auch “Innenfaktoren” der Organismen (wie etwa ihre hydraulische Organisation82) können keine Neukonstruktionen evolutiv steuern, sondern bewirken lediglich eine Kanalisierung und günstigstenfalls Optimierung vorhandener Strukturen.83
Trotzdem Zielgerichtetheit?
Eine Zielgerichtetheit im Evolutionsgeschehen kann also nicht durch Ergebnisse der Kausalanalyse der Evolutionsmechanismen begründet werden. Strenggenommen kann sie dennoch nicht widerlegt werden. Daher ist Illies grundsätzlich zuzustimmen, wenn er die “entscheidende Forderung des Darwinismus, daß eine Mutation zufällig erfolgen muß”, als grundsätzlich unbeweisbar ansieht.84 Denn zum einen können empirisch nicht-faßbare Wirkungen nicht mit Hilfe des methodischen Instrumentariums der Naturwissenschaft ausgeschlossen werden. Zum anderen muß aufgrund der Vorläufigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Theorien
grundsätzlich die Möglichkeit offengehalten werden, daß in der Zukunft Wirkungen erkannt werden, die eine Nichtzufälligkeit des Mutationsgeschehens erweisen. Die “Feststellung” eines Zufalls ist lediglich gleichbedeutend mit dem Fehlen einer gesetzestypischen Erklärung.85
Darüber hinaus führen von Huene86 und FIaas87
78	Soweit empirisch nachvollzogen, kann durch Selektionswirkungen erklärt werden, daß auf der Basis einer vorgegebenen Vielfalt den jeweils herrschenden Umweltbedingungen gemäß die passenden Varianten ausgewählt werden, woraus eine Richtung der Veränderung resultiert, die sich aber im Vergleich zu einer Makroevolution in bescheidenem Ausmaß vollzieht. Grundtypübergreifende Wandlungen können durch Selektionswirkungen nicht erklärt werden.
79	Simpson, Spuren 172.
80	Von Ditfurth, Wasserstoff 185.
81	Homologe Reihen scheinen eine Gerichtetheit des Muta-tionsgeschchens zu begründen, ebenso das Phänomen der “rekurrenten Variation”. Mit “homologen Reihen” wird das Auftreten ähnlicher Mutationen in verschiedenen Arten eines Verwandtschaftskreises bezeichnet (Vavilov, Homologout series; vgl. Osche, Latente Potenzen). “Rekurrente Variation” ist das Auftreten derselben Mutationen innerhalb derselben Art (Lönnig, Artbildung 472). Möglicherweise gibt es schöpfungsgemäß angelegte, grundtypspezifische Mutationsspektren. Evolutionstheoretiker würden argumentieren, daß durch die gemeinsame Stammesgeschichte eines Formenkreises ein teilweise gemeinsames Mutationspotential vorliegt, was sich im Phänomen der rekurrenten Variation niederschlägt. Eine progressive Evolution könnte jedoch durch dieses Potential nicht erklärt werden, sondern man müßte dazu auf Neumutationen zurückgreifen, für die das zur Rich-tungslosigkeit des Mutationsgeschehens Gesagte unverändert gültig bleibt.
82	Nach Gutmann & Bonik, Kritische Evolutionstheorie; Gutmann, Evolution.
83	Als richtunggebendes Moment in der postulierten Evolution postuliert auch Riedl (Riedl, Ordnung, Riedl, Strategie', Diskussion bei Wuketits, Evolutionstheorien Kap. 6) eine sog. “interne Selektion”. Es handelt sich dabei um Kontroll- und Regelungsmechanismen in den Organismen selbst im Unterschied zur umweltgesteuerten Außenselektion. Mutationen werden demnach nicht nur durch Außenfaktoren selektiv “bcweiiet", sondern aucn daraufhin, ob sie ins Grganismen-gefüge “passen". Da in der postulierten makroevolutiven Abwandlung die Organismen nur “umgebaut” werden können, wird die Veränderung der Organismen kanalisiert. Auf diese Weise soll beispielsweise der Knochenbau der Wirbel-tierextremilät evolutiv in seinem Bauplan beibehalten und nur modifiziert worden sein.
84	Illies, Jahrhundertirrtum 55; vgl. Berry, Adam 116.
B K. Hübner, Schöpfungsgeschichte. Er deckt die “wissenschaftliche Verwendung des Zufalls als eine Art Pendant zum Gesetz” als Trick auf, mit dem von vornherein jeder Hinweis auf ein mögliches Wirken transzendenter Mächte unterbunden werden soll.
86	Von Huene; zit. in A. Haas, Menschenbild 358f.
87	A. Haas, Menschenbild.
das Argument an, daß eine Betrachtung des Ergebnisses des Evolutionsprozesses im Nachhinein Richtungen erweise. Von Huene liest aus dem Bild des “natürlichen Lebensbaumes” einen Gesamtplan der historischen Organisation der Wirbeltiere in den geologischen Zeiträumen heraus und vergleicht den Vorgang der Stammesentwicklung mit der Embryogenese.8* Den Menschen sieht er an der Spitze der Evolutionspyramide als sinngebende Gestalt des lebendigen Evolutionskosmos. Nach der Vorstellung von Haas sollen Mutation und Selektion in einem vorgegebenen, dynamischen “Organisationsfeld” ablaufen, in dem von vornherein ein finaler Rahmen abgesteckt sei. Dies könne zwar in einer Betrachtung von Details der Stammesgeschichte nicht erkannt werden, wohl aber durch den Blick aufs Ganze.89 Haas vergleicht dies mit der Betrachtung eines Mosaiks, dessen Sinnganzes nicht durch Detailbetrachtung erkannt werden kann. So strebte der Evolutionsprozeß letztlich finalistisch zum Menschen hin, bei dem die genetische Entfaltung zum vorläufigen Abschluß gekommen sei.
Angesichts der empirischen Befunde der kausalen Evolutionsforschung sind solche Auffassung Spekulation ohne empirische Anhaltspunkte. In der Evolutionsforschung ist man gerade bemüht, diese “weißen Flecken” im Erklärungskonzept unter Ausschluß finalistischer Erklärungsmuster auszufüllen. Vollmer kritisiert, “Or-thogenese” oder “Orthoevolution” (zielgerichtet erscheinende Evolution) seien Begriffe, die nichts erklären.90 Solche Trends werden durch langanhaltende ähnliche Selektionswirkungen verständlich zu machen versucht.
Nicht anders muß die Auffassung von Bresch beurteilt werden: Er sieht eine Zielgerichtetheit im Nachhinein,91 da im Laufe der Evolution immer wieder sehr unwahrscheinliche Integrationsschritte begangen worden sein sollen. Der bloße Zufall gebe hier keine Erklärung. Wenn dauernd hintereinander eine “Sechs” gewürfelt würde, glaube niemand mehr an Zufall. Das ist sicher richtig, doch setzt Bresch hier voraus, daß eine Evolution stattgefunden habe. Da er diese so unwahrscheinlich findet, postuliert er (unbekannte) wahrscheinlichkeitssteigernde evolutionssteuernde
Faktoren, die er im materiellen Bereich ansiedelt.
Letztlich sind die verschiedenen Auffassungen — gerichtete oder ungerichtete Evolution - naturwissenschaftlich nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht entscheidbar; man kann jedoch dreierlei festhalten:
1.	Die bekannten Evolutionsfaktoren legen keine Gerichtetheit, sondern eine Richtungslo-sigkeit nahe.
2.	Die kausale Evolutionsforschung ist durch das Ziel motiviert, den Höherentwicklungsprozeß ohne Finalismus vollständig mechanistisch zu erklären.
3.	Auch unter der Annahme, die Materie besitze eine Art “Höherentwicklungstendenz”, deren Ursache noch unbekannt sei, läßt sich eine speziell auf den Menschen hin gerichtete Evolution durch empirische Daten nicht begründen. Denn selbst wenn eine (spekulative) Tendenz zur Höherentwicklung gegeben wäre, könnte damit noch nicht begründet werden, weshalb ausgerechnet Menschen in der uns geläufigen Erscheinungsform dabei entstanden sein sollen.
2.4.3	Die Rolle des Leides und des Todes
Die Lebensstrategien der Individuen, der Populationen, der Arten, ganzer Biozönosen (Lebensgemeinschaften) und schließlich der ganzen Biosphäre sind an das Faktum der Vergänglichkeit angepaßt. Einige Schlaglichter sollen diese Tatsache beleuchten: Die Fortpflanzungsstrategien sind darauf ausgerichtet, daß ein mehr oder weniger großer Anteil der Nachkommen umkommt, bevor er selber weitere Nachkommen hervorbringen konnte. Extrem ausgeprägt ist dies bei Parasiten, die eine Unzahl von Eiern produzieren, um das Überleben wenigstens eines winzigen Bruchteils wahrscheinlich zu machen. Zur
88	Dieser Vergleich ist jedoch unrealistisch, wie in Abschnitt 3.4.4 ausführlich begründet wird.
89	A Haas, a. a. O. 360
90	Vollmer, Erkenntnis 12.
91	Bresch, Zwischenstufe 292f.
Todesanpassung der Organismenwelt gehört weiterhin die Sorge um die Aufzucht der Jungen bei brutfürsorgenden Tieren. Spilsbury bemerkt hierzu treffend: “Reproductive behaviour and care of progeny are death-adaptations. appro-priate to the impending disappearance of the parents, if the species is to survive.”92 Dieser Autor sieht die Lebewesen nicht nur als sterblich an, sondern versteht ihr ganzes Verhalten als Anpassung an die Vergänglichkeit. “Their ends are (implicit) in their behavings.”93 Er vergleicht das Verhalten der Tiere mit zum Tode verurteilten Menschen, die ihr eigenes Grab schaufeln müssen, ohne darum zu wissen.
Ohne Tod gibt es keine Evolution. Der Freiburger Biologe Mohr hebt hervor: “Gäbe es keinen Tod, so gäbe es kein Leben___Der Tod des ein-
zelnen ist... die Voraussetzung für die Entwicklung des Stammes. An dieser Einsicht, an diesem Axiom der Evolutionstheorie führt kein Weg vorbei.”94 Dies gilt ebenfalls für alle Varianten von Evolutionsvorstellungen. Im evolutionären Kontext kann der Tod sogar mit Recht als kreativer Faktor95 verstanden werden, insofern, als durch ihn die Entstehung neuer Formen erst möglich wird. Bezeichnenderweise hat der Paläontologe Erben eines seiner Bücher “Leben heißt Sterben”96 benannt.
Teilhard de Chardin sieht es genauso: “So ist der Tod ein notwendiges Rad im Mechanismus und im Aufstieg des Lebens. ... Schmerz und Schuld, Tränen und Blut: durchwegs Nebenprodukte, von der Noogenese während ihres Wirkens erzeugt (übrigens häufig wertvoll und neuverwendbar).”97 Teilhard spricht von einem “langen Kielwasser von Unordnungen, Leiden und Sünden”, das die Evolution zurückläßt.98 Aufgrund der Struktur des biologischen Evolutionsprozesses impliziere Evolution den Tod. “Alle gelungenen Anpassungsstrukturen sind durch einen langen Selektionsprozeß zustande gekommen, in dessen Verlauf weniger gelungene Anpassungsformen scheiterten und nur die am meisten geeigneten überlebten. Anders ausgedrückt: Jede gelungene Erkenntnis, jedes Glück basiert auf dem Leiden unzähliger Kreaturen.”99 Ebenso urteilt Kull:100 “Für den Ablauf der
Evolution sind zwei Erscheinungen von außerordentlicher Bedeutung: die Sexualität und der Tod.”'»'
Evolutionsmechanismen vom Tier zum Menschen - einige Szenarien
Evolutionstheoretisch gedacht gibt es keinen Grund, die Wirkungsweise der Evolutionsfaktoren Mutation und Selektion beim Übergang vom Tier zum Menschen auszublenden. Außerdem ist zu bedenken, daß mit körperlichen auch verhaltensbiologische und andere Merkmale durch die geläufigen Evolutionsmechanismen zumindest mitbedingt sind, will man das Evolutionsprinzip bei der Menschwerdung nicht willkürlich aufgeben.102 Es erhebt sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Selektionswirkungen hier eine Rolle gespielt haben. Im einzelnen dürfte dies nicht leicht rekonstruierbar sein (ein grundsätzliches Problem der Evolutionslehre!), doch sollen die folgenden Darlegungen zeigen, wie unter evolutionstheoretischen Prämissen an dieser Stelle gedacht werden kann. Die beispiel-
92	Spilsbury, Providence Lost 95; Hervorhebung nicht im Original.
93	Ebd.96.
94	Mohr, Leiden 12.
95	Ebd.
96	Erben, Leben heißt Sterben.
97	Teilhard de Chardin, Mensch 324f.
96 Teilhard de Chardin, Glaube 260.
99	Theissen, Biblischer Glaube 48.
100	Kull, Evolution des Menschen 6.
101	Pannenberg, SystTheol 310 stellt fest: “Die Evolution des Lebens ist ohne den Tod der Individuen nicht vorstellbar. Entsprechendes gilt auch für die Geschichte der Menschlich. Der Tod der Individuen ist eine der Bedingungen für die sich immer wieder erneuernde Vielfalt der Lebenserscheinungen.”
Pannenberg, a. a. O. 313 sieht den Zusammenhang zwischen Sünde und Tod in der vormenschlichen Evolution des Lebens wie auch die Sünde des Menschen selber. “Schon hier scheint sich die dämonische Dynamik aufgebaut zu haben, die in der Sünde des Menschen und in der Herrschaft von Sünde und Tod über die Menschheit kulminiert.”
1<B “Wenn irgendein natürlicher Kausalvorgang nachgewiesen werden kann, durch welchen die Gattungen und Familien von Tieren entstanden sind, dann reicht dieser Kausalvorgang auch völlig hin, die Entstehung des Menschen zu erklären" (Th. Huxley in Wuketits, Evolutionstheorien 157).
haft geschilderten Szenarien erheben keinen Anspruch darauf, common sense unter Evolutionstheoretikern zu sein, doch geben sie typische Denkweisen wieder.
Bresch stellt sich vor, daß der “Weg zum Humanum” durch ein finsteres Tal führen mußte.103 Der Weg vom Tier zum Menschen sei dadurch gekennzeichnet, daß damit der Integrationsschritt vom Individuum zur Gruppe erfolgt sei.104 Es sei bei der evolutiven Menschwerdung von Vorteil gewesen, sich in kleinen Gruppen zusammenzutun, in denen sich die einzelnen Mitglieder persönlich kennen und in denen gegenseitige Verständigung möglich ist. Unter diesem Selektionsdruck habe sich die Sprache entwik-kelt, durch die die Verständigung und dadurch der Gruppenzusammenhalt erheblich verbessert wird.105 Größerer Zusammenhalt bewirkte nämlich bessere Chancen im Kampf gegen konkurrierende Kleingruppen (sog. “Urhorden”). Um im Kampf der Urhorden gegeneinander bestehen zu können, sei neben einer gut funktionierenden Kommunikation auch die Verbesserung der Intelligenz und eine erhöhte Solidarität in der eigenen Gruppe (quasi Nächstenliebe) selektionspositiv gewesen. Solidarität sei aber (vorerst!) nurgruppeninteni verwirklicht worden. Die erhöhte Intelligenz wurde für die Verbesserung von Waffen genutzt. Der Kampf der Urhorden gegeneinander sei nun insofern wichtig und notwendig gewesen, weil dadurch ein ausreichender Selektionsdruck entstanden sein soll, der die Weiterentwicklung des Gehirns bewirkte (Intelligenz!). Für Bresch folgt daraus, daß erst durch diesen Kampf der Urhorden der Mensch zum Menschen wurde (daher der Weg zum Humanum durch das finstere Tal). “Beachtenswert, daß Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, die wir im ethischen Bereich des Menschen so hoch einstufen, sich offenbar zwangsläufig aus den Prinzipien der Evolution ergeben.”106 Heute — so Bresch - gelten jedoch andere Gesetzmäßig-
keiten. Der vorher noch notwendige Kampf der Urhorden habe dem Menschen eine Mitgift beschert, die ihm heute schwer zu schaffen macht. Durch den weiteren Gang der Evolution haben sich die Gesetzmäßigkeiten verändert: Aggression sei heute nicht mehr gefragt — Umdenken sei erforderlich. Unglücklicherweise, aber auch notwendigerweise seien wir Heutigen die Nachfahren der Aggressiven; die Friedfertigen hatten früher keine Chance und hinterließen keine Nachkommen.
Wie immer das Szenario vom Tier zum Menschen gedacht wird, es liegt in der Natur des Evolutionsprinzips, die heutigen Verhaltensmerkmale des Menschen - seien es günstige oder ungünstige - aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution abzuleiten. Das Erklärungsziel ist eine vollständig naturgesetzliche Ableitung des menschlichen Verhaltens.107 “Wir betonten schon, daß eine Diskussion dieser spezifisch menschlichen Attribute ohne Bezugnahme auf die Bio-Evolution nicht sinnvoll vorangetrieben werden kann.”108 Diese Konsequenz läßt sich nur dann abweisen, wenn man postuliert, daß bei der Entstehung des Menschen die sonst üblichen evolutionären Prozesse keine (oder nur eine untergeordnete) Rolle gespielt haben. Das bedeutete den Abweis des Evolutionsgedankens an dieser Stelle und damit den Abschied vom Konzept einer theistischen Evolution.
103	Bresch, Alpha-Bedingungen.
104	Das wäre jedoch in der Evolution nicht das erste Mal, vgl. staatenbildende Insekten u. a.
105	Dagegen: Liebi, Sprechender Affe; Osche, Kulturelle Evolution 43: “In der SocietC de linguistique de Paris ist es... seit langem verboten, Vorträge über den Ursprung der Sprache zu halten."
106	Bresch, a. a. O. 35.
107	Vgl. Spaemann & Löw, Wozu 228 —233; vgl. Kull,Evolution 2.
106 Wukettts, Grundriß 157.
2.5	Ablehnung des Essentialismus
Als eine der Grundvoraussetzungen der Evolutionstheorie nennt Mayr109 die Überwindung des typologischen Denkens zugunsten des Populationsdenkens.110 Die Idee von Typen als “Wesenheiten” oder “Ideen” ist dem Evolutionsdenken entgegengesetzt.111 Besonders Mayr hebt hervor, wie sehr der Essentialismus und das typolo-gische Denken dem Evolutionsdenken hinderlich gewesen seien und überwunden werden mußten.112 Dem Essentialismus zufolge liegt den veränderlichen Erscheinungen eine unveränderliche Wesenheit (“Essenz”) zugrunde. Die Wesenheiten zeichnen sich durch eine gewisse Konstanz und gegeneinander durch Diskontinuität aus. Eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Evolutionslehre ist nun die Anschauung, daß Arten (bzw. Grundtypen) keine abgrenzbaren Entitäten, sondern variable Populationen seien, die sich aus einzigartigen Individuen zusammensetzen. Real sind also nicht Arten
II
i---------------------------------------------------------------------------1
Abb. 1: Demonstration einer “evolutionären Art" und einer ‘Abstammungsgemeinschaft’’. Eine evolutionäre Art verläuft von der Aufspaltung einer Art bis zur nächsten Trennung — unabhängig vom Ausmaß des postulierten evoluti-ven Wandels; in der Abbildung also von v bis w. Auch wenn nach der Aufspaltung von w eine der beiden Arten B oder C sich gegenüber w nicht mehr ändert, wird B bzw. C als andere evolutionäre Art von w unterschieden. Die Abstammungsgemeinschaft II — ein “phylogenetisches Taxon" - besteht aus den beiden Arten B und C und der Stammart w. (Aus Ax, Systematik 37)
im typologischen Sinne (eine Klasse von Organismen, die alle wesentlichen Merkmale teilt und durch solche Merkmale von anderen derartigen Klassen scharf abgesetzt ist), sondern Individuen und konkrete Populationen. Diese Sichtweise wird konsequent weitergeführt in der von Hennig113 begründeten phylogenetischen Systematik,IU
Die Grundeinheit der phylogenetischen Systematik sind sogenannte evolutionäre Arten. Darunter versteht man Fortpflanzungsgemeinschaften in der Zeit, deren Lebensspanne mit der Spaltung einer existierenden Art beginnt und mit dem Aussterben oder einer nachfolgenden Spaltung endet.115 Nach Ax116 entsprechen andere Artkonzepte nicht der Realität der Evolution. Alles andere seien Kunstprodukte des menschlichen Verstandes ohne Korrelate in der Natur. Aus diesem Artbegriff ergeben sich paradoxe Schlußfolgerungen, die an Abb. 1 deutlich gemacht werden können: So könnte es sein, daß sich eine Art während ihrer Lebensspanne total ändert (von v bis w in Abb. 1, z. B. vom Reptil zum Vogel), ohne zu einer neuen Art zu werden. Dagegen kann es sein, daß nach einer Artspaltung eine der beiden Schwesternarten sich nicht mehr ändert; dennoch ist sie zu einer anderen evolutionären Art geworden. Evolutionstheoretisch ist dies nur konsequent und eine Widerspiegelung der Tatsache, daß es in diesem Rahmen so etwas wie “Typen” nicht geben kann. Ax will alle typologischen Reste der vorphylogenetischen Ära der Homologieforschung und Systematik auch in der Begrifflichkeit eliminieren. Als Realitäten will er neben den Individuen und evolutionären Arten nur geschlossene Abstammungs-
109	Mayr, Vielfalt 159; Mayr, Gedankenwelt.
110	Vgl. Wukettts, Evolutionstheorien 20; Ilues, Jahrhundertirrtum 64.
1,1 WuKErrre, a. a. O. 22; vgl. Mayr, Gedankenwelt.
112	Mayr, Gedankenwelt', Mayr, Revolution.
113	Hennig, Phylogenetische Systematik
114	Eine gute Einführung gibt Ax, Systematik.
115	Ax, a. a.O. 25ff.; Willmann,.4/T; Abb. 1.
1,6 Ax, a. a. O.
gemeinschaften anerkennen. Daher lehnt er Begriffe wie “Klassifikation” ebenso ab wie die Vergabe von Kategorien wie “Gattung”, “Familie”, “Ordnung” usw., da es sich hier um Kunstprodukte des menschlichen Geistes handle (s. o.), zu denen es kein Korrelat in der Natur gebe. Er akzeptiert nur “phylogenetische Taxa” als Abbilder realer Einheiten der lebenden Natur (Abb. 1), denen er jedoch keine Namen geben, sondern nur Hierarchie-Ebenen zuordnen will. Das Wort “Merkmal” kommt in den betreffenden Definitionen bezeichnenderweise nicht vor. Arten werden ebensowenig wie Abstammungsgemeinschaften (Abb. 1) an Merkmalen erkannt; Merkmale sind “lediglich Indizien dafür, daß wir es im konkreten Einzelfall mit der Linie einer evolutionären Art zu tun haben.”117 “Eine evolutionäre Art kann in der lebenden Natur grundsätzlich ohne irgendeine Essenz, ohne ein spezifisches Eigenmerkmal als reale Einheit existieren.”118 Entsprechendes gilt für Abstammungsgemeinschaften. Konkret führt dieser Ansatz zur Eliminierung von Taxa wie “Invertebrata” (Wirbellose), “Reptilia” (Echsen) oder “Pisces” (Fische).119
Die Berechtigung dieses Vorgehens angesichts der biologischen Realität muß zwar in Frage gestellt werden - die mechanistische Überführung verschiedener Typen ineinander gelingt nicht -, doch ist es evolutionstheoretisch konsequent. In einem kontinuierlichen Wandel der Arten können distinkte Typen in der Tat nur Produkte menschlicher Vorstellung sein.120
Das Tier-Mensch-Übergangsfeld
Eine wichtige Konsequenz der Eliminierung des Essentialismus ist der Verlust des Begriffes des Menschen. Evolutionstheoretisch kann Menschsein nicht gegen das Tiersein abgegrenzt werden (vgl. Abschnitt 4.1). Dies äußert sich am auffälligsten im Postulat eines “Tier-Mensch-Über-gangsfeldes”. Den Menschen gibt es nicht. Es gibt zahlreiche minimale Abänderungen von Tieren, die allmählich zum Menschen werden. Das folgende Zitat von Kull kann als repräsentativ gelten: “Die Hominisation ist ein ganz allmählicher Vorgang, daher gibt es keine scharfe Grenze zwischen ‘noch Tier’ und ‘schon Mensch’.”121
2.6	Umfang des Erklärungsanspruchs
Aus dem Abschnitt über Evolutionsmechanismen (2.4) geht hervor, daß der Erklärungsumfang, den Evolutionstheoretiker beanspruchen, keine Einschränkung kennt, vielleicht von der Frage nach dem Ursprung der Materie abgesehen. Dies wird beispielsweise daran deutlich, daß das Lehrbuch über Evolution des Menschen von Kull122 neben der biologischen Evolution Kapitel über Evolution des Gehirns und des Bewußtseins, kulturelle Evolution, Evolution des Verhaltens, der Kultur, Schrift, Gesellschaft, des Handels, Verkehrs, Rechtswesens, der Ethik, Wissenschaft, Technik, Kunst, Religion und Erkenntnis enthält. “Nicht nur die physische Organisation unserer Spezies ist ein Produkt der Evolution, sondern auch ihre geistigen Fähigkeiten sind der Evolution entsprungen und nicht etwa ‘vom Himmel gefallen’”, betont Wuketits.123 In
den siebziger und vor allem achtziger Jahren kam mit der evolutionären Erkenntnistheorie124
1,7 Ebd.33.
118 Ebd.34.
117 Ebd.48.
120	Mayr greift eine bestimmte Version des Essentialismus an, nach der Variation “durch unvollkommene Manifestation der zugrundeliegenden Essenz" (Revolution 227) entstehe, nach welcher der Variation jedwede wichtige Rolle in der Natur abgesprochen wurde und wonach das allein Reale die Idee war, wahrend Variationen schlicht als “Fehler” angesehen wurden. Mayr verkennt, daß es eine sinnvolle Synthese zwischen essentialistischen (oder typologischen) Konzepten und dem Denken in variablen Populationen gibt. Wie dies konkret ausgeführt wird, ist Gegenstand von Abschnitt 5.5.1. Dieser Einwand an Mayrs Essentialismuskritik ändert jedoch nichts daran, daß die Evolutionslehre antiessentialistisch ist.
121	Kull, Evolution des Menschen 29.
122	Ebd.
123	Wuketits, Grundriß 151; vgl. Rensch, Biophilosophie.
128 Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie; Riedl, Biologie der Erkenntnis; Lorenz & Wuketits, Denken.
die Vorstellung auf, auch das Erkenntnisvermögen und die Merkmale des “Erkenntnisapparates” aus den Bedingungen der Evolution (vollständig) zu erklären. Folglich, so Kull, “werden die in der Evolutionstheorie zusammengefaßten Erkenntnisse von außerordentlicher Bedeutung für das heutige Weltbild und das Selbstverständnis des Menschen.”125 Wuketits drückt sich unmißverständlich aus: “Ohne die Bio-Evolution zu begreifen, kann sich niemand anmaßen, die ‘wahre Natur des Menschen’ erklären zu können.”126 So liegen nach seiner Auffassung die Wurzeln unserer Vernunft allein in der Evolution.127
An dieser Stelle wurde viel Kritik gegen die Evolutionsanschauung geäußert. Eine Reihe von Autoren wie Illies128, Kuhn129 oder Low130 protestieren gegen eine evolutionäre Totalerklärung des Menschen und des Lebens, jedoch unter Beibehaltung des Evolutionsgedankens. Die bekannten Evolutionsmechanismen werden bei weitem als nicht ausreichend betrachtet, um die Herkunft des Neuen zu erklären. Illies131 scheint Spielraum im Zufallsgeschehen der Mutation zu sehen (s. o.), äußert sich aber (in den genannten Publikationen) nicht konkret darüber, ob er Gott als den Lenker des Zufalls im Mutationsgeschehen ansieht. Genauere Vorstellungen darüber, an welchen Stellen und in welcher Weise Schöpfung im Evolutionsprozeß geschieht, entwickelt Illies132 nicht.
Löw133 diskutiert evolutionistische Vorstellungen zur Entstehung des Neuen: den Reduktionismus, den Präformationismus und den Fulgu-rationismus. Nach dem Reduktionismus entsteht nie wirklich Neues. Beispielsweise ist “Leben” gegenüber dem “Nichtleben” nichts Neues. Von “Leben” zu sprechen ist nur “abkürzende Redeweise zur Kennzeichnung natürlich-chemischer Vorgänge wie Selbstreproduktion, Vererbung, Mutationsfähigkeit. Eine ontologisch eigentümliche Dimension des Lebens anzunehmen ist überflüssig.”134 Auch nach dem Präformationismus gibt es nichts wirklich Neues; hier ist das Neue im Alten schon vorhanden. Beispielsweise muß nach dieser Sicht auch Atomen und Elementarteilchen Freiheit zugeschrieben werden,
weil es dieses Phänomen beim Menschen gibt. Die von Lorenz propagierte Sicht des Fulgura-tionismus schließlich beinhaltet, daß im Verlauf der Evolution durch den Zusammenschluß von Subsystemen zu höheren Einheiten blitzartig neue Systemeigenschaften entstanden sind, neue Qualitäten, die in den Subsystemen in keiner Weise vorgeprägt waren.135 “Leben” ist durch einen solchen “Blitzschlag” (Fulguration) entstanden; sein Auftreten ist neu, aber dennoch rein natürlich erklärbar. Low136 führt aus, daß der Preis des Reduktionismus der Verlust des menschlichen Selbstverständnisses ist, während der Präformationismus die anerkannten Phänomene ihres Sinnes beraubt (es hat keinen Sinn, von der Freiheit eines Pflastersteins oder der Moralität einer Kartoffel zu reden). Das Fulgu-rationsprinzip entlarvt Low137 als verkappten Reduktionismus (wenn die neuen Qualitäten nur für uns neu sind) oder als “metaphysisches Prinzip, welches die Grenzen der Erklärbarkeit des Neuen gemäß der Evolutionstheorie schonungslos aufzeigt” und somit in den Präformationismus mündet. Wenn die Wahrheit des Evolutionismus gelte, sei der Zusammenschluß von Subsystemen ein natürlich erklärbarer, kausaler Vorgang. Dann sei das Neue nicht wirklich neu. Oder das Neue ist wirklich neu und nicht nur ein zeitlich späteres Altes, dann sei der Evolutionismus gesprengt. Der Fulgurationismus sei also kein Ausweg aus der Alternative von Präformationismus und Reduktionismus. Was dann? Wie kam also das Neue wie Leben, Moral, Bewußtsein in die Welt? Low gibt nur zur Antwort, daß die Entstehung dieser Phänomene naturwissen-
125	Kull, Evolution IX.
126	WuKimTS, Grundriß 152.
121 Ebd. 159.
128	Illies, Schöpfung, Illies, Jahrhundertirrtum.
129	W. Kuhn, Stolpersleine.
138 Löw, Darwinismus', Low, Evolution.
131	Illies, Jahrhundertirrtum.
132	Illies, Schöpfung-, Illies, Jahrhundertirrtum.
133	Löw, Darwinismus, Low, Evolution.
134	Löw, Evolution 154.
135	Vgl. Spaemann & Löw, Wozu 232.
138 I öw, Evolution 155f.
137 Löw, Darwinismus TS.
schaftlich nicht erklärt werden kann. Leben und Nichtleben, Moralisches und Nichtmoralisches sind nicht miteinander vergleichbar. Die Evolutionstheorie könne — so Low - nur die realen Bedingungen des Auftretens von Neuem angeben; diese Bedingung treibe das Bedingte (das Neue) aber nicht hervor. “Insofern das Neue neu ist, macht es sich selbst.”138 Der Grundfehler der evolutionistischen Erklärungen besteht nach Löw im Irrtum, nicht von der Wirklichkeit auszugehen, zu der nun einmal Leben, Wille, Moral, Freiheit usw. gehören.139 “Man muß sich erst darüber verständigt haben, was alles zur jetzigen Wirklichkeit gehört, bevor man mit dem Geneti-sieren beginnen kann.”140 Dagegen seien die theoretischen Entwürfe über die Entstehung des Kosmos gegenüber dieser Diagnose logisch sekundär.
Die vorstehende Darstellung soll beispielhaft eine Position deutlich machen, die eine rein naturalistische Evolutionstheorie ablehnt, ohne das
Evolutionskonzept als solches aufzugeben. Die Frage nach der Herkunft des Neuen bleibt dann aber letztlich unbeantwortet, wenn nicht schöpferische Akte Gottes angenommen werden. Die Ausführungen von Löw machen deutlich, daß eine vollständige natürliche Erklärung der Evolution auf einen Reduktionismus hinausläuft: “Leben”, “Moral”, “Freiheit” sind lediglich Ausdruck bzw. Nebeneffekt komplexer materieller Strukturen. Will man diese Phänomene als Realitäten behalten, scheidet eine natürliche Erklärung auf der Basis bekannter Naturprozesse aus. Aus diesem Dilemma scheint es keinen Ausweg zu geben.141 Bezogen auf die Evolutionslehre bedeutet das: Entweder man vertritt eine Totalerklärung der Evolution durch natürliche physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten und verliert dabei die genannten Phänomene als unableitbare Realitäten oder man behält diese bei und muß den Anspruch der Totalerklärung im genannten Sinne aufgeben.
2.7	Evolution und Zukunft
Auf evolutionäre Zukunftsentwürfe soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da sie nach allgemeiner Ansicht den Rahmen naturwissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten überschreiten, auf den sich die Ausführungen dieses Kapitels weitgehend beschränken. Die Tatsache freilich, daß Evolutionsforscher es in der Regel ablehnen, auf der Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnis weitere Evolutionsschritte in die Zukunft hinein zu prognostizieren, kann jedoch als Hinweis dafür gewertet werden, daß das Evolutionsgeschehen kein gesetzmäßig ablaufender Vorgang ist, denn andernfalls müßten auch Linien in die Zukunft hinein gezogen werden können.142 Über die Zukunft der Evolutionsgeschichte aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es unterschiedliche Auffassungen. Für manche Biologen (z. B. Bresch) ist die biologische Evolu-
tion am Ende, Evolution sei nur noch auf kulturellem und geistigem Sektor zu erwarten.143 Andere hingegen (z. B. von Ditfurth) halten eine weitere biologische Evolution beim Menschen für möglich.
“Evolutionäre Eschatologien” werden im Kapitel 4 dargestellt, doch handelt es sich hierbei nicht um unverzichtbare Aspekte von Evolutionstheorien, um die es in diesem Kapitel geht.
138	Ebd.77.
139	Ebd.73.
1<0 Ebd. — Mit den Arbeiten von Spaemann und Low setzt sich Isak, Evolution, kritisch auseinander.
141	Vgl. die Bemerkungen zur Fulguration.
142	Naturwissenschaftliche Theorien müssen nach gemeinhin anerkannten wissenschaftstheoretischen Kriterien Prognosekraft besitzen.
143	Bresch, Zwischenstufe-, vgl. dazu Isak, Evolution 364f.
2.8	Der “kleinste Nenner” von Evolutionstheorien
Nach diesem Durchgang durch die wesentlichen Elemente von Evolutionstheorien kehren wir zur Eingangsfrage zurück und fragen nach denjenigen Aspekten der Evolutionslehre, ohne die Evolution nicht ablaufen kann, auf die also alle theistischen Evolutionsvorstellungen Bezug nehmen müssen.
Als unabdingbare Kennzeichen aller Evolutionstheorien und als Voraussetzungen dafür, daß eine Evolution ablaufen kann, sind zusammenfassend zu nennen:
-	Evolution heißt zunehmende Komplexität und zunehmende Verschaltung von Subsystemen (Integration);
-	Evolution verläuft kleinschrittig;
-	Evolution erfolgt während langer Zeiträume; das Menschheitsalter beträgt ca. 2 bis 3 Millionen Jahre (nach dem gegenwärtigen Stand der Evolutionslehre, wenn die körperliche Konstitution zugrundegelegt wird);
-	es gibt einen gemeinsamen Stammbaum aller Organismen, vielleicht sehr wenige Stammbäume, die alle mit einem Einzellstadium beginnen;
-	Evolution vollzieht sich in Populationen;
-	die bekannten Evolutionsfaktoren Mutation, Selektion, Isolation, Gendrift u. a. werden benötigt, vielleicht müssen bislang noch unentdeckte Faktoren zusätzlich postuliert werden; jedenfalls kann auf die Mitwirkung der bislang bekannten Faktoren nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht verzichtet werden;
-	ohne den individuellen Tod gibt es keine Evolution; dabei muß von Generation zu Generation — von wenigen Ausnahmen abgesehen -
ein Großteil von Nachkommen vor dem Zeitpunkt eigener Nachkommenproduktion umkommen; die jeweils bestangepaßten Nachkommen werden — zumindest statistisch — die neuen Generationen aufbauen; Überschuß- und Ausschußproduktion sind erforderlich;
— ohne Artentod gibt es auf Dauer keine Evolution. Unter evolutionstheoretischen Voraussetzungen schätzt man, daß über 99% aller jemals existenten Arten ausgestorben sind (man kennt allerdings nur einen Bruchteil dieser Zahl; diese große Zahl ergibt sich unter Zugrundelegung langer Zeiträume, in denen Evolution abgelaufen sein soll).
Nicht unbedingt zu Evolutionskonzepten gehört der Ansatz, alles Auftreten von Neuem (Entstehung von Leben, Entstehung neuer Typen von Organismen, Entstehung des Menschen aus dem Tierreich, Entstehung von Moral, Bewußtsein, Freiheit usw.) ausschließlich durch natürliche Prozesse und Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Es ist grundsätzlich denkbar, einen Evolutionsablauf in langen Zeiträumen zugrundezulegen, in ihm aber auch schöpferische Aktivitäten anzunehmen, die naturwissenschaftlich nicht faßbar sind. Auch eine Zielgerichtetheit des Evolutionsprozesses braucht nicht generell ausgeschlossen zu werden. Weiterhin gibt es sehr unterschiedliche eschatologische Vorstellungen. Schließlich ist die klassische Sicht, Evolution durch Prozesse der genetischen Ebene vollständig verstehen zu wollen (Gen-Phän-Problematik), nicht notwendiger Bestandteil aller Evolutionstheorien.
3.	Theistisch interpretierte Evolutionsauffassungen
3.1	Hauptmerkmale theistischer Evolutionskonzepte
Im vorigen Kapitel wurden wesentliche Merkmale der evolutionären Geschichtsrekonstruktion zusammengestellt. In den folgenden beiden Kapiteln geht es um die Frage nach Harmonisierungsmöglichkeiten der Evolutionsanschauung mit dem biblischen Zeugnis vom Handeln Gottes mit der Menschheit. Solche Versuche einer Zusammenschau von evolutionärem Denken und dem biblischen Zeugnis werden unter dem Begriff “theistische Evolution” zusammengefaßt. Die Evolution als historisches Geschehen wird
i.	d. R. uneingeschränkt vorausgesetzt, dabei jedoch hervorgehoben, daß die unabdingbare Ursache und der Ermöglichungsgrund für dieses Geschehen Gottes Wirken ist.
Gott schuf durch Evolution
Der Grundgedanke der meisten “theistischen” Evolutionsvorstellungen kommt im folgenden Zitat Overhages zum Ausdruck: Gott
“hat im Schöpfungsakt den Organismen die Fähigkeit zu einer grandiosen, planmäßigen und bestimmungsmächtigen Dynamik verliehen und sie in deren Wesen verankert. Diese Wirkmächtigkeit äußert sich darin, daß im Verlauf der Organismengeschichte immer und immer wieder neuartige und höher entwickelte Gestalts- und Organisationstypen auf den Plan treten ..
Schon Charles Darwin, der Hauptbegründer der Evolutionslehre, hatte den Gedanken geäußert,
“daß der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur in wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengen Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt.”2
“Gott hat die Welt nicht als eine fertige, sondern als eine entwicklungsfähige Wirklichkeit geschaffen; zu den in die Weltwirklichkeit hin-
eingelegten Entwicklungsmöglichkeiten kommt jeweils die Wirklichkeit des lebendigen Schöpfergottes als Erhalter der Welt und Herr der Geschichte.”3 Für Hulsbosch ist der “alles beherrschende Ausgangspunkt einer Theologie der Evolution” die Sichtweise, wonach “die Schöpfung selbst im Zuge der kosmischen Evolution verläuft.”4
Vertreter einer theistischen Evolution sehen Gott als schöpferische Kraft an, die den Evolutionsprozeß initiiert habe und als treibende Kraft dahinter stehe. Ohne das schöpferische Wirken gäbe es keine Evolution. Diese sei letztlich weder ein Zufallsgeschehen noch ein naturnotwendiger Prozeß, sondern stehe unter dem Willen Gottes.
Ohne Schöpfung keine Evolution
Die theistischen Evolutionsanschauungen beinhalten das Postulat, daß der Evolutionsprozeß nur unter der Voraussetzung des schöpferischen Wirkens Gottes ablaufen kann. Das schöpferische Handeln Gottes ist Voraussetzung für Evolution, ohne Schöpfung gibt es keine Evolution. Die These von der Evolution fordere die Schöpfungslehre, da ohne sie die Grundlage fehle. Diese erfahre umgekehrt durch die Evolutionsthese eine nähere Erklärung.5 Schöpfung sei der Ermöglichungsgrund von Evolution.6 Nur auf dem Boden des Schöpfungsglaubens könne man von Entwicklung reden. Der moderne Gedanke der Entwicklung sei nur eine Form des Schöpfungsglaubens.7
1	Overhage, Evolution 290.
2	Zit. ebd.
3	Auer & Ratzinoer, Dogmatik 215; ähnlich Scheffczyk, Schöpfungswahrheit 315.
1 Hulsbosch, Schöpfung 38.
5	Schmaus, Glaube 197.
6	Koltermann, Rezeption 5.
7	Ragaz, Urgeschichte 33.
Schöpfung als immerwährendes (Evolutions-) Geschehen
In Konzepten einer theistischen Evolution erscheint die Schöpfung (und zwar die creatio ex nihilo) nicht oder nicht ausschließlich als punktuelles, sondern als immerwährendes Geschehen.8 Eine besondere Schöpfung am Anfang wird nicht strikt von der creatio continua unterschieden. “Gott schafft dauernd, und indem er die lebenden Wesen im Sein erhält (= creatio continua) und mit ihnen mitwirkt (= concursus divi-nus), geschieht Evolution.” Das sei “Schöpfung in Evolution” (Koltermann9).
Schöpferische Erstursache und geschöpfliche Zweitursachen
In Konzepten einer theistischen Evolution wird Gottes Wirken als Erstursache (als Ermöglichungsgrund für eine Evolution) hervorgehoben, die sich der Zweitursachen der Geschöpfe (der organismischen Kräfte) bediene. Gott benutze die Organismen als Instrumentalursache, um letztlich auch den Menschen hervorzubringen, in ähnlicher Weise, wie es auch die natürlichen sexuellen Kräfte tun.10 Gott als Erstursache bediene sich der Zweitursache geschöpflicher Kräfte, um die Organismen hervorzubringen.11 Gott schaffe also eine werdende Welt, die sich selbst verwirklicht, und sei der innere Kern der geschöptlichen Eigentätigkeit.12
Gott habe “die Kreatur in allen ihren Möglichkeiten, in ihren höchsten Potenzen, in langen Versuchen und auf vielen Wegen... aufgerufen, an das heranzukommen, was im Menschen Wirklichkeit wird. In der natürlichen Entwicklung bis dahin ist, grundsätzlich nicht kontrollierbar, Gott der Schöpfer tätig.”13
Die Erhellung der Schöpfungsvorgänge bleibt den Naturwissenschaften (weitgehend) überlassen
Wie Gott die Welt erschaffen hat, ist für die Befürworter theistischer Evolutionsauffassungen kein Gegenstand der Offenbarung der Heiligen
Schrift: “Vertreter einer gemäßigten Entwicklungslehre erklären, daß die Schrift, so sehr sie die Tatsache der Herkunft des Menschen von Gott bezeugt, die Frage nach dem Wie offenlasse,”14 Ähnlichlautende Auffassungen gibt es in großer Zahl.
Schöpfung und Evolution: zwei Aspekte der Welt und ihrer Geschichte
Die Begriffe “Schöpfung” und “Evolution” werden verschiedenen Bereichen der Welt und ihrer Geschichte zugeordnet: “Bei einer Zusammenschau von Schöpfung und Evolution ist von Anfang an festzuhalten, daß Schöpfung eine ‘transzendentale’ Glaubensaussage über die Welt bedeutet, während Evolution eine weltimmanente Erfahrungstatsache ausspricht.”15 “Schöpfung” sei ein transzendentaler Begriff, “Evolution” dagegen ein empirisch-kategorialer. Der Schöpfungsbegriff sage etwas aus, was vor jeder empirischen, zeitlichen, existenten Wirklichkeit zu ihrer Begründung und Erklärung gefordert werden muß. Beide Begriffe bezögen sich also auf zwei verschiedene Ebenen und könnten sich deshalb gar nicht widersprechen oder gegeneinander ausgespielt werden.16
Die Schöpfung sei der unsichtbare Hintergrund der Entwicklung, die Entwicklung der sichtbare Vordergrund der Schöpfung, so Brunner. Jenen Hintergrund erfasse nur der Glaube, das Sichtbare dagegen die wissenschaftliche Forschung. Die Entwicklung sei der Mechanismus der Schöpfung, die Schöpfung der geistige Ursprung und die causa finalis der Entwicklung.17
8	Schmaus, a. a. O. 197.
9	Koltermann, Schöpfung 61.
10	Dieser Vergleich wurde von Messenger gezogen; zit. nach Weissmahr, Gottes Wirken 30.
11	Schmaus, Dogmatik 331.
12	Koltermann, Schöpfung 66, in Anlehnung an Rahner.
13	Dessauer, Menschenpaar 156.
14	Schmaus, Dogmatik 331,
15	Auer & Ratzinger, Dogmatik 130.
18 Scheffczyk, Schöpfungswahrheit 312; vgl. Moltmann, Schöpfung 204.
17 Brunner, Dogmatik 48.
Haas formuliert folgendermaßen:
“Betrachtet man die Welt, einschließlich der Lebewesen in ihrem Verhältnis zu Gott, so erscheint sie als durch Schöpfung entstanden; betrachtet man sie in ihrem zeitlichen Verlauf, so stellt sie sich als durch Evolution entstanden dar... Die Schöpfung besteht ja nicht in der Abfolge jener innerweltlichen Entwicklung nach verschiedenen Stadien, sondern im Getragensein der ganzen Entwicklungskette durch Gott, wobei er jedem Glied dieser Kette unmittelbar gegenwärtig ist.”18 Haas unterscheidet eine materielle Seite des organischen Lebens, die der naturwissenschaftlichen Forschung zugänglich sei und deren historisches Werden mit wissenschaftlichen Mitteln erforscht werden könne, von einer der Wissenschaft unzugänglichen Seite, auf die die Biogene-se-Forschung dadurch gestoßen werde, daß sie auf “unübersteigbare Hindernisse und Grenzen” stoße.19
Van Till20 und Hemminger21 sprechen in diesem Zusammenhang von kategorialer Komple-
mentarität. Damit ist gemeint, daß Evolutionslehre und Schöpfungslehre auf verschiedene Fragen antworten. Die Antworten seien wegen der unterschiedlichen Fragerichtungen verschieden, aber nicht widersprüchlich, ähnlich wie sich etwa die Aussagen “Das Auto ist rot” und “Das Auto fährt schnell” nicht widersprechen. Die Aussage “Die Welt ist Schöpfung” ziele auf die letzten Ursachen aller Existenz und ihre Frageworte lauten “Warum”, “Woher” und “Wohin”. Die dazu komplementäre und nicht-widersprüchliche Aussage “Es gibt Evolution” beantworte dagegen die Frage nach dem “Wie”, nach Gesetzmäßigkeiten des Ablaufs.
Van Till22 ordnet Fragen über innere Zusammenhänge, die Eigenschaften und das Verhalten der Schöpfungswerke, der materiellen Welt zu. Fragen der Bedeutung und des Wertes seien für den Christen Fragen über die Beziehung zu Gott (“external” affairs).
3.2	Gemäßigte theistisch-evolutionistische Sichtweisen
Die im vorigen Abschnitt dargestellte Sicht einer Zusammenschau von Evolution und Schöpfung bzw. umfassender einer Zusammenschau der Evolutionslehre und des biblischen Zeugnisses vom Handeln Gottes in der Geschichte der Welt wird in unterschiedlichen Varianten vertreten;23 sie können in zwei Hauptrichtungen unterschieden werden:
1.	Die eine Richtung hebt hervor, daß die naturgesetzlichen Vorgänge nicht ausreichen, um den Evolutionsablauf zu ermöglichen. Daraus folgt, daß die Naturwissenschaft den Evolutionsprozeß nicht vollständig erklären kann. Ein besonderes Handeln Gottes (ein “Eingreifen”) wird in entscheidenden Phasen der Evolution als erforderlich betrachtet, insbesondere bei der Entstehung des Menschen. Man spricht hier oft von einer "gemäßigten ” Evolutionslehre.
2.	Nach der anderen Sichtweise soll der Evolutionsprozeß vollständig durch innerweltliche Kausalitäten erklärbar sein. Ein besonderes Eingreifen Gottes in den Evolutionsprozeß wird
nicht postuliert. Gottes Wirken äußert sich darin, daß die Materie zur Höherentwicklung, zu einer “Selbstüberbietung” (Rahner) fähig ist. Man kann hiervon einer "konsequent evolutioni-stischen Sicht’’ sprechen.24
18 J. Haas, Biologie 157.
” Ebd. 178f.
20	Van Till, Fourth Day
21	Hemminger, Kreationismns 33.
22	Van Till, a. a. O.
23	Vgl. Weissmahr, Gottes Wirken 28ff.
24	Holthaus, Hindamentalismus 350, unterscheide! drei Sichl-weisen: 1. die Enlflechlungslösung (s. Abschnitt 3.3.1), nach der wissenschaftliche Aspekte der I ebensentstehung theologisch als irrelevant eingestuft werden (vgl. Beck, Biologie), 2. eine totale Akkomodation an das evolutionistischc Weltbild, nach der die Evolutionsanschauung theologisch relevant ist und nach der die Bibel ein veraltetes Weltbild enthält, das entmythologisiert werden müsse, 3. die Modifikation der Evolutionslehre in bezug auf die Mechanismenfragc. Dagegen seien Kritiker zu stellen, die die Evolutionslehre total ablehnen. In der hier bevorzugten Zweiteilung der Sichtweisen zur theistischen Evolution wird die Entflechtungslösung unter der konsequent evolutionistischen Sichtweise subsummiert. (Eine Begründung für diese Zuordnung wird in Abschnitt 1.5.2.1 gegeben.)
3.2.1	Kennzeichen der gemäßigten theistisch-evolutionistischen Position
Eingriffe Gottes im Evolutionsgeschehen
Gemäßigte theistisch-evolutionistische Positionen zeichnen sich dadurch aus, daß das Evolutionsgeschehen als Ganzes neben der schöpferischen Kraft der Erstursache ein besonderes Eingreifen Gottes erfordere. Denn wo etwas wirklich Neues auftritt, wie etwa beim Erscheinen des Lebens, jedenfalls aber beim Entstehen der Seele des Menschen, müsse ein unmittelbarer schöpferischer Akt Gottes angenommen werden.25 So stellt Volk26 fest, daß Erschaffung keine Kreatur voraussetze, während Entwicklung immer Erschaffung und das Erschaffene vorgeben müsse. Da er gleichzeitig eine umfassende Evolution akzeptiert, nimmt er an, daß zur Entfaltung der erschaffenen Materie Gott an bestimmten Stellen besonders eingegriffen habe. Die Geschöpfe wirken dabei als causaesecundae mit.
Nach Auffassung Brunners gibt es in der Evolution Punkte, wo das Auftreten neuer Formen kausal nicht restlos erklärt werden könne, insbesondere beim Auftreten des menschlichen Geistes. Die Entwicklungslehre solle daher nicht mit einem mechanischen Kausalismus identifiziert werden.27 Wenn auch die Bibel kein Interesse an der Frage nach der Evolutionslehre habe, so Spülbeck, so dürfe man dennoch nicht sagen, der Mensch sei aus dem Tier geworden; das sei nur möglich durch ein Eingreifen Gottes mit einer Großmutation. Der Mensch selbst werde erst Mensch durch die Seele, die wiederum etwas völlig Neues aus diesem Lebewesen mache, das vorher einen Menschenleib hatte.2*
Auch Hulsbosch rechnet mit besonderen Taten Gottes in der Evolution. Bei der Entstehung des Menschen erachtet er die Dynamik der Evolution für unzureichend, um den menschlichen Geist hervorzubringen. Daher kommt er zu einem ganz neuen und ‘unmittelbaren’ schöpferischen Eingriff Gottes.29
Rahner hebt hervor, daß es eine Pluralität von Wirklichkeiten im Menschen gebe, die nicht aufeinander zurückgeführt werden könne. Die
Geistseele des Menschen sei keine bloße Erscheinungsform des Materiellen bzw. Leiblichen. Auch die Materialität könne als solche nicht aus Nichtmateriellem abgeleitet werden.30
Thielicke distanziert sich vom Versuch, den Menschen aus den tierischen Entwicklungsstadien zu erklären und die Frage nach seiner Genesis identisch mit der Frage nach seinem Wesen zu sehen (vgl. Abschnitt 4.1).31 Andernfalls verstehe man den Menschen samt seinem Wesen und nicht nur seiner physischen Seinsweise nach als “biologisch”. Es sei verkehrt, für eine Wesenserklärung des Menschen auf die genetische Frage zurückzugreifen. Weiter vertritt er die Auffassung, daß bei jeder höheren Stufe ein qualitativ Neues hinzutrete, das unableitbar sei.32 Der Übergang zum Menschen bleibe für das gegenständliche Denken unauflösbares Schöpfungsgeheimnis.33
Grenzen der naturwissenschaftlichen Erklärungsmöglichkeiten
Damit wird deutlich, daß aufgrund der Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode eine immanente Erklärung des Menschen als unmöglich betrachtet wird. So ist nach Köppers
25 Weissmahr, a. a. O. 28.
28 Volk, Schöpfungsglaube.
27	Brunner, Dogmatik 48f.
28	SpOlbeck, Wesen 126.
29	Hulsbosch, Schöpfung 46; konkrete spekulalive Vorstellungen entwickelt Fothergill, Evolution 351 ff.
50 Rahner, Anthropologie 185.
31	Thieucke, Ethik Abs. 1185ff.; Thielicke, Wie die Welt begann 50f.
32	Thieucke, Ethik Abs. 1235.
33	Ebd. Abs. 1257.
Weitere Stimmen: Beth, Entwicklungsgedanke, ist die Feststellung wichtig, daß man beim Menschen mit einem Sprung rechnen müsse (121, 127, 146). “Das Menschliche in seiner reinen Potenz erscheint ohne Ahnen, wie es ja auch auf der anderen Seite ohne ‘Nachkommen' zu bleiben pflegt” (148). Schaaffs, Jesus 130, halt das Wesen des Menschen durch die Deszendenztheorie für nicht erfaßbar. “Zur lebendigen Seele kommt bei ihm der Geist, der ihn turmhoch über alle anderen Seelen erhebt und darin gottahnlich macht” (ebd.). Überspitzt urteilt van Onna, Urstandsfragen 495, daß manche versuchen, “den Leib der Abstammungslehre” und “die Seele der Theologie” zuzuordnen (vgl. weiter unten Mivart).
ein gemäßigter Evolutionismus dadurch gekennzeichnet, daß “das Menschlich-Geistige und Geschichtliche dem Naturhaft-Organischen gegenüber als eigenständig erkannt wird und gleichzeitig auch die Entwicklung ... als von der Macht und dem Willen eines außerweltlich schöpferischen Prinzips nicht getrennt und unabhängig betrachtet wird”, während ein extremer Evolutionismus alle Phänomene unter Ausschließung eines höheren Prinzips erklären wolle.34 Vereinfacht ausgedrückt, ist die Annahme des bloß körperlichen Entstammens des Menschen aus dem Tierreich gemäßigter, die Erklärung des Menschen allein aus seiner stammesgeschichtlichen, tierischen Vergangenheit extremer Evolutionismus.35 Ähnlich charakterisiert Mitterer einen “weltanschaulichen Evolutionismus” als monistisch, pantheistisch, materialistisch oder atheistisch, zwischen dem ein scharfer Trennungsstrich zur “naturwissenschaftlichen Entwicklungslehre” gezogen werden könne.36 Für Hengstenberg beginnt der Evolutionismus (den er von der Evolutionstheorie unterscheidet), “wo der Konditionalzusamrnenhang zwischen früheren und späteren Formen in einen Kausalzusammenhang umgedeutet wird; so als wäre die frühere Form durch einen bloßen gesetzmäßigen Zustandswandel in die spätere höhere Form vorangetrieben worden.”37 Damit würde aus sachlicher Forschung Weltanschauung oder Ideologie. Doch handle es sich bei den Evolutionsvorgängen um echte Realzusammenhänge, die allerdings nicht nur als Kausalzusammenhänge auftreten könnten.38
“Der naturwissenschaftliche Evolutionsforscher muß, wenn er noch so viele evolutiv bedeutsame Faktoren entdeckt und vielleicht sogar einen lük-kenlosen Realzusammenhang aller Arten (eine Ausfüllung aller missing links) hergestellt hat, im Hinblick auf das betreffende Ergebnis der Evolution einen X-Faktor offenlassen. Und eben diese Offenheit des X-Faktors hindert ihn daran, die konditionale Aussage bezüglich der von ihm entdeckten evolutiven Faktoren zu überschreiten. Dieser Faktor muß von anderen Wissenschaften ausgefüllt werden."”
Andernfalls würde der Artbegriff nominali-stisch aufgelöst; es bestünden keine Wesensunterschiede zwischen den Arten. Verschiedene
Arten seien mit unterschiedlichen Gestaltungsfaktoren und psychischen Prinzipien ausgestattet, die nur durch unmittelbare totale Neuschöpfung Gottes ins Dasein kommen können.40 Dies sei besonders bei der Entstehung des Menschen zu beachten.41
Für solche Argumentationsweisen, die besonders von katholischer wie auch von philosophischer Seite42 vorgetragen werden, ist weitgehend das Postulat kennzeichnend, daß den Naturwissenschaften eine vollständige Erklärung des Menschseins und der Herkunft prinzipiell nicht gelingen könne oder daß den Naturwissenschaften in Herkunftsfragen prinzipielle Grenzen der Erforschbarkeit gesetzt seien, die jedoch durch die Offenbarung teilweise überschritten werden. Insbesondere “die Menschwerdung ist auf jeden Fall ein ursprünglicher Neuanfang, der sich nur durch einen eigenen schöpferischen Eingriff Gottes, durch die Einschaffung der Geistseele in das präorientierte lebendige Substrat ereignen konnte.”43 Nach der Einschätzung von Schmaus überschreiten die Vertreter der radikalen Form der Abstammungslehre die Grenzen ihrer Wissenschaft.44 Als Beispiel führt er an: “Wenn sie [die Naturwissenschaft] mit ihren Methoden die Bildung des Gehirns zu erhellen vermag, das dem Denken als Werkzeug dient, so ist damit noch nicht das Erwachen des Geistes erklärt.”45
34 Köppers, Entwicklung.
55 Vgl. Rahner, Hominisation.
36 Mitterer, Entwicklungslehre 128.
57 Hengstenberg, Evolutionismus 78.
18 Vgl. Hengstenberg, a. a. O.
38 Ebd. 25.
* Ebd. 193.
41	Ebd. 207.
42	Spaemann u. a., Selbstversländnis; Spaemannu. aEvolutioms-mus.
43	Feiner, Ursprung 244.
44	Schmaus, Dogmatik 330.
45	Ebd. - Von philosophischer Seile (Spaemann u. a., Selbsner-ständnis-, Spaemann u. a., Evolutionismus) wird hervorgehoben, daß bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften, die zum Menschsein wesensmaßig gehören, nicht von tieferen Evolutionsstufen naturgesetzlich ableitbar seien; die Evolutionslehre erlaube keine “Rekonstruktion von Negativität" (Spaemann, Sein). Damit werden prinzipielle Erklärungsgrenzen des
Der Mensch als besonderes Schöpfungswerk
Hier wird deutlich, daß die den Menschen direkt betreffenden Aspekte der Evolutionslehre besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Viele Autoren, vor allem auf katholischer Seite, widmen sich besonders der Problematik der evoluti-ven Entstehung von Seele, Geist, Moral, Freiheit, Verantwortung, Religion usw. Alle diese Kennzeichen des Menschen wären Illusion, könnten sie aus primitiven Vorstufen kausal restlos abgeleitet werden (vgl. Abschnitt 2.6). Will man dennoch das Raster der Evolution beibehalten, muß man zu besonderen Konstruktionen greifen.46
Eine evolutive Ableitung des menschlichen Geistes aus materiellen Bedingungen wird nicht nur mit theologischen, sondern auch philosophischen Argumenten abgelehnt.47 Wenn aber auf der anderen Seite eine materielle Evolution des Menschenleibes akzeptiert wird, ergibt sich die Frage, wie die materielle Evolution sich zum Auftreten des Geistes verhält. Der Körper des Menschen hätte dann eine andere Herkunft als sein Geist.4*
Zur Problematik des Verhältnisses von Leib und Seele in der postulierten Evolution wurden verschiedene Lösungen entwickelt. Schon früh vertrat der englische Zoologe Mivart (1871) die Vorstellung, daß der menschliche Körper auf evolutivem Wege entstanden sei, dem dann zu einer bestimmten Stunde Geist und Seele eingeschaffen worden seien.49 Diese Sichtweise wurde als Mivartismus bekannt;50 sie erlangte eine beachtliche Resonanz und fand in der päpstlichen Enzyklika Humani generis (1950) Unterstützung.51
Flick und Alszeghy unterscheiden “gewöhnliche”, “evolutive” und “schöpferische” Mitwirkung.52 Die “gewöhnliche Mitwirkung” geschehe beim Hervorbringen von Nachkommenschaft; eine “evolutive Mitwirkung” sei dann gegeben, wenn Gott die erzeugende Aktivität eines Organismus dazu befähigt, zur Höherentwicklung zu tendieren, “schöpferische Mitwirkung” drücke sich in dem Entstehen von unherleitbar Neuem aus.
Nach der Vorstellung von Haas53 hat Gott die Geistseele der präorientierten Materie (Formulierung von Kalin) eingeschaffen. “So kommt dem Geiste eine gewisse Eigenständigkeit zu. Er ist jedoch, wenngleich er transzendenten Ursprung hat, sobald er in der Materie wirkt, damit die Materie Leib wird, auf das engste mit der Materie verbunden.”54 Darüber hinaus müsse man vielleicht noch annehmen, “daß Gott auch auf diesen vorgebildeten Tierleib noch einen schöpferisch-bildenden Einfluß ausübte, um ihn gerade zum Leib des Menschen zu gestalten.” Dies wird auch von Schmaus aufgegriffen. Es bestehe keine kontinuierlich verlaufende Entwicklungslinie vom Niederen zum Höheren. Es gebe vielmehr zahlreiche Diskontinuitäten, Entwicklungssprünge.
“Jene Diskontinuität, welche zwischen dem Tiere und dem Menschen besteht, die der Naturforscher nur feststellen und beschreiben kann, erklärt der Theologe durch das Auftreten eines neuen Prinzips, eben des Geistes, welcher nicht aus der Schöpfung unmittelbar hervorgekommen ist, sondern auf
evolutiven Leitparadigmas behauptet und die Universalität des Evolutionsprinzips in Frage gestellt (vgl. Spaemann, Einführung 4). Mit der Beibehaltung der Evolution als historischem Ablauf werden die in Kapitel 4 behandelten theologischen Probleme jedoch großenteils nicht entschärft.
46	Dorpinghaus, Darwins Theorie 147, vermerkt, daß bis zur Jahrhundertwende von allen katholischen Autoren die Möglichkeit einer Einbeziehung von Seele und Geist in den Abstammungsprozeß zum Menschen hin kategorisch ausgeschlossen wird.
47	Spaemann & Löw, Wozu; Löw, Evolution; Low, Darwinismus, u. a. Low kritisiert den Fulgurationismus (Darwinismus 72f.) und den materiellen Evolutionismus (73-75) und konstatiert ein Trilemma zwischen Reduktionismus, Präformationismus und Creationismus, vgl. die Ausführungen in Abschnitt 2.6.
48	Entsprechendes gilt auch in der Frage nach der Herkunft von Neuem im sonstigen Organismenreich. Wenn Neues in der Evolution nicht aus weltimmanenten Bedingungen ableitbar ist, hat es eine andere Quelle, und es fragt sich, wie diese beiden Quellen “interagieren”.
49	Dorpinghaus, a. a. O. 150f.
50	Brinktrine, Abstammungslehre 317.
51	Über die Person Mivarts gibt Davidheiser, Evolution 83 -88, einige interessante Informationen; mit dem Mivartismus beschäftigt sich beispielsweise Schmitt, Katholizismus 67ff. ausführlich. Exegetische Betrachtungen lassen ihn zum Schluß kommen, daß die MivARTsehe Sicht “nicht mit Sicherheit von der Bibel unmöglich gemacht" wird (85).
52	Nach Weissmahr, Gottes Wirken 33.
53	A. Haas, Menschenbild 365.
54	Ebd.
einen unmittelbaren schöpferischen Akt Gottes zurückgeführt werden muß. Der Geist ist dabei nicht in den Leib wie ein fertiges Haus eingezogen, sondern hat als Seele an dem Aufbau und der Gestaltung des Leibes tätig mitgewirkt.””
Haas spricht hier von “Gestaltungsfaktoren”, die mit den materiellen Substraten interagieren, aus diesen jedoch nicht abzuleiten seien.
“Die Erzeugung eines neuartigen Gestaltungsfaktors und seine substantielle Vereinigung mit einem vorliegenden materiellen Substrat kommt einer Neu-Schöpfung gleich. So erklärt es sich auch, daß alle . . . mit ‘natürlichen’ Ursachen arbeitenden Lösungsversuche dem Evolutionsproblem nicht gerecht werden können.”56
Die eigentliche Neuentstehung einer echten biologischen Art entziehe sich aber der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, weil sie nicht durch ‘natürliche’ Ursachen vor sich gegangen sei. Daher habe der Versuch einer naturwissenschaftlichen Aufhellung der Artentstehung zu keinem Ergebnis geführt.57 Haas erachtet also die naturwissenschaftlich faßbaren Evolutionsfaktoren als unzureichend, um den Evolutionsprozeß zu ermöglichen. “Mutation und Selektion spielen in der Entwicklung eine wichtige Rolle; aber gerade das, was uns eigentlich interessiert, nämlich die komplizierte Zusammenordnung unzähliger Teile eines sinnvoll funktionierenden Organs, erklären sie uns nicht.”58
Ähnlich äußert sich ca. 20 Jahre später II-ues.59 Für ihn reichen die bekannten Evolutionsfaktoren ebenfalls nicht aus, um Höherentwicklung zu erklären; die Evolution müsse aufgrund anderer Kräfte vorangeschritten sein, um die wesentlichen Stufen erklimmen zu können. Offenbar geht er davon aus, daß die Erklärung “von unten” (d. h. durch die empirisch faßbaren Mechanismen und Faktoren) prinzipiell nicht möglich sei, denn er unterscheidet eine zoologische Abstammung des Menschen von affenartigen Organismen von der Herkunft des “menschlichen Wesens”.60 Letztere sei nur durch einen schöpferischen Eingriff, durch ein göttliches “Es werde!” zu erklären. Illies spricht von einer “Verschränkung von Aszendenz und Deszendenz”. Mit Aszendenz ist die leibliche evolutive Herkunft gemeint, mit Deszendenz das Herabkommen direkt von Gott.61 Diese beiden Ereig-
nisse würden zu der einen Wahrheit der kosmischen Evolution zusammenfallen.62 Sie seien komplementär zueinander.63 Die Tatsache, daß dies letztlich nicht rational verstehbar sei, nimmt er mit Blick auf den unanschaulichen Teilchen-Welle-Dualismus bewußt in Kauf; auch diesen Dualismus könne man nicht verstehen, dennoch entspreche er der Realität.64 Illies versteht - in seiner Konzeption folgerichtig - den Menschen nicht als Ziel der Evolution, das von Anfang an angestrebt war.65 Für ihn gibt es also “zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Evolution”.66 Die eine führe in biologisch nicht näher faßbarer Weise in die Höhe neuer Typen, die andere verursache auf biologisch erkennbarem Weg Variationen der Typen.
Lenoir versucht, das Konzept der natürlichen Auslese “in ein weitergefaßtes Konzept von Teleologie” zu integrieren:67 “Eine Biowissenschaft, die zweckvolle Organisation als Erklärungsmodell prinzipiell zurückweist, ist unverträglich mit dem Christentum.”68 “Denn wenn dieser Anspruch -keine Teleologie in der Biologie - wirklich eingelöst werden könnte, dann scheint mir die einzige christliche Stellungnahme zur Evolution die der amerikanischen Fundamentalisten zu sein und das heißt: Spezialkreationismus auf der Basis einer wörtlichen Genesisinterpretation.”69
55	Schmaus, Weltbild 37.
56	J. Haas, Biologie 152; Hervorhebung im Original.
57	Ebd. 158.
58	A Haas, Entwicklungsgedanke 77.
59	Illies, Schöpfung 48.
60	Illies, Jahrhundertirrtum 88; Illies, Schöpfung 79, 89,94.
61	Illies, Jahrhundertirrtum 88.
62	Ebd. 89.
83 Illies, Schöpfung 92.
64	Es soll hier bereits angemerkt werden, daß dieser Vergleich unbrauchbar ist. Denn bei der Evolution handell es sich um einen historischen Prozeß; dies ist eine ganz andere Silualion alseine gegenwärtige Realität wie im Falle des Teilchen-Welle-Dualismus. Hier gibt es kein tertium comparationis.
65	Illies, Schöpfung 95.
“ Ebd. 72.
67	Lenoir, Antworten 131.
68	Ebd. 138.
w Ebd. 139f.
Evolutionstheorie und Evolutionismus
Autoren, die die wissenschaftlich faßbaren Evolutionsmechanismen als unzureichend für die Erklärung der Evolution, insbesondere des Menschen, ansehen und mit besonderen Wirkungen Gottes rechnen, treffen oft eine Unterscheidung zwischen einer “naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie” und einem Evolutionismus, der mit einem Anspruch auf Allerklärung auftritt. Oft wird in diesem Sinne “gemäßigter” und “extremer Evolutionismus”70 bzw. eine radikale Form des Evolutionismus unterschieden.71 Durch diese Unterscheidung versuchen die genannten Autoren, die Spannungen zwischen der Evolutionslehre und dem biblischen Schöpfungszeugnis zu entschärfen oder ganz aufzuheben. “Schöpfung” und “Evolution” seien in einem ent-ideologisierten Sinne vereinbar.72 Dahinter steht die Auffassung, eine von weltanschaulichem Ballast gereinigte Evolutionsanschauung ohne Schaden für die biblischen Offenbarungsinhalte gelten lassen zu können,73 aber auch die Erkenntnis, daß eine “rein naturwissenschaftliche” Evolutionstheorie die Tendenz impliziert, eine Erklärung des Ganzen der Wirklichkeit leisten zu wollen. “Das Bemühen vieler Autoren, alle Realität auf Evolution zurückführen, einschließlich Erkenntnisfähigkeit, Ethos und Religion, ist offenkundig.”74 Dies geht einer Reihe von Autoren zu weit und sie bemühen sich daher, weltanschauliche Auswüchse vom tatsächlichen Erklärungsvermögen der Evolutionslehre auszugrenzen.
Beibehaltung der Geschichtlichkeit Adams und des Urstands
Weiter wird von manchen Vertretern gemäßigter Positionen betont, daß evolutionstheoretische Inhalte biblische Wahrheiten nicht tangieren: “Auch das evolutionistische Weltbild widerspricht der Offenbarungsaussage nicht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort dieser Erde sich durch eine freie Setzung Gottes das Wunder der Menschwerdung ereignete, das Gn 2,7 in bildhaft-anschaulicher Weise
darstellt.”75 Die Entwicklungslehre zwinge, so Feiner, keineswegs zur Preisgabe der Geschichtlichkeit Adams und des Urstandes. Man ist folglich zu zeigen bemüht, daß sich die beiden zunächst gegensätzlich erscheinenden Quellen, das biblische Zeugnis und die Evolutionslehre, in den für die Glaubenslehre entscheidenden Punkten doch nicht wechselseitig ausschließen. So hält Feiner es für möglich, daß der erste Mensch biologisch gesehen primitiv war (Zugeständnis an die Evolutionslehre), doch war er “auf jeden Fall Person und damit das Subjekt, das Gott zum Partner seines Bundes machen” konnte (Bindung an die Offenbarung).76 Feiner möchte auch den privilegierten Urständ der Stammeltern durchhalten und meint, dieser sei “jenseits des mit natürlichen Erkenntnismitteln erforschbaren Geschichtsraumes”, obwohl er “echte Geschichte” sei.77
Zusammenfassend kann man die Merkmale gemäßigter Evolutionsanschauungen wie folgt auflisten (wobei die verschiedenen Autoren erhebliche Unterschiede aufweisen, wie aus den vorstehenden Zitaten zu entnehmen ist):
-	Die Evolution als Ablauf wird nicht problematisiert, sondern nur die Mechanismenfrage.
-	Die Entstehung von Neuem kann nicht alleine “von unten” erklärt werden; die empirisch faßbaren Evolutionsfaktoren sind (prinzipiell) unzureichend.78
-	Gott steht lenkend hinter dem Evolutionsprozeß.
70 Köppers, Entwicklung 1956.
7' Z. B. Schmaus, Dogmatik 330.
72	Moltmann, Schöpfung 203.
73	Vgl. auch Berry, Adam 26f.
77 Ratzinoer, in Spaemann u. a., Evolutionismus VII; vgl. Kull, Evolution des Menschen. Hier liegt also eine Ausweitung des seit der Aufklärung sich durchsetzenden evolutionären Erklärungsprinzips vor.
75 Feiner, Ursprung 244.
74	Ebd. 260.
77	Ebd. 262. Diese Sicht wird bis heute mindestens von einem größeren Teil der katholischen Theologen beibehalten und findet sich in entsprechenden Unterrichtsmaterialien (z. B. Andresu. a., Glauben).
78	J. Haas, Biologie 178f., spricht von “unübersteigbaren Hindernissen und Grenzen".
—	Bei der Menschwerdung wird ein besonderes Handeln Gottes postuliert, das sein sonstiges Wirken in der Evolution übersteigt.79
Einige Autoren nehmen außerdem an,
—	daß im Laufe der Evolution ein erstes Menschenpaar herausgehoben werden kann,
-	daß es einen von der heutigen Situation verschiedenen Urständ gegeben hat,
-	daß die Entstehung Evas in nicht-evolutionärer Weise von der Existenz Adams abhängt.80
Nicht alle Autoren, die eine Synthese zwischen der Evolutionslehre und dem biblischen Schöpfungsglauben vertreten, ziehen die Grenze zwischen gemäßigtem und extremem Evolutionismus an derselben Stelle. Was der eine Autor für gemäßigt hält, mag ein anderer schon als extrem ansehen. Beispielsweise zieht Altner die Grenze naturwissenschaftlicher Aussagemöglichkeiten wesentlich weiter und erhebt erst dann Einspruch gegen eine weltanschauliche Überhöhung der Evolutionslehre (extremer Evolutionismus), wo z. B. einer Vorherbestimmtheit des Evolu-lionsgeschehens das Wort geredet wird, wenn also aus dem Evolutionsgeschehen ein deterministisches Weltbild abgeleitet wird.81
Um eine möglichst eindeutige Bezugsgröße für die Würdigung und Kritik verschiedener Positionen zu gewinnen, müssen für die folgenden Ausführungen Abgrenzungen vorgenommen werden — nicht um Positionen einzuordnen, sondern um die Kritik praktikabel zu gestalten. Im folgenden sollen nun zu “gemäßigten Evolutionstheoretikern” diejenigen Autoren gehören, welche die ersten drei der o. g. Positionen vertreten. Eine klare Trennung und Einordenbarkeit ist oft kaum möglich. Das muß im Einzelfall bedacht werden.
3.Z2 Bewertung und Kritik
Die Auffassung, Evolution mit Sondereingriffen Gottes zu ergänzen, ist ein dogmatisch motivierter Einspruch gegen einen Evolutionismus, der alles erklären will. Das machen die Zitate aus dem vorigen Abschnitt, besonders im Hinblick auf die Sonderstellung des Menschen, hinläng-
lich deutlich. Die genannten Autoren weisen aus dogmatischen Gründen den Anspruch der Evolutionslehre zurück. Sie widersprechen dabei an unterschiedlichen Stellen Behauptungen von Evolutionstheoretikern explizit oder implizit. Deissler beispielsweise erhebt folgenden Einspruch: “Nur wenn die Aszendenztheorie in einer Weise formuliert würde, welche die Sonderrelation des Menschen zu Gott ausschlösse, müßte er [der Theologe] im Namen der biblischen Schöpfungsbotschaft widersprechen.”82 Dies ist insofern eine typische Bemerkung, als sie erkennen läßt, daß aus dogmatisch geleitetem Interesse, nicht aber mit naturwissenschaftlichen Argumenten Ansprüche und Inhalte der Evolutionslehre eingeschränkt werden. Steht die Sonderstellung des Menschen auf dem Spiel, besteht Motivation, Inhalte der Evolutionslehre zu hinterfragen. Die Evolutionslehre wird hier nicht unbesehen akzeptiert.83
79	In seiner Arbeit Uber die frühe Auseinandersetzung um den Darwinismus im angelsächsischen Bereich stellt Moore, Controversies 218, neben der Frage der Inspiration der Heiligen Schrift die Auseinandersetzung um die Sonderstellung des Menschen heraus.
80	Schmaus, Dogmatik 330, nennt drei kennzeichnende Momente: Der gemäßigte Evolutionismus führe den Entwicklungsvorgang auf den schöpferischen Willen Gottes zurück, der menschliche Geist sei nicht durch Evolution entstanden und alle Menschen stammten von einem Paar ab.
Morant, Anfänge 145ff., sieht keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen dem biblischen Schöpfungsbericht und der Entwicklungslehre; ersterer mache aber Einschränkungen: Die menschliche Seele könne nicht durch Transformismus, sondern nur durch Neuschöpfung entstanden sein; Eva verdanke ihre Entstehung in irgendeiner Weise dem Stammvater Adam, und das Geistesleben der Stammeltern mache es notwendig, daß sie seelisch und körperlich so geformt und über das Tier erhoben gewesen seien, daß sie nicht auf der untersten Stufe des Menschseins standen.
81	Altner, Grammatik Kap. 5. In diesem Sinne schreibt Daecke, Naturwissenschaft 244f.: “Der Christ kann - eine etwas andere Deutung der Aussage vorausgesetzt — sogar Monod zustimmen, wenn dieser feststellt: ‘Der reine Zufall, nichtsals der Zufall, die absolute blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution.' Aber Monods bekannt gewordene Satze wie die, daß der Mensch seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat... folgen keineswegs aus Monods biologischen Erkenntnissen und Ausführungen, sind vielmehr ideologische Grenzüberschreitungen."
82	Deissler, Weltbild 30.
83	Unmittelbar davor sagt Deissler andererseits: “Der Bibeltheologe überschreitet seine Grenzen, wenn er in fremde Zuständigkeiten eingreift.” Wo sind aber die Grenzen der
Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Evolution kann eine Sonderstellung des Menschen nämlich nicht leicht begründet werden. Denn es liegt im Gefälle der evolutionären Denkweise, alle Aspekte der Wirklichkeit nach diesem Denkraster zu deuten. Gegen die Allgemeinheit dieses Deutungsmusters wird Einspruch erhoben, indem bei bestimmten Phasen der Evolution, insbesondere bei der Menschwerdung, naturwissenschaftlich nicht faßbare Wirkungen postuliert werden. Dadurch soll die aus dogmatischen Gründen zu bestimmende Sonderstellung des Menschen auch im Fluß der Evolution aufrechterhalten werden.84 Auf diese Weise sollen auch im evolutionären Kontext traditionelle Glaubensinhalte beibehalten werden.
Die somit zu postulierende Diskontinuität bei der Entwicklung des Menschen (oder auch bei der Entstehung neuer Organisationstypen) im evolutionären Gesamtgeschehen muß jedoch aus einer Reihe von Gründen hinterfragt und kriti-■siert werden. Dies soll im folgenden geschehen.
fl. Durchbrechung des Evolutionsprinzips
Wenn man sich wie Brunner gegen einen mechanischen Kausalismus in der Evolutionslehre wendet, so erscheint dies in bezug auf die Fundamentalprinzipien der Evolutionslehre widersprüchlich. Wie in Kapitel 2 gezeigt, gehört es zum Programm der Evolutionstheoretiker, eine vollständige kausale Erklärung aller Lebensphänomene zu geben. Dem Einwand, dies habe man nicht erreicht, halten Evolutionstheoretiker entgegen, daß es in Zukunft noch gelingen werde. Es käme an dieser Stelle darauf an, den Nachweiszu erbringen, daß es prinzipiell nicht möglich ist, “von unten” zu erklären. Dafür gibt es zweifellos beachtliche Bemühungen.85 Es genügt hier die Feststellung,daßein prinzipieller Abweisder naturwissenschaftlichen Bemühungen, die entscheidenden Veränderungen im Laufe der Evolution erklären zu können, die Evolutionsforschung schlechthin in Frage stellt. Denn es wäre sonderbar, wenn ausgerechnet die wesentlichen Schritte im Evolutionsprozeß auf Faktoren zurückgeführt werden müßten, die auf Wirkungen
jenseits des empirisch Faßbaren beruhen, also der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode unzugänglich sind. Gerade an den entscheidenden Stellen würde das Evolutionsprinzip durchbrochen. Aus evolutionstheoretischer Sicht gibt es dazu keine Veranlassung.86 Von Evolution könnte man dann nicht mehr in bezug auf das Entstehen von Neuem sprechen, sondern nur in bezug auf das Ausprägen des Vorhandenen auf jeweils anderweitig erreichten Evolutionsstufen. Das entspräche zwar dem Wortsinn von “Evolution”,87 aber nicht dem Anspruch und Inhalt der Evolutionslehre.
Scheffczyk behauptet einerseits Gottes Beteiligung an der Entstehung von evolutionär Neuem, andererseits soll dadurch der evolutionäre Prozeß nicht gestört werden:
“Insofern bei dieser Evolution aber neue Ganzheiten, neue Gestalten, neue Vollkommenheiten und insgesamt neues Sein entstehen, muß Gott daran beteiligt gedacht werden. Es wird aber nun deutlich, daß Gott hier etwas wesentlich anderes tut, als was die Geschöpfe leisten___Die Geschöpfe prä-
parieren gleichsam durch die Evolution und in ihr das Material für etwas Neues: Daß dieses Neue aber Sein gewinnt, das ist ein göttlicher Akt. Dieser Akt stört die Wirklichkeit und das evolutive Geschehen in der Schöpfung in keiner Weise.”88
Dieses Tun sei kein Eingriff in die irdische Ordnung.89 Sertillanges postuliert einen deutlichen metaphysischen Einschnitt trotz phänomenaler Kontinuität.90 Das Erscheinen der Seele
Zuständigkeiten? Die Antwort hängt offenbar von der dogmatischen Position ab. Die Akzeptanz der biologischen Evolutionstheorie hat Folgen für die Möglichkeit der Bestimmung der Sonderrelation des Menschen zu Gott. Also muß das Aussagespektrum der Evolutionstheorie beschnitten werden, wenn man bestimmte theologische Aussagen aufrechterhalten will.
M Über die dogmatischen Gründe im einzelnen handelt Kapitel 4.
85 Beck, Universalität; Spaemann & Low, Wozu; Low, Evolution', Locker, Evolution, u. a. Darauf soll hier nicht eingegangen werden; dies erforderte eine gesonderte Untersuchung.
88 Vgl. Davidheiser, Evolution 174.
87	“Herauswälzung"; Ausprägung von Vorhandenem, ln diesem Sinne wird “Evolution” in der Grundtypenbiologie als Spezialisierung der geschaffenen Arten interpretiert, vgl. Abschnitt 5.5.1.
88	Scheffczyk, Schöpfungswahrheit 325f. w Ebd. 330.
* Zit. nach Weissmahr, Gottes Wirken.
unterbreche keineswegs das Gewebe der physi-ko-biologischen Phänomene. Es handle sich um ein Entstehen in der Materie selbst, obwohl es nicht kraft der Materie allein geschieht. Unklar bleibt jedoch, inwiefern biologische Kontinuität mit metaphysischer Diskontinuität verbunden sein kann.
b.	Leib, Seele und Geist können nicht getrennt werden
Die seelisch-geistigen und körperlichen Aspekte des Menschen können nicht strikt voneinander geschieden werden.91 Körper, Seele und Geist bilden eine Einheit; Wohltaten oder Verletzungen des Körpers betreffen auch Seele und Geist und umgekehrt. Rahner bemerkt hierzu, daß wenn die Seele “forma corporis” ist, dann ist eine Aussage über Gottes unmittelbares Erschaffen der menschlichen Geistseele zugleich auch eine Aussage über das leibliche Erscheinungsbild.92 Eine nur leibliche evolutive Abstammung sei nicht denkbar, weil “Leib” die organisierte Form des Körpers sei, die ohne belebende Seele gar nicht zu denken sei, hebt Ternus hervor.
“Seele und Leib sind ja nicht getrennte Daseinssubjekte, die nur äußerlich beisammen und nur äußerlich verbunden sind - wie Schiffer und Kahn, Reiter und Pferd, Bewohner und Haus . . . Seele und Leib sind ein organisches Naturganzes, für dessen Konstitution die innere Natureinheit primär, die konstitutive Zweiheit der Aufbauprinzipien sekundär ist_””
Ebenso kritisiert Ratzinger an dieser Aufteilung von Körper und Geist, daß der Geist das Gestaltgebende auch des Leibes sei, so daß der Mensch nur Geist als Leib und Leib als und in Geist sei.94
Aufgrund dieses Zusammenhangs von Leib, Seele und Geist ist es abwegig, eine körperliche Evolution abgesehen vom seelischen Aspekt der Organismen verstehen zu wollen - es sei denn, man vertritt einen materiellen Monismus, für den das Seelische Nebenprodukt des Körperlichen ist. Doch das steht in Konzepten einer theistischen Evolution nicht zur Debatte.
Die Unterscheidung zwischen körperlicher Evolution und dem Erwerb von Geist und Seele
ist also nicht möglich, da Geist und Seele nicht unverbunden neben dem Leib existieren — mehr noch: im Abschnitt über das Leib-Seele-Pro-blem (Abschnitt 2.3) wurden Argumente zusammengestellt, die die Vorstellung nahelegen, daß der materielle Aspekt des Menschseins und allen Lebens nicht ausreicht, um Lebensäußerungen zu verstehen. Das Materielle steht im “Dienst” immaterieller Instanzen (in Abschnitt 2.3 “Seele” genannt; vgl. dazu auch Abschnitt 5.5.2 und die dort zum Begriff “Seele” in diesem Zusammenhang angeführten Bemerkungen).
Die Nicht-Trennbarkeit (wohl Unterscheidbarkeit) von Leib, Seele und Geist kommt in zahlreichen biblischen Texten zum Ausdruck, in denen die verschiedenen Aspekte des Menschseins zur Sprache kommen. Leibliches und Seelisches wird oft geradezu synonym gebraucht. Die Trennung von Geist-Seele und Leib ist platonisch, nicht biblisch. “Das animalische Leben gehört für das Alte Testament immer untrennbar mit dem sittlich-geistigen Leben zusammen.”95
Lösungsversuche
Trotz dieser Verbundenheit von Seele und Leib versuchen manche Autoren, beide Aspekte in einer Evolutionsgeschichte unabhängig zu betrachten. Schmaus versteht den Geist zwar als gestaltendes Prinzip des Organismus; es sei daher nicht möglich, daß der Geist in den Körper einzieht wie ein Bewohner in sein Haus.96 Die Materie sei aber dem Geist verwandt. Daher könne der tierische Organismus vom Geist ergriffen werden, womit dieser Organismus menschlichen Leibcharakter gewinne. Dies geschehe jedoch nicht augenblicklich, sondern in einem langsam voranschreitenden Prozeß.97 “Man kann sagen, daß das als Mensch anzusprechende Wesen innerhalb des Evolutionsprozesses trotz seiner on-
91	Vgl. Rahner, Vorwort zu Overhage, Erscheinungsbild, Rahner, Anthropologie 191; Auer & Ratzinger, Dogmatik 214.
92	Rahner , Hominisation 198f.
93	Ternus, Abstammungsfrage 37f.
99 Ratzinger, Schöpfungsglaube 231.
95	Steinbüchel, Abstammung 139.
96	Schmaus, Glaube 205.
97	Ebd.
tologischen Verschiedenheit vom Tier lange Zeit hindurch phänomenal nicht von ihm verschieden zu sein brauchte und daher gewissermaßen anonym lebte.”98 Auch Rahner hält es für möglich, daß die durch die Seele gestaltete menschliche Leiblichkeit naturwissenschaftlich gar nicht eindeutig von der tierischen unterscheidbar sein müsse.99 Er will sich hier allerdings offenbar nicht festlegen.'00 Er verweist darauf, daß dieselben Wesen leiblich sich sehr unterschiedlich ausprägen können, wie das Beispiel Raupe - Puppe -Schmetterling zeige. Diese Situation soll die Möglichkeit offenhalten, daß umgekehrt unterschiedliche Seelen nicht notwendig mit unterschiedlicher Leiblichkeit korrespondieren müssen.
Obwohl also der Mensch sich wesentlich vom Tier unterscheidet, muß nach diesen Auffassungen (Rahner, Schmaus) der Unterschied sich nicht notwendig körperlich niedergeschlagen haben. Er müsse nicht notwendig empirisch faßbare Begleitphänomene aufweisen. Einerseits wird also eine Diskontinuität zwischen Tier und Mensch gesehen, andererseits soll die Kontinuität des Evolutionsprozesses nicht durchbrochen werden.
Der Versuch jedoch, die souveräne “Einwirkung Gottes” bei der Menschwerdung und zugleich das Entwicklungsprinzip festzuhalten, scheint nicht durchführbar zu sein, wie in den nachfolgenden Zitaten deutlich wird:
“Sie [die evolutive Welt] ist vielmehr von vornherein so angelegt, daß derartig Neues [wie der Geist) in ihr gebildet werden kann, ohne daß sie in ihrem Wesen oder ihrer Eigengesetzlichkeit entfremdet wird. Sie ist geradezu für die Entstehung dieses Neuen bestimmt. . . . Würde das Neue, in dem Augenblick, in welchem sein Aultreten fällig wird, ausbleiben, würde die Welt ein Torso bleiben.”101
“Das ganze Entwicklungsgeschehen bis zu der Stunde, in der die Geistseele entsteht, ist von Gottes Wirksamkeit getragen, ja gewirkt.”102 “Die göttliche Mitwirkung wächst in der Stunde, da die Seele entstehen soll, zu besonderer Intensität heran.”103 Die in den angeführten Zitaten geäußerten Überlegungen sind sehr unkonkret und vage. Dies scheint Ausdruck einer grundsätzlichen Schwierigkeit theistisch-evolutionärer
Konzepte zu sein: die “Zwickmühle” nämlich, vor dem Hintergrund eines naturgesetzlich zu verstehenden Evolutionsprozesses Gottes Souveränität in seinem Handeln begreiflich zu machen (vgl. Abschnitt 4.7.1). Was soll konkret heißen, daß die Welt ein Torso bliebe, wenn das Neue zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht aufträte. Inwiefern wäre die Evolution anders verlaufen? Was oder wie wirkt Gott bei der Entstehung des Neuen?
c.	Eingriffe in die Evolution sind ein Nachbessem
Teilhard de Chardin lehnt die Vorstellung von einem Eingreifen Gottes in die Evolution ab, weil Gottes Wirken eben gerade in diesem Prozeß seinen Ausdruck finde. Wenn Evolution die Methode der Schöpfung ist, sollte man erwarten, daß sie zum Ziel führt und nicht an den entscheidenden Stellen Nachhilfe benötigt. Wenn Gott durch Evolution schafft, ist ein Nachbessern ein Zeugnis von Flickschusterei. Solche Eingriffe würden die Unzulänglichkeiten der sonstigen evolutiven Schöpfungsmethode nachträglich korrigieren.164 Damit ist die zentrale Problematik solcher “Eingriffs-Vorstellungen” auf den Punkt gebracht: Wenn Gott schon durch Evolution geschaffen hat, weshalb dann nicht vollkommen? War Gott, wie Parier 105 bemerkt, gezwungen, durch besondere Eingriffe auf natürlicher Ebene das zu erreichen, wozu sein Werk von Natur aus nicht fähig war?106
* Ebd. 205f.
90 Rahner, Hotmnisation 199.
109 Ebd. 200.
101	Schmaus, Glaube 208.
102	Ebd.
103	Ebd. 209.
101 Teilhard de Chardin, Zukunft 109. Vgl. dazu die Bemerkung des Biologen Baitsch (Evolutionstheorie 21): "Wir sollten nicht noch einmal mit den Theologen anfangen darüber zu streiten, wann der liebe Gott in der Evolution den Daumen an welcher Stelle reingelupft hat, daß der Gang der Evolution wcilergeschoben wurde; dies ist kein angemessener Ansatz mehr.”
105	Nach Weissmahr, Gottes Wirken 30.
106	Das besondere Eingreifen Gottes besteht nach Parier darin, daß die Erschaffung des Menschen durch ein ewiges Dekret bestimmt gewesen sei und daß der Mensch zur auserwählten
Es ergibt sich hier also die seltsame Situation, daß Gott einerseits die Welt so geschaffen habe, daß sie evolviert, daß aber an entscheidenden Stellen das Evolutionsgeschehen nicht ausreicht. Gott muß seine eigene Schöpfungsmethode also noch durch weitere Maßnahmen ergänzen.
d.	Unklarer Bezug zu den Daten der Paläanthropologie
Nur in seltenen Fällen wird von Vertretern gemäßigter Evolutionsvorstellungen nach den konkreten Bezügen zu den paläanthropologi-schen Daten gefragt.107 Welches Wesen war es, das zum Menschen wurde? Diese Frage ist in gemäßigten evolutionstheoretischen Entwürfen unabweisbar, wenn zwischen Tier und Mensch ein besonderer Einschnitt vorliegen soll. Nur wenn dieser Einschnitt wie bei Rahner und Schmaus (s. o.) empirisch nicht faßbar sein soll, kann man sich dieser Rückfrage entziehen.
Biologisch fragwürdig ist eine Trennung in menschliche und vormenschliche Evolution, wie sie vielfach in der frühen Darwinismus-Diskussion vorgenommen wurde,108 wonach die Evolution, bei menschlichen Wesen angelangt, andersartig verlief als vorher. Die subhumane Evolution wurde als dogmatisch vergleichsweise unproblematisch gewertet, und gegen sie gab es weit weniger Einspruch als gegen die Ausweitung des Evolutionsgedankens (insbesondere des Selektionsgedankens) auf den Menschen.
e.	Zusammenfassung
Die gemäßigten Evolutionsvorstellungen sind sowohl aus theologischen als auch aus biologischevolutionstheoretischen Gründen fragwürdig. Eine Trennung in leibliche und seelisch-geistige Aspekte der Evolution widerspricht der Realität der Verbundenheit und faktischen Untrennbarkeit beider Aspekte. Besondere Eingriffe Gottes in ein ohnehin von Gott initiiertes und gelenktes Evolutionsgeschehen sind theologisch unbefriedigend, weil damit die “gewöhnliche” Schaffensmethode durch Evolution sich als stückwerkhaft entpuppt. Mit “besonderen Eingriffen” ist ein Wirken gemeint, das über naturgesetzlich faßbare Phänomene hinausgeht. Biologisch-evolutionstheoretisch gesehen erscheinen gemäßigte Evolutionskonzepte als Kompromisse, durch die gerade die entscheidenden Phasen der Evolution, nämlich die Entstehung von Neuem, durch nicht-evolutionäre Wirkungen ermöglicht worden sein sollen. Weshalb sollte man dann die besonderen Schöpfungsaktivitäten zeitlich auf viele Jahrmillionen verteilen?
Angesichts dieser Mängel erscheint es folgerichtig, daß im Laufe der Zeit in der Auseinandersetzung um die Evolutionslehre die Tendenz dahin ging, konsequent evolutionstheoretisch zu denken und die Inhalte des christlichen Glaubens entsprechend anzupassen. Davon ist in den folgenden Abschnitten die Rede.
3.3	Konsequent theistisch-evolutionistische Sichtweisen
Die Vertreter einer theistischen Evolution, die die Annahme von Diskontinuitäten im Ablauf der Evolution aus den in Abschnitt 3.2.2 genannten Gründen als fragwürdig empfinden, wollen den göttlichen Aspekt der Schöpfung durch Evolution ganz aus dem empirisch zugänglichen Bereich ausscheiden.109 Da sie auf ein Wirken Gottes im Evolutionsprozeß dennoch nicht verzichten, sind ihre evolutionären Entwürfe gleichwohl theistisch. Die Kontinuität des Evolutionsprozesses wird hervorgehoben; die der empiri-
schen Erforschung zugängliche Seite der Schöpfung (= Evolution) wird als vollständig kausal
Stunde erschien (nach Weissmahr, a. a. O. 31). Doch auch diese Sicht muß kritisiert werden, diesmal mit Argumenten der Naturwissenschaft. Denn im Evolutionsprozeß sind keine richtende, steuernde Faktoren erkennbar (Abschnitt 2.4). Das muß PfeRiER aber gerade annehmen und damit doch ein zusätzliches Wirken Gottes postulieren.
107 Z. B. Dessaukr, Menschenpaar 159-161.
106 Dörpinghaus, Danvins Theorie, Holthaus, Fundamentalismus.
109 Vgl. Weissmahr, Gottes Wirken.
verstehbar angesehen. Die unmittelbare Intervention Gottes in den Evolutionsprozeß sei eine nur der metaphysischen Betrachtungsweise zugängliche Wirklichkeit.110 Das im Laufe des Evolutionsgeschehens entstehende Neue soll (auch) den geschöpflichen Ursachen zugeschrieben werden können.111 Denn die leibliche Evolution sei nicht von der psychisch-geistigen zu trennen (vgl. Abschnitt 3.2.2.2).
Nach Schmaus muß die Seele in den Entwicklungsstrom einbezogen werden.112 Wenn auch die Seele ihre Existenz — gemäß vorwiegend katholischer Auffassung - einer unmittelbaren Erschaffung Gottes verdankt, dürfe man sich das nicht als neuen Eingriff Gottes vorstellen. Das bedeutete sonst eine nachträgliche Korrektur des Geschaffenen (vgl. Abschnitt 3.2.2.3). Der Geist entstehe in der von Gott vorgesehenen Stunde und in dem von ihm vorgesehenen Organismus auf Grund des ewigen, bleibenden göttlichen Schöpfungswillens als neues Prinzip.113
“Die These vom Zusammenwirken von Gott und Schöpfung bei der Entstehung des Menschen setzt keine der von der Naturwissenschaft aufgestellten Behauptungen außer Kraft, soweit sie den biologischen Bereich betreffen. Sie fügt den Naturwissenschaften noch etwas hinzu und integriert es zu einer ganzheitlichen Erklärung.”"4
Bosshard will in seinen Vermittlungsbemühungen zwischen einer evolutionistischen und biblischen Schau der Schöpfung an einer durchgängigen Entwicklungslinie vom Urknall bis zur Selbsterkenntnis festhalten, wobei keine transzendenten oder vitalistischen Ursachen als ordnungsstiftende Faktoren erforderlich seien.115 Der Schöpfungsvorgang müsse so verstanden werden, daß besondere göttliche Eingriffe nicht notwendig seien. Der Schöpfungsakt bestehe in einer Initialbewegung, die das Dasein in seiner singulären Form und seinen Rahmenbedingungen freisetzt und damit gemäß den letzteren der Schöpfung eine Zukunft vorgibt. Diese könne als göttlicher Heilsplan ausgelegt werden.
“Dieses dauernde Schöpfungshandeln vollzieht sich vermittels innerweltlicher Ursachen, die aber, von einem transzendenten Seinsgrund gehalten, die Fähigkeit der wesensübersteigenden Selbstüberbietung besitzen. Veränderungen und Werden in einem solchen nicht-kausalistischen Kontext ber-
gen die Möglichkeit nicht-voraussagbarer Neuschöpfungen als Synergieeffekt von immanentem und transzendentem Wirken.”"6
Auch Daeckh, der Jesus Christus als Vorwegnahme des Zieles und der Vollendung der Evolution ansieht (vgl. Abschnitt 4.5), betont, daß die Selbstorganisation der Materie und die Autonomie des evolutionären Prozesses von Christen nicht zurückgewiesen zu werden brauche, sie könnten im Gegenteil uneingeschränkt akzeptiertwerden. Denn Christus sei kein innerweltlicher, kausaler oder finalistischer Faktor. Gott handle in Christus mit der Natur — in und durch die Natur.117
Rahner lehnt die Sicht ab, daß Gott als ein Faktor in die Reihe der Zweitursachen treten könnte, was der Fall wäre, wenn er unmittelbar eine Geistseele erschaffen hätte (als Eingriff).118 Er sieht die Geschichte des Lebens und der Welt insgesamt als Geschichte einer gegenseitigen Bezogenheit von Geist und Materie, wobei diese Bezogenheit selbst eine Geschichte hat.119 In dieser Geschichte erfolgen “Wesensselbsttranszendenzen”, Sprünge in wesensmäßig Neues (Materie -* Leben -» Bewußtsein -» Geist). Rahner spricht von einem Werden in Selbsttranszendenz, wobei die höheren Stufen nicht mit den alten identisch, sondern kategorial neu seien. Der ganze Prozeß sei zielgerichtet; heute greife der Mensch selbst steuernd in diesen Pro-
"° Ebd. 31.
111	Ebd.
112	Schmaus, Glaube 4. Abschnitt.
115	Ebd. 204. Für Schmaus bedeutet dies offenbar keinen Widerspruch zu der von ihm gleichfalls vertretenen Sicht, es gebe im Evolutionsprozeß Diskontinuitäten, namentlich beim Auftreten des Geistes; vgl. Abschnitt 3.2.1.
114 Schmaus, Dogmatik 348.
"s Bosshard, Evolution 121. Um nicht in einen Materialismus abzudriften, macht Bosshard jedoch einige Vorbehalte: der Materiebegriff müsse so gestaltet werden, daß ein Transzendieren der Elemente in neue Konfigurationen möglich ist; ein materialistischer Reduktionismus sei abzulehnen, indem von der Ganzheit eines Systems ausgegangen wird, und der Zufall als Gestaltungsfaktor müsse auf ein notwendiges Minimum beschrankt werden (ebd ).
116	Bosshard, a. a. O. 122; vgl. Weissmahr, Rahner, Boros u. a.
117	Daecke, Pulling an End 159.
118	Rahner, Anthropologie 191.
119	Rahner, Grundkurs.
zeß ein, die Natur komme in ihm zu sich selbst.
Nach der Auffassung Rahners wird ein wirkliches, innerweltliches Werden der Menschenseele angenommen, das von den eigenen Kräften der Materie verursacht wird, die sich aufgrund der erstursächlichen, schöpferischen Tätigkeit Gottes zu überbieten vermögen.120 Ähnlich argumentiert Boros:
“Die unendliche Ursache kann, eben weil sie transzendent und transzendental wirkt, zur Konstitution der endlichen Ursache gehören, ohne ihr inneres Moment zu werden. Dadurch ist es ihr möglich, sich aus dem geschöpflichen Werden heraushaltend, die Wirkungen der kreatürlichen Ursache so zu übersteigern, daß diese “von sich aus’ ein seinsmäßiges Mehr hervorbringt. . . Das Mehrwerden der Kreatur geschieht ‘aus sich allein’ in dem Sinne, daß es dazu keines innerweltlichen Eingreifens der außerweltlichen Ursache bedarf, sondern nur der transzendenten, erstursächlichen Begründung der eigenen Selbstüberbietung.”121
3.3.1	Zuordnung von Evolutionslehre und Glaubensaussagen in verschiedene Ebenen
Spannungen oder Widersprüchlichkeiten zwischen dem biblischen Zeugnis und Theorien aus dem Bereich der Evolutionsforschung werden oft dadurch aufzulösen versucht, daß man den Aussagen beider Bereiche verschiedene Ebenen zuweist, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben sollen. Diese Sichtweise ist unter dem bereits erwähnten Begriff “Entflechtungslösung” bekannt geworden (s. Abschnitt 1.5.2.1). Ratzin ger unterscheidet zwischen dem “Daß des Seins”, nach dem Schöpfungsglaube frage; dessen Problem sei, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts. Der Entwicklungsgedanke hingegen frage, warum gerade diese Dinge sind und nicht andere, woher sie ihre Bestimmtheit erlangt haben und wie sie mit den anderen Bildungen Zusammenhängen. Der Inhalt des Schöpfungsglaubens sei, “die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt verstehen.”122 Konflikte zwischen wissenschaftlichen Untersuchungen und den Lehrsätzen der Theologie seien undenkbar, weil sich seiner Auffassung nach beide auf voll-
ständig anderen Ebenen bewegen.123 Die Fragen “Wann”, “Wie” und “Wo” seien für das Verhältnis des Menschen zu Gott belanglos.124 Müller meint: “Es liegt uns an und für sich gar nichts daran, gerade die eine oder die andere Meinung durchzusetzen. Es kommt einzig und allein darauf an, daß über diese Dinge [naturkundliche Aspekte] ausschließlich die Naturwissenschaft zu entscheiden hat und nicht die Theologie.”125 Das Gedankenkonzept einer “kategorialen Komplementarität”'2'' erscheint als spezielle Variante der Trennung von Glauben und Wissen.
Man solle die Kreise der Naturwissenschaft nicht stören und brauche das auch nicht, da naturwissenschaftliche Aussagen und theologische Glaubensaussagen sich ohnehin nicht widersprechen können. Dabei wird fast durchgängig die Evolutionslehre dem Bereich der Naturwissenschaft zugeordnet (was nicht korrekt ist, s. Abschnitt 3.6). Das heißt also, daß die Evolutionslehre als “neutral” gegenüber Glaubensaussagen der Bibel angesehen wird. Aber nicht nur die Evolutionslehre, sondern jegliche Ursprungstheorie der Naturwissenschaften soll nach dieser Auffassung keine Beziehungen zu Fragen des Glaubens haben. Auch eine sogenannte “bibeltreue Wissenschaft”, die beispielsweise im Anschluß an das Zeugnis, Gott habe “jedes nach seiner Art” geschaffen, eine zur Evolutionslehre alternative “Schöpfungsbiologie” etablieren will (vgl. Abschnitt 5.5.1 über Grundtypenbiologie), sei allenfalls innerbiologisch interessant, theologisch jedoch irrelevant.
Stellvertretend für viele ähnlichlautende Stimmen soll Brunner etwas ausführlicher zu Wort kommen:
“Das tatsächliche, raumzeitliche Werden des
Menschen ist nicht Gegenstand der Glaubenserkenntnis, sondern der natürlichen — wissenschaft-
120	Vgl. Weissmahr, Gottes Wirken 39.
121	Boros, Evolution 239.
122	Ratzinger, Schöpfungsglaube 234; vgl. 242.
123	Gilkey, Himmel und Erde 51.
124	H. Haag, Ursprung 7.
125	A. Müller, Probleme 79.
126	Hemminger, Kreationismus\ van Till, Fourth Day; s. Abschnitt
3.1.
liehen Erfahrung. Dieses aus Erfahrung Gewußte aber wird durch die Glaubenserkenntnis in einer bestimmten Weise gedeutet. .. . Die Bibel kann keinen Anspruch darauf erheben, ein besonderes, geoffenbartes Wissen über die Werdegeschichte der Menschheit im empirischen Sinn zu vermitteln; umgekehrt kann aber die empirische Wissenschaft vom Werden der Menschen nicht das Rätsel der Personwerdung - weder der individuellen noch der generellen - lösen. Sie kann nur die einzelnen Phasen schildern, die dieser Prozeß der Menschwerdung durchläuft.”121
Die theologische Auseinandersetzung beginnt für Brunner also erst mit der Deutung dessen, was die Naturwissenschaft eruiert hat,128 quasi im Sinne zweier aufeinanderfolgender Schritte. Er versteht die Schöpfungsaussage als eine existentielle Aussage. Für den Wissenschaftler bleibe Schöpfung “ein Geheimnis Gottes, eine Glaubensaussage, auf die die Feststellung schöpferischer Entwicklung hinweist, die aber nie in ihr enthalten ist. Was der Forscher auf Grund seiner empirisch festgestellten Tatbestände selbst als schöpferische Entwicklung interpretiert, das glaubt er, betend, als Gottes Schöpfung.”129 In ähnlicher Weise urteilt er über die Problematik um den Urständ und den Sündenfall: Auch der Sündenfall sei kein Ereignis in der Werdegeschichte der Menschheit, er liege hinter oder über der Ebene der Empirie. Der Gegensatz ‘gut geschaffen - gefallen’ habe mit dem Unterschied ‘früher (in der empirischen Zeitreihe) — später’ nichts zu tun. Die Lehre vom ursprünglichen Menschsein und vom Sündenfall habe keine besondere Beziehung zur Prähistorie.130 “Schöpfung und Fall sind Geschehnisse, die in kein empirisch-historisches Bild eingezeichnet werden, also auch durch keine Veränderungen des empirischen Werdebildes betroffen werden können.'''1' Deutlicher kann die Aufteilung von Aussagen der Wissenschaft (hier der Wissenschaft, welche die Geschichte der Schöpfung rekonstruiert) und Glauben kaum ausgedrückt werden. “Die Frage nach den historischen Anfängen der Menschheit führt in eine ganz andere Dimension . . . Die Frage nach ‘den ersten Menschen’ führt uns in das unaufhellbare Dunkel der Paläontologie, von dem nur so viel klar ist, daß daraus theologisch nichts zu holen ist.”132
Dem Schreiber des Schöpfungsberichts sei
nicht wichtig, wie der Mensch wurde, sondern was er ist, nämlich Bild Gottes, meint neuerdings auch Bange.133 Dieser Autor stellt in seinem Beitrag unverbunden zwei Sichtweisen gegenüber: Auf der einen Seite die Primatenevolution von affenartigen Wesen über ein “Tier-Mensch-Übergangsfeld” (vgl. Abschnitt 2.5) zum Menschen, auf der anderen Seite das Lied des 8. Psalmes.134 Auch diese kommentarlose Gegenüberstellung soll offenbar suggerieren, daß hier zwei Sichtweisen keinen Bezug zueinander haben, Glauben und Wissen getrennten Bereichen zugehören. Die Zuordnung von Wissen und Glauben, Schöpfung und Evolution in gänzlich verschiedene Bereiche wird auch heute vielfach vertreten, vielleicht in geringfügig abgeschwächter Form.135 Ein Hinterfragen dieses disjunkten Nebeneinanders ist erst durch eine ganz andere Problematik in Gang gekommen, nämlich durch die ökologische Krise.136
Track sieht die Evolutionstheorie gleichsam als reinigendes Element des Schöpfungsglaubens an; sie habe eine “kritisch-heilsame Funktion” ausgeübt, indem sie zum ursprünglichen alttesta-mentlichen Schöpfungsverständniss zurückgeführt habe, nach dem das Schöpfer-Sein Gottes nicht mit besonderem Eingreifen verbunden werde, sondern auf das Vertrauen abziele, daß Gott in seiner Treue seiner Schöpfung Selbständigkeit und Bestand gibt.137 Die Evolutionstheorie lehre den Glauben neu bedenken, daß Notwendigkeit und Zufall Gott gleich nah und fern sind.138
Mitterer ordnet Schöpfung und Entwicklung zwei in verschiedenen Bereichen liegenden
121 Brunner, Widerspruch 391.
128 Vgl. dazu die Kritik zum Wissenschaftsverständnis der Naturwissenschaften in Abschnitt 3.6.
1M Brunner, Dogmatik 44.
150 Brunner, Widerspruch 391; Hervorhebung nicht im Original.
131	Ebd. 394; Hervorhebung nicht im Original.
132	Ebd. 102.
133	Bange, Schöpfung 39.
134	Ebd. 40.
135	Z. B. Mocek, Kreationismus 235.
134 Z. B. Moltmann, Schöpfung-, Lochmann in Burj u. a.,Dogmatik 47.
137	Track, Evolution 488f.
138	Wie tief diese Sicht der strikten Trennung von Glauben und Wissen eingewurzelt ist, illustriert das folgende Zitat von
kausalen Zusammenhängen zu. Entwicklung verbinde kausal Vorwelt und Nachwelt, liege also — bildlich gesprochen — auf der Linie des Weltgeschehens (“Weltlinie”), während Schöpfung dazu “vertikal” (“Gott-Welt-Linie”) zu sehen sei.139 Widerspruch entstünde da, wo Schöpfung und Entwicklung fälschlicherweise auf derselben Linie gesehen werden.
Für Volk ist Entwicklung “keine Konkurrenz für die Erschaffung, weil auch die Entwicklung die Grundverhältnisse nicht zu ändern vermag.140 Der Grund ist folgender:
“Erschaffung als theologische Kategorie und Entwicklung als naturwissenschaftliche Kategorie beantworten gar nicht genau dieselbe Frage. . . Entwicklung bezieht sich immer auf das Vorhandene, bedeutet die Veränderung des Vorhandenen aus immanenten Kräften. Erschaffung dagegen bezieht sich nicht auf das Vorhandene, beantwortet vielmehr präzis die erregende Frage, wie denn überhaupt wirklich ist, was nicht sein muß, was den hinreichenden Grund seiner Existenz nicht in sich selbst trägt. . . Entwicklung erklärt nicht, warum Kontingentes überhaupt ist. Im entscheidenden Punkte, im Wirklichsein überhaupt gibt es kein Werden.”141
Bibel, Naturgeschichte und Weltbild
Die Sichtweise, Glauben und Wissen seien zwei sich höchstens berührenden Kreisen zuzuordnen, ist gewöhnlich mit der Auffassung gekoppelt, daß die biblische Überlieferung nichts über Natur und Geschichte aussagen wolle. Die Heilige Schrift wolle nur klarstellen, daß Gott am Werke war und ist und daß letztlich alles auf ihn zurückgeht. Vieles sei zeitgeschichtlich bedingte Einkleidung in das antike Weltbild, von der das eigentliche Gotteswort an den Menschen abgehoben werden müsse. Das Weltbildhafte müsse daher abgelegt werden, wenn man die Texte nicht mißverstehen wolle. Darauf wird in Kapitel 5 näher einzugehen sein.
3.3.2	“Grenzüberschreitungen”
Wenn eine strikte oder sehr weitgehende Trennung von Glauben und Wissen vertreten wird, ergibt sich die Frage, wo die Grenzen zwischen
beiden Bereichen liegen und wie man solche Grenzen bestimmen kann. Beispielsweise vertritt Thielicke den Standpunkt, daß sich von
Baumann, Erbsünde 84f.: “Wahre Theologie kann durch die wachsende Kenntnis von den Schöpfungszusammenhängen weder überholt noch ins Unrecht versetzt werden. Eine wissenschaftlich kompetente Auskunft über die Herkunft des Menschen aus der Natur geben zu sollen, ist Sache der Naturwissenschaft, nicht der Theologie. Die Theologie hat dem jeweils heutigen und modernen Menschen Antwort zu geben aut seine Fragen. Wo sie der Versuchung erliegt, sich einer ihr günstigen naturwissenschaftlichen Weltformel zu verschreiben oder gar eine solche selbst zu schaffen, um althergebrachte theologische Meinungen von der Konfrontation mit der anders lautenden Weltwirklichkeit zu verschonen, da wird sie verlogen und macht Gottes Wort zum Gespött jener, die ihre Antwort suchen.” Hier ist die Rückfrage zu stellen, welche Antwort die Theologie geben kann, wenn der “moderne Mensch” die Frage nach dem Zusammenhang von theologischen Aussagen und den Daten der Wissenschaften stellt, wenn das seine Frage (s. o.) ist.
Weitere Stimmen seien noch angefügt: “Tatsächlich führt uns Wissenschaft und Glaube auf zwei verschiedenen Wegen zur Erkenntnis der Wahrheit; diese beiden Wege haben weder denselben Ausgangspunkt, noch denselben Gegenstandsbereich, noch dieselben Methoden” (Li£nart, Entwicklungslehre 84). “Wenn... zum Ausdruck gebracht wird, daß der Mensch nicht ein zufälliges Produkt der Materie ist, sondern von Gott gewollt und in jedem einzelnen erwählt und berufen ist, so ist dies eine Glaubensaussage und Wertung, die auf anderer Ebene liegt als jede naturwissenschaftliche Bestätigung oder Widerlegung” (FRrrzscHE, Dogmatik III 16). “Der biblische Bericht will keine biologischen und prähistorischen Angaben über den Urmenschen machen; er will nicht erzählen, wie der Mensch geworden ist, sondern wer er ist” (Krusche, zit. in J. Hübner, Biologie 68). Der Bibel seien Fragen wie die nach einem ersten Menschen, nach einer einmaligen Menschwerdung, nach einem historischen Sündenfall fremd (vgl. J. Hübner, a. a. O. 78f.). “Wenn uns die Frage interessiert, wie alt die Erde ist, welche physikalischen Faktoren sie hervorgebracht haben, wie groß sie ist, was ‘dort droben’ am Himmel ist usw. sollten wir uns an die Wissenschaftler wenden, nicht an den Prediger" (Gilkey, Himmel und Erde 128).
Iw Mitterer, Schöpfung 289.
140	Volk, Schöpfungsglaube 12.
141	Ebd. 12f. Er verwendet einen anderen Entwicklungsbegriff als den in der Evolutionslehre vorausgesetzten (vgl. Abschnitt 2.1). Nach der Evolutionslehre soll gerade durch innerweltliche Faktoren (durch die bekannten oder noch zu entdeckenden Evolutionsmechanismen) Neues entstehen; die Grundverhältnisse sollen dadurch sehr wohl verändert worden sein. Wenn eine Evolutionstheorie das nicht leisten kann, hat sie versagt. Man könnte dann zwar eine Evolutionsanschauung bcibehalten, müßte aber annehmen, daß die entscheidenden Schritte der Evolution (das Entstehen von Neuem) durch metaphysische Faktoren verursacht wurde (vgl. Abschnitt 3.2.2.S). Damit würde der generelle Anspruch der Evolutionstheorie aufgegeben (vgl. Abschnitt 2.6). Volks Auffassung kann im Grundtypkonzept der Schöpfungslehre positiv aufgegriffen werden, s. Abschnitt 5.5.1.
seiten der Theologie eine Überschreitung ihres Kompetenzbereiches ergebe, wenn sie behauptet, daß der Mensch “unmittelbar von Gott erschaffen worden” sei, “gemäß dem äußeren Wortlaut des biblischen Berichtes — unvermittelt aus den Schöpferhänden hervorgegangen”.142 Man sollte von ihm eine exegetische Begründung erwarten. Stattdessen fährt Thielicke fort: “Darauf wird dann die Biologie mit dem Hinweis auf die exakt erhebbaren Entwicklungsstadien und auf die Zeiträume dieser Entwicklung antworten.” Die Naturwissenschaft erscheint hier als normative Instanz, auch dann, wenn sie etwas über die Geschichte aussagt (vgl. Abschnitt 1.3).
Beispielsweise sieht Thielicke in der Bewertung des Todes eine Grenzüberschreitung der Theologie,
“wenn etwa der Satz ‘der Tod ist der Sünde Sold’ nun biologisch in dem Sinne interpretiert wird, daß der Tod eben nicht biologisch erklärbar sei, sondern ... auf die Sünde zurückgeführt werden müsse und daß er mit dem historisch verstandenen Sündenfall in die Welt gekommen sei, daß also Adam und Eva ante lapsum eine andere Physiologie gehabt hätten als wir.”143
Man muß fragen, inwiefern der Tod als der Sünde Sold verstanden werden kann, wenn er nicht — wie Thielicke sagt — Folge der Sünde ist. Der Tod, der schon seit der Existenz der ersten Vielzeller da war, kann nicht gleichzeitig sowohl Schöpfungsmittel als auch Gerichtsfolge sein (vgl. Abschnitt 4.4). Wenn der Tod schon lange vor dem Auftreten des Menschen da war, bleibt als Möglichkeit nur eine an diesen Umstand angepaßte Deutung dessen, was die Bibel mit dem “Tod” meint, der der Sünde Sold sein soll. Mindestens der körperliche Aspekt des Todes kann dann nicht mehr als Gerichtsfolge und -Zeichen gedeutet werden. Die von Thielicke vermiedene Grenzüberschreitung von der Theologie zur Biologie hin wird so zur Grenzüberschreitung von der Biologie zur Theologie hin: Indem klargestellt wird, daß der körperliche Tod generell ein biologisch notwendiges Phänomen ist, wird die Interpretation des biblischen Verständnisses des Todes kanalisiert.
3.3.3	Bewertung und Kritik
a.	Gott handelt in der Geschichte
Das Konzept einer eigengesetzlich verstehbaren Evolution läßt dem kontingenten Handeln Gottes keinen Raum. Daß Gott aber souverän handelt und nicht an “Gesetzmäßigkeiten” (man kann auch an Evolutionsgesetze denken) gebunden ist, ist der biblischen Überlieferung zweifellos wesentlich. Die biblische Überlieferung berichtet von Ereignissen, die einen Niederschlag auf der “Weltlinie” (Mitterer144) gefunden haben. Wie in Kapitel 5 noch ausführlicher dargestellt wird, ist für das biblische Zeugnis wesentlich, daß Gott in der Weltlinie konkret handelt (vgl. auch Abschnitt 4.7, wo diese Problematik ausführlicher aufgegriffen wird).
b.	Die Rolle des Schöpfers im Evolutionsgeschehen
Wenn die naturwissenschaftlich erfaßbaren Phänomene als Erklärung für die Entstehung und Geschichte des Kosmos voll ausreichen sollten (abgesehen vielleicht von einer “Initialzündung”), sind darüber hinaus gehende Überlegungen nach zusätzlichen metaphysischen Komponenten unnötig, d. h. sie können ohne Verständnisverlust ausgeblendet werden. Die “metaphysische Diskontinuität”, die hinter der phänomenologischen Kontinuität als unentbehrlich verborgen sein soll (Rahner), kann zwingend dann nur noch in die Anfangsbedingungen der Materie hineingelegt werden. Die Materie war durch das Schöpferwirken Gottes so beschaffen, daß sie gai nicht anders konnte, als zu evoivieren. Damit gelangt man aber insofern zu einer deistischen Schau, als ein Handeln Gottes nur noch am Anfang gedacht werden müßte, an dem die Materie evolutionsfähig geschaffen worden wäre.14S Für den weiteren Ablauf des (evoluti-
142	Thieucke, Ethik Abs. 1201.
143	Ebd. Abs. 1206.
144	Zum Begriff s. o.
143 Der Begriff "Deismus” wurde für die Gottesauffassung der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts geprägt, wonach
ven) Weltgeschehens wäre Gottes Wirken nicht mehr erforderlich. Es ist zu vermuten, daß die oben zitierten Autoren einen solchen Deismus zwar ablehnen, ihre Ausführungen (Schmaus, Rahner, Boros) laufen aber darauf hinaus, denn sie suggerieren, daß Gott die Materie so geschaffen habe, daß sie alleine aufgrund ihrer Eigenschaften zur Höherentwicklung oder zu “Wesensselbsttranszendenzen” (Rahner) fähig sei. Es bleibt unklar, inwiefern Gottes Handeln während des Evolutionsverlaufs noch notwendig ist, um das evolutive Entstehen von Neuem zu ermöglichen.
Diesen Einwand kann man mit der Rückfrage verdeutlichen, was mit dem Evolutionsprozeß geschehen würde, wenn die schöpferische Kraft Gottes in ihm wegfiele. Was soll das ständige Mitwirken Gottes mit der geschöpflichen Tätigkeit (Schmaus) beinhalten? Wie würde sich ein Mangel bemerkbar machen? Es bleibt nur die Möglichkeit, Gott als Garanten für den Evolutionsverlauf und -fortschritt zu verstehen, der dessen “Spielregeln” ein für alle mal festgelegt hat und in die er nicht eingreift. Ein solcher Gott wäre aber nicht Herr über die Geschichte und ihr Gestalter (vgl. a.; ausführlicher dazu Abschnitt
4.7.1).
Ebenso nur in diesem Sinne könnte das Konzept Mitterers,14* daß nur vertikal zur evolutionären “Weltlinie” Schöpfung Gottes steht, verstanden werden, wenn der Ablauf auf der Weltlinie vollständig kausal erklärt werden könnte. Das Einwirken Gottes in der vertikalen Richtung könnte wiederum nur den Erhalt der Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung bedeuten. Mitterer selbst räumt ein, daß Gott sogar unnötig wäre, falls diese Entwicklung auch ohne Schöpfung bestehen könnte und nicht selbst eine Schöpfung Gottes wäre.147 Wenn die Weltlinie aber in sich stimmig und vollständig verstanden werden kann, ist die Annahme einer vertikalen Schöpfungslinie nach der Ingangsetzung der Evolution unnötig. Andernfalls müßte man doch vermuten, daß Gott unmittelbar in der Weltlinie handelt. Mitterer stellt dazu fest: “Freilich ist mit der inneren Widerspruchslosigkeit einer Synthese von Entwicklung und Schöpfung ebensowenig ein Beweis für ihre Tatsächlichkeit erbracht.. .”14®
Diese Sicht mag auf der anderen Seite nicht widerlegbar sein, sie ist aber auch in keiner Hinsicht prüfbar. Schöpfung erscheint als Zusatz, der ohne Verlust des Verständnisses der Weltlinie auch fallengelassen werden könnte. Was soll Schöpfung dann bedeuten? Vielleicht die Präpa-rierung einer evolutionsfähigen Materie? Das liefe faktisch auf einen Deismus (im oben charakterisierten Sinne) hinaus, wenn auch die Behauptung nicht widerlegt werden könnte, daß ohne das Weiterwirken Gottes die Evolution abbrechen würde.
Man stößt hier auf ein Dilemma : Entweder ist anzunehmen, daß die Kausalitäten der Weltlinie nicht ausreichen (dann müßte man doch ein Handeln Gottes auch in der Weltlinie fordern), oder die Annahme eines Schöpfers und einer Schöpfung werden überflüssig (dann nämlich, wenn der Evolutionsprozeß auf der Weltlinie kausal voll verstehbar ist). Im ersten Fall muß man das Konzept einer eigengesetzlich-innerweltlich verstehbaren Welt aufgeben, im anderen Gottes souveräne Wirken auf den Anfang begrenzen (Deismus): Gott hätte die Weltlinie so angelegt, daß sie evolviert, und begleitet sie allenfalls in einer Weise, die die Abläufe nicht beeinflußt.
Schoonenberg versucht mit einem Vergleich, die Notwendigkeit Gottes für das Fortschreiten des Evolutionsprozesses zu begründen: Wie der Mensch seinen Körper von innen her beherrsche, so beherrsche Gott transzendent die Evolution - dennoch laufe auf den biologischen Ebenen alles gemäß physiko-biochemischer Gesetzmäßigkeiten ab.149 Doch trifft dieser
Goll ohne aktuelle Beziehungen zur Well und den Menschen existier!, vgl. Mensching, Deismus Goll wird damit zu einem transzendenten Architekten, der höchstens gelegentlich in die Wirklichkeit eingreift. Je mehr eine immanente Gesetzmäßigkeit in den Abläufen der Welt betont wurde, desto mehr wurde der Gottesbegriff von Wissenschaftlern als überflüssig empfunden (Ramsey, Deismus).
Zur Problematik des Deismus in einer konsequent-evolutiom-stischen Schau vgl. Isak, Evolution 391 ff.
MrrrERER, Schöpfung.
147	Ebd. 294
148	Ebd. 295.
IW Nach Weissmahr, Gottes Wirken 38.
Vergleich das Problem nicht. Eine vollständig kausale Erklärung des Evolutionsprozesses beinhaltet ja nicht nur die Feststellung, daß die evolutionären Prozesse abliefen, ohne die physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten zu verletzen, sondern auch die naturalistische Erklärung der Richtung oder Steuerung dieses Prozesses. Umgekehrt ist die Formbildung und Reaktions-weisö eines Lebewesens (etwa des Menschen) bei weitem noch nicht damit erklärt, daß alles gemäß verstandener physiko-chemischer Vorgänge abläuft (vgl. die Ausführungen zum Leib-Seele-Problem in Abschnitt 3.2.2). Der Vergleich mit dem Funktionieren und Agieren eines individuellen Organismus ist daher eher dazu angetan, die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode herauszustellen und diese Grenzen für den postulierten phylogenetischen Prozeß zu bedenken.
c.	Der Zusammenhang zwischen dem göttlichen Wirken und dem Evolutionsverlauf
Die konsequent theistisch-evolutionistischen Konzepte sind unkonkret und unpräzise. Sie bleiben im Theoretischen stecken. Die Frage bleibt unbearbeitet, wie sich das schöpferische Handeln im letztlich doch evolutiven Hervorbringen von Neuem äußert. Eine Auseinandersetzung mit den Fragen, inwiefern der Evolutionsprozeß Gottes schöpferisches Wirken brauche, was ohne dieses Wirken geschehen würde, und aufgrund welchem konkreten Mangel die Evolution ohne Gott abbrechen würde, erfolgt nicht. Solange dies nicht geschieht, bleibt der Sinngehalt der geschilderten Formulierungen unklar. Es fehlt eine nähere Bestimmung über die Interaktion des göttlichen Wirkens und der Evolution, die naturgesetzlich verlaufen soll; in der Formulierung Mitterers150: eine Klärung über den Zusammenhang der horizontalen und vertikalen Linie.
d.	Existentialisierung des Schöpfungsglaubens als Folge der Trennung
Die Argumentationsstrategie, die Verhältnisbestimmung zwischen Glauben und Wissen in ei-
ner vom Evolutionsdenken her diktierten Weise vorzunehmen, ist nicht immer offensichtlich. Hübner schreibt, daß auch angesichts des Kampfes ums Dasein, von dem Darwin spricht, der “glaubende Christ dennoch behaupten” wird, “daß dieser Gott, der Schöpfer des Universums, der Herr Himmels und der Erde, sich um uns kleine Menschen kümmern will, daß er sich jedes einzelnen annehmen will, ja in der Tat: daß jedes Haar auf unserm Haupt von ihm gezählt ist.”151 Für dieses “Dennoch” liefert Hübner jedoch keine Begründung.152 Er kann es offenbar nur aussprechen, weil er die beiden Feststellungen “Der Kampf ums Dasein hat alle Lebewesen hervorgebracht” und “Gott sorgt für jeden einzelnen ganz persönlich”153 unausgesprochen verschiedenen, voneinander unabhängigen Bereichen zuordnet. Hübner führt weiter aus: “Im Glauben hat der Mensch Gemeinschaft mit Gott, und allein darin ist er wahrhaft menschlich. Theologisch trägt dann die Vormenschenkunde nichts mehr aus. Sie bleibt dann eine rein naturwissenschaftliche Frage.”154 Das Menschsein des Menschen wird nicht als objektive Tatsache verstanden, sondern kann nur existentiell im Glauben erfaßt werden.
e.	Falsche Vergleiche
Die Auffassung, nach der die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie und die Theologie sich mit verschiedenen Aspekten des Menschseins und der Herkunft des Menschen befaßten, und daß beide verschiedene Geltungsbereiche hätten, die nicht miteinander vermischt werden dürften, wird gelegentlich durch Vergleiche illustriert, die m. E. unzutreffend sind. So beispielsweise durch Thielicke, der ausführlich schildert, daß man ein Kunstwerk nicht unter dem Aspekt seiner chemischen Zusammensetzung betrach-
150	s. s. 66.
151	J. Hübner, Biologie 38.
152	Ähnlich auch auf S. 39,80 und 84.
155 Jeweils sinngemäß nach dem Kontext formuliert. 154 Hübner, a. a. O.
ten dürfe,155 ebenso Hemminger, wenn er darauf verweist, daß die Aussagen “Das Auto ist schnell” und “Das Auto ist rot” sich nicht widersprechen, weil sie auf verschiedene Fragen antworten.156 Mit solchen Vergleichen soll die Komplementarität von Glauben und Wissen, speziell von Schöpfung und Evolution plausibel gemacht werden (s. o.).
Diese Vergleiche sind jedoch irreführend. Denn es ist gerade der strittige Punkt, ob es sich mit dem Genesiszeugnis der Bibel entsprechend verhält: ob das Zeugnis der Genesis über Schöpfung, Ursprung und Fall auch naturkundlich und historisch relevant ist oder nicht, ob hier verschiedene Fragerichtungen vorliegen, die nichts miteinander zu tun haben oder nicht. Wenn ja, ist der Konflikt mit der Evolutionslehre unausweichlich. Wenn nein, ist das exegetisch zu begründen und nicht stillschweigend zu unterstellen oder vorauszusetzen, wie das in den beiden genannten Fällen geschieht. Die Behauptung der Vereinbarkeit der Sätze “Die Welt ist Schöpfung” und “Es gibt Evolution”157 bedarf anderer Begründungen als die Heranziehung von Vergleichen der obigen Art. Mit solchen Vergleichen wird die vorgetragene Meinung nur illustriert, nicht jedoch begründet.158 Denn es geht ja um die Frage, was die biblische Urgeschichte (Gen 1 — 11) historisch-anthropologisch zum Ausdruck bringen will und ob das mit dem Evolutionsgedanken vereinbar ist. Ebenso ist zu begründen, daß die Bibel sich nur über das “Warum”, “Woher” und “Wohin” äußere und nicht über das “Wie” (das der Evolutionswissenschaft überlassen bleiben soll), statt es einfach zu unterstellen.159
f Die Unmöglichkeit einer Entflechtung
Soll der Glaube realitätsbezogen sein, ist eine Auseinandersetzung mit den Daten und Theorien der Natur- und Geschichtswissenschaften unumgänglich. Denn ein realitätsbezogener Glaube und die Natur- und Geschichtswissenschaften beziehen sich auf dieselbe Welt. Wenn Gottes Handeln konkrete Bezüge zum sinnlich Wahrnehmbaren hat, das auch die Natur- und Geschichtswissenschaften mit ihren spezifischen
Erkenntnisweisen untersuchen, kann es keine Entflechtung geben. Eine Entflechtung macht den Glauben realitätsfern und beschränkt ihn auf einen existentiellen Bereich (vgl. d).160
Dazu kommt die Erkenntnis der modernen Wissenschaftstheorie, daß jede Wissenschaftauf metaphysischen Postulaten beruht, ja beruhen muß. Auch aus diesem Grunde ist eine Trennung von Glauben und Wissen generell nicht möglich. Das gilt auch für den christlichen Glauben, wobei dieser - offenbarungsorientiert - weit mehr beinhaltet als einige metaphysische Postulate.
In der Praxis halten die Befürworter einer Entflechtungsthese eine strikte Scheidung von Glauben und Wissen gar nicht durch. Auch “Ent-flechter” kritisieren Behauptungen oder Ansprüche, die von scheinbar “naturwissenschaftlicher” Seite vorgetragen werden, an den Stellen, wo nach ihrer Meinung der naturwissenschaftliche Aussagebereich überzogen wird.161 Die Daten der Wissenschaften benötigen einen letztlich nur metaphysisch begründbaren Deutungsrahmen, um zu aussagekräftigen Fakten zu werden (vgl. Abschnitte 1.4 und 3.6), und dieser metaphysische Rahmen kann in Kollision mit dem bibli-
155	Thieucke, Ethik Abs. 1221 u. a.
156	Hemminger, Kreationismus 33.
157	Ebd.
m Daß der als Begründungvon Hemminger weiter herangezogene Vergleich mit der Embryonalentwicklung unsachgemäß ist, wird in Abschnitt 3.4.4 ausführlich begründet.
1W Außerdem hängen das “Wie" und das “Woher" voneinander ab. Wenn der Mensch evolutiv entstanden ist ("Wie”), dann entstammt er also auch dem Tierreich (“Woher”), und das ist nicht ohne Konsequenzen für das Wesen des Menschen; vgl Abschnitt 4.1.
160	Erst in den letzten Jahren wird auch von evolutionstheoretisch denkenden Theologen die Entflechtungsstrategie wieder hin-lerfragt, so z. B. von Moltmann, Schöpfung 200. Seiner Meinung nach bringt die Entflcchtungslehre keine Lösung der Probleme, sondern nur ihre Ausklammerung. Vgl. auch T rack, Nanmissenschaflen.
161	Beispielhaft sei hier Track, Evolution 475 zitiert: "Der christliche Schöpfungsglaube . . . muß sich nicht in naturwissenschaftliche und humanwissenschaftliche Deutungen des Menschen einmischen, solange diese in ihren Grenzen bleiben." Ein Einmischen ist also u. U. durchaus gefordert. Doch wann? Mosis, Schöpfungsaussagen 64, stellt fest, daß eine Unterscheidung von Heilsaussagen und bloßen Naturaussagen in der Bibel letztlich nicht hilfreich sei, da es Wirklichkeitsbereiche gebe, die sowohl der Theologie als auch der Naturwissenschaft zugänglich sind.
sehen Zeugnis kommen. Es geht also nicht darum, biblische Offenbarungsinhalte gegen wissenschaftliche Daten auszuspielen, sondern darum, die metaphysischen Randbedingungen für naturwissenschaftliche oder geschichtliche Theorien zu entwickeln, die sich aus den biblischen Offenbarungen ergeben.
Wer Evolution als die Methode der Schöpfungversteht, betreibt im übrigen faktisch keine Entflechtung. Als Beispiel sei Gilkey zitiert. Einerseits schreibt dieser Autor: “Die Einzigartigkeit und Transzendenz des göttlichen Schöpfungsaktes läßt uns auch genauer erkennen, warum dieser Akt nie Objekt wissenschaftlicher Untersuchung sein kann.”162 Daß Gott “aus nichts” geschaffen habe, bedeute ein Aufgeben jeder Erklärung des “Wie”.163 Dem kann man voll zustimmen, wenn Schöpfung einzigartig und damit gesetzmäßig nicht erfaßbar ist. Wenn Gilkey dann aber vom “Faktum der Evolution” überzeugt ist, Gott demnach durch Evolution geschaffen hätte, wäre sein Schöpfungshandeln doch einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich, da man mit der Evolutionslehre diesen Vorgang erklären zu können meint. Mit dem Konzept der theistischen Evolution bringt man die verschiedenen Ebenen gerade insofern zusammen, daß man sagt, so habe Gott erschaffen. Man kann der Entflechtungslösung selbst nicht treu bleiben.164
Die Forderung nach einer Vermeidung von “Grenzüberschreitungen” ist vor diesem Hintergrund unerfüllbar, da Glauben und Wissen Zusammenhängen. Auch angesichts der Behauptungen und Ansprüche vieler naturalistisch eingestellter Wissenschaftler im Bereich der Geschichtsrekonstruktion ist eine Kollision unvermeidlich. Die entscheidende Frage ist hier, welches Feld die biblische Schöpfungslehre und Geschichtskonzeption gegen unbiblische, säkulari-stische Vorstellungen behaupten und verteidigen muß (dazu Kapitel 5).
3.3.4	Ergebnis und Schlußfolgerungen
Eine strikte Trennung zwischen Inhalten des christlichen Glaubens und den Erkenntnisberei-
chen der Wissenschaften läuft auf eine Akzeptanz der Evolutionsanschauung hinaus. Denn jede Wissenschaft besitzt eine nicht empirisch begründbare metaphysische Basis. Wenn diese Basis nicht in Harmonie mit dem biblischen Zeugnis ist, weil dieses als naturgeschichtlich irrelevant eingestuft wird, dann wird sie anderweitig, durch unbiblische oder antibiblische Inhalte besetzt. Diese Inhalte werden heute durch die Evolutionsanschauung bestimmt. Die Entflechtungsstrategie ist aufgrund dieser Situation faktisch in die Rubrik des konsequenten Evolutionismus einzuordnen (die Begründung wird in Abschnitt 1.5.2.1 gegeben). Sie betrifft insofern die Fundamente des christlichen Glaubens, als sie, wie gezeigt wurde, durch diese Trennung Glaubensinhalte realitätsfern zu machen und den Glauben existentialistisch zu verengen droht.
Daran ändert sich auch nichts, wenn der Theologie eine umfassendere Erkenntnis als der (mit Evolutionismus gleichgesetzten) Naturwissenschaft eingeräumt wird. Die umfassendere Erkenntnis hat sich nämlich an den Ergebnissen der Evolutionswissenschaften zu orientieren. Der Theologie wird dann noch die Möglichkeit eingeräumt, die Aussagen des Evolutionismus theologisch auszubauen und zu deuten, sie muß sich jedenfalls auf das Denkschema der Evolutionslehre beziehen.
Es scheint nicht möglich, aus folgendem Dilemma herauszukommen: Einerseits will man die Evolutionsforschung, auch in ihrer Prämissensetzung, nicht reglementieren und naturwissenschaftlich nachvollziehbare Evolutionsmechanismen als vollständige Erklärung akzeptieren,165 andererseits dennoch das Weltgeschehen nicht bloß mechanistisch verstanden wissen. Gottes freies, souveränes Handeln muß Platz haben, wenn man überhaupt noch von Schöpfung reden soll. Ein Ausstieg aus diesem Dilemma, eine
162 Gilkey, Himmel und Erde 51.
'« Ebd. 62.
164 An die Vertreter einer Entflechtung ist auch die Rückfrage zu stellen, ob ihr Motiv letztlich darin besteht, eine Vorkehrung gegen nicht bewaltigbare Widersprüche zu treffen.
145	die vielleicht noch nicht gefunden wurde, aber nach Meinung überzeugter Evolutionstheoretiker prinzipiell gefunden werden kann.
Synthese aus beidem scheint nicht möglich zu sein. Synthesen laufen auf Konzepte hinaus, die Gottes Wirken “im Hintergrund” als denkbar erscheinen lassen, dafür jedoch keine plausiblen Auswirkungen (“Spuren”) auf der Erfahrungsebene nennen können.
Dieses Dilemma kann folgendermaßen dargestellt werden:
1.	Entweder läuft die Evolution eigengesetzlich ab, weil die Materie entsprechend geschaffen wurde. Ohne Schöpfung im Sinne einer geeigneten Präparierung der Materie gäbe es dann keine Evolution. Dies läuft faktisch auf eine dei-stische Schau hinaus, die jedoch theologisch unbefriedigend und biblisch unhaltbar ist, weil Gott
als Lenker der Geschichte nicht mehr erforderlich ist.166
2.	Liefe die Evolution dagegen nicht eigengesetzlich gemäß allein innerweltlicher Wirkungen ab, hieße das, daß die Naturwissenschaft sie prinzipiell nicht erklären könnte. Diese prinzipielle Beschneidung der Naturwissenschaft will man aber in konsequent evolutionistisch-theistischen Entwürfen gerade vermeiden.167 Gesteht man der Naturwissenschaft die Möglichkeit einer vollständigen Erklärung des Daseins zu, ist Gottes Wirken nicht denknotwendig, weder als Erst-noch als Zweitursache (als Erstursache höchstens im Sinne des Deismus; 1. Alternative).
Daher sind andere Konzepte erforderlich (Kapitel 5).
3.4	Argumente für eine theistische Evolution?
Historisch-kritisch orientierte Theologen vertreten heute mehrheitlich die Sicht, daß die Bibel weder positiv noch negativ zum Evoiutionsge-danken stehe. Die Schrift begünstige die Lehre von der Tierabstammung zwar nicht ausdrücklich, sie erhebe gegen sie aber auch keinen Einspruch.168 Nur wenige Autoren finden den Evolutionsgedanken in der Bibel vorgebildet (besonders ausgeprägt bei Lanzenberger169 und Claeys170). Im folgenden werden Argumente genannt, die nach Ansicht von Vertretern einer theistischen Evolution belegen sollen, daß das biblische Zeugnis eine solche Sichtweise zuläßt oder sogar gegenüber anderen Vorstellungen favorisiert.171
3.4.1	Die Tatsache der Evolution
Eine stereotyp wiederkehrende Begründung für die Notwendigkeit einer Abkehr von den traditionellen biblischen Ursprungs- und Geschichtsvorstellungen ist der Hinweis, daß “die Naturwissenschaft” die Evolutionsanschauung derart plausibel gemacht habe, daß ein Zweifel daran heute anachronistisch sei. Es gehöre zur intellektuellen Redlichkeit, im evolutionären Rahmen
zu denken. Dieser Gesichtspunkt wurde bereits im 1. Kapitel erläutert.
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Daran ändert sich letztlich nichts, wenn man postuliert, Gottes beständiges Wirken sei erforderlich, damit der Evolutionsprozeß nicht abbricht, vgl. b. und c. in Abschnitt 3.3.3.
147 Aus den im Abschnitt 3.2.2 genannten Gründen.
168 Schmaus, Dogmalik 331.
,w Lanzenberger, Schöpfung, sieht in der Bibel nicht nur Raum für den Evolutionsgedanken, sondern glaubt, ihn in ihr sogar implizit anzutreffen: “Im biblischen Bericht verknüpfen sich die Vorstellungen von Gottes Schaffen und Sprechen mit den uralten, heute wieder aktuellen Vorstellungen von Entstehung und Entwicklung" (12).
Einerseits hält sich der Autor oft an Claeys, der die These vertritt, daß durch etymologische Untersuchungen offenbar werde, daß in der Bibel das moderne Weltbild (u. a. auch die Evolutionslehre) enthalten sei (z. B. 38,49,85), und meint, die Hebräer hatten, “durchdrungen von Gottes Geist, unsere Welt vorausgeahnt" (48). Andererseits soll die Bibel unsere Forschungsergebnisse nicht vorweggenommen haben (50,54) und es bestehe Offenheit zu immer neuen Synthesen zwischen biblischen und naturwissenschaftlichen Aussagen (128). m Claeys, Weltbild, gründliche Kritik dazu von Stephan, Bibel und Naturwissenschaft. Die Interpretation Westermanns, Schöpfung 70, der Erzähler von Gen 1 wolle mit dem Sieben-Tage-Schema andeuten, daß die Erschaffung von Welt und Mensch sich in einem langen Prozeß vollzogen habe, geht auch in diese Richtung.
171 Es wäre eine interessante Aufgabe, der Frage nachzugehen, ob die theologische Begründungslinie letztlich doch evolutionstheoretisch bedingt oder mitbedingt ist. In dieser Arbeit können nur einige Verdachtsmomente für diesen Zusammenhang
3.4.2	Hermeneutische Gesichtspunkte und Folgerungen aus Quellenscheidungshypothesen
Im Zuge der Bibelkritik hat sich weithin die Sicht eingebürgert, daß die Berichte in Genesis 1-11, wie sie in der Heiligen Schrift heute gegeben sind, Ergebnisse einer längeren Reflexion über den Gott Israels seien. Für viele Exegeten ist erst mit dem Auszug aus Ägypten historisch tragfähi-gerGrund gegeben. Vom Erleben der Befreiung ausgehend, habe Israel in späteren Reflexionen Aussagen auch über das Schöpfungs- und Gerichtshandeln Gottes formuliert.172 Dabei sollen in der Umwelt Israels Vorgefundene Mythen (insbesondere aus Babylonien) Vorlagen gewesen sein, aus denen entsprechend der Glaubenserfahrungen Israels mythologische Elemente entfernt oder umgedeutet worden seien. In seinem Überblickswerk vermerkt Köster, daß Gen 2 - 3 “auch katholischerseits nicht als Ergebnis von göttlicher Offenbarung, sondern menschlicher Reflexion angesehen” werde, als “Reflexion über das Verhältnis von Gott und Mensch.”173 So sei beispielsweise die Ursünde durch die Beobachtung der Heillosigkeit des Menschen erschlossen worden; sie müsse daher als vom Glauben erleuchteter ätiologischer Vernunftschluß angesehen werden.174
Mit diesem Verständnis ist gewöhnlich die Auffassung gekoppelt, die ersten Kapitel der Bibel seien insofern historisch irrelevant, als sie nicht zur Rekonstruktion der globalen Geschichte (z. B. Sintflut) herangezogen werden können.175 Dies ist folgerichtig, denn menschliche Reflexion kann ohne historische Dokumente nicht rmißgeblich für historische Rekonstruktionen sein.
Diese Sicht ist verbunden mit der Meinung, daß die Genesisberichte auf mehrere unabhängige, teilweise widersprechende Quellen zurückgehen. Die dem heutigen Text zugrundeliegenden Quellen seien zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Als Begründung hierfür werden wiederum Unterschiede in den Texten im Stil und in der Verwendung des Gottesnamens, Widersprüche und Dubletten sowie der Vergleich mit außerbiblischen Texten ins Feld geführt (vgl. den Exkurs in Abschnitt 5.3). Wird die biblische Urgeschichte also als historisch irrelevant (im
o.	g. Sinne) gewertet, stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Geschichte. Daraus resultiert eine Offenheit für naturwissenschaftliche Entstehungstheorien, die unabhängig von der biblischen Geschichtsschau (vgl. Abschnitt 1.1) und damit unter anderen Prämissen entwickelt werden.
Es hat sich eingebürgert, zwischen einer in Erzählungen gekleideten (aber nicht wirklich historischen) Schale und dem eigentlichen Kern der biblischen Botschaft zu unterscheiden. Zur nebensächlichen Schale gehört die weltbildhafte, naturkundliche oder geschichtliche Einkleidung. Der entscheidende Kern ist die dahinterstehende Äußerung des Glaubens. In bezug auf Fragen der Schöpfung bleibt dann, daß Gott geschaffen habe, während das Wie ganz den säkularen Wissenschaften überlassen wird.
Die Frage, wie die Schale vom Kern getrennt werden kann, rührt jedoch an ein sehr komplexes Geflecht von Zusammenhängen. Flick & Als zeghy sprechen für viele, wenn sie dazu schreiben: “Je mehr ein Einzelzug Teil des zeitgenössischen Weltbildes in der Entstehungszeit eines
festgestellt werden. Beide Aspekte - Naturwissenschaft und Theologie - werden oft Hand in Hand genannt, wenn die Aufgabe gestellt wird, an die Evolutionsanschauung angepaßte Formulierungen von Glaubensinhalten vorzunehmen. Jedenfalls wird oft eingeräumt, daß das Umdenken oder Neubedenken z. B. der Erbsündenlehre oder anderer dogmatischer Lehrinhalte durch den Druck naturwissenschaftlicher Plausibilitäten erfolgt sei. Letztlich sei die Neuorientierung jedoch theologisch begründet. Der Eindruck eines Rückzugs entstehe dadurch, daß die Naturwissenschaft die Theologie gezwungen habe, sich ihres eigentlichen Rahmens zu besinnen.
Lohfink, Bibelauslegung 76L, hält den Fortschritt des Bibelverständnisses sachlich unabhängig von der Evolutionslehre für ein Ergebnis verfeinerter exegetischer Methoden, dennoch “wäre es gegen jede christliche Bescheidenheit und Wahrheitsliebe, wenn man behauptete, die Theologen seien ohne die sanfte Nachhilfe, ja den massiven Druck der Naturwissenschaft” auf die Unterscheidung von Aussageinhalt und die oft zeit- und kulturbedingte Weise, diesen auszudrücken, gekommen.
172 Von Rad, TheolAT/; Renckens, Urgeschichte.
175 Koster, Urständ 46; weitere Quellenangaben dort (in Anm. 8). Der im Zitat genannte Gegensatz ist nicht strikt, gibt aber eine Tendenz in der exegetischen Arbeit an.
17< Koster, a. a. O. 137.
175 Daran ändert sich auch nichts, wenn man nach einem historischen Kern fragt, etwa nach einer Lokalflut in Mesopotamien als Vorlage für das Zeugnis eines globalen Flutgerichts.
biblischen Buches ist und je mehr er einem wissenschaftlich erhärteten Weltbild heute widerspricht, desto weniger spricht dafür, daß er zur Heilsbotschaft gehört.”176 In diesen Kriterien zeigt sich die in Kapitel 1 festgestellte Beeinflussung der Auslegung durch die Akzeptanz der Evolutionsanschauung (dem “wissenschaftlich erhärteten Weltbild” von heute). Eines der Kriterien für die Trennung von Schale und Kern sind die Ergebnisse der Naturwissenschaft, die (wie in Abschnitt 3.6.2 erläutert wird) mit Evolutionswissenschaft gleichgesetzt wird.
Für Schoonenberg sind in diesem Zusammenhang folgende Kriterien wichtig: Ein Text gebe keine Antworten auf Fragen, die bei der Entstehung des Textes nicht gestellt waren, und Texte müßten nach dem interpretiert werden, was sie in erster Linie zu bejahen beabsichtigten, also nach der Frage, auf die sie eine Antwort geben sollen.177 Danach entscheide Röm 5 nicht die Frage des Monogenismus und Gen l,26f. und
2,7	nicht über die Tierabstammung des Menschen, jedenfalls nicht direkt, weil die biblischen Autoren nach Schoonenbergs Auffassung sich nicht mit diesen Fragen auseinandersetzen. Darauf hebt auch Haas ab: Man solle aus der Schrift nicht Antworten auf Fragen erwarten, die sie selber gar nicht gestellt hat.178 Daher gebe es auch für ihn in der Bibel beispielsweise keine Antwort auf die Frage des Monogenismus.179
Diese Kriterien sind allerdings nicht exegetisch ableitbar, sondern Ausdruck einer persönlichen Überzeugung über die biblische Hermeneutik. Die Exegese der relevanten Texte muß Klärung bringen, worin die jeweiligen Aussageinhalte bestehen (s. Abschnitt 4.3.2).
Die angeschnittenen exegetischen Fragen sollen hier nicht weiter diskutiert werden, es genügt hier die Anmerkung, daß die Quellenscheidungstheorien und die auf ihnen basierenden Schlußfolgerungen nicht den Anspruch auf alleinige Interpretationsmöglichkeit erheben können.180
Beispielhaft soll die Argumentation Lanzen bergers angeführt und kritisiert werden. Nach seiner Auffassung stehen Schöpfung und Entwicklung nicht im Widerspruch zueinander, weil sogar die Autoren von Genesis 1 und 2 “in weiser
Voraussicht zwei Weltsichten, die nicht mit gleichem Maß zu messen sind, nebeneinander zu Worte kommen” ließen.181 Das ermutige uns, “einen theologischen Standpunkt neben einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsposition der Welt zu dulden.”182
“Die biblischen Autoren denken tiefsinnig und ganzheitlich und schließen sich naturwissenschaftlichen Denkweisen auf, wogegen sich unser historisches Denken, das Schöpfung und Evolution spaltet, als ein gewaltiger Rückschritt erweist. Darum nenne ich die Alternative ‘Schöpfung gegen Evolution’ ganz provokativ unbiblisch.”183
Zur Begründung verweist dieser Autor allerdings lediglich auf von Rad, nach dessen Einschätzung theologisches und naturwissenschaftliches Erkennen im Schöpfungsbericht spannungslos ineinander ruhen.184 Freilich sei die Naturerkenntnis entsprechend den Einsichten der damaligen Zeit ausformuliert. Ebenso sollen wir die heutige naturwissenschaftliche Sicht in die Auslegung der Schöpfungsgeschichte einbeziehen.185 Eine stringente Begründung müßte an dieser Stelle den Nachweis liefern, daß der Ersatz der im Schöpfungsbericht enthaltenen vermeintlich altertümlichen naturwissenschaftlichen Vorstellungen durch das moderne (evolutioni-stische) Weltbild am Aussageinhalt nichts ändert.186 Diese Rückfrage ist Thema des 4. Kapitels dieser Arbeit.
176	Zit. nach Koster, a. a. O. 112.
177	Schoonenberg, Theologie und Lehramt 742.
178	A. Haas, Ennvicklungsgedanke 17.
IW Ebd.51.
180	Vgl. Cassuto, Documentary Hypothesis-, Rendtorff, Pentateuch, Jacob, Tora-, Beck, Genesis, und den Exkurs Uber Genesis 1 und 2 in Abschnitt S.3.
181	Lanzenberger, Schöpfung 13.
182	Ebd.
183	Ebd.
184	Von Rad, Theo!ATI 152.
185	Lanzenberger, o. a. O. 19.
186	In diesem Zusammenhang nennt Lanzenberger immer wieder das ganzheitliche hebräische Denken (z. B. S. 21), welches die Zusammenschau von Evolution und Schöpfung fördere. Als Beispiel für dieses ganzheitliche Denken der Bibel erwähnt der Autor, daß nach dem hebräischen Denken Leib, Seele und Geist nicht getrennt werden dürften. Ohne den Begriff konkret zu erläutern, zieht er ihn zur Begründung für seine Zusammenschau von Schöpfung und Evolution heran. Als Beispiel sei “Adam” genannt, den der Autor grundsätzlich als
3.4.3	Überlegungen zum Gottesbild187
3.4.3.1 Der überlegene Gott der Erstursachen
Zahlreiche Autoren188 sehen es als eine “größere Idee von Gott” an, wenn die von ihm geschaffene Welt sich selbständig und selbsttätig entwickelt habe. Unser Gottesbild werde im evolutionstheoretischen Rahmen größer, nicht kleiner.189 Die Allmacht Gottes zeige sich deutlicher, wenn sie Zweitursachen in ihren (evolutiven) Dienst stelle und trotzdem alles planmäßig erreiche. Auch zeige sich die Vorsehung Gottes als weitschauender und planvoller, wenn man eine evo-lutive Welt unterstelle.190 Denn die Macht einer Ursache sei, wie schon Thomas von Aquin sagte, umso größer, je entferntere Wirkungen sie verursache. Gott habe dementsprechend die Lebewesen entwicklungsfähig geschaffen. Gott sei kein “Bastler”; dem Wesen Gottes widerspreche alles Mechanische und es sei ihm alle Schablone zuwider.191 Göttsberger stellt fest: “Ein Zurückdrängen des unmittelbaren göttlichen Einflusses auf die Weltentstehung schmälert den Allmachtsbegriff keineswegs.”192 Gottes Macht erscheine größer, wenn er nicht immer wieder eingreifen müsse, sondern durch die Schöpfungdie Materie quasi mit schöpferischen Fähigkeiten versehe. Es entspreche nicht Gottes Handlungsweise, als Zweitursache aufzutreten. Die Wirkungsweise durch Zweitursachen entspreche seiner Weisheit besser.193 Gott beanspruche die Geschöpfe in den Grenzen ihrer Möglichkeit.194 Dies sei (nur?) im evolutionären Rahmen gegeben.195
Kritik: Den genannten Argumenten steht die Destruktivität der Schöpfungsmethode durch Evolution entgegen; dies wird nicht bedacht. Denn Evolution als Schöpfungsmethode beruht auf einem Überschuß an Tod von Individuen und Arten mit den dazugehörenden Begleitphänomenen (ausführlicher in Abschnitt 4.7). Darüber hinaus ist nicht einsichtig, weshalb sich in einem Erschaffen mittels geschöpflicher Wirkungen Gottes Macht deutlicher zeigen soll. Im übrigen schließt auch das Konzept einer speziellen Schöpfung nicht aus, daß in der creatio continua die Schöpfungswerke vielfältig beteiligt sind, z. B.
durch Hervorbringen von Nachkommenschaft, durch Willensfreiheit, durch Lebensfreude usw. Die Geschöpfe werden nicht ausgeschlossen. Die Frage ist nicht, in welchem Konzept die Geschöpfe überhaupt beteiligt sind, sondern wie sie in den beiden Konzepten jeweils beteiligt sind.
3.4.3.2	Gottes beständiges Wirken
Als weiteres Argument wird häufig angeführt, Gottes schöpferisches Tun sei nicht nur etwas, was einmal in der Vergangenheit stattgefunden habe, sondern was in der Gegenwart andauere
“Menschheit” verstanden wissen will, andernfalls würde die “ursprünglich ganzheitliche Geschichte von ‘Adam und Eva’” verfälscht. Doch was daran ganzheitlich ist bzw. war, wird nicht gesagt, ebensowenig, inwiefern das ganzheitliche Moment verloren gehen soll, wenn man die Geschichte von Adam und Eva historisch versteht. Adam und Eva als historische Personen verstehen zu wollen, entspreche nicht dem historischen Denken der biblischen Autoren. Anstelle eines Belegs für diese Behauptung wird auf den Schaden hingewiesen, den ein solches Verständnis verursache: Aus der Geschichte um Adam und Eva würde eine lächerliche Geschichte (22). Ist das der Grund, weshalb Adam und Eva nicht historisch verstanden werden dürfen? Es wird jedenfalls nicht deutlich, inwiefern das ganzheitliche Denken der Hebräer die Historizität von Adam und Eva ausschließen soll.
187	Vgl. Abschnitt 4.7.
188	Z. B. Was.ma.ns, Kampf 14; Berry,Adam 21 lff.
188 A. Haas, Entwicklungsgedanke 13.
m Broker, Sinn 109.
181	Beth,Entwicklungsgedanke 155.1nAbschnitt5.6.8wirdausge-führt, daß diese Vorstellung gar nicht Bestandteil eines historischen Verständnisses von Gen 1 - 2 ist bzw. sein muß.
182	Göttsberger, Adam und Eva 14.
m Schoepfer,Bibelund Wissenschaft 154; vgl. Fritzsche, Dogma-likll 251.
184	Volk, Schöpfungsglaube 14; Volk, Möglichkeiten 167.
185	"Je intimer wir den lebendigen Schöpfer mit seiner iebendigen Schöpfung in inneren Zusammenhang bringen, je mehr also der Schöpfer in seinem Geschöpf ‘inexistent’ ist und Gott so das innerste Geheimnis der lebendigen Schöpfung wird, umso mehr verleihen wir dem einzelnen Geschöpf Eigenwirklichkeil und Eigenwirksamkeit und damit auch in der Entwicklung die Möglichkeit eines Gesamtzusammenhangs alles lebendigen” (A Haas, Entwicklungsgedanke 67f).
Schlink, ÖkumOogm 96, erblickt aus der Sicht des Glaubens in der Entdeckung des kausalgesetzlich bestimmten Hervorge-hens von Neuem aus Vorhandenem keine Minderung der Herrlichkeit des Schöpfers, sondern erkennt im Gegenteil dann gerade die Größe seiner Zuwendung zur Kreatur, auf eine im Eigenwirken sich entfaltende Partnerschaft hin ins Dasein gerufen worden zu sein.
und in die Zukunft hineinrage; es sei nicht nur auf den Anfang beschränkt.196 Auch dies könne gerade durch eine Evolutionsanschauung veranschaulicht und plausibel gemacht werden. “Die Chance jedoch, die fortgesetzte schöpferische Tätigkeit Gottes in der von ihm geschaffenen Welt nicht nur als Erhaltung einer einmal gesetzten Ordnung, sondern als unablässig Neues schaffend begreifen zu können, ist der Theologie durch die Evolutionslehre eröffnet worden.”197 Dagegen befürchten Kritiker des historischen Verständnisses der biblischen Urgeschichte, daß eine besondere Schöpfung am Anfang die Verbundenheit des Gottes mit seiner Schöpfung nach dem Anfang ausschließe oder verringere. Sie suggerieren damit, man würde Gottes Wirken in der Welt heute und im Laufe der gesamten Geschichte ausschließen oder eiaschränken, wenn man den Genesisbericht historisch verstehe: “Will man die Schöpfung, von der die Bibel spricht, tatsächlich als kosmisches Ereignis verstehen, so müßte man sie identifizieren mit einer Initialexplosion von Energien, ohne irgendeinen erkennbaren Zusammenhang mit der sehr späten Geschichte des Menschen.”198 “The idea of God’s immanence in nature is necessary if we want to stress that nature is not god-less and that God is not un-natural; that God is the God of the whole of our natural world. By this we take evolution seriously,... a principle guiding also theological thought.”199 Ein Schutz vor einem Pantheismus sei dadurch gegeben, daß Gott mehr ist als Evolution. Nicht alles ist Gott, aber Gott ist in allem und alles in Gott (Panentheismus). Van Till meint, Schöpfung dürfe nicht auf ein einmaliges plötzliches Geschehen reduziert, Gottes Werk als Schöpfer nicht von der Kosmosgeschichte getrennt werden.200“Gottes erschaffende Aktivität und das Geschaffenwerden der Welt beschränken sich nicht auf den ersten Anfang der Dinge, sondern vollziehen sich immerfort.”201 Es sei nicht akzeptabel, Schöpfung als etwas rein Vergangenes anzusehen, denn das liefe auf einen Deismus hinaus.202
In diesem Zusammenhang wird das Argument angeführt, daß das exklusive göttliche Schaffen ( N"I2 ) nicht nur für Vorgänge in der Vergangenheit gebraucht wird, sondern auch für die
Gegenwart (Ps 104,30) und die Zukunft (Ex 34,10; Num 16,30, Jes 65,17).
Kritik: Ein beständiges Wirken Gottes kann auch in einer nicht-evolutionären Welt plausibel gemacht werden. Die Welt braucht Gottes Gegenwart, um Bestand zu haben. Man könnte sich denken, daß die Welt ohne Gottes beständiges Erhaltungshandeln ins Nichts zurückfallen würde. Wird eine besondere Schöpfung (creatio specialis, creatio originalis) am Anfang angenommen, so beinhaltet dies kein Zurückziehen Gottes von der Welt, nachdem sie ins Dasein gebracht wurde.
Das schöpferische Wirken Gottes am Anfang darf nicht einfach mit seinem weiteren Wirken in der Geschichte gleichgesetzt werden, wie das viele Autoren explizit oder implizit tun, wenn sie den Evolutionsprozeß als Ausdruck Gottes beständiger Schöpfung interpretieren. Die creatio specialis ist von der creatio continua zu unterscheiden. Auch Jesus Christus selber vollbrachte besondere Schöpfungstaten wie die Brotvermehrung oder die Heilung eines Leprakranken, die an die Schöpfung Gottes am Anfang erinnern.
m Z. B. Koltermann, Schöpfung 62.
1,7 Pannenberg, SyslTheol 143.
'* Feiner & Vischer, Glaubensbuch 432.
1W Daecke, Puttingan End 160.
200	Van Till, Fourth Day 240f.
201	Smulders, Theologie 68.
202	Scheffczyk, Schöpfungswahrheil 314f.
Daß die Vorstellung eines gelegentlichen Eingreifens Gottes oder gar die Beschränkung auf eine “Schöpfung am Anfang" die Sichtweise impliziere, daß Gott gewöhnlich abwesend ist, vertrat bereits Moore (1889, zit. in Peacocke, Biological Evolution 116). Dieses Argument taucht sporadisch immer wieder auf, zuletzt massiv bei von Ditfurth, Nicht nur von dieser Welt. Moore hält aufgrund dieses Arguments die Evolutionstheorie für unbegrenzt christlicher als die Theorie einer “speziellen Schöpfung”, weil durch sic die Immanenz Gottes in der Natur und die Allgegenwart seiner schöpferischen Kraft gewährleistet sei. “Those whooppose the doctrine of evolution in defense of a ‘continued intervention’ of God, seem to have failcd to notice that a theory of occasional intervention implies as its correlative a theory of ordinary absence” (zit. in Peacocke, Tradition). Die Annahme einer besonderen Schöpfungstat am Anfang trenne den Schöpfer von der Schöpfung. Dasselbe gelle, wenn man besondere laten Gottes in der Geschichtercalhistorisch verstünde(z. B. Wunder). “Das, was sich erklären läßt, hätte . . . weniger mit Gott zu tun als das Unerklärte”, meint von DriFURTH, Gott 10.
Diese besonderen Taten Jesu, die bei den Zeugen ein großen Staunen hervorriefen, können nicht mit dem beständigen Erhaltungswirken Gottes gleichgesetzt werden; sie sind außergewöhnlich.203
Hier wird also aus der Annahme eines besonderen Schöpfungsgeschehens am Anfang ein Gegensatz abgeleitet, der sich als Schein erweist. Denn weshalb sollte Gottes besonderes Schaffen am Anfang ein ständiges Angewiesensein der Schöpfung auf ihn ausschließen? Ein besonderes Schaffen Gottes am Anfang leistet deisti-schen Vorstellungen in keiner Weise Vorschub, denn es schließt die totale und beständige Abhängigkeit der Schöpfung vom Schöpfer nach dem Schöpfungsakt in keiner Weise aus oder schränkt sie ein. Dieses Argument traktiert auch von Ditfurth: “Das Konzept der als Schöpfung für alle Zeiten unveränderlich bleibenden Welt wirft... unausbleiblich die Frage auf, wie denn der Schöpfer in einer solchen Welt eigentlich aktuell gegenwärtig sein könne”204 — als ob eine besondere Schöpfung am Anfang etwas über den weiteren Fortbestand der Schöpfung aussa-gen würde. Nach dem biblischen Zeugnis läuft die Welt nach der Schöpfung gerade nicht eigengesetzlich ab, sondern steht unter Gottes souveräner Führung.
Daß Gott auch im Laufe der Geschichte im Sinne von KT 3 schuf und weiterhin wirkt, schließt im übrigen nicht aus, daß er auch auf andere Weisen handelt. Daraus kann also kein Argument für eine Identität von Schöpfungs- und Erhaltungshandeln gewonnen werden. Diese Identifizierung ist auch noch aus einem anderen Grund problematisch, nämlich wegen der Tatsache, daß die Welt eine Welt der Sünde ist (vgl. Abschnitt
4.2). In dieser Welt geschehen Dinge, die nicht dem Willen Gottes gemäß sind. Die Tatsache, daß sie dennoch unter seiner Kontrolle sind, ist am besten durch den Begriff der Erhaltung (creatio continua et servanda) zu fassen. Den Begriff “Schöpfung” für das Erhaltungshandeln zu verwenden, würde eine Billigung des heutigen Zustandes suggerieren, die so nicht gegeben ist. Das besondere schöpferische Wirken Jesu Christi wird von Jesus selber wie von den neutestament-lichen Zeugen nicht als Bestätigung des Gegen-
wartszustandes, sondern als Einspruch gegen ihn, als Zeichen des Hereinbrechens der eschatologi-schen Schöpfung gewertet.
Man kann schließlich fragen, was “unablässig neu schaffend” im Bereich der Biologie etwa in der Gegenwart bedeuten soll. Etwas Neuartiges hat die tatsächlich beobachtete Wandlung der Organismenwelt in der vom Menschen überschaubaren Zeit nicht hervorgebracht. Inwiefern soll sich also Gottes Wirken in einer biologischen Evolution der Gegenwart konkretisieren? Mit dem ständigen “Weiterschaffen” kann biblisch gesehen nur ein “Erhalten” gemeint sein; man sollte es auch so nennen.
3.4.4	Vergleich zwischen Stammesgeschichte und Individualentwicklung
Daß nach dem biblischen Gesamtzeugnis evolu-tives Werden und das Schöpfungshandeln Gottes nicht gegensätzlich zu sehen sind, wird oft (z. B. mit Verweis auf Psalm 139) damit begründet, daß der Gläubige sich selbst als Schöpfung Gottes versteht.205 Derselbe Vorgang, der biologisch gesehen eine Entwicklung sei, sei aus Gottes Perspektive eine Schöpfung. In diesem Zusammenhang wird gerne aus Luthers Kleinem Katechismus betont zitiert: “Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen . . .” Damit soll verdeutlicht werden, daß Schöpfung und Entwicklung (hier im Falle der Individualentwicklung) nicht nur nicht widersprüchlich, sondern ausdrücklich zusammenzudenken sind. Thielicke vertritt die Auffassung, daß die Sätze aus Psalm 139sich sinngemäß abwandeln ließen: “Du hast ‘den’ Menschen schon als ungeformten Keim, in der Vor-Form des homo sapiens gesehen” und begründet dies mit der sowohl in diesem Psalm als auch beim biblischen Schöpfungsbericht gleichermaßen vorherrschenden finalen und nicht kausalen Intention.206
205 Zur Wunderfrage vgl. Abschnitt 4.7.1.1. Die Taten Jesu sind gleichzeitig Vorwegnahme des eschatologischen Heils.
204	Von DnruRTH, Nicht nur von dieser Welt 227; vgl. auch von DrrFURTH, Gott.
205	Thielicke, Ethik Abs. 1256.
206	Ebd. Abs. 1256.
Ähnlich argumentieren Brunner207 und neuerdings Hemminger: “Warum sollte der Gott, der Brot schafft, indem er Weizen wachsen läßt, nicht Tiere und Pflanzen geschaffen haben, indem er sie aus einfacheren Vorformen wachsen ließ? . . . Wir wissen mit Sicherheit, daß Gott langsam und auf teilweise verstehbaren Wegen Dinge schafft, die ihm unendlich wichtig sind: menschliche Persönlichkeiten.”208 Hemminger begründet diese Argumentation damit, daß wir im täglichen Leben hinter natürlichen Vorgängen oder günstigen Fügungen von an sich rein “natürlichen” Ereignissen Gottes Handeln erkennen (u. U. auf Gebete hin). Ähnlich vergleicht auch van Till das Handeln Gottes in der Embryonalentwicklung, beim Heilen von Krankheiten oder beim Steuern der Witterung mit dem Handeln Gottes in der Evolution.209 Es werden also Parallelen zwischen der Ontogenese (individuelle Entwicklung von Organismen) und Vorgängen im Alltagsbereich einerseits und einer gedachten Phylogenese (Abstammung aller Lebewesen von einfacher gebauten Vorformen) andeierseits hervorgehoben.
Dieser Vergleich und die mit ihm bezweckte Begründung der Möglichkeit einer theistischen Evolution ist jedoch irreführend. Dies wird deutlich, wenn einige Punkte zusammengestellt werden, in denen Ontogenese und Phylogenese einander nicht entsprechen:
1.	Die Ontogenese ist im Gegensatz zur postulierten Phylogenese ein zielgerichteter Vorgang. Bei der Ontogenese steht zu Beginn fest, was ihr Ergebnis bei ungestörtem Verlauf sein wird. Mit der Befruchtung sind die wesentlichen Entscheidungen gefallen (geeignete Rahmenbedingungen für die Ontogenese vorausgesetzt), ln der hypothetischen Phylogenese eine Zielgerichtetheit sehen zu wollen, ist bloßes theologisches oder philosophisches Postulat, das durch die bekannten Daten in keiner Weise gestützt werden kann. Die meisten Evolutionstheoretiker bestreiten eine Zielgerichtetheit des Evolutionsprozesses ausdrücklich (vgl. Abschnitt 2.4).
2.	Der Weg zum Ziel verläuft ganz unterschiedlich: Während für eine postulierte Phylogenese nur das Prinzip “Versuch und Irrtum” vorgeschlagen wird, ist die Ontogenese ein Pro-
zeß, bei dem einzelne Stadien folgerichtig und zielgerecht nacheinander ablaufen.210 Die phylogenetische Entwicklung soll dagegen auf Kosten zu wenig angepaßter Individuen und von millionenfachem Artentod (Aussterben) voranschreiten (Abschnitt 2.4.3). Ein phylogenetischer, von Gott gelenkter Prozeß würde bedeuten, daß der Schöpfer diesen Prozeß in ein zahlloses Aussterben führt. Massenhaftes Aussterben von Arten wäre eine der Methoden Gottes in der Schöpfung. In der Ontogenese gibt es diesen Aspekt des Aussterbens ebensowenig wie den der Auslese der Überlebenstüchtigsten (“fittest”). Für den harmonischen ontogenetischen Verlauf gibt es keine Analogie in der Phylogenese. Wenn Lenoir fragt, “ob Modelle aus den Bereichen der Embryologie und des Wachstums nicht besser geeignet sind für eine Beschreibung organischer Evolution als Darwins Modell”211, dann muß dies nach gegenwärtigem biologischem Wissen als Wunschdenken, als idealisierte Vorstellung von einer Phylogenese charakterisiert werden.
3.	Die ontogenetische Entwicklung beginnt im Besitz der vollständigen genetischen individualpotenten Information (als notwendige, keinesfalls hinreichende Voraussetzung der Entwicklung, zu der geeignete Randbedingungen hinzukommen müssen212), die zum Aufbau des erwachsenen Individuums erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist in der phylogenetischen Entwicklung dagegen nicht erfüllt; sie startet in dieser Hinsicht buchstäblich mit nichts. Während der Ontogenese entwickelt sich eine vorausgesetzte Ganzheit (Blechschmidt: “Die befruchtete Eizelle entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch”213), eine gedachte Phyloge-
201 Brunner, Widerspruch 92.
M Hemminger,Kreationismus 31; vgl. Hemminger & Hemminger, Wellbilder 193-195.
200 Van Till, Fourth Day 234f.
210	Vermutete bzw. behauptete Unstimmigkeiten, die zur “biogenetischen Grundregel” geführt haben, brauchen in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden, abgesehen davon, daß es gute Argumente dafür gibt, daß zumindest die meisten der behaupteten Unstimmigkeiten doch ihren guten biologischen Sinn haben, vgl. Junker, Rudimentäre Organe.
211	Lenoir, Antworten 138.
212	Vgl. hierzu Abschnitt 2.3 über das Leib-Seele-Problem.
213	Blechschmidt, Erhaltung.
nese dagegen wäre gar keine “Entwicklung” im üblichen Wortsinn, denn sie verläuft ohne präfi-gurierende Information. Zu Beginn der Ontogenese liegt also ein lebendiger Organismus als Ganzheit vor. Daß Ontogenese möglich ist, bedarf der Voraussetzung einer Schöpfung, d. h. die angesprochene Ganzheit (befruchtete Eizelle bzw. eine erschaffene Population, deren Individuen Ganzheiten sind) muß schon vorgegeben sein. Die postulierte Phylogenese vom Einzeller zum Menschen ist völlig verschieden von der Ontogenese, die mit einem menschlichen Organismus (in Form einer befruchteten Eizelle) bereits beginnt. Theologisch bedeutsam ist vor allem Punkt 2: Der Vergleich Ontogenese-Phylogenese kann nicht konsequent durchgeführt werden, da die Entwicklungsweisen ganz unterschiedlich wären, also im Konzept einer “theistischen Evolution” verschiedene Schöpfungsmethoden bei Phylo- und Ontogenese vorliegen würden. Das heißt: Das Schaffen Gottes durch ontogenetische Entwicklung wäre von Grund auf verschieden von einem Schaffen durch phylogenetische Entwicklung. Der Vergleich zwischen Ontogenese und Phylogenese ist daher irreführend, da - insbesondere dem biologisch Unkundigen — eine falsche Vorstellung eines “phylogenetischen Erschaffens” suggeriert wird. Man denkt sich die unanschauliche und faktisch nicht evidente Phylogenese fälschlicherweise wie die anschauliche ontogenetische Entwicklung. Letztere verdient die Bezeichnung “Entwicklung”, da sich hier tatsächlich eine vorausgesetzte Ganzheit ausprägt,214 während mit stammesgeschichtlicher Entwicklung etwas davon Grundverschiedenes gemeint ist, nämlich Entstehung aus Nicht-Vorausgesetztem. Einen adäquaten Begriff hierfür gibt es nicht; die Begriffe “Evolution”, “Höherentwicklung”, “Ana-genese” oder “Selbstorganisation” täuschen Subjekte (Regisseure, Akteure) vor, die man aber gerade ausschließen will.215
Wichtig ist auch Punkt 3: Die eigentliche Erschaffung des individuellen Menschen geschieht nicht während seiner Individualentwicklung oder an deren Ende (wie in der postulierten Phylogenese), sondern am Beginn. Dabei bleibt es freilich Gottes Geheimnis, wie aus Ei- und Samenzelle ein neuer Mensch, ein neuer verwirklichter
Gedanke Gottes wird. Jedenfalls ist mit der befruchteten Eizelle ein neuer Mensch in Existenz, der nicht erst im Laufe der Embryonalentwicklung zum Menschen wird. Daher kann die Embryologie keine Zäsur in der menschlichen Ontogenese feststellen, die einen Übergang vom “Noch-nicht-Menschen” zum Menschen belegt. Die Annahme, das Menschsein bereits mit der befruchteten Eizelle vorauszusetzen, ist daher mit den Daten der Embryologie im Einklang.
Schlußfolgerung: Die Unterschiede zwischen on-togenetischer und phylogenetischer Entwicklung sind so grundlegend, daß eine besondere Begründung erforderlich ist, wenn in beiden Fällen ein Schöpfungshandeln Gottes hinter diesen Prozessen gesehen wird. Auch wenn ein Entwicklungsprozeß prinzipiell als Wirken Gottes verstanden werden kann (wie in der Ontogenese), muß doch eigens begründet werden, weshalb die Art und Weise einer gedachten phylogenetischen Entwicklung mit dem biblisch bezeugten Schöpfungshandeln Gottes vereinbart werden kann, und es muß erläutert werden, wie diese Zusammenschau zu verstehen ist. Die Kritik am Vergleich der ontogenetischen mit der gedachten phylogenetischen Entwicklung bezieht sich nicht darauf, daß ein kontinuierlich erscheinender Prozeß von Gott losgelöst sein müsse, sondern daß angesichts der grundlegenden Verschiedenartigkeit beider Prozesse ein sich darin ausdrückendes Schöpfungshandeln ganz verschieden geartet wäre.
Damit ist also keineswegs gesagt, daß die Entwicklung der Eizelle nach der Befruchtung ein von Gott losgelöster Prozeß sei. Nach Psalm 139 ist das eindeutig nicht der Fall. Für die Individualentwicklung wie für alle “Naturvorgänge” gilt tatsächlich, daß ein gewöhnlicher, regelhaf-ter Vorgang und Gottes Handeln einander nicht ausschließen (vgl. 1 Kor 12,6; Arnos 3,6; Jes 45,7 oder z. B. die rational nachvollziehbaren Um-
214	Vor Darwin und noch einige Zeit danach wurde der Begriff “Entwicklungsgeschichte” nur für die Individualentwicklung verwendet.
215	Vgl. Locker, Evolution, vgl. Abschnitt 2.2.
stände, die Jesus Christus ans Kreuz brachten). Es sollte an dieser Stelle jedoch deutlich gemacht werden, daß eine Parallelisierung zwischen Ontogenese und Phylogenese kein Argument für ein theistisch-evolutionistisches Konzept darstellt, da grundverschiedene Schöpfungsmethoden vorliegen würden und weil die individuelle Entstehung des Menschen gar nicht durch Evolution geschieht (vgl. 3.; der Mensch entwickelt sich als Mensch, nicht zum Menschen).
3.4.5	Verschiedene Argumente
Neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten, die die Möglichkeit, wenn nicht Notwendigkeit thei-stisch-evolutionärer Konzepte begründen sollen, werden auch einzelne biblische Texte angeführt.
Geworden, geschaffen und erwählt
Die biblischen Autoren sprechen nicht nur von einem “geschaffen”, sondern auch von einem “geworden”. Darauf weisen z. B. Rohrbach216 und Heim217 hin. Rohrbach baut seinen Versuch der Vereinbarung von Schöpfung und Evolution auf der aus der Bibel begründeten Unterscheidungzweier Wirklichkeiten auf, einer sichtbaren und einer unsichtbaren.218 Beide Wirklichkeiten durchdringen einander. Jedes Geschehen und jede Kreatur gehören beiden Wirklichkeiten an. Was nun in der sichtbaren Wirklichkeit als ein Ablauf erscheint (Evolution), ist in der unsichtbaren Wirklichkeit ein Gesetztsein (Schöpfung), es gibt daher eine “doppelte Deutungsmöglichkeit”. Derselbe Prozeß des Werdens der Welt sei ein Setzen, ein Schaffen Gottes. Als Begründung verweist Rohrbach u. a. auf Gen 2,4 und Ps 90,2, wo jeweils von “geworden” und “geschaffen” gesprochen wird (s. o.). (Allerdings werden in Gen 2,4 und Ps 90,2 im hebräischen Grundtext verschiedene Worte gebraucht!) Für das Werden gebe es nur eine Beschreibung, keine Erklärung. Außerdem verwendeten die biblischen Schriftsteller das hebräische Wort für Gottes unvergleichliches Schaffen ( 812 ) auch für Vorgän-
ge, die eindeutig auch den Aspekt des Werdens zeigen:219 So ist das Volk Gottes “geschaffen” ( 812 ; Jes 43,1). Jesus Christus sei geworden und gesetzt (Röm 1,3-4). Daher könne man auch annehmen, daß der Mensch gleichzeitig evolutiv geworden und geschaffen sei.220
Zur Frage nach der Vereinbarkeit des Schöpfungszeugnisses der Bibel und der Evolutionslehre äußerte sich Heim ausführlich im sechsten Band seines Spätwerkes “Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart”.221 Man spürt aus seinen Darlegungen heraus, daß er kein ausgesprochener Freund der Evolutionsvorstellung ist, doch scheinen ihm die Belege für eine umfassende Evolution und die dafür benötigten Zeiträume sehr stichhaltig zu sein. Daher versucht er, die Evolutionslehre und das biblische Schöpfungszeugnis zu vereinbaren. Wie viele andere will Heim zwischen dem “Daß” der Deszendenz und dem “Wie” unterscheiden. Im Bereich des “Wie” läßt Heim einem schöpferischen Eingreifen Gottes Raum, ohne sich hier konkret zu äußern. Auf diesem Feld gebe es naturwissenschaftlich völlig unerklärliche Dinge.222 Er behilft sich wie Rohrbach damit, Evolution und Schöpfung als verschiedene Betrachtungsweisen desselben Geschehens zu deuten: “Ein und derselbe Vorgang ist wiederum von der einen Seite gesehen ein zeitlich verlaufender Werdeprozeß, von der anderen Seite betrachtet eine Schöpfung.”223 Die Stammesgeschichte mit ihren erforschbaren Kausalzusammenhängen biete eine “Flächenschau” und zeige ein “Werden”, während Gottes Schaffen eine “Tiefenschau” eröffne, die nicht aus Kausalzusammenhängen heraus erklärbar und ein “Setzen” sei. Flächenschau und Tiefenschau seien ein Ineinander. Daß der Gedanke eines gleichzeitigen Gewor-
216	Rohrbach, Bibel oder Naturwissenschaft.
2,7 Heim, Wellschöpfung.
218	Rohrbach, a. a. O.
219	Darauf verweist auch Berry, Adam 63.
m Auch bei von Huene, Schöpfung 20, findet sich dieses Argument. Er folgert: “Gottes Schaffen ist also ein natürliches Wachsen"; vgl. auch LiEnart, Entwicklungslehre.
221	Heim, Weltschöpfung.
222	Ebd. 92.
223	Ebd. 107.
denseins und Geschaffenseins der Bibel nicht fremd ist, begründet Heim damit, daß das zweifellos in der Geschichte einerseits gewordene Israel andererseits als von Gott geschaffen bezeichnet wird (Jes 43,1). Das Schöpfungshandeln Gottes wird mit seinem Erwählungshandeln verglichen: So wie Gott sich Menschen oder das Volk Israel erwählt habe, um mit ihm besondere Wege zu gehen, so habe sich Gott Wesen erwählt, die durch diese Wahl zu Menschen wurden, die in einem besonderen Gottesverhältnis stehen. Je vollständiger die Abstammungskette werde, um so deutlicher werde, daß das Setzen Gottes den Menschen hervorhebt.234 Somit werde die Glaubensaussage (das überzeitliche Setzen) von naturwissenschaftlichen Ergebnissen nicht berührt.225
Kritik: Die Tatsache, daß das Werden des Volkes Israel ein schöpferisches Handeln Gottes ist, begründet die Möglichkeit der Übertragung eines gleichzeitigen “Geworden-” und “Geschaffenseins” auf die Entstehung der Lebewesen nicht, sondern illustriert diese Idee nur. Die Tatsache, daß Israels Werden als Schöpfung Gottes interpretiert wird, kann mangels Analogieverträglichkeit nicht auf das Entstehen der Organismen übertragen werden. Außerdem fehlen dafür Textbelege.
Diese Harmonisierungsbemühungen beachten darüber hinaus nicht, daß ein evolutives Gewordensein unumgängliche Konsequenzen für zahlreiche christliche Glaubensinhalte hat (s. Kapitel 4), auf die eingegangen werden müßte. Diesen Folgerungen widmen sich Heim, Rohrbach und andere erstaunlicherweise nicht.
Schließlich ist auch zu hinterfragen, ob das Werden Israels wirklich dem naturgesetzlichen Werden in der Stammesgeschichte entspricht. Israel nahm seinen Anfang mit der Herausrufung Abrahams durch Gott - ein Geschehen, das nicht innerweltlich zu erklären ist, sondern Ausdruck eines besonderen Geschichtshandelns Gottes ist.226
‘ ‘Die Erde lasse sprossen ” (Gen 1,11 — 12)
Des weiteren wird oft darauf verwiesen, daß nicht überall im Schöpfungsbericht von einem besonderen Schöpfungsakt Gottes die Rede sei, sondern auch davon, daß die Erde sprossen lassen (Gen 1,11-12), das Wasser wimmeln (1,20) und die Erde hervorbringen (1,24) solle. “Bereits hier gibt es verschiedene Weisen, die Entstehung der verschiedenen Lebewesen zu denken! Sie stehen so dicht beieinander, daß man kein System daraus machen darf’227, so Hübner. “Es
224	Ebd. 113.
225	Ebd. 110. Neuerdings argumentiert Pannenberg, SyslTheol 146, auch in diesem Sinne: “Die Anwendung des Gedankens der Schöpfung auf die Evolution kann sich auf die alttesta-mentlichen, vor allem bei Deuterojesaja begegnenden Aussagen Uber den schöpferischen Charakter des Handelns Gottes in der Geschichte berufen, unter der Voraussetzung, daß im Prozeß der Evolution von Schritt zu Schritt genuin Neues entsteht, das sich nicht auf das bereits Vorhandene reduzieren laßt.”
226	Heim, Wandlung Kap. 24, hält eine Allbeseelung für wahrscheinlich und nimmt keine prinzipielle Schranke zwischen Leben und “toter Materie" an. Er begründet dies damit, daß auch Tieren und Pflanzen, ja auch Molekülen und Atomen ein Innenleben zugeschrieben werden könne, Uber das jedoch wenig oder gar nichts aussagbar sei. Die genauere Begründung Heims für die Allbeseelung ist in unserem Zusammenhang nicht weiter wichtig, doch resultiert aus der Sicht einer Allbeseelung möglicherweise die Vorstellung, daß der Schöpfer seine ganze Information in die Materie hineingelegt haben könnte, die dann kraft der ihr schöpfungsgemäß zugeteilten Potenzen eine Evolution durchmachte. Damit begibt sich Heim jedoch in die Nähe eines Deismus; abgesehen von der naturwissenschaftlichen Problematik, die hier jedoch nicht diskutiert werden soll (s. dazu Vollmert, Molekül-, Verbrug-ge, Alive, Junker & Scherer, Entstehung u. a ).
Schaaffs, Jesus 146, vergleicht das Auswahlhandeln Gottes (Abraham, Israel in Ägypten, 7000 Gläubige zur Zeit Elias u. a.) mit der natürlichen Zuchtwahl. "Wenn wir auf diese Eni-wicklung des Volkes Israel schauen, dann erkennen wir, daß keines Tieres und keiner Ptlanze Entwicklung durch eine so mit Blut und Leiden gekennzeichnete Zuchtwahl verläuft. Es ist ganz unsinnig, überhaupt so zu sprechen. Müßten wir dann nicht auch sagen, daß der Herr Jesus in Sachen Israel seinen Charakter verleugnet und sich restlos kompromittiert hat?" (147).
Schaaffs unterscheidet mit dieser Argumentation nicht zwischen dem Schöpfungs- und Gerichtshandeln Gottes. Es steht nicht zur Debatte, ob Gott seinen Zorn walten lassen kann, sondern ob der Einsatz von “Blut und Leid” eine Schöpfungsmethode sein und im Wesen der Schöpfung liegen kann. Die Erwählung des Volkes Israel hing im übrigen gerade nicht am “survival of the fittest”, so daß der von Schaaffs aufgebotene Vergleich ganz unpassend ist.
227	J. JJüBNER, Biologie 42.
hätte gerade von dieser Darstellung her niemals zu einem Konflikt zwischen dem biblischen Reden von der Erschaffung der Weltbestandteile und der naturwissenschaftlichen Erklärung der Entstehung und der Entwicklung der Pflanzen und Tiere zu kommen brauchen”, meint Westermann.228 “Ausdrücklich sagt der Schöpfungsbericht, daß Gott die Tiere wie die Pflanzen in ihren Arten erschafft... Die Erschaffung der Pflanzen und Tiere impliziert hier also die Entwicklung der Arten. Dieses Element der Evolutionstheorie ist damit schon andeutend vorweggenommen.”-
Für sich genommen können diese Ausdrucksweisen (“sprossen”; “wimmeln”, “hervorbringen”) vielleicht im Sinne einer (göttlich gelenkten) Evolution gedeutet werden, doch wird das Schöpfungshandeln Gottes eben auch anders beschrieben. Wenn man also, wie Hübner schreibt, kein System aus den verwendeten Begriffen machen darf, dann können diese Ausdrucksweisen auch nicht als Belege für eine Vereinbarkeit der biblischen und evolutionären Geschichtsschau gewertet werden. Dies ist schon deswegen nicht möglich, weil bei einigen anderen Schöpfungswerken der Begriff R"D verwendet wird. Dieses Verb wird nie in Zusammenhang mit einem Material verwendet, das beim Erschaffen gebraucht würde. Offenbar soll damit ein Geschehen ausgedrückt werden, das nicht aus immanenten Bedingungen ableitbar ist (vgl. Hebr 11,3). Schließlich ermöglicht der Hinweis auf das “sprossen lassen” bzw. “hervorbringen” auch deshalb keine Harmonisierung mit dem Evolutionsgedanken, weil dieser Ausdruck nur bei einem Teil der Geschöpfe verwendet wird, während nach der Evolutionslehre alle Organismen in einem gemeinsamen Abstammungszusammenhang stehen.
“Es werde”
Lanzenberger interpretiert das göttliche “Es werde” ( TP ) im Sinne eines evolutiven Werdens und Wirkens. Das hebräische Wort enthalte sachlich das, was wir heute mit Evolution umschreiben.230 “Welch wunderbare Einheit liegt in
diesem hebräischen Wort, das allein Argumentation genug wäre für die These ‘Schöpfung = Evolution’.”231
Lanzenberger beruft sich in diesem Zusammenhang auf Boman,232 der den “dynamischen Charakter” von »TH betont. Doch aus Bomans Ausführungen geht nicht hervor, daß dieses Verb Evolution suggeriere.253 Darüber hinaus wird Bo mans Ansatz von der Linguistik in Frage gestellt.234 Nach deren Ergebnissen kann einzelnen Begriffen als solchen (der Etymologie) kein besonderes Gewicht in der Frage nach ihrer Bedeutung beigemessen werden; entscheidend sei vielmehr der Kontext. Es sei daher auch fragwürdig, von der Struktur der Sprache so etwas wie “hebräisches” oder “griechisches” Denken ableiten zu wollen. Sprache sei Konventionssache, keine “objektive” Abbildung der Welt.235 Trotz aller dieser Vorbehalte kann letztlich dahingestellt bleiben, ob (von anderen Gesichtspunkten abgesehen) «Tn mit Evolution (nachträglich) gefüllt werden kann. Ein ausdrückliches Argument für Evolution stellt dieser Begriff sicher nicht dar. !n dieses “Werden” eine Evolutionsgeschichte hineinzulegen, ist Willkür.236
Die “Toledot”
Ein weiterer Beleg für einen der Bibel impliziten Evolutionsgedanken sieht Lanzenberger in den
228	Westermann, Schöpfung 66; vgl. Westermann, Schöpfungsbericht 19f.; von Huene, Weg und Werk 30; Lanzenberger, Schöpfung 66ff.; Pannenberg, SystTheol 147.
229	Westermann, Schöpfung 70.
230	Lanzenberger, Schöpfung 39.
231	Ebd.
232	Boman, Das hebräische Denken 27 — 37.
233	Nach Gesenius, Handwörterbuch, bedeutet IT 71 nur dann ein Werden, wenn es sich um ein “Werden zu etwas” handelt (z. B. Gen 3,20; 4,20f.). Im Schöpfungsbericht dagegen bedeutet dieses Wort “geschehen, eintreten, entstehen”.
234	Barr, Semantics.
235	Thiselton, Semantics.
236	Eindeutig falsch ist jedoch in diesem Abschnitt die Behauptung, daß der Hebräer die Zeit nicht als Linie erkenne, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingeteilt werden könne. Gerade durch das Gegenteil setzten sie sich nämlich von den zyklischen Zeitvorstellungen der anderen antiken Völker ab, vgl. von Rad, TheolAT II 119ff.; Löwith, Weltgeschichte.
“Toledot” (“das ist die Geschichte von..die er kurzerhand mit “Evolutionsgeschichte”237 übersetzt. Er sieht insbesondere in Gen 2,4 eine “Zusammenordnung von Abstammungsverzeichnis (Evolution) und Gottes Schaffen”23®. Eine solche Gleichsetzung erscheint jedoch ebenfalls willkürlich.
Der göttliche Segen
Das Wort “Segen” soll nach Lxnzenberger gleichfalls den Evolutionsgedanken nahelegen: Es bedeute Gottes Lebenskraft für alle ‘lebenden Seelen’ und zeige deutlich, “daß Gott keine übernatürliche Schöpfung vorhatte, die alles Leben irgendwann vom Himmel fallen ließ. Gott hat eine Welt erschaffen, die Spielraum zur Entwicklung enthält, damit gibt Gott seinen Geschöpfen die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Segen bedeutet somit die Bereitstellung und Gabe zur Lebensentwicklung seiner Geschöpfe.”239 Segen enthalte den Auftrag zur Evolution.240 Doch kann aus dem Begriff des Segens kein Auftrag zur Evolution herausgelesen werden. Die Gabe des Segens kann nicht für eine phylogenetische Entwicklung reklamiert , sondern müßte mit einem fremden Inhalt gefüllt werden.
Psalm 104
In Psalm 104 ist u. a. von einem Werden und Vergehen der Tiere die Rede. Das wird oft im Sinne einer Vereinbarkeit mit der Evolutionslehre gedeutet. Doch beschreibt dieser Psalm nicht die ursprüngliche Schöpfung Gottes, sondern die Schöpfung, wie sie der Psalmbeter aufgrund eigener Anschauung kennt.241 Eine offenkundige Anspielung auf die Erschaffung findet sich nicht. Der Psalmbeter hat nicht die Entstehung der Welt im Blick, sondern es geht ihm um Gottes Bewahrung und Erhaltung der gegenwärtigen Schöpfung. Möglicherweise spielen die Verse 6ff. auf die Sintflut und die nachflutliche Regeneration der Erde an, womit das danach beschriebene Werden und Vergehen ein Kennzeichen
der nachsintflutlichen Welt wäre. Darauf deuten jedenfalls die Gerichtsanklänge in V. 7 sowie die Ankündigung hin, daß die Wasser nicht mehr die Erde bedecken dürfen (V. 9). Wären die Wasser der Schöpfung (in Parallele zu Gen l,2ff) gemeint, hätte Gott dieses Versprechen gebrochen.
In Psalm 49,13 heißt es, daß der Mensch davon müsse wie das Vieh. Auch dieser Satz soll eine evolutionstheoretische Deutung erlauben. Thie licke bemerkt dazu: “Ist der Sohn Gottes umsonst im Stall der Tiere geboren?”242 Damit soll also eine Verbundenheit zwischen Mensch und Tier, und zwar eine evolutiv bedingte, ausgesagt werden. Auch hier kann man jedoch dem Text keinen Hinweis entnehmen, daß die ursprüngliche Schöpfungsordnung beschrieben wird. Bestenfalls können solche Zitate im Nachhinein in eine Evolutionsvorstellung eingepaßt werden, wenn der Kontext nicht berücksichtigt wird. Daß Jesus im Stall der Tiere geboren wird, unterstreicht seine Erniedrigung (vgl. Phil 2,5-11) und drückt keine evolutionäre Verbundenheit des Menschen mit den Tieren aus, sondern ist eher als Andeutung dafür zu werten, daß die mit Jesus kommende Erlösung die ganze Welt, auch die Tiere einschließt.
In diesem Zusammenhang wird gelegentlich auch Pred 3,19 erwähnt, wonach der Mensch wie das Vieh stirbt, beide den gleichen Odem haben und der Mensch dem Vieh nichts voraus hat. Nach dem Kontext des ganzen Predigerbuches beschreibt es im wesentlichen die Situation des Menschen in der vom Fall gezeichneten Gegenwart und zwar den der horizontalen Dimension verhafteten Menschen. In dieser Ebene hat der Mensch den Tieren in bezug auf das Sterbenmüssen tatsächlich nichts voraus. Auch hier kann ein evolutionärer Zusammenhang nicht aus dem Text abgelesen werden.243
257 Lanzenberger, Schöpfung 84, 130.
238	Ebd. 85.
239	Ebd. 63.
240	Ebd. 129.
2,1 S. z. B. Kraus, Psalmen.
242	Thieucke, Wie die Well begann 38.
243	Ein solches Vorgehen würde auch dem weisheitlichen Kontext
Rom 8,19-22
Beth versteht Rom 8,19- 22 als “unaufhörliches Ringen der Kreatur aus der schmerzvollen Niedrigkeit empor”.244 Der Hauptgedanke sei im Ausdruck “auf Hoffnung” zu sehen, der eine “weite Perspektive der Aufwärts-Entwicklung des kreatürlichen Lebens” eröffne. Auch Hem minger & Hemminger meinen, Paulus spreche hier von der Schöpfung, als sei sie noch nicht fertig.245 Diese Sicht ist jedoch in den Text eingetragen. Die Kreatur wartet nach Rom 8,21 + 23 auf Befreiung und ringt sich nicht selber nach oben. (Diese Textstelle wird ausführlich in Abschnitt 4.3.2.2 behandelt.)
Gleiche Bezeichnung für tierisches und menschliches Leben
Die stammesgeschichtliche Verbundenheit zwischen Tieren und dem Menschen wird auch darin gesehen, daß Mensch und Tier die gleiche tJ’DJ (“Seele”) besitzen. “So bilden Mensch und Tier trotz aller Unterschiede letztlich eine große Einheit, die unsere Schöpfungsberichte dadurch herausheben, daß sie das Tier zur Bezeichnung seiner Lebendigkeit des gleichen Wortes würdigen, in das sie das Leben des Menschen fassen.”246 Engelland weist darauf hin, daß für das Erschaffen der Wasser- und Lufttiere dasselbe Wort ( N“C ) verwendet wird, wie für das Erschaffen des Menschen.
Doch auch daraus kann kein Argument für eine theistische Evolution gewonnen werden, denn mit dieser Feststellung kann zwar eine ge-schöpfliche Verbundenheit von Mensch und Tier begründet, jedoch nichts über deren Ursache (Evolution? Gottes unmittelbares Wirken?) festgestellt werden.
Außerdem ist zu beachten, daß die Bibel zwar wohl Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier nennt, aber auch Unterschiede. Die Erschaffung des Menschen wird im Schöpfungsbericht Gen 1 besonders hervorgehoben, in Gen 2 steht sie sogar im Brennpunkt. Nur der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen. Bibelzitate, die Gemeinsamkeiten herausstellen, sind kein Be-lefg für eine durchgängige Gleichartigkeit.
Läßt die Bibel die Entstehungsweise ausdrücklich offen?
Darüber hinaus wird argumentiert, daß es sich beim Schöpfungsglauben theologisch “im wesentlichen nicht um Ursprünge, sondern um ein von Gott ausgehendes, gegenwärtig wirksames Beziehungsgeflecht” handle.247 “So wird die Intention und das Ziel dieser verschiedenen Schöpfungsaussagen verkannt, wenn man darin in erster Linie eine Auskunft über den Ursprung des Weltganzen sucht.”248 Mit diesem Argument soll sich eine Vereinbarungsmöglichkeit zwischen der Evolutionslehre und dem biblischem Zeugnis eröffnen. Wenn die Bibel auch keine positiven Hinweise auf eine Evolutionslehre gebe, so lasse sich doch Spielraum dafür.249 Wie schon oben gesagt, mag das für einzelne, isoliert betrachtete Texte zutreffen, doch ist ein Vereinbarungsversuch vor dem Hintergrund des Gesamtzeugnisses der Heiligen Schrift zu bewerten (Kapitel 4). Außerdem ist zu fragen, ob die Deutung des gegenwärtigen Zustandes der Schöpfung von ihrer Entstehungsweise einfach abgekoppelt werden kann, ob man das “gegenwärtig wirksame Beziehungsgeflecht” (vgl. das o. g. Zitat von Hebart) abgesehen von seinen Ursprüngen überhaupt verstehen kann. Auch wenn die Heilige Schrift weniger auf den Ursprung abzielt, als auf das Hier und Jetzt und das Eschaton, so ist das Heute doch nur vor einem entsprechenden historischen Hintergrund der biblischen Urgeschichte verstehbar. Folglich kann der historische Hintergrund nicht der Beliebigkeit anheimgestellt werden, und die Heilige Schrift tut das auch nicht. Es stellt sich also die Frage, ob das Verständnis von Schöpfung, wonach die Welt in ständiger unmittelbarer Beziehung zu Gott steht, mit der Evolutionsvorstellung vereinbar ist. Dies ist Gegenstand von Kapitel 4.
des Predigers und der zuvor genannten Psalmen widersprechen: Hier wird die gegenwärtige Ordnung der Welt beschrieben, um damit Gott als deren Garanten zu preisen.
244	Beth, EntwickJungsgedanke 99.
245	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 156.
244 Engelland, Am Anfang 41.
247	Hebart, Schöpfungsglaube 54.
248	Ebd. 61.
244 Z. B. Wettermann, Schöpfung 69.
3.4.6	Schlußfolgerung
Der Überblick über die vorgetragenen Argumente hat gezeigt, daß der biblischer. Überlieferung keine deutlichen Belege für eine evolutive Geschichtsdeutung entnommen werden können. Biblische Texte können die Akzeptanz einer Evolutionslehre weder begründen noch nahelegen. Die vorgebrachten Argumente stellen auch das realhistorische Verständnis von Genesis 1 — 11 nicht in Frage. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß einzelne Texte, isoliert betrachtet, mit dem Evolutionsgedanken oberflächlich harmonisiert werden können.
Konzepte einer theistischen Evolution werden denn auch gewöhnlich nicht durch Verweise auf biblische Texte begründet, sondern durch Überlegungen zum Gottesbild und zum Handeln Gottes in “natürlichen” Prozessen sowie durch historisch-kritische Argumente. So soll im evolutionären Rahmen Gottes beständiges Wirken deutlicher zum Ausdruck kommen als in einer biblisch-heilsgeschichtlichen Schau (gemäß der Charakterisierung in Abschnitt 1.1). Tatsächlich kann aber auch in einem nicht-evolutionären Rahmen die Notwendigkeit einer creatio continua deutlich gemacht werden. Die Idee, daß das Gottesbild im Kontext einer umfassenden Evolution “größer” oder “überlegener” werde, ist aufgrund der Kehrseiten des als Schöp-
fung verstandenen evolutiven Wandels (Tod, Mißbildung, Aussterben usw.) sehr fragwürdig. Der Vergleich des postulierten evolutiven Erschaffern mit der Individualentwicklung heutiger Geschöpfe ist aufgrund gravierender Unterschiede beider Prozesse nicht durchführbar, da an entscheidenden Stellen ein tertium comparationis fehlt.
Die historisch-kritische Exegese glaubt, in den biblischen Texten überholte Weltbildelemente zu finden, und versucht, von diesen abzusehen, um zum eigentlichen Kern dessen, was für alle Zeiten verbindlich gesagt ist, durchzudringen, und in einem dritten Schritt diesen Offenbarungskern auf das moderne Weltbild zu beziehen. Durch dieses Vorgehen soll einerseits die Irrelevanz geschichtlicher und naturkundlicher Aspekte der biblischen Überlieferungen für Fragen der Glaubenslehre begründet und andererseits das Vorgehen legitimiert werden, die “eigentlichen” Kernaussagen des Glaubens mit dem modernen evolutionären Weltbild in Beziehung zu bringen. Die entscheidende Frage wird sein, ob die biblische Heilsbotschaft diesen vermeintlichen “Umzug” ins moderne Weltbild unbeschadet übersteht.250 Dieser Frage widmet sich Kapitel 4. Weiter wird zu prüfen sein, ob die theologischen (z. T. berechtigten) Gründe, die genannt werden, auch im traditionellen biblischheilsgeschichtlichen Rahmen (evtl, in anderer Weise) befriedigt werden (Kapitel 5).
3.5	Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener theistisch-evolutionistischer Entwürfe
Wie bereits deutlich wurde, liegen verschiedene Varianten theistisch-evolutionistischer Prägung vor. Es besteht jedoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die sich aus der Akzeptanz einer universellen Evolution als Ablauf (dem postulierten Evolutionsverlauf “Vom Urknall bis zum menschlichen Geist” als solchem; abgesehen von der Mechanismenfrage) ergeben. Ohne die folgenden Merkmale kann es keine Evolution geben. Daher sind sie Bestandteil jeglicher Harmonisierung der biblischen und evolutionären Ge-
schichtsschau. Diese Punkte sind folglich auch mit atheistischen Evolutionsvorstellungen gemeinsam.
1.	Die bekannten Evolutionsfaktoren sind mindestens Teilfaktoren zur Hervorbringung neuer Lebensformen, auch des Menschen (vgl. Abschnitt 2.4).
2.	Tod und Leid (Krankheit, Defekte, Unfälle etc.) sind Voraussetzung für die Höherentwick-
250 Vgl. dazu Lachenmann, Wort 182ff.
lung (vgl. Abschnitt 2.4.3).
3.	Die Evolution vom Tier zum Menschen verlief in Populationen, nicht direkt über einzelne Individuen oder Paare. Die Basis jeglichen evolutiven Wandels sind immer Populationen. Daraus folgt: Ein monogenetischer Ursprung des Menschen (alle Menschen als Nachkommen eines einzigen Paares) ist nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand über Evolutionsmechanismen unmöglich.
4.	Die Entwicklung verlief in riesigen, in Jahrmilliarden zu bemessenden Zeiträumen.
Daneben sind eine Reihe von Unterschieden zwischen einzelnen theistisch-evolutionistischen Entwürfen zu nennen:
1.	Manche theistischen Konzepte gehen von einer Zielgerichtetheit der Evolution aus, andere nicht.
2.	Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, ob die bekannten (oder noch zu entdek-kenden, naturwissenschaftlich erforschbaren) Evolutionsfaktoren ganz ausreichen, um eine Höherentwicklung zu bewirken, oder ob man
mit besonderen Eingriffen Gottes rechnen muß.
3.	Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, ob Gott gelegentlich gezielt in den Evolutionsprozeß eingegriffen hat oder nicht.
4.	Nach manchen Konzepten ist die Menschheit erst einige tausend Jahre alt, andere halten sich an das von Evolutionstheoretikern heute vertretene Alter von 2—3 Millionen Jahren.
5.	Einige Autoren versuchen, die Möglichkeit eines biologischen Monogenismus im Primatenstamm zu begründen.
Aufgrund der oben aufgelisteten Gemeinsamkeiten ist es vielfach nicht erforderlich, zwischen einer atheistischen Evolutionslehre und den theistischen Varianten zu unterscheiden, da in wesentlichen Aspekten keine Unterschiede vorliegen. Denn alle Vertreter einer theistischen Evolution müssen eine Reihe von Evolutionsvorstellungen einer atheistischen Evolutionslehre akzeptieren (z. B. die Notwendigkeit des Todes und der natürlichen Auslese als Bedingungen für den Evolutionsprozeß u. a.; vgl. die o. g. Gemeinsamkeiten), da diese Vorstellungen eine conditio sine qua non für alle Evolutionstheorien sind.
3.6	Theistisch-evolutionäre Entwürfe und die Daten der Wissenschaft
3.6.1	Daten, Theorien, historische Rekonstruktionen
Die naturwissenschaftliche Erkenntnismethode bezieht sich auf empirische Daten, also auf Ergebnisse von Beobachtungen, die im Freiland oder bei Laborexperimenten gewonnen werden. Die Daten müssen intersubjektiv prüfbar und reproduzierbar sein. Damit scheiden geschichtliche, nicht-regelhafte und subjektive Vorgänge aus dem Erkenntnisbereich der Naturwissenschaften aus. Im Bereich der Geschichtswissenschaften müssen andere Erkenntnismethoden angewandt werden als in den Naturwissenschaften.251 Historische Dokumente müssen unter Leitideen gedeutet werden; diese Leitideen bleiben immer hinterfragbar. Diese an sich triviale Feststellung muß getroffen werden, weil die
Evolutionslehre fälschlicherweise unter die Naturwissenschaften subsummiert wird, gleichermaßen von Naturwissenschaftlern und von Theologen, die sich um eine Zusammenschau von Evolution und Schöpfungsglauben bemühen. Da naturwissenschaftliche Ergebnisse gewöhnlich den Nimbus des Exakten und Objektiven haben, werden diese Bewertungen auf die Evolutionslehre übertragen, so daß diese als Konstante auftritt, an die sich das Denken, auch die Theologie, anzupassen habe. Dabei wird übersehen, daß Daten nur in einem theoretischen (letztlich metaphysischen) Rahmen aussagekräftig sind und daß, wie schon vermerkt, Evolutionstheorien den naturwissenschaftlichen Bereich über-
251 Vgl. Steinebrunner, Sturz.
steigen und geschichtswissenschaftlicher Natur sind. Dazu sind einige Erläuterungen erforderlich:
1.	Die Wissenschaftstheorie hat herausgestellt, daß Daten (lat. datum = das Gegebene), Beobachtungsergebnisse an sich, nicht losgelöst von Theorien Sinn haben können. Man sollte daher “Daten” von “Fakten” (= durch Theorien gedeutete Daten; lat. factum = das Gemachte) unterscheiden.252
Theorien haben aber immer und notwendigerweise metaphysische Grundlagen und Anteile. Wissenschaftstheoretisch ist heute klar, daß wissenschaftliche Ergebnisse oder Theorien immer hinterfragbar bleiben müssen.253 Metaphysische Randbedingungen von Theorien gehören aber zweifellos auch zum theologischen Diskussionsfeld, denn in diese Randbedingungen können explizit oder implizit Aussagen über Gott und die Art und Weise seines Handelns eingehen. Daher ist es prinzipiell erforderlich und berechtigt, naturwissenschaftliche Theorien in ihren kontingenten Randbedigungen und der Reichweite ihres Erklärungsanspruchs theologisch zu hinterfragen. Eine Trennung beider Gebiete ist Illusion.
2.	Die Evolutionslehre überschreitet den Raum der empirischen Wissenschaften und ist primär Geschichtswissenschaft. Ein einmaliger, vergangener Ablauf soll durch Evolutionstheorien rekonstruiert und hypothetisch erfaßt werden. Durch die eingeschränkte Methodik des Naturwissenschaftlers können hingegen nur aus reproduzierbaren Daten Fakten gewonnen werden. Reproduzierbar ist aber nur, was sich auch in der Gegenwart abspielt bzw. beobachtbar ist. Mit seiner Erkenntnismethode kann der Naturwissenschaftler also nur die gegenwärtigen Verhältnisse beschreiben und in der Gegenwart wirksame kausale Zusammenhänge erfassen. Will er dagegen die Vergangenheit rekonstruieren, muß er die Grenzen seiner Erkenntnismethode überschreiten und Hypothesen entwickeln, in welche notwendigerweise vorwissenschaftliche Prämissen eingehen. Aufgrund seiner Methodik kann er über den einmaligen Prozeß der Geschichte der Natur nichts aussagen, denn das Geschichtliche, das Singuläre, liegt außerhalb seines For-
schungsfeldes. Die mit den Erkenntnismethoden der Naturwissenschaften gewonnenen Theorien haben nur eine Kontrollfunktion, indem historische Rekonstruktionen in ihrer faktischen Plausibilität überprüft werden.
Beispielsweise ergibt sich im evolutionären Konzept einer allgemeinen, kleinschrittig verlaufenden Stammesgeschichte die naturwissenschaftlich prüfbare Erwartung, Zwischenformen zwischen den Tier- und Pflanzengruppen zu finden, die gemäß spezieller Theorien abstammungsmäßig verbunden sind. Oder im schöpfungstheoretischen Grundtypkonzept, nach dem Typen von Lebewesen gesondert (ohne Abstammungsverbindung) entstanden sind (erschaffen wurden), ist zu erwarten, daß unter den heutigen Lebewesen (wie auch unter den fossil erhaltenen) solche Typen aufgefunden und gegeneinander abgegrenzt werden können (vgl. dazu Abschnitt 5.5.1).
Historische Rekonstruktionen sind aber nur möglich unter der Vorgabe von Prämissen (vgl.
1.). In der Wahl der erforderlichen Prämissen gibt es zunächst keinen Zwang aufgrund vorliegender Daten. Diese Wahl wird beeinflußt durch das Vorverständnis der Wirklichkeit, mit dem ein Wissenschaftler an sie herangeht. Dieses kann in unterschiedlichen Weisen weltanschaulich oder religiös geprägt sein.
An dieser Stelle befindet sich ein neuralgischer Punkt. Denn diese Wahl ist keine “neutrale” Sache. Hier spielt der sich auf die biblischen Offenbarungen stützende Glaube die entscheidende Rolle. Da das Geschichtshandeln Gottes ein Spezifikum des biblischen Glaubens ist (vgl. Abschnitt 5.2), können Geschichtsrekonstruktionen nicht einer atheistischen Geschichtswissenschaft überlassen bleiben, auch nicht im Be-
252 “‘Factum’ bezeichnet das ‘Gemachte’ und drückt in ursprünglicher Bedeutung viel besser aus, worum es sich in der Wissenschaft handelt: Um etwas, das von der Methode abhangt, das ohne sachgerecht fragendes Subjekt gar keinen Sinn in der Wissenschaft hat und eben nur vermöge des Subjektes zum Objekt wird" (Mollenhauer, Erkenntnis 20).
255 Ein zusammenfassender Überblick über die Entwicklung hin zu dieser Erkenntnis findet sich bei Spinner, Pluralismus-, vgl. Lenk, Wissenschaftstheorie, Steinebrunner, Sturz-, vgl. Abschnitt 1.4.
reich der Naturgeschichte, weil Gottes Herrschaft sich auf alle Bereiche der Wirklichkeit erstreckt. Deshalb darf die christliche Theologie diese Weichenstellung nicht preisgeben. Sie muß sich hier einmischen, da diese Wahl nicht Sache der Naturwissenschaft, sondern Ausdruck einer religiösen oder philosophischen Sicht vom Ganzen ist.254
Wer die Geschichte des Lebens und speziell die Entstehung des Menschen den scheinbar dafür “zuständigen” Naturwissenschaftlern alleine überläßt, übersieht also, daß bei der Geschichtsrekonstruktion weltanschaulich motivierte Prämissen vorgegeben werden müssen. Die Auffassung, die Naturwissenschaft könne an dieser Stelle weltanschaulich neutral sein und man könne die “naturwissenschaftliche” Geschichtsrekonstruktion als für den christlichen Glauben irrelevante Ebene von Fragen des Glaubens abkoppeln, ist wirklichkeitsfremd und zur heutigen Wissenschaftslehre widersprüchlich (Abschnitt 1.4). Nur von wenigen theologischen Autoren wird dieser in der Wissenschaftstheorie geläufige Umstand beachtet; so z. B. bereits von Ternus im Jahre 1948: “Die ‘voraussetzungslose Wissenschaft’ des ausgehenden letzten Jahrhunderts war ein Schlagwort, dessen innere Unwahrheit und Unwahrhaftigkeit längst aufgedeckt ist.”255 “Eine naturwissenschaftliche Entwicklungsbiologie, die für das Entwicklungsgeschehen grundsätzlich übermenschliche Kausalfaktoren leugnet, macht sich einer törichten Grenzüberschreitung schuldig.”256 Ternus bezweifelt, daß die Abstammungsfrage überhaupt “mit den rein natürlichen Mitteln menschlicher Vernunft und Wissenschaft” gelöst werden kann.257 Er erkennt, daß die Naturwissenschaft, trotz ihrer Exaktheit, mit philosophischen Voraussetzungen gesättigt ist.258 Neuerdings zeigt Beck die Aufgabe Systematischer Theologie angesichts der Begrenztheit der Fachwissenschaften und der metaphysischen Fundierung von Theorieentwürfen auf.259 Die Aufgabe der Systematischen Theologie und der christlichen Glaubenslehre sei es vor allem, “im Dialog mit den Wirklichkeitsaspekten der Fachwissenschaften Eigenstand und Eigenrang empirisch abgrenzbarer Sachverhalte auf einen ganzheitlichen Sinnraum hin auszulegen.”260 Wird aber
dieser Sinnraum nicht durch die biblische Schau der Heilsgeschichte (gemäß Abschnitt 1.1) vorgegeben, so wird er von anderen, nicht-biblischen Konzepten ausgefüllt.
Trotz der Kontrollfunktion der Naturwissenschaft bei historischen Rekonstruktionen (im Sinne der o. g. Prüfung der Verträglichkeit mit den ermittelten Gegenwartsdaten) ist es nicht Sache der auf die gegenwärtige Erfahrungstypik bezogenen Realwissenschaften, ihre Erkenntnis der gegenwärtigen Phänomene ungeschichtlich für Vergangenheit und Zukunft einzufordern. Hierzu gehört die kosmologisch interessante Diskussion, ob es überhaupt “Naturkonstanten” gibt.261
Wenn also gefordert wird (wie es viele Autoren tun), man solle der Wissenschaft geben, was der Wissenschaft ist, und Gott, was Gottes ist, so muß man darauf antworten, daß die Evolutionslehre nicht “reine” Wissenschaft ist, sondern in ihrem Kern eine Weltanschauung, die wissenschaftliche Daten unter ihrer vorwissenschaftlichen Leitanschauung zu deuten versucht. Würde man eine Trennung zwischen Inhalten des Glaubens und Daten der Naturwissenschaft konsequent einfordern, so blieben einerseits nur belanglose Aussagen (zusammenhanglose Gegenwartsdaten), andererseits Glaubensaussagen ohne Bezug zur realen Welt, die dadurch ebenfalls praktisch belanglos würden.
Vögtle meint in bezug auf eschatologische Fragen:262
"Auf Grund unseres besseren kosmologischen Wissens muß es in der Tat unserem Denken widerstreben, Texte wie die eingangs zitierten als Voraussagen wirklicher kosmischer Katastrophen, sogar des regelrechten Untergangs der bestehenden Welt und
254	Daß es solche “Wahl” auch innerhalb der Theologie, besonders in der Hermeneutik gibt, sei nur am Rande erwähnl. Vgl. auch Track, Naturwissenschaften 111.
255	Ternus, Abstammungsfrage 7.
254 Ebd. 11.
257	Ebd. 19.
258	Ebd. 22.
259	Beck, Universalität 50ff., bes. 57f.
240	Ebd. 58.
241	Beck, Urknall.
242	Voctle, Zukunft 46. Er bezieht sich z. B. auf Mk 13,24f.; Offb 20,11; 2 Petr 3,7.
der nachfolgenden Schöpfung eines neuen Universums, auch nur im geringsten ernst zu nehmen_
Schon gar nicht kannten sie [die Menschen der Bibel) den Begriff einer eigengesetzlichen Natur, eines weltimmanenten Kausalzusammenhangs, so daß dem alttestamentlich-israelitischen Naturdenken schon von daher jeder Ansatzpunkt für die Idee einer inneren Evolution der Schöpfung fehlte.”2“
Dieser Autor setzt hier moderne kosmologische Theorien bzw. Spekulationen als “objektive Tatsachen” (“Wissen”) der Naturwissenschaft voraus, von denen das Denken nicht absehen könne. Tatsächlich aber spiegeln sich in diesen Theorien philosophische Denkvoraussetzungen wider, die zu hinterfragen sind. Auch die Idee von der eigengesetzlichen Natur ist nicht einfach eine Tatsache. Die Idee von einer eigengesetzlichen Natur und einem weltimmanenten Kausalzusammenhang ist ein philosophisches Konzept und nicht Erkenntnis moderner Naturwissenschaft. Die Tatsache, daß diese Ideen in der Bibel nicht zu finden sind (sondern eher ihr Gegenteil) ist folglich auch kein Zeichen von geistiger oder wissenschaftlicher Rückständigkeit biblischer Autoren. Nach dem oben Gesagten liegt Vögtle falsch, wenn er zum Verhältnis des christlichen Glaubens und der Naturwissenschaft am Beispiel der Zukunftsperspektiven meint, als Exeget “qua Exeget” die Frage nach der Zukunft des Kosmos mit gutem Gewissen dem Naturwissenschaftler überlassen zu können und zu sollen.264 Er übersieht hier, daß der Bereich der Zukunft (wie der der Vergangenheit) nicht Sache der Naturwissenschaft ist, sondern daß notwendigerweise philosophische Grundvoraussetzungen ins Spiel kommen.265
Die Problematik der weltanschaulichen Verflochtenheit von Geschichtsrekonstruktionen (auch im Bereich der Naturgeschichte) wird in Kapitel 5 in anderem Zusammenhang erneut aufgegriffen.
3.6.2	Gleichsetzung von “Naturwissenschaft” und “Evolution”
Immer wieder kann man bei Autoren, die eine theistische Evolution vertreten, die methodische Gleichstellung von Evolutionsforschung und Na-
turwissenschaft feststellen.266 Als wissenschaftlich wird mindestens auf dem Gebiet der Naturwissenschaften weithin nur das angesehen, was dem evolutionstheoretischen Denkrahmen angepaßt ist. Nach oft geäußerter Auffassung greift die Wissenschaft schlechthin an, wer die Evolutionsanschauung angreift.267 Wenn dies auch nicht immer explizit zum Ausdruck gebracht wird, zeigt sich diese Situation doch unterschwellig in typischen Formulierungen wie den folgenden: ln der Auseinandersetzung um die Evolutionslehre würde “der Irrtum verbreitet, daß eine religiöse und eine wissenschaftliche Sicht der Ursprünge sich unversöhnlich und unabänderlich gegenüberstehen. . .”268 Diese Gleichsetzung wird auch in den Vorwürfen deutlich, die an die Adresse von Gegnern der Evolutionslehre gerichtet werden, nämlich daß sie die Naturwissenschaft bekämpfen würden.269 Hier heißt “naturwissenschaftlich” = “evolutionstheoretisch”. Dieser Einschätzung von Naturwissenschaft hat man sich in der Theologie in unserem Jahrhundert fast durchgängig vorbehaltlos angeschlossen. Geradezu beispielhaft setzt Ratzinger “wissenschaftlich denken” explizit mit “evolutionstheoretisch denken” gleich.270 Schmitz-Moormann subsummiert implizit die Evolutionslehre unter die von den Naturwissenschaften in verifizierbarer Weise erforschten Erfahrungstatsachen.271 Wenn Bosshard vom “naturwissenschaftlichen Befund der Selbstorganisation”272 spricht, spie-
263 Hervorhebung nicht im Original.
261 Vogtlf., Zukunft 57.
265 Gilkey, Debatte 463, bemerkt mit Recht, daß wissenschaftliche Theorien aus dem Experiment und dem in ihm gesammelten Beweismaterial hervorgehen müssen. Er bemerkt jedoch offenbar nicht, daß dies auf die Evolutionstheorie nicht zutrifft; nur die Schöpfungsforschung überschreite den empirischen Bereich. Beide müssen aber, wie oben dargelegt, diesen Bereich überschreiten, denn beide konkurrierenden Theorien versuchen sich an einer geschichtlichen Rekonstruktion und arbeiten mit geschichtswissenschaftlichen Methoden (Deutung von Zeugnissen und Indizien) und nur in Teilgebieten mit Ergebnissen aus der Experimentalforschung.
M Wie bereits in Abschnitt 1.3 erwähnt wurde.
267	Vgl. z. B. Mahner, Schöpfungstheorie.
268	Gilkey, Debatte 459.
244 Z. B. Ilues, Schöpfung 100; Mahner, a. a. O.
270	Ratzinger, Schöpfungsglaube 238.
271	Schmitz-Moormann, Erbsünde 31.
272	Bosshard, Erschafft die Welt 17.
gelt dies dieselbe verkehrte Auffassung in typischer Weise wider. In Wirklichkeit ist “Selbstorganisation” durch kein Experiment oder sonstige empirische Befunde gestützt, sondern ein naturphilosophisches Postulat.273
Methodischer Atheismus
Gilkey meint im Blick auf die Entstehung der Lebewesen, man dürfe sich nicht auf supranaturale Kräfte oder das Handeln Gottes berufen.274 Das sei sonst wider den methodischen Atheismus.275 Der methodische Atheismus hat aber nur im experimentellen Rahmen seine Berechtigung, weil er dort Erkenntniszuwachs ermöglicht. Der bei Experimenten vorausgesetzte methodische Atheismus schließt die Wirkung supranaturaler Kräfte im übrigen nicht prinzipiell aus, sondern vermutet strenggenommen lediglich, daß bei den untersuchten Prozessen gesetzmäßig erfaßbare Wirkungen vorhanden sind, die man durch einen geeigneten Versuchsaufbau herausfinden will. In diesem Sinne hat methodischer Atheismus seinen Platz im experimentellen Rahmen der Gegenwartsanalyse, nicht aber in der Geschichtsrekonstruktion, in der keine Experimente durchgeführt werden können, sondern Dokumente interpretiert werden müssen. Und hier ist es methodisch nicht begründbar, supranaturale Kräfte prinzipiell auszuschließen.276
Wohl nur aufgrund dieser falschen Gleichsetzung kann man die polemisierende Behauptung verstehen, der sogenannte “Kreationismus”277 würde den “zentralen Inhalt des größten Teils unserer Wissenschaft” ablehnen und verwerfe den “Grundsatz, von dem unsere wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchungen ausgehen, der die wichtigste Grundlage unserer heutigen Technologie und Industrie, um nicht zu sagen unserer gesamten akademischen Kultur ist.”278 Dieser schwere Vorwurf kommt dadurch zustande, daß diese Autoren die Evolutionslehre fälschlicherweise mit Naturwissenschaft gleichsetzen und schöpfungstheoretisch orientierte Autoren die Evolutionslehre ablehnen. In Wirklichkeit ist ein Großteil der Daten der Wissenschaft und die sie gesetzestypisch verknüpfen-
den Theorien (vermutlich über 99%279) bedeutungslos für die Frage nach den Ursprüngen, folglich sind diese Erkenntnisse von vornherein nicht von der Ablehnung der Evolutionslehre betroffen. Darüber hinaus werden auch die in der Evolutionslehre gedeuteten Daten nicht bestritten, sondern die evolutionstheoretische Deutung dieser Daten.
Bavink spricht von der Evolution sogar als Selbstoffenbarung Gottes, womit die Evolutionsanschauung gar den Rang eines Absolutums erhält.280 Diese Auffassung basiert wieder auf der Gleichsetzung von Wissenschaft und Evolutionslehre und darüber hinaus auf einem unkritischen Verhältnis wissenschaftlicher Erkenntnis gegenüber. Denn an Bavinks Auffassung ist biblisch gesehen richtig, daß auch die sichtbare Schöpfung Mitteilung Gottes ist. Sie ist allerdings interpretationsbedürftig (vgl. vor allem Röm l,19f. und Röm 8,19-22; s. Abschnitt 4.3.2). Evolution ist jedoch Deutung, nicht Datum.
Ähnlich wie Bavink sieht es van Till. Nach seiner “creationomic perspective” gilt: “Becau-
273	Vgl. auch Daecke, Evolution 244; Rupp u. a., Wege', Gilkey, Debatte 466.
274	Gilkey, a. a. O. 463; vgl. Kraus, SystTheol 255.
275	Stuhlhoper, Weltengrund, spricht hier von einem “Noninler-vemionismus".
276	Gilkey, a. a. O. 466, selber bemängelt die Gleichsetzung von evolutionärer Wissenschaft mit naturalistischem Humanismus durch einen Großteil der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Er sieht also durchaus, daß Naturwissenschaft weltanschaulich durchwoben sein kann, im Falle der Evolulionslehre bemerkt er es jedoch nicht.
271 Der Begriff ist aus dem englischen Wort “creationism" abgeleitet, welches dort als Gegensatz zu “evolutionism” (Evolutionismus) gebraucht wird. Im deutschen Sprachraum werden die Begriffe Evolutionismus und Kreationismus häufig bewußt im abwertenden Sinne gebraucht und stehen dann einer sachlichen Auseinandersetzung entgegen. Der Begriff “Kreationismus” wird in Anführungszeichen gesetzt und ist zu vermeiden, weil er das Augenmerk einseitig auf den Schöpfungsvorgang legt und nicht einmal ansatzweise den Gesamtrahmen der Schöpfungslehre kennzeichnet, nämlich die Konzeption einer Geschichtsschau vom Anfang bis zum Ende. Da der Begriff von Gegnern der hier vertretenen Auffassung gerne verwendet wird, muß er auch hier gelegentlich gebraucht werden.
278	Gilkey, a. a. O. 467; vgl. Mahner, Kreationismus.
279	Das gilt schon für Biologie; man denke aber auch etwa an Ingenieurwissenschaften, Informatik, Medizin usw.
280	Bavink, Naturwissenschaft 79.
se the Bible teaches that God is the Governor of all phenomena in his Creation, we can assume that all natural processes are manifestations of the Creator’s faithful and purposeful governan-ce; no natural phenomenon whatsoever falls Outside of the domain of divine governance.”281 Es wird einfach alles, was mit den Methoden der “Naturwissenschaft” inklusive des geschichtlichen Aspekts (Evolution) in den biblischen Rahmen, daß die Welt Schöpfung ist, eingeordnet. Dabei bleibt es bei allgemeinen, vagen Formulierungen. Evolution wird dennoch als natürlicher Prozeß angesehen, der nicht fundamental verschieden sei von Prozessen wie dem Sonnenaufgang, einem winterlichen Schneesturm, dem Blühen einer Blume oder der Geburt eines Kindes.282 Hier wird der Unterschied zwischen dem geschichtlichen Aspekt der Welt und ihrer gegenwärtigen Beschreibung und Erforschung gänzlich mißachtet.
Van Till283 bezieht das Lob des 19. Psalmes auf das “expandierende Universum”, welches von der Ehre Gottes erzähle, und auf die kosmische Evolution, die sein Handwerk verkünde. Wir könnten Gott auch für das preisen, was wir durch unsere wissenschaftliche Erforschung herausgefunden haben, sogar für die kosmische Evolution.284 Auch diese Auffassung belegt, daß Evolution mit empirischer Wissenschaft identifiziert und als pures Datum gesehen wird.
3.6.3	Fehleinschätzung der Erklärungskraft der Evolutionslehre
Über die fälschliche Gleichsetzung von Evolutionsanschauung mit Naturwissenschaft hinaus muß auch eine Fehleinschätzung der Erklärungskraft der Evolutionslehre angemahnt werden. Bemerkenswerterweise ist in den letzten beiden Jahrzehnten die Evolutionslehre von naturwissenschaftlicher Seite in einem lange nicht mehr gekannten Ausmaß kritisiert worden.285 Die Erklärungskraft der herkömmlichen Evolutionstheorien wird teilweise sehr in Frage gestellt. Wenn auch in der Regel Evolution als geschichtliche Realität durch diese Kritiker nicht aufgegeben wird, so ist die Kritik doch so weitgehend, daß auch der Schritt der Ablehnung des Evolutionsgedankens schlechthin begründet erscheint. Doch die Theologie, die einstens durch das Aufkommen der Evolutionslehre mit zum Umdenken in Fragen des Ursprungs geführt wurde,286 sieht diese Entwicklung weithin als irrele-vantfür Ihre Fragestellungen an. Dies dokumentiert den Bruch zwischen Glauben und Wissen.
281	Van Till, Fourth Day 251.
282	Ebd. 252.
285 Ebd. 253.
284	Ebd.
285	Einen Überblick über diese Kritik bietet Scherer, Probleme. 288 Vgl. Lohfink, Bibelauslegung.
4.	Biblische Heilstatsachen in evolutionärer Perspektive
Die Notwendigkeit der Rückfrage nach dogmatischen Konsequenzen der Evolutionslehre
In diesem Kapitel soll untersucht werden, inwieweit Inhalte der biblischen Glaubenslehre durch die Akzeptanz der Evolutionsanschauung betroffen sind. Es soll nach dogmatischen Konsequenzen gefragt werden, die sich ergeben, wenn die Evolutionsanschauung als Erkenntniskonstante vorgegeben wird, auf die sich Aussagen des christlichen Glaubens zu beziehen haben.
Nach der “Entflechtungsthese” (vgl. Abschnitt
1.5.2.1)	wäre diese Untersuchung schnell durchgeführt, denn danach wäre die Akzeptanz irgendwelcher naturwissenschaftlicher Evolutionstheorien genauso folgenlos für den christlichen Glauben wie die Ablehnung von Evolution. Tatsächlich ist aufgrund des Realitätsbezugs der in den biblischen Schriften bezeugten Gottesoffenbarungen die “Entflechtungslösung” keine Lösung, sondern erscheint als ein Ausweichen vor der Verhältnisbestimmung zwischen der evolutionären und biblischen Geschichtsschau. Wie in Abschnitt 3.3 gezeigt, läuft die Entflechtungsthese darauf hinaus, die Evolutionsanschauung als Faktum zu akzeptieren; sie kann auch von ihren Befürwortern nicht konsequent vertreten werden.
Die Notwendigkeit dieser Rückfrage sei vorab an einem Beispiel erläutert: Lohfink1 hält gegenüber den Fragen, ob der Mensch gut geschaffen sei und das Dunkle nur durch Freiheit und Sünde des Menschen in die Welt komme, die konkrete Vorstellung vom Werden des Menschen, ob evolutiv oder nicht, für sekundär. Man kann diese Fragen jedoch unter Absehung der Evolutionsanschauung, so sie denn zuträfe, gar nicht realistisch beantworten. Denn wenn der Mensch durch Evolution entstanden ist, dann muß man sich zumindest der Frage stellen, inwieweit sein Gut- oder Bösesein durch dieses Werden mitbedingt sein könnte. Jedenfalls ist diese Möglichkeit nicht von vornherein ausgeschlossen. (Von naturwissenschaftlicher Seite,
sofern sie evolutionstheoretisch ausgerichtet ist, gilt diese Frage im übrigen als beantwortet: das menschliche Verhalten soll maßgeblich durch die Evolutionsgeschichte bedingt, mindestens mitbedingt sein; vgl. Abschnitt 4.2.) Die Antwort auf diese Frage betrifft die Anthropologie elementar (Abschnitt 4.1). Damit sind aber auch zentrale Inhalte des christlichen Glaubens betroffen, da die Heilslehre eng mit dem Bild und der Situation des Menschen zusammenhängt (s. Abschnitte 4.2 bis 4.5). Folglich ist die Herkunft des Menschen, ob evolutiv oder nicht, zum Verständnis des Menschen wesentlich. Ein Rückfragen nach dem, was Evolution impliziert, ist unvermeidlich.
Es ist der Geschichtsbezug des biblisch orientierten Glaubens, der es erforderlich macht, eine Beziehung mindestens zur Menschheitsgeschichte herzustellen. Insoweit die Menschheitsgeschichte in einen evolutionären Rahmen gestellt wird, ergibt sich daher folgerichtig eine Auseinandersetzung mit der Evolutionsanschauung. Da die Menschheitsgeschichte biblisch gesehen nicht losgelöst von der Kosmosgeschichte gesehen werden kann und diese wiederum gewöhnlich als Evolutionsgeschichte begriffen wird, ergibt sich auch von daher die Rückfrage nach den Konsequenzen des evolutiven Geschichtsbildes. Es geht also um die Frage, welche Konsequenzen für das biblische Heilsverständnis folgen, wenn man eine evolutive Kosmosgeschichte voraussetzt.
Der Bezugsrahmen
Eine Schwierigkeit der erforderlichen Rückfrage besteht darin, daß unterschiedliche Varianten der Evolutionslehre vorliegen, wie in den beiden vorigen Kapiteln deutlich wurde. Es muß also klargestellt werden, worauf sich die Rückfrage beziehen soll. Es erscheint sinnvoll, den in Abschnitt 2.8 zusammengestellten “gemeinsamen Nenner” aller Evolutionstheorien (die wirklich
1 Lohfink, Bibelauslegung 96.
Evolutionstheorien sind) zugrundezulegen. Bezüglich der Variablen muß gemäß der in Abschnitt 3.2 charakterisierten Unterscheidung zweigleisig argumentiert werden, indem sowohl konsequente als auch gemäßigte Evolutionsanschauungen auf ihre Verträglichkeit mit den Offenbarungen des biblischen Kanons hin geprüft werden müssen.
Die Versuche, die Evolutionslehre und das biblische Zeugnis zusammenzuschalten, müssen daraufhin untersucht werden, ob die Aussagen der Evolutionslehre in realistischer Weise berücksichtigt werden - eine Selbstverständlichkeit, die in der Realität der theologischen Auseinandersetzung jedoch oftmals nicht bedacht wird. Denn immer wieder finden sich in Harmonisierungsversuchen unrealistische Auffassungen von der Evolutionstheorie. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Stammesgeschichte mit der Embryonalentwicklung (“Individualgeschichte”) analogisiert wird, denn die Stammesgeschichte verläuft nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als die Embryogenese (vgl. Abschnitt
3.4.4).
Die Vorgehensweise
Im folgenden soll bewußt von den Aussagen der Evolutionslehre ausgegangen werden. Von den Inhalten der Evolutionslehre aus wird danach gefragt, wie die biblischen Inhalte auf die Aussagen der Evolutionslehre bezogen werden können. Durch dieses Vorgehen soll die Behauptunggeprüft werden, eine (vermeintlich) weltanschaulich neutrale Evolutionstheorie betreffe Aussagen des Glaubens nicht — sofern der christliche Glaube nur richtig verstanden würde.2 Dazu soll nochmals beispielhaft Lohfink zu Wort kommen:
“Würde es wirklich einen biblischen Verfasser aufregen, wenn wir das uns heute von der Naturwissenschaft mit ganz anderer Zuverlässigkeit bereitgestellte Modell der evolutiven Entstehung des Kosmos, des Lebens und des Menschen einsetzen?
Ich glaube nicht. Die Bibel selbst hat ja durch das friedliche Nebeneinander der verschiedenen kos-mogonischen Modelle deren Relativität mitausge-sagt.”’
“Gott will die Welt, und er schafft sie. Aber er
will sie — so können wir heute formulieren — als eine sich selbst entwickelnde. Das ist mindestens schon im Ansatz geschehen. Was wollen wir mehr für eine theologische Begründung für die Evolutionslehre?”4 Wir wollen tatsächlich mehr: die Rückfrage nach den Konsequenzen der Evolutionslehre für die christliche Dogmatik.
Mangelndes Rückfragen nach dogmatischen Kon -Sequenzen
Autoren, die sich um eine Verhältnisbestimmung “Evolution und biblischer Glaube” bemühen, fragen überraschend selten nach eventuellen dogmatischen Konsequenzen aus der Akzeptanz der Evolutionslehre. Eine Ausnahme bildet die Diskussion im katholischen Bereich um Urständ, Sündenfall und Erbsünde (vgl. Abschnitt
4.3). Dagegen ist verwunderlich, daß die Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre oftmals nur um die Frage kreist, ob Evolution die Schöpfungsmethode Gottes gewesen sein könnte. Dabei wird offenkundig übersehen, daß bei einer Akzeptanz der Evolutionsanschauung nicht nur das Schöpferwirken Gottes betroffen ist, sondern die komplette Heilsgeschichte. In der Frage nach einer Zusammenschau einer evolutionären und der biblischen Schöpfungs- und Geschichtsauffassung stehen sich zunächst Geschichtskonzepte gegenüber. Eine Beschränkung der Diskussion auf die “Schöpfungsmethode” Gottes greift viel zu kurz.5
Dieser Mangel soll nochmals von einem anderen Aspekt her beleuchtet werden. So bewegt sich die Diskussion zu einem großen Teil um Fragen des biblischen Weltbildes und um die Exegese einiger alttestamentlicher Schöpfungs-
2	Diese häufig anzutreffende Einschränkung ist als Indiz dafür zu werten, daß das Glaubensverständnis durch die Akzeptanz der Evolutionslehre sehr wohl betroffen ist; es kommt nämlich offenbar auf das richtige Verständnis an.
3	Lohfink, a. a. O. 86; vgl. dazu Abschnitt 5.3.
4	Ebd. 105.
5	Vgl. z. B. Pannenberg, Creation 209; Sossmann, Naturwissenschaft. Holthaus, Fundamentalismus 352, stellt in seiner Untersuchung fest, daß die Kritik am Darwinismus im deutschsprachigen Raum fast ausschließlich von Apologeten und Alttestamentlern geführt wurde - ein Indiz dafür, daß die dogmatischen Konsequenzen für die neutestamentliche Heilslehre offenbar weitgehend übersehen wurden.
texte. Vereinfacht dargestellt ergibt sich hier oft folgendes Bild: 1. Die Schöpfungstexte der Bibel widersprechen sich teilweise, soweit es um naturkundliche und geschichtliche Aspekte der Schöpfung geht. Daraus wird gefolgert, daß die biblischen Autoren nichts Verbindliches über die Natur- und Menschheitsgeschichte sagen wollten. Damit sei Freiheit für naturwissenschaftliche Theoriekonzepte gegeben, da die biblische Überlieferung sich hierzu nicht äußere. 2. In ihren Schöpfungsaussagen, aber auch in den Zeugnissen über Gottes weiteres Geschichtshandeln, verwendeten die biblischen Autoren veraltete weltbildhafte Elemente (vgl. aber Abschnitt 5.3). Durch diese weltbildhafte Schale müsse man zum eigentlichen Kern des Glaubens durchstoßen.
Diese beiden Gesichtspunkte zielen auf dieselbe Konsequenz ab: Naturkundliche Aspekte des biblischen Zeugnisses sind für Modellbildungen und geschichtliche Rekonstruktionen der einzelnen Fachwissenschaften nicht bindend -im Gegenteil: Sie führen in falsche Richtungen. Zum Weltbildhaften und damit Relativen wer den dabei nicht nur Fragen der Kosmographie, also der Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der Welt, sondern auch Fragen des Geschichts- und Schöpfungsverständnisses gerechnet. Aufgrund dieser Argumentation wird als Konsequenz das Feld der empirisch zugänglichen Welt und das Feld der Geschichte den säkularen Wissenschaften preisgegeben. Dieses Feld ist heute in allen Disziplinen von evolutionären Konzepten besetzt.
An dieser Stelle muß nun die Rückfrage erfolgen: Kann der Wechsel des Weltbildbezugs zu einem evolutionären Weltbild ohne Substanzverlust oder Veränderung der Offenbarungsinhalte vorgenommen werden? Ist die Preisgabe der Historizität (im Sinne der in Abschnitt 1.1 vorgenommenen Charakterisierung) der biblischen Urgeschichte folgenlos für den Glauben? Darüber hinaus ist es noch ein wesentlicher Schritt weiter, die vermeintlichen Mythen der biblischen Urgeschichte durch die Evolutionslehre als neuen Weltbildrahmen, auf den sich der Glaube beziehen soll, zu ersetzen. Dies ist ein weitergehender Schritt, als nur die Irrelevanz der historischen
Einkleidung biblischer Wahrheiten zu behaupten. Man muß nach den Folgen der Akzeptanz dieser Vorgabe fragen. Um diese Rückfrage geht es in diesem Kapitel.
Das Fehlen der Rückfragen nach dogmatischen Konsequenzen belegt beispielhaft die Arbeit “Theologie und biologische Entwicklungslehre” von Hübner, in der der Autor eine große Zahl evangelischer und katholischer Autoren, die sich zu diesem Thema geäußert haben, zitiert.6 Statt sich den genannten Fragen zu widmen, wendet sich Hübner im wesentlichen der Untersuchung zu, “vorliegende Widersprüche entsprechend zu sichten und Überfremdungen der naturwissenschaftlichen Methode durch die Theologie und umgekehrt aufzudecken.”7 Beispielsweise sei die Forderung von Unerklärbarem in der Natur auf theologischer Seite ein Eingriff in die Naturwissenschaft.8 Wie im Verlauf der ganzen Untersuchung deutlich wird, setzt der Autor “Naturwissenschaft” und “Evolutionslehre” gleich (vgl. Abschnitt 3.6.2). Dies ist verständlich, da für ihn die Deszendenzlehre “als exakt bewiesen gelten” kann.9 Daraus folgert Hübner: “An den Stellungnahmen zur Deszendenz- und Selektionstheorie läßt sich somit am deutlichsten erkennen, ob und inwiefern philosophische und weltanschauliche Vor-Urteile die Sicht der auf der naturwissenschaftlichen Ebene zur Debatte stehenden Fragen grundsätzlich von vornherein bestimmen”10 - als ob die Deszendenztheorie ein objektiver Standpunkt wäre. Die Arbeitsweise der Naturwissenschaft wird dabei implizit unkritisch als “objektiv” vorausgesetzt (vgl. Abschnitt 3.6.2).
In den folgenden Darlegungen geht es nicht darum, die angesprochenen Themen erschöpfend darzustellen, sondern diejenigen Gesichtspunkte herausarbeiten, die für die Harmonisierungsbemühungen der evolutionären Geschichtsschau und der biblischen Heilsgeschichte von besonderer Relevanz sind.
6	J. Hobner, Theologie; ebenso neuerdings von Sprockhoff, Naturwissenschaft.
7	J. Hübner, a. a. O. 28.
8	Ebd. 57; vgl. Abschnitt 5 seines Buches.
’ Ebd. 29.
10 Ebd.
4.1	Der Mensch als Geschöpf: Evolutionäre Anthropologie
Wenn der Mensch von Gott durch Evolution erschaffen wurde, betrifft dies das Menschenbild. Das soll im folgenden gezeigt werden. Da die Frage des Menschenbildes mit der biblischen Heilslehre verknüpft ist, soll in der Beurteilung theistisch-evolutionistischer Konzepte zunächst auf anthropologische Aspekte eingegangen werden.
Im evolutionären Rahmen muß man fragen, an welcher Stelle des Stammbaums der Evolutionslehre Adam (sei es als Individuum oder als Repräsentant einer Evolutionsstufe) einzusetzen sei. Wo beginnt die Menschheit? Es sei ausdrücklich festgehalten, daß sich diese Frage auch stellt, wenn “Adam” ausschließlich kollektiv verstanden wird.
Im Rahmen der Evolutionslehre wird ein Tier-Mensch-Übergangsfeld postuliert (vgl. Abschnitt 2.5). Die Schwammigkeit dieses Begriffes ist der Kleinschrittigkeit des evolutionären Prozesses durchaus angemessen, denn ein eindeutig definierbares bzw. auszumachendes erstes Menschenpaar bzw. eine von Tieren klar abgrenzbare erste Menschenpopulation kann es im Evolutionsgeschehen nicht geben, da sich der Formenwandel in Populationen vollzieht (vgl. Abschnitt 2.4). Die Einheit der Evolution sind nicht Individuen oder etwa Paare, sondern ganze Gruppen von durch Reproduktion miteinander verbundenen Lebewesen der gleichen biologischen Art. In diesem Interpretationsrahmen kann eine bestimmte Form nicht als “erster Mensch” festgemacht werden. Es ist also letztlich nicht möglich, das Menschsein begrifflich abzugrenzen, wenn man von Evolution ausgeht.
4.1.1	Konsequent evolutionstheoretische Lösungen
Auflösung des Begriffs vom Menschen
Mit einer durch einen fließenden Übergang vom Tier zum Menschen bedingten Unschärfe des Begriffes vom Menschen freunden sich auch
manche Theologen an, beispielsweise Hübner.11 Im Zusammenhang mit der Frage, seit wann es Mord sei, wenn ein Mensch einen anderen erschlägt, hält er es für naturhistorisch aussichtslos, eine Antwort zu finden. Dahinter stünde nur das Interesse, das Menschsein nach vorne abzugrenzen und begrifflich abzusichern. Die Theologie könnte dann von einem festgefügten Menschenbild ausgehen und die Erlösungslehre exakt und eindeutig darauf aufbauen. Was soll daran schlecht sein? Hübner suggeriert hier, es sei wünschenswert, eine unklare Vorstellungvon dem zu haben, was der Mensch sei.
In einer konsequent evolutionstheoretischen Schau verschwimmt der Begriff des Menschseins und mit ihm der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Hübner bietet folgende Denkmöglichkeit an:
“Wenn es denn stimmt, daß der Mensch zur Evolution des Lebendigen gehört - ist es dann ausgemacht, daß die Entwicklung schon zu Ende ist? Gewiß hat sie im Menschen einen Höhepunkt erreicht, aber geht sie nicht noch weiter?... Läßt dies nicht darauf schließen, daß der Mensch noch gar nicht fertig ist? Wird sein Wesen vielleicht erst in der Zukunft offenbar werden? Diese Sicht der Dinge setzt voraus, daß die biblischen Schöpfungsgeschichten keinesfalls als historische Aussagen verstanden werden dürfen... Was Gottesebenbildlichkeit ist, steht noch gar nicht fest.”12
Ähnlich äußert sich Altner: “Der Mensch ist von seinem Gewordensein her ein vielschichtiges Wesen, das seine endgültige Gestalt noch nicht gewonnen hat.”13 (In dieser Denkweise ergibt sich auch die Vorstellung, daß das Para dies nicht etwas Vergangenes, sondern etwas Zukünftiges ist,14 vgl. Abschnitt 4.3.3.1.)
Von Ditfurth greift die eben geschilderte Vorstellung auf, wenn er die Evolution noch weit über uns Heutige hinausschießen sieht zu einer höheren, geistigen Evolutionsstufe.15 Lorenz
11	J. Hübner, Biologie 80.
12	J. Hübner, Biologie.
13	Altner, Evolution 276.
14	H. Haag, Ursprung 8; vgl. Abschnitte 4.3 und 4.6.
15	Von DrmjRTH, Nicht nur von dieser Welt 252f.
bezeichnet den heutigen Menschen als “missing link” zwischen Affe und Mensch.16 Diesem Gedanken hat sich auch Bresch verschrieben: Das dunkle Tal des Tier-Mensch-Übergangsfel-des haben wir noch nicht ganz durchschritten: das wahre, eigentliche Menschsein wird erst in der Zukunft verwirklicht, sofern der atomare Overkill vermieden werden kann.17 In den Worten von Ditfurths: Der Mensch “hat, entwicklungsgeschichtlich gesprochen, das Tier-Mensch-Übergangsfeld noch nicht völlig durchschritten, sich als wahrer Mensch noch nicht vollständig verwirklicht.”18 Konsequenterweise werden Fehl-barkeit und Sünde des Menschen als Folgen des evolutionären Prozesses angesehen (s. Abschnitte 4.2 und 4.3). Die weitere Entwicklung und nicht das eschatologische Heilshandeln Gottes soll Abhilfe schaffen (vgl. Abschnitt 4.6).
Diese Idee findet sich auch bei Theissen:19 “Die Christen sind Bürger zweier Welten. Anders ausgedrückt: sie sind Grenzgänger zwischen zwei Evolutionsphasen: Als Bürger der kulturellen Evolution sind sie zur Überwindung selektiven Drucks verpflichtet. Als Bürger der biologischen Evolution unterliegen sie ihm.”20 In diesem Sinne seien wir Heutigen als “missing link” vom Tier zum wahren Menschen zu verstehen. Aus dieser Sicht ergebe sich, so Theissen, die Hoffnung, daß der Mensch, der für Auschwitz verantwortlich ist, nur ein Übergang ist.21
Diese Gedanken dürften direkt oder indirekt von Teilhard de Chardin inspiriert sein. Er sieht den Menschen sich noch in der Formung befinden; zoologisch sei der Mensch noch nicht voll erwachsen.22
Bewertung
Die geschilderten Sichtweisen erscheinen evolutionstheoretisch konsequent, da es eine klare Begrifflichkeit vom Menschsein in diesem Rahmen tatsächlich nicht geben kann, wenn sich alles im einem Fluß des Werdens befindet. Dann ist es in der Tat nicht möglich, Menschsein vom Tiersein scharf abzugrenzen. Das Menschsein unterscheidet sich vom Tiersein nur graduell: Der Mensch hat mehr Moralempfinden, mehr
Rechtsempfinden, mehr Verstand, weniger Instinkt usw.
Allerdings führen sich von Ditfurth und Bresch in einer Hinsicht selbst ad absurdum: Woher wissen sie nämlich, daß sich der Mensch noch nicht als wahrer Mensch verwirklicht hat? Was ist überhaupt der wahre Mensch? Woher haben sie eine Vorstellung von ihm? Wenn der Mensch “von unten” zu erklären ist, kann es den idealtypischen Vergleichsbegriff gar nicht geben. Es besteht der Verdacht, daß hier Anleihen von dem Menschenbild gemacht werden, das den Geboten Gottes entspricht und Jesus Christus vorgelebt hat. Woher sollte der Mensch denn eine Ahnung davon haben, daß er nicht gut ist, so wie er ist, wenn er eine evolutive Vergangenheit hat, die ihn, so wie er ist, hervorgebracht hat? Eine normgebende Instanz für eine absolute Ethik gibt es im konsequent evolutionären Rahmen nicht — im Gegenteil: Die Werte ändern sich. Evolutionstheoretisch gedacht ist alles recht, was im Dasein ist, denn das hat sich durchgesetzt und als tauglich erwiesen.
Durch die biblischen Überlieferungen wird das Menschsein zwar auch nicht begrifflich exakt definiert, doch wird dem Menschen eine besondere Stellung in der Schöpfung zugebilligt (s. Abschnitt “Gottesebenbildlichkeit”), und nur der
16	Zit. nach Riedl, Diskussionsbeiträge 133.
17	Bresch, Zwischenstufe; Bresch, Alpha-Bedingungen, vgl. Abschnitt 2.5.
18	Von DrmjRTH.a. a. O. 21; ähnlich Theissen, Biblischer Glaube 73f.
19	Theissen, a. a. O. 153ff.
20	Ebd. 153.
21	Ebd. 155; massive Kritik der Ausführungen Theissens über die Evolutionstheorie findet sich bei Luke, Evolutionäre Erkenntnistheorie.
Koestler, Irrläufer 31, ist dagegen pessimistisch: Für ihn ist der Homo sapiens eines der zahllosen Opfer der Evolution aufgrund zunächst zwar opportunistischer, auf lange Sicht jedoch unzweckmäßiger Richtungen der evokitiven Entwicklungen des Gehirns, der Sprache und der geistigen Fähigkeiten.
22	Teilhard, Milieu; vgl. Smulders, Theologie 113.
Solche Gedanken sind übrigens nicht neu. Schon vor hundert Jahren sah Savage (zit. nach Benz, Endzeiterwartung 164) den kritischen Punkt der Evolution im Bereich des Menschen selbst, nicht an der Grenze zwischen Tier und Mensch, denn er hielt den Abstand zwischen den höchsten Tieren und den niedersten Menschen für geringer als den zwischen Menschen untereinander. Vgl. auch Benz, Evolution.
Mensch ist “zum Bilde Gottes”23 geschaffen. Außerdem hängt mit der Frage nach dem Wesen des Menschen und nach seiner Herkunft seine gegenwärtige Situation seiner Sündenverfallen-heit zusammen (vgl. Abschnitt 4.3), und damit auch die durch die Sünde notwendig gewordene Erlösung (vgl. Abschnitt 4.5). Der oben zitierte Hübner24 weicht in seinen Ausführungen also vor den Konsequenzen aus, die hier tatsächlich entstehen. Die Frage nach dem biologischen Ursprung kann nicht als irrelevant beiseite gelegt werden, weil ein Zusammenhang zwischen Ursprung und Wesen des Menschen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es bedarf einer eigenen Begründung, will man hier einen Zusammenhang verneinen (vgl. Abschnitt 4.1.3).
Gottesebenbildlichkeit und Evolution
Im konsequent evolutionstheoretischen Kontext erhebt sich die Frage, was Gottesebenbildlichkeit bedeuten soll und wann und wie sie erworben wurde. Ohne auf den schwierigen Imago-Dei-Begriff näher eingehen zu müssen,25 ist danach zu fragen, wie der Mensch gegenüber der übrigen Schöpfung zu seiner herausragenden Stellung kam, die ihm die biblische Überlieferung zubilligt, wenn “Sondereingriffe” Gottes ausgeschlossen werden sollen. Wie wurden Wesen, die dabei waren, das “Tier-Mensch-Übergangs-feld” evolutiv zu durchlaufen, zu Menschen, die eine persönliche Beziehung zu Gott pflegen konnten? Diese Fragen werden in Verhältnisbestimmungen von Evolutions- und biblischer Heilsgeschichte weitgehend ausgeklammert.26 Da ihre volle Problematik im Zusammenhang mit der Sündhaftigkeit des Menschen deutlich wird, soll eine intensivere Auseinandersetzung erst im entsprechenden Abschnitt (4.3) erfolgen.
Das Geschaffensein zum Bilde Gottes ist evolutiv gesehen kein Ausdruck anderer (zusätzlicher) Qualität gegenüber tierischen oder pflanzlichen Organismen, sondern kann nur quantitativ gefaßt werden.
Um das Auftreten des Geistes oder allgemein des evolutionär Neuen in einem evolutionär-naturgesetzlichen Rahmen plausibel zu machen,
hat Lorenz27 den Begriff der Fulguration, das unvorhersehbare, blitzartige Auftreten neuer Systembedingungen in der Evolution, eingeführt (vgl. Abschnitte 2.2,2.5 und 3.1). Man könnte auf den Gedanken kommen, daß die Menschwerdung im evolutionären Prozeß einer solchen Fulguration entsprang. Dabei darf man sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit Fulguration nicht ein “Blitzschlag” von “oben” (jenseits der empirisch faßbaren Wirklichkeit) gemeint ist, sondern das Erreichen eines komplexeren Zustandes aufgrund der Ausgangsbedingungen von “unten” (durch die Eigenschaften der Ausgangssituation). Fulgurationen sind vollständig innerweltlich-eigengesetzlich gemeint, nicht etwa als besondere Eingriffe einer außerweltlichen Kraft. Wie bereits in Abschnitt 3.1 vermerkt wurde, ist der Fulgurations-Begriff daher eine Mischung aus Reduktionismus und Präformationismus.
Mit der Frage nach der “Gottesebenbildlichkeit” im evolutionären Kontext beschäftigen sich nur sehr wenige Autoren. Neuerdings äußern sich Hemminger & Hemminger dazu. Sie verstehen die Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Sinne eines “sichtbaren Standbildes Gottes” in der Schöpfung, vergleichbar den Standbildern, die antike Herrscher in ihrem Land aufstellen ließen, um ihre Gegenwart und Herrschaft zu demonstrieren; es sei damit weniger etwas über das Wesen des Menschen ausgesagt.28 In diesem Sinne lege sich die Bibel auf kein Menschenbild
23	Mit diesem Ausdruck isl keine “Definition” gegeben. Die Sonderstellung bleibt auch post lapsum erhalten.
24	J. Hübner, Biologie.
25	Das kann im Rahmen dieser Arbeit nach den z. B. in RGG’ ausgewiesenen Problemaspekten nicht geleistet werden; vgl. dazu den Überblick bei Westermann, BKAT203ff.
26	Eine Ausnahme bildet Ratzinger, Schöpfungsglaube 244, der ein allmähliches Bewußtwerden vertritt: “Der Lehm war in dem Augenblick zum Menschen geworden, in dem ein Wesen erstmals, wenn auch noch so verschattet, den Gedanken Gott zu bilden vermochte. Das erste Du, das - wie stammelnd auch immer - von Menschenmund zu Gott gesagt wurde, bezeichnet den Augenblick, in dem der Geist aufgestanden war in der Welt. Hier war der Rubikon der Menschwerdung überschritten.”
27	Lorenz, Rückseite
28	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 174.
fest.29 Dadurch werde die Schwierigkeit, den Beginn des Menschseins und der Gottesebenbildlichkeit im Laufe des Evolutionsprozesses zu fixieren oder es gegen das Tiersein abzugrenzen, entschärft. Der biblischen Tradition komme es nur auf eine “Antwortfreiheit” bzw. “Beziehungsfreiheit” des Menschen Gott gegenüber an.30 In der Tat wird in den biblischen Überlieferungen nirgends explizit definiert, was mit “Gottesebenbildlichkeit” gemeint ist (s. o.). Für unsere Fragestellung können wir uns aber mit der Minimalfeststellung begnügen, daß die persönliche Gottesbeziehung (die “Antwortfreiheit”, s. o.) ein (das?) exklusives “Merkmal” des Menschen ist. Die aufgeworfene Frage wird mit dieser Feststellung jedoch nicht wesentlich einfacher, sie wird nur abgeändert: Wie ist diese “Antwortfreiheit”, die Beziehung zum Schöpfer, evolutiv erworben worden, wenn ein Eingriff Gottes vermieden werden soll?31 Oder: Wie hat sich evolutiv die besondere Stellung des Menschen als “sichtbares Standbild Gottes” herausgebildet? Wie bildete sich die menschlich-göttliche Ich-Du-Beziehung heraus, auf die Hemminger & Hemminger32 abheben? Die beiden Autoren rechnen hier mit einem beständig von Gott gewirkten Wunder, durch das ein geschaffenes Wesen wie der Mensch mit Gott reden könne.33 Unter konsequent evolutionstheoretischen Prämissen ergibt sich also, daß es den Menschen an sich nicht gibt, sondern nur verschiedene Stadien eines Prozesses, die sich nicht qualitativ unterscheiden. Diese Folgerung scheint nur dann vermeidbar zu sein, wenn der Erklärungsanspruch der Evolutionslehre prinzipiell beschnitten wird. Solche Positionen werden im folgenden behandelt.
4.1.2	Ein Eingriff Gottes in der Evolution des Menschen?
Will man nun, motiviert durch das biblische Schöpfungszeugnis, das Menschsein vom Tiersein in bestimmten Aspekten (z. B. Freiheit, Verantwortung, Moral, Verstand, Geist, Kunst, Religion usw.) doch mehr als nur graduell unterscheiden, muß man im evolutionstheoretischen Kon-
text zu Hilfskonstruktionen greifen. Diese Versionen einer Zusammenschau von Evolution und biblischer Urgeschichte gehen von einem besonderen Eingreifen Gottes in den Evolutionsprozeß aus. Der Ansatz der Evolutionslehre, die Herkunft des Menschen rein naturgesetzlich durch das Wirken der Evolutionsfaktoren zu erklären, wird als nicht ausreichend und unsachgemäß betrachtet. Beim Übergang vom Tier zum Menschen müsse etwas geschehen sein, was nicht durch die Evolutionsgesetze ableitbar und verstehbar ist. Gott habe hier in besonderer Weise gehandelt. Es geht darum, wie der Mensch zu seiner Freiheit kam, insbesondere zur Freiheit, Gott zu lieben oder ihm ungehorsam zu sein. Wie kam der Mensch (bzw. der Affenmensch) zu moralischem Empfinden, zu einem Rechtsempfinden, zu den Sozialstrukturen, zu religiösen Vorstellungen? Wenn es ausschließlich durch das Wirken der Evolutionsfaktoren geschah, dann haben Naturgesetze den Menschen zu dem gemacht, was er heute ist, auch in seinem Verhalten. Freiheit, Moral und Glaube wären Illusion. Sie wären lediglich besonders komplexe Erscheinungen dessen, was bereits auf einfacherer Evolutionsstufe verwirklicht war. Andernfalls müßte man annehmen, Gott habe in besonderer Weise in den Evolutionsprozeß schöpferisch eingegriffen: Ein bestimmtes menschenaffenartiges oder menschenähnliches Wesen, das seiner körperlichen Konstitution nach vielleicht auf der Stufe des Homo sapiens oder Homo ereclus war, erhielt von Gott in einem einzigen Augenblick Freiheit, Verantwortungsbewußtsein und das Wissen um seinen Schöpfer, dem es verantwortlich ist, und damit auch die Möglichkeit zu sündigen. Ein “Vormensch” wurde als “Adam” ausgewählt
29	Ebd. 178.
30	Ebd. 176. Vgl. Westermann; BKAT218: Gott habe die Menschen “zu seinem Entsprechen” geschaffen, d. h. so, daß etwas zwischen dem Schöpfer und diesem Geschöpf geschehen könne. Das Menschsein sei in der Beziehung zu Gott gemeint. Von Rad, ATD 46, hebt das “Wozu" und die Aufgabe der Gottesebenbildlichkeit hervor.
51 Einen Eingriff schließen auch Hemminger & Hemminger, a. a. O. 175, aus.
32	Ebd. 177.
33	Ebd.
(oder eine Vormenschengruppe oder alle Vormenschen einer bestimmten Evolutionsstufe). Dabei änderte sich in der körperlichen Konstitution nichts, denn diese soll auf natürliche Weise entstanden sein. Vorstellungen dieser Art sollen beispielhaft skizziert werden.
Schefpczyk geht davon aus, daß der frühe Mensch ein Primitiver war, doch sei es kein Widerspruch, zu glauben, daß Gott unmündigen Kindern seine Gnade schenkt.54 So liege auch “nichts Widersprüchliches in der Annahme, daß Gott dem Menschen einer noch unentwickelten Schöpfung seine gnadenhafte Nähe in besonderer Weise bekundete.”35 Gott wende sich Menschenaffen oder Affenmenschen in besonderer Weise zu, und sie werden dadurch zu Menschen, die allerdings noch primitiv (geistig “unterentwickelt”) sind. Die Wahrheit von einem gnadenhaften Urständ des Menschen lasse sich mit den Erfordernissen eines evolutiven Weltbildes verbinden, wenn man bedenke, daß der Mensch das Gebot bekam, sich die Welt zu unterwerfen (Gen 1,28) und zur Arbeit verpflichtet wurde (Gen 2,15), er also an den Anfang eines Weges gestellt wurde. Der im vorstehenden Zitat genannte Vergleich zwischen dem noch nicht voll entwik-keltenKind und dem unvollständig entwickelten Menschen in der Stammesgeschichte ist jedoch fragwürdig, denn ein unmündiges Kind ist ein Mensch, ein “Affenmensch” (an den Scheffczyk wohl denken muß) dagegen zunächst noch nicht.
Rohrbach,34 Schumacher37 und Berry3* vertreten eine ähnliche Vorstellung. Gott habe aus den Prähominiden (Vertreter einer Evolutionsstufe, auf der das Menschsein noch nicht erreicht war) einen ersten echten Menschen, Adam, ausgewählt. Die Prähominiden sollen auf die von der Evolutionslehre beschriebene Weise entstanden sein. Die Auswahl Adams bedeutete die Verleihung der Fähigkeit zur Kommunikation mit Gott und damit die Möglichkeit, gehorsam oder ungehorsam zu sein, die Fähigkeit zur Verantwortung und das Geschenk persönlicher Freiheit.
Rohrbach39 unterscheidet evolutionär entstandene hominessapientes vom Menschen. Erst dadurch, daß Gott aus der Menge der evolutio-
när nach Leib, Seele und Geist (Intellekt) zu homines sapientes gewordenen Wesen einen aus ihnen erwählte und ihm seinen (Gottes) Geist gegeben und ihn dadurch in seine Gemeinschaft berufen hatte, war dieses Wesen auf diese Weise zum Menschen geschaffen worden. “Auf eine kurze Formel gebracht: homo sapiens + pneu-ma = Mensch (pneuma = hier: Geist Gottes).”40 Bei dieser Erschaffung — dem eigentlichen Schöpfungsakt beim Menschen — habe Gott dem Auserwählten ein immaterielles Organ als inneres Zentrum eingegeben, das zur Aufnahme des Geistes Gottes bestimmt und befähigt war. Die homines sapientes lebten weiterhin, und zwar außerhalb des Gartens, den Gott für den Menschen eigens eingerichtet hatte. Sie sollen nach Rohrbach auch die Ursache der Angst Kains gewesen sein, erschlagen werden zu können. Die Menschen hätten sich später mit diesen homines sapientes teilweise vermischt, bis sie durch die Sintflut ausgelöscht wurden.
Nach der von katholischen Autoren früher häufig vertretenen Vorstellung4' ist die Seele direkt von Gott erschaffen, während der Körper evolutionär entstanden sein mag. Verwandt ist damit die Idee, Gott habe den durch Evolution äußerlich menschenhaft gewordenen Kreaturen als neue zusätzliche Qualität Freiheit, Gottesbewußtsein und Verantwortung sowie moralisches Empfinden usw. gegeben, wodurch der Mensch in die Lage versetzt worden sei, eigenverantwortlich zu gehorchen oder zu sündigen.
Bewertung
1.	Mit diesen Konstruktionen werden wesentliche Folgerungen aus einem konsequent evolu-
33 Scheffczyk, Sünde.
33 Ebd. 114.
56 Rohrbach, Bibel oder Naturwissenschaft; Rohrbach, Zugang.
37	Schumacher, Urknall 231 ff.
38	Berry, Adam 26; 91 f.; 212.
39	Rohrbach, Zugang II8.
«Ebd.
31	Vgl. Abschnitt 3.3. Heute ist diese Vorstellung auch im katholischen Bereich im Rückgang begriffen.
tionistischen Denken vermieden. Damit wird aber auch das Evolutionsprinzip an einer entscheidenden Stelle durchbrochen. Entscheidende Schritte der Menschwerdung, etwa der Erwerb von Seele und Geist, Freiheit, Moral und Verantwortung vollzogen sich demnach nicht evolu-tiv, jedenfalls nicht nur evolutiv. Daher handelt es sich bei diesem Konzept nicht um eine echte Harmonisierung, sondern um ein künstliches Zusammenfügen einzelner Elemente aus verschiedenen Konzeptionen.
Dieses Konstrukt widerspricht also dem Evolutionsprinzip oder schränkt es zumindest ein. Das naturalistische Erkenntnisschema wird begrenzt — und zwar aus dogmatischen Gründen. Natürlich ist es berechtigt und notwendig, an die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode zu erinnern. Es ist aber inkonsequent, das naturalistische Erklärungskonzept zunächst grundsätzlich zu akzeptieren, insofern es nur zum Evolutionsdenken an sich führt, um es dann aber zu kritisieren, wenn es um logische Folgerungen daraus in der Anthropologie geht, die dem biblischen Zeugnis offenkundig widersprechen. Die notwendige Alternative ist ein grundlegend anderer Erklärungs- und Rekonstruktionsansatz (vgl. Kapitel 5).
2.	Der Mensch bildet eine Einheit von Leib, Seele und Geist. Das ist gleichermaßen aus der medizinischen Praxis offenkundig wie es dem biblischen Verständnis des Menschen entspricht. Rahner bemerkt hierzu treffend: “Wenn der Theologe den Satz von der unmittelbaren Erschaffung der Seele durch Gott sagt, hat er schon auch einen Satz über die Leiblichkeit des Menschen gesagt, ob er es weiß oder nicht.”42 Zur Auslegung des Schöpfungsberichts Gen 1 stellt von Rad fest, daß man gut daran tue, so wenig wie möglich das Leibliche und Geistige zu zerreißen, da der ganze Mensch gottesbildlich geschaffen sei.43 Daher sind Konstruktionen, die eine völlig getrennte Herkunft von Leib, Seele und Geist und damit eine strikte Trennung dieser Wesensaspekte des Menschen beinhalten, sach-logisch widersprüchlich, weil sie der Ganzheit der menschlichen Existenz nicht gerecht werden.44 Der Leib ist Ausdruck der geist-seelischen
Verfaßtheit.
Man muß an diese Ansätze in diesem Zusammenhang außerdem die Frage stellen, was mit den anderen Prähominiden weiter geschah.45 Soll es nebeneinander Wesen gleicher Konstitution gegeben haben, wobei die einen Menschen, die anderen Tiere waren? Diese Frage stellt sich auch dann in prinzipiell gleicher Weise, wenn alle menschenartigen Wesen zu einem bestimmten Zeitpunkt der Evolution etwa durch die Anrede Gottes zu Menschen geworden wären, nur daß dann statt eines Nebeneinanders ein Nacheinander anzunehmen wäre. Körperliches und Seelisch-Geistiges müßten als voneinander mehr oder weniger unabhängige Größen gedacht werden. Dies ist angesichts der Leib-Seele-Geist-Einheit des Menschen schlechterdings nicht möglich (vgl. Abschnitt 2.3). Es wird deutlich, daß solche Lösungsversuche mit umfangreichen Konstruktionen verbunden sind, die zahlreiche unprüfbare Spekulationen erfordern.
3.	Es ergibt sich auch die Frage, wie die paläon-tologischen Daten (Fossilien von “Urmenschen” oder “Vormenschen”) eingeordnet werden sollen. Werden diese Fossilien (wie es im Rahmen der herkömmlichen Evolutionstheorie der Fall ist) in eine Zeit vor der Herausrufung des ersten Menschen im obigen Sinne versetzt, hat dies zur Konsequenz, daß die Sedimentgesteine, die Menschenfossilien bergen, zeitlich vor die biblische Sintflut einzuordnen wären. Da die homi-niden Fossilien in den obersten Sedimenten gefunden werden, folgte daraus, daß die biblische Sintflut keine nennenswerten geologischen Auswirkungen gehabt hätte. Daraus wäre aber zu folgern, daß der Sintflutbericht nur eine lokale Flut beschrieben hätte, entgegen dem Textbefund.46 Denn eine globale Flut hätte globale geologische Folgen haben müssen (vgl. Abschnitt
5.5.3). Dieser Gedankengang verdeutlicht die
42 Rahner, in Vorwort zu Overhage, Erscheinungsbild 13; vgl.
Feiner & Löhrer, MysiSal 569.
4-’ Von Rad, H FD 45
44	Vgl. Rahner, Anthropologie 191.
45	Vgl. Schlmch,Adam-Hypothese.
44 Vgl. dazu Whitcomb & Morris, Sintflut.
Vernetztheit verschiedener Aspekte der biblischen Urgeschichte.
Schumacher charakterisiert alle Hominiden, die nach herkömmlicher evolutionsorientierter Datierung älter als 10.000 Jahre eingestuft werden, als nichtmenschlich, ohne Rücksicht auf die anatomischen Befunde.47 Nach der von Schuma cher akzeptierten Datierung soll es jedoch bereits vor 100.000 Jahren Menschen mit der heutigen Anatomie gegeben haben. Zoologisch und paläontologisch gesehen ist es daher reine Willkür, mit dem Datum 10.000 Jahre vor heute eine Grenze zwischen Tieren und Menschen ziehen zu wollen.48
4.1.3	Sind biologische Ursprungstheorien für die Wesensbestimmung des Menschen irrelevant?
Wiederholt begegnet einem die Auffassung, die Bibel wolle nichts darüber lehren, wie der Leib des Menschen geschaffen wurde, sondern nur, was der Mensch sei. “Der biblische Bericht will keine biologischen und prähistorischen Angaben über den Urmenschen machen; er will nicht erzählen, wie der Mensch geworden ist, sondern wert r ist.”49 Der Werdensprozeß zum Menschen hin sei irrelevant für die Beurteilung, was der Mensch heute wesensmäßig sei (“Entflechtung”). So meint beispielsweise Thielicke:
“Es geht im biblischen Schöpfungsbericht nicht um eine Theorie der Menschwerdung, die dann mit anderen und wissenschaftlichen Theorien konkurrieren möchte, sondern es geht um die theologische Sicherung einer ganz bestimmten Relation des Menschen, nämlich seiner Beziehung zu Gott -und zwar ganz unabhängig. . . von der genetischen Frage.... Sofern man diese theologische Pointe der 'Relation' im Auge behält, wäre der Schöpfungsbericht mit jeder biologischen und geologischen Theorie vereinbar.”50
Thielicke begründet diese Auffassung damit, daß die Genese das Wesen des Menschen nicht betreffe. Man müsse zwischen Voraussetzungen und Ursachen unterscheiden51 und zuerst wissen, was der Mensch sei, um danach seine genetischen Ursprünge zu erforschen.52 Der Mensch könne “nur von seinem Woraufhin und nicht von seinem Woher aus bestimmt werden”53. Auch
Westermann argumentiert so: “Es geht in den Ursprungserzählungen um das Bestehen der Welt und der Menschheit und nicht um die intellektuelle Frage nach der Herkunft.”54
Der Schöpfungsglaube müsse nicht nach dem Wann und Wie fragen — so Feiner und Vischer55 sondern danach, welchen Dienst der Mensch als Geschöpf Gottes an der Welt des Geschaffenen zu leisten habe. Ebenso sieht Brunner es als eine Verwechslung von Fragen an, wenn die Frage nach der Abstammung des Homo sapiens mit der nach dem Wesen und Beginn des Huma-nums gekoppelt werde.56 Auch wenn der Mensch physisch dem Tierreich entspringe, sei er doch als humanus etwas ganz Neues.
Bewertung: Es ist nicht einsichtig, daß Genese und Wesen in diesem Sinne voneinander getrennt werden können. Die beiden Fragerichtungen, wie der Mensch geworden ist und wer er ist, lassen sich nicht zwei beziehungslosen Ebenen zuordnen. Die Frage, wer der Mensch ist, kann man nicht beantworten, ohne zu wissen, wie er entstanden ist. Denn wenn der Mensch ein Produkt der Evolution ist, folgen daraus Konsequenzen für die Beurteilung seines Wesens, insbesondere für die Einschätzung seiner Sündhaftigkeit und damit der Möglichkeiten, das Sündenproblem zu lösen. Dazu wird in den folgenden Abschnitten einiges zu sagen sein. Der Zusammenhang sei jedoch schon an dieser Stelle an einem Beispiel verdeutlicht: Würde der Mensch dem Tierreich entstammen, so wären seine Verhaltensweisen, Probleme etc. davon mitbedingt, es sei denn, Gott hätte im Laufe der evolutiven Entstehung des Menschen einen besonderen
47 Schumacher, Urknall.
18 Vgl. dazu aus schöpfungstheoretischer Sicht Brandt, Gehirn; Hartwig-Scherer, Paläanlhropologie, zusammenfassend Junker & Scherer, Entstehung Kap. 9.
40 Krusche, zit. in J. Hübner, Biologie 68; vgl. H. Haag, Schöpfungsgeschichte 49.
50	Thielicke, Ethik Abs. 1191f.; Hervorhebung nicht im Original.
51	Ebd. Abs. 1237ff.
52	Ebd. Abs. 1243.
53	Ebd. Abs. 1273.
54	Westermann, Schöpfung 170.
55	Feiner und Vischer, Glaubensbuch 439.
50 Brunner, Dogmatik 95.
Einschnitt gesetzt und dem Menschen einen von seiner Evolutionsgeschichte unabhängigen “Neuanfang” eingeräumt. Das wäre dann aber kein evolutives Geschehen mehr. Der Zusammenhang zwischen Genese und Wesen wird so erneut deutlich.
Was der Mensch ist und was von ihm an Fähigkeiten und moralischen Qualitäten erwartet werden kann (das “Woraufhin”, von dem Thie-licke spricht), hängt mit seiner Genese zusammen. Dies ist auch im individuellen Werdegang eines Menschen so. So wie der Mensch durch Erziehung (oder durch das Fehlen derselben) in seinen Möglichkeiten ausgerüstet oder eingeschränkt sein kann, so ist der durch Evolution entstandene Mensch genetisch (mindestens teilweise) determiniert. Das “Bestehen der Welt und der Menschheit” (Westermann) hat Beziehungen zur Herkunft! Wir stehen hier wieder vor der im Abschnitt 3.3.5 erläuterten Dilemma-Situation. Entweder ist der Mensch durch seine evolutive Herkunft voll verstehbar (was dem Erklärungsanspruch der Evolutionslehre entspricht) und er ist dann in seinem Verhalten entsprechend kanalisiert und entbehrt der Freiheit und Verantwortlichkeit, oder man muß ein besonderes Eingreifen Gottes in den evolutiven Werdeprozeß postulieren, um diese Attribute des Menschen auch im evolutionären Denkrahmen überhaupt zu ermöglichen - muß dann aber das evolutive Erklärungsprinzip einschränken bzw. verlassen.
Thielicke nennt Beispiele dafür, weshalb Genese und Wesen des Menschen getrennt werden können. Sie betreffen bezeichnenderweise jedoch gar nicht die Ursprungsthematik, sondern Gegenwartsprozesse. Der leibliche Tod als Beispiel sei einerseits ein biologisches Phänomen, andererseits Ausdruck göttlichen Gerichts. Beim Zusammenhang von Herkunft und Wesen geht es aber um die Frage, wie es zum Tod gekommen ist. Oder: Der Biologe erforscht Physiologie und Psychologie der Sexualität; der Theologe sieht in ihr das vitale Medium, in das hinein die personhafte Bindung an ein Du des anderen Geschlechts eingelassen ist.57 Doch an dieser Stelle liegen die Schwierigkeiten nicht. Es geht in der Auseinandersetzung um die Evolu-
tionslehre nicht darum, wie bestimmtegegemvör-tige Phänomene (hier: Sexualität) theologisch gedeutet werden können, sondern wie diese Phänomene ins Dasein gekommen sind. Die genannten Vergleiche sind daher für die Fragestellung nach dem historischen Aspekt irrelevant.
Auch Brunner greift zu unangemessenen Vergleichen, um die Unabhängigkeit von Genese und Wesen zu begründen.58 Er wählt als Vergleich, daß ein Kunstwerk nicht aus der Geschichte der Kunst begriffen werden könne. Er führt die logisch verkehrte Entsprechung “bestimmtes Kunstwerk — Mensch” und “Geschichte der Kunst allgemein - Geschichte des Menschen” durch. Ähnlich unpassend ist sein Vergleich,59 daß niemand das Wesen z. B. der Mathematikverstehen könne, wenn er ihre Anfänge bei den Primitiven oder beim Kind studiert.60 Diese Vergleiche sind unpassend, weil Menschen in einem Erbzusammenhang stehen, Kunstwerke oder mathematische Sätze dagegen nicht. Und wenn der Erbzusammenhang nach den Spielregeln der Evolution für die Merkmale des Menschen wenigstens mitverantwortlich ist, dann sagt die Genese sehr wohl Entscheidendes über das Wesen aus. Die Entstehung eines bestimmten Kunstwerks ist dagegen weitgehend unabhängig von der Kunstgeschichte im allgemeinen; Zusammenhänge gibt es hier auf der “genetischen” Ebene nicht.61
Im übrigen gedenken Evolutionsforscher nicht, vor der Erklärung psychischer Merkmale des Menschen aufgrund der tierischen Vorfahrenschaft haltzumachen. Die Evolutionstheoretiker sind in der Regel nicht so bescheiden, nur die Voraussetzungen der Menschwerdung erklären zu wollen, sondern zu ihrem Programm gehört Ursachenforschung aller Aspekte des Menschseins. Das Ziel ist die Totalbestimmung des
57	Thieucke, Ethik, Abs. 1198f.
58	Brunner, Widerspruch 387.
* Ebd. 389.
80	S. auch Brunner, Dogmatik 48.
81	Der Erbzusammenhang und die genetische Ebene stehen unter immanenten Regulativen (Entfaltung des Keims), Kunstwerke und Entwicklungen in der Mathematik folgen externen Regulativen.
Menschen aus seiner tierischen Herkunft. Alles andere hieße, das evolutionstheoretische Forschungsprogramm, das alle Phänomene rein naturgesetzlich erklären will, prinzipiell zu beschneiden, den Aktionsradius der Evolutionswissenschaft aufgrund theologischer Argumente zu beschränken — ohne den evolutionstheoretischen Rahmen zu kritisieren. Vertreter theisti-scher' Evolutionsvorstellungen müssen begründen, weshalb gerade dieser “Eingriff’ ins evolutionäre Grundkonzept akzeptabel ist. Im Rahmen der hier vertretenen biblischen Schöpfungslehre (vgl. Abschnitt 1.1) wird dagegen das Programm der vollständigen Erklärung “von unten” als prinzipieller Fehlweg, als verkehrter Forschungsansatz aufgrund nicht akzeptabler metaphysischer Voraussetzungen, abgelehnt (Kapitel 5).
Da Körperliches und Seelisches nicht strikt voneinander getrennt werden können, ist der Allerklärungsanspruch der Evolutionstheoretiker, wie bereits vermerkt, nur folgerichtig. Wird eine Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren angenommen, ist die Konsequenz nicht zu vermeiden, daß auch die Psyche des Menschen unter Berücksichtigung tierischer Vorstadien zu verstehen ist. Dies verdeutlicht die Unmöglichkeit, zwischen Genese und Wesen völlig zu trennen.
4.1.4	Zusammenfassung
In einem konsequent evolutionstheoretischen Denkrahmen kann kein bestimmter Begriff vom Menschsein festgemacht werden (Abschnitt 4.1.1). Im Fluß des Werdens gibt es “Menschsein” an sich nicht, sondern verschiedene Stadien in einer allmählichen Umwandlung von tierischen zu menschenartigen Wesen. Unter dieser Vorgabe denkende Autoren tendieren dazu, die gegenwärtige Menschennatur als noch nicht “voll ent-
wickelt” zu betrachten. Das wahre Menschsein soll danach erst am Ende der Evolution offenbar werden, erst dann sei die Gottesebenbildlichkeit voll verwirklicht. Der Mensch der Gegenwart steht in diesem “aufwärtsstrebenden” Prozeß, dessen Fortsetzung allerdings durch die Möglichkeit des Eingreifens in die Evolution durch den Menschen selber gefährdet ist. Aus der Relativität des Menschseins und der gegenwärtigen Übergangssituation folgt eine Relativität der Ethik; feste Normen kann es nicht geben. Alles, was das Menschsein charakterisiert, hat sich aufgrund der Bewährung im Daseinskampf etabliert.
Diese Konsequenzen können nur vermieden werden, wenn man an der Schwelle vom Tier zum Menschen einen besonderen nicht-evolutionären “Eingriff’ Gottes postuliert, durch den Tiere schlagartig zu Menschen transformiert wurden (Abschnitt 4.1.2). Damit wird jedoch an entscheidender Stelle das evolutionäre Erklärungsprinzip durchbrochen. Auf diese Weise kann aber sichergestellt werden, daß Verantwortung, Ethik, Freiheit, Glaube und andere Spezifika des Menschseins mehr sind als nur Nebeneffekte der zunehmenden Komplexität der Materie, nämlich Gaben und Mitteilungen des Schöpfers. Diese gemäßigt evolutionstheoretische Sicht krankt jedoch daran, daß die Einheit von Leib, Seele und Geist auseinandergerissen und daß kein konkreter Bezug zu den paläanthropologischen Daten hergestellt wird.
Die von einigen Autoren vertretene Auffassung, daß biologische Ursprungstheorien für die Bestimmung des Wesens des Menschen irrelevant seien (Abschnitt 4.1.3), ist ebenfalls aufgrund der Ganzheitlichkeit des Menschseins abzulehnen. Wenn auch die Genese das Wesen des Menschen nicht determiniert, so hat sie doch Einflüsse darauf. Dieser Zusammenhang wird gerade von konsequent-evolutionstheoretisch denkenden Autoren intensiv diskutiert.
4.2	Der Mensch als Sünder: Hamartiologie
In der Sündenlehre geht es um den postlapsari-schen Zustand des Menschen, wie Gott ihn sieht. Der Maßstab ist Gottes offenbarter Wille und sein Heilshandeln in der Geschichte, insbesondere im Wirken Jesu Christi. Die Bibel bezeugt, daß Gott den Menschen gut geschaffen (Gen 1,31; vgl. Jak 1,13), daß der Mensch aber sich von Gott abgewendet hat und daher in seinem gefallenen Wesen seinem Schöpfer entfremdet ist (Röm l,19ff.; 1 Kor 2,14; Eph 2,lff.) und in diesem Sinne gott-los lebt.1 Diesen Zustand der Gottesferne nennen die biblischen Autoren Sünde (Joh 16,9; Eph 2,1). Das Getrenntsein von Gott hat eine verkehrte Lebensführung zur Folge. Aus dem Sein folgt die Tat, aus der Sünde (als Zustand, “Erbsünde”, s. u.) folgen die Sünden (individuelle Sünden, sündige Taten). Was bedeutet Sünde, wenn der Mensch dem Tierreich entstammt? Diese Frage wird entsprechend der in den Abschnitten 3.2 und 3.3 unterschiedenen Gruppen sehr verschieden beantwortet.
4.2.1	Sünde gegen die Evolution
Die Gruppe der konsequenten Evolutionisten ist bemüht, “evolutionstheoretisch angepaßt” von Sünde zu reden. Der Begriff “Sünde” erhält dann einen neuen Inhalt. Dazu folgen einige Beispiele.
An erster Stelle muß der berühmte Jesuitenpater Teilhard de Chardin genannt werden. Sein groß angelegter Versuch, Evolution mit christlichem Gedankengut zu vereinbaren, ist bis heute sehr einflußreich, und es gibt eine Fülle zustimmender und kritischer bis ablehnender Literatur. Dies aufzuarbeiten kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Es muß genügen, Teilhards Grundgedanken darzustellen. Teilhard sieht die Welt in einem umfassenden zielgerichteten Evolutionsprozeß. Die Evolution läuft auf Christus hin. Dieses Ziel bezeichnet Teilhard als Punkt Omega, das völlige Eins-Sein der Menschheit als allumfassende Gemeinschaft. Dabei ist Omega
nicht nur ein zukünftiges Ideal, sondern auch eine allen Menschen gegenwärtige Person.2 Dieser Prozeß des Werdens auf Omega hin ist durch wachsende Vereinigung der Teile der Welt gekennzeichnet. Da Teilhard diesen Prozeß als Schöpfung versteht, heißt für ihn “erschaffen” “vereinigen”. Er unterscheidet verschiedene Phasen dieses Prozesses: Kosmogenese, Biogenese, Noogenese (oder Anthropogenese) und Christogenese. Entscheidend für den Evolutionsprozeß ist die Vereinigung zu höheren Komplexitätsstufen, die als ein Prozeß der Liebe und zur Liebe hin verstanden wird. Teilhard glaubt, “die letzte Bestimmung der Menschheit in liebender Vereinigung aller mit einem persönlichen, transzendenten und zugleich gegenwärtigen Gott an der Linie der Entwicklung ablesen zu können.”3 Was heißt nun Sünde in diesem Rahmen? Schmitz-Moormann, einer der besten Kenner Teilhards, faßt dessen Sicht zusammen: Sünde sei “die Kraft einzugrenzen”4, gut sei nur, “was zum Wachstum des Geistes auf der Erde beiträgt.”5 Von daher sei zu bestimmen, was Sünde ist. Letzten Endes gibt es nach Teilhard folglich auch “nur ein einziges Übel, die Enteinung.”6 Schmitz-Moormann kommentiert: “Der Widerstand gegen die Einswerdung, die Sünde wider die Liebe, wird zur eigentlichen Sünde wider den Schöpfer und damit wider die Natur.”7 Daraus ergibt sich die faktische Universalität der Sünde unter den Menschen, denn es wird “keinen
1	Mil der Konsequenz, daß an die Stelle des wahren Gottes Ersatzgötter treten.
2	Vgl. Smulders, Theologie 127,137 -142; Lay, Evolution.
3	Smulders, a. a. O. 142; vgl. Scheffczyk, Christogenese 139ff. Benz (Endzeaerwartung 159ff.; Evolution 58ff.) macht darauf aufmerksam, daß es angelsächsische Vorläufer Teilhards gibt, und nennt J. M. Savage (1841-1918), J. Cosh (1811-1894) und H. Drummond (1851-1897). Es gebe darüber hinaus “keine einzige der Ideen Teilhards, die nicht... in der theologischen Diskussion der Welt vom 19. zum 20. Jahrhundert zur Sprache gekommen wäre. Vgl. Moore, Controversies.
4	Schmitz-Moormann, Erbsünde 205.
5	Ebd. 204.
‘ Ebd. 206.
7 Ebd.
Menschen geben, der von sich sagen könnte, er sei der Versuchung des Rückzugs auf sich selbst, des Besitzes, des Stehenbleibens, der Genügsamkeit nie erlegen.”8
Nach Schmitz-Moormann wird es in einer Werdewelt außerordentlich schwierig, “allgemein verbindliche Gebote als ewiges Gesetz, als göttliche Ordnung hinzustellen und damit die Sünde an einem definierbaren Tun zu konkretisieren, wie es etwa die Kasuistik tat.”9 Es gibt keine unwandelbare Schöpfungsordnung. Was heißt in diesem Rahmen “allgemeine Sündigkeit”? Die Relativität der Ordnungen in einer Werdewelt schließe notwendig ein, “daß der Mensch seine Aufgabe nicht nur darin sehen kann, einen gegebenen Bestand zu sichern und für das Morgen zu erhalten..., vielmehr wird es in immer wachsendem Maße darauf ankommen, daß der Mensch lernt, die Zukunft positiv zu gestalten.”10 Da der Schöpfungsplan uns aber nicht im Detail bekannt sei, werde jeder Zukunftsentwurf zu einem Wagnis, das den konkreten Einsatz verlangt. “Es ist nun auch dem Christen durchaus nicht freigestellt, sich auf ein solches Wagnis einzulassen oder nicht.”11 Vor diesem Hintergrund fällt nun in Sünde, wer sich diesem Wagnis verweigert.
Ähnlich argumentiert Hulsbosch12 — wie Schmitz-Moormann im Gefolge Teilhards. Er sieht Sünde im Lichte der Evolution als Weigerung des Menschen, sich Gottes Schöpferwillen zu unterwerfen. “Sobald die Evolution in das menschliche Stadium tritt und der zur Erfüllung befähigte Mensch auftaucht... wird die fortgesetzte Schöpfertätigkeit zu einem angebotenen Geschenk mit dem Zweck, daß der vollendete Mensch seine geschöpfliche Vollkommenheit auch auf Grund seiner persönlichen Entscheidung besitzen soll.” Aus sich selbst könne der Mensch das aber nicht.13 Sünde ist nun, “daß der
Mensch das bleiben will, was er ist_Dann wird,
was anfänglich nur ein Nichtbesitzen war, zu einem sündhaften Mangel, weil die Unvollkommenheit entgegen dem Willen Gottes als endgültiger Zustand bestätigt wird.”14
Dolch versteht die eigentliche Sünde als “die Verweigerung der Mitwirkung, die im Tun verwirklichte Verneinung der Grundbefindlichkeit
des Menschen: Kapitän eines Schiffes zu sein, dem die Aufgabe zugewiesen ist, dieses (und damit sich selbst!) in der Kraft Gottes durch die Meerfahrt hindurch in den rettenden, parusialen Hafen zu bringen.”15
Ausgehend von der Auffassung, daß die Evolutionslehre hinlänglich sichere Erkenntnis der Wissenschaft sei, sieht bereits Tennant16 die Sünde nicht als Novum, sondern als Fortdauern oder Mißbrauch von Gewohnheiten und Strebungen einer früheren Entwicklungsstufe an, die ursprünglich nicht sündig, sondern nützlich waren. Ihr sündiger Charakter rühre daher, daß sie jetzt ein Anachronismus seien. Dennoch dürfe (überraschenderweise) die Sünde nicht als von Gott gewollt bezeichnet werden.17
Solche Überlegungen wurden in neuerer Zeit von von Ditfurth18, Bresch19 und Theissen20
* Ebd. 209.
9	Ebd. 200.
10	Ebd. 203.
11	Ebd.
12	Hulsbosch, Schöpfung 50; vgl. 51.
13	Ebd. 53.
14	Ebd.
15	Dolch, Sünde 468. Über ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Beth, Ennvicklungsgedanke, ähnlich kritisiert, daß es einen Evolutionismus gibt, der die Sünde abschwächt oder gar eliminiert. Er bezeichnet ihn als materialistischen Evolutionismus, der vom echten Entwicklungsgedanken abzuheben sei, der dies nicht beinhalte. Der Evolutionsgedanke führe nicht zu einem Verzicht des Begriffs der Sünde. Er erhalte jedoch einen entsprechenden Inhalt: “Sünde ist Abkehr von der göttlich gesetzten Entwicklungsrichtung” (178). Die traditionelle Urstands-lehre müsse aufgegeben werden (Abschnitt 4.3). Dennoch geht Beth davon aus, daß es im Rahmen der Evolution einen Fall gegeben habe, durch den der Anfang eines sündigen Hangs gemacht wurde, der auch vererbt wurde (179f.).
16	Tennant, Influence (1909) 424, 428; vgl. Konter, Urständ 16f.
17	Ähnlich wie Tennant meinl Williams (in Koster, a. a. O. 20), daß der Mensch im Verlauf seiner moralischen Entwicklung mit derwidergöttlichen Macht gemeinsame Sache machte und das Weitergehen auf dem von Gott geforderten Weg der Höherentwicklung verweigerte. Damit sei das von der Bibel nicht gedeckte Wort “Fall” fehl am Platze. Der Fall müsse geschichtlich vor dem Auftreten des Menschen liegen (21). Der Mensch leide an einer zurückgebliebenen Entwicklung des Herdeninstinktes. Vermutlich störte eine uns unbekannte bösartige Macht diese Entwicklung. Gestalten wie die Kobra oder Diphtheriebazillen legen einen Fall in der kosmischen Entwicklungskraft nahe: Gott habe die Weltseele gut geschaffen, aber sie selbst wandte sich von Gott ab (22).
18	Von Ditfurth, Nicht nur von dieser Welt.
19	Bresch, Alpha-Bedingungen.
20	Theissen, Biblischer Glaube.
aufgegriffen. Von Ditfurth sieht Einigkeit in der Einschätzung des Menschen als unvollkommenes, ‘unfertiges’ Wesen. Den Grund für diese Unfertigkeit erkennt er darin, daß er das evolutionäre Tier-Mensch-Übergangsfeld noch nicht völlig durchschritten habe. Widersprüchlichkeiten und Irrationalismen menschlichen Verhaltens seien Folge dieser Tatsache.21 Unzulänglichkeiten des Menschen sind danach also aus den Gesetzen der Evolution zu erklären. Früher seien diese Verhaltensweisen nützlich (selektionspositiv) für den Fortschritt der Entwicklung (vom Tier zum Menschen) gewesen. Inzwischen habe sich in der Evolution (wie schon in manchen neuralgischen Phasen zuvor) eine Wertumkehr ergeben. Was früher notwendig war -Aggression, Feindschaft, Krieg usw. — sei durch die fortgeschrittene Evolution schädlich geworden. Die Menschheit stecke in Schwierigkeiten, weil sie an den durch Evolution überkommenen Verhaltensweisen festhalte.22 Theissen charakterisiert “Sünde” als das “mangelnde Vermögen, adäquate Anpassungsstrukturen an die letztgültige Realität zu verwirklichen.”23
Zusammenfassend können zwei Gesichtspunkte hervorgehoben werden:
1.	In konsequent evolutionärer Perspektive wird Sünde als Widerspruch gegen die Gesetze der Evolution gedeutet. Überspitzt formuliert: Der Mensch ist Sünder, weil er sich nicht oder nicht im erforderlichen Maße für das Gelingen einer weiteren Evolution einsetzt.
2.	Was Sünde konkret ist, was sündhafte Taten sind, ändert sich im Laufe der Evolution, da sich auch der Mensch (in seiner Umwelt) evolu-tiv ändert.24
Bewertung
1.	Nach dem Zeugnis des Neuen und Alten Testaments ist Sünde primär Unglaube Gott gegenüber (Joh 16,9), ein geistliches Totsein (Eph
2,1.5), die Trennung von Gott (Eph 2,1 lff.). Davon ist in den genannten evolutionistischen Entwürfen nicht die Rede. Sünde ist nicht mehr Ausdruck einer gestörten bzw. verlorenen Beziehung zum Schöpfer, sondern unpersönliches
Nebenprodukt des von Gott ermöglichten und getragenen Evolutionsprozesses.
2.	Die genannten Autoren denken voll und ganz evolutionistisch und versuchen den Begriff “Sünde” entsprechend inhaltlich zu füllen. Sie halten das traditionelle biblische Sündenverständnis der vom Menschen verschuldeten Entfremdung von Gott bis hin zur Feindschaft ihm gegenüber (Röm 5,8) vor diesem Hintergrund für nicht haltbar, sondern sehen es im Widerspruch zum evolutionären Denken. Dieser Widerspruch soll vermieden werden. Dadurch erhält der Sündenbegriff einen neuen Inhalt. Es handelt sich dabei keineswegs etwa um eine Aktualisierung des traditionellen Verständnisses oder um neue Formulierungen in heutiger Sprache bei gleichbleibendem Inhalt, sondern um neuartige Konzepte, verglichen mit dem traditionell verstandenen biblischen Inhalt. Denn es ist ein grundlegender Unterschied, ob Sünde vom Menschen verschuldetes Verkehrtsein oder ein Strukturmoment der Evolution, ein unvermeidliches Nebenprodukt der Lebensentstehung und Menschwerdung ist. Im ersteren Falle ist Sünde nicht ein Aspekt des Menschseins bzw. Geschöpfseins, sondern eine Verkehrung und ein Verderbnis des Menschen. Im letzteren Falle dagegen gehört das Sündigsein zum Menschen ebenso dazu wie irgendwelche körperlichen Merkmale. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Sündenbegriff inhaltlich neu bestimmt wird (“Verstoß gegen die Evolution”), denn der Umstand, daß der Mensch sich nicht im Sinne der Evolution einsetzt, muß in einer konsequent evolutionären Perspektive seinerseits als Folge des vorangegangenen Evolutionsprozesses gewertet werden.
Diese Sichtweise hat Konsequenzen für die Hoffnungen auf Veränderung des Menschen. Wo Sündigsein evolutionsbedingt “Bestandteil” des Menschseins ist, kann der Mensch davon
21	Von Ditfurth, a. a. 0.21.
22	Bresch, a. a. O.
23	Theissen, a. a. O. 214.
24	Analog ist dazu eine Evolution von Normen und Werten, vgl. Abschnitt “Evolution und Verhalten" w. u.
nicht erlöst werden, es sei denn, er wird gleichzeitig vom Menschsein erlöst. Die biblische Überlieferung macht jedoch einen Unterschied zwischen dem Menschsein (Geschöpfsein) und dem Sündigsein. Vom Schöpferwillen her ist Menschsein nicht mit dem Sündersein verquickt; das ist es erst im postlapsarischen Zustand (vgl. Abschnitt 4.3.2).
3.	Von der Sünde als Macht, die den Menschen unterwerfen will,25 ist in konsequent evolutioni-stischen Entwürfen wie bei Teilhard nicht die Rede. Die gottfeindliche Natur der Sünde ist nicht im Blickfeld. Eine Sündenmacht paßt nicht ins evolutionäre Bild - es sei denn, man würde das evolutive Verhaltenserbe (“die archaischen Instinkte im Herzen” nach Lorenz26) als Macht ansehen, welcher der auf evolutivem Wege entstandene Mensch ausgeliefert ist. Doch eine solche Macht wäre nicht dämonisch oder feindselig, sie wäre unpersönlich, eine lebensbedrohende Folge der Evolution. Smulders bemängelt an Teilhards Entwurf, daß Sünde zu etwas fast Selbstverständlichem eingeebnet werde.27 Im Sinne Teilhards steckt hinter der Einschränkung “fast” die geschilderte Vorstellung von der Sünde gegen die Evolution, die darin besteht, den Evolutionsprozeß nicht zu fördern oder sie gar zu behindern.28
Das Böse im biblischen Sinne ist dagegen “im innersten geistigen Kern des Personseins gelegen, der von den Gesetzen der Materie und Quantität nicht beherrscht wird. Dieses Böse richtet sich gegen den höchsten Wert in unserer Welt, nämlich die Beziehung der Person mit ihrem Gott”, stellt Smulders29 heraus. “Hier zu sagen, daß eben jedes Gelingen durch eine Zahl Versager bezahlt werden müsse, bedeutet, daß man die Person zu einem Mittel degradiert.”30
4.	Die Konstruktion, daß der Mensch dem Evolutionsprozeß eine neue, “menschliche” Richtung geben sollte, ist unrealistisch. Woher sollte der evolutiv gewordene Mensch wissen, daß er etwas anders machen soll, als es bisher gelaufen ist? Wie sollte er es können, wenn er durch Evolution zu einem moralischen Mängelwesen geworden ist? Sünde als moralische Kategorie
kann es in diesem Rahmen ohnehin nicht geben. Sünde ist in evolutionärer Sicht vielmehr unverschuldete Unfähigkeit (s. o.).
5.	Die genannten Umdeutungen von “Sünde” müssen eine Zielrichtung des vorausgesetzten Evolutionsprozesses postulieren (z. B. wenn Hulsbosch Sünde des Menschen als Weigerung versteht, die weitere Evolution mitzumachen). Wie in Abschnitt 2.4 dargelegt wurde, kann mit den Erkenntnismethoden der Naturwissenschaft eine solche Zielrichtung jedoch nicht festgestellt werden. Die bekannten Evolutionsfaktoren lassen keinerlei Zielorientierung plausibel erscheinen. Die gegenteilige Annahme ist evolutionstheoretisch reine Willkür und widerspricht dem Grundkonzept der Evolutionslehre (Abschnitt
2.2). Ohne das Postulat der Zielgerichtetheit kann “Sünde” aber nicht in der beschriebenen Weise evolutionistisch charakterisiert werden. Ohne Norm gibt es keine Sünde31, keine Verantwortung, kein Ziel. Definitive Normen aber gibt es in der Evolution nicht.32 Normen sind allenfalls aus dem bisherigen Ablauf der Evolution ableitbar. Es kann nur wechselnde Normen geben,
25	Gen 4,8; Röm 6; Hebr 12,2; die Sünde erscheint nach Röm 5,12ff. (s. u.) “wie eine von Adam verschiedene Person, die durch ihn ‘Eintritt’ in die Welt gewonnen hat, als Welt-Herrscherin” ( Wilckens, An die Römer 314); vgl. Kuss, Römerbrief 227.
26	s. S. 121
27	Smulders, Theologie 175.
28	s. S. 117.
29	Smulders, a. a. O. 197. w Ebd. 197f.
51 Vgl. Röm 7: Das Gesetz reizt zur Sünde.
32 Nach der evolutionstheoretischen Schau von Bresch, Alpha-Bedingungen, hat es immer wieder in der Evolution eine " Wertumkehr" gegeben. In früheren Evoiutionsphasen günstige Eigenschaften haben sich ins Gegenteil verkehrt. So sei cs beispielsweise im Einzellerstadium der Evolution gut gewesen, wenn sich die Zellen (die einzelligen Lebewesen) möglichst schnell vermehren konnten. In der spateren Phase vielzelliger Lebewesen mußten sich dagegen die Zellen in den Organismenverband einfügen und durften sich nur begrenzt teilen; das unbegrenzte Teilen bedeutete jetzt den Tod des Organismus durch Krebs. So hatten sich Normen immer wieder geändert, auch an der Schwelle vom Tier zum Menschen. Wahrend früher Angst, Aggression und Kriegsgeschick im Kampf ums Dasein noch nützlich für den Evolutionsfortschritt waren, sind diese Eigenschaften und Fähigkeiten in der heutigen Welt überlebensbedrohend geworden. Normen können also grundlegend wechseln.
abgesehen vielleicht von einer einzigen konstanten Norm: daß nämlich die Evolution weiterlaufen muß. Die Norm und Orientierung, die dem Menschen durch den Willen und die Gebote Gottes gesetzt ist, wird also durch die neue Norm eines evolutionären Fortschritts ersetzt.
Evolution und Verhalten
Nicht nur der Ursprung der Sünde schlechthin ist im Rahmen der Evolutionslehre neu zu bedenken, sondern auch die Entstehung der einzelnen Sünden, genauer: der Verhaltensweisen, welche die Bibel als sündig, als Folgen des Getrenntseins von Gott kennzeichnet. Der Biologe Mohr schreibt dazu:
“Unsere moralischen Mängel erklärt die evolutionäre Ethik. . . . Man kann sie als naturalistische Ethik im Zeitalter der Evolutionstheorie auffassen. Die Vertreter evolutionärer Ethik gehen davon aus, daß ... auch unsere angeborenen Verhaltens- und Handlungsstrukturen im Zuge der dar-winschen Evolution entstanden sind... Eine verhaltensbiologische Mitgift kann der Mensch nicht verleugnen.”53
Lorenz hat diese Einschätzung prägnant formuliert: “In der Hand die Atombombe und im Herzen noch immer die archaischen Instinkte unserer prähistorischen Ahnen.”34 Er interpretiert das Verhalten des heutigen Menschen von seiner Abstammung von tiermenschlichen Vorfahren her, die die heute problematischen Verhaltensweisen durch Evolution erworben hatten. Sie belasten uns auch heute noch, weil wir evolutiv mit diesen Vorfahren verbunden sind. Diese Sicht teilt auch von Ditfurth.35 Das verhaltensbiologische stammesgeschichtliche Erbe sei noch längst nicht abgestreift, auch wenn es zusehends durch erlernte, intellektuell gesteuerte Verhaltenselemente überlagert wird, meint ebenso Bosshard.36 Ein vielschichtiges biologisches Erbe gehe der freien sittlichen Tat voraus und sei in der Lage, auf sie einzuwirken.37 Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, inwiefern eine Urverfehlung mehr sein soll als bloßes evolutives Verhaltenserbe. Es ist nicht ersichtlich, wie Boss hard den theologischen Gehalt der Urverfeh-
lung über bloß biologische Eigentümlichkeiten hinaus bestimmen will. Wäre die evolutionisti-sche Diagnose des menschlichen Fehlverhaltens richtig, so müßte die “Medizin” “weitere Evolution” heißen; alle Hoffnung müßte auf dem Gelingen weiterer Evolution ruhen. Tatsächlich drücken die genannten Autoren eben diese Hoffnung so aus. Plädoyers für die Vernunft werden gegeben: Mohr rechnet mit der “schöpferischen Kraft der Vernunft”3®, Riedl hofft darauf, daß wir etwas rascher weiser als mächtig werden und daß das Wissen um Evolution dazu beiträgt.39 “Die menschliche Erkenntnis vermag . . . die Fehler der angeborenen Lehrmeister ihres Erkenntnisapparates zu überwinden. Wir können unsere Vernunft durchleuchten. Darin liegt unsere Überlebenschance.”40 Dagegen wäre für die von der Bibel geforderte Hinwendung zum Schöpfer und Erlöser als entscheidende Voraussetzung für eine Veränderung, auch im Verhalten, in evolutionärer Perspektive ein falscher “Hebel”.
Nicht jeder, der die Evolutionslehre akzeptiert, zieht diese Folgerungen, doch erscheinen die Aussagen von von Ditfurth, Lorenz, Mohr und Riedl konsequent. Sie zeigen mit wünschenswerter Klarheit, daß das Evolutionskonzept eine grundlegend andere Sichtweise darstellt als die biblische Sicht des Heilshandelns Gottes mit dem Menschen in dieser Welt.41
33	Mohr, Grenzen.
34	Zit. in von Ditfurth, Nicht nur von dieser Well 214.
35	Von Ditflirth, a a. O. 21.
34 Bosshard, Erschafft die Wett 54.
37	Ebd. 185.
38	Mohr, a. a. O. 49.
w Riedl, Diskussionsbeiträge 136.
Ul Riedl, Evolution und Erkenntnis 327.
41 Fritzsche, Dogmatik ttt 17, betont, daß die christliche Ethik die Kriterien für menschliches Ethos nicht der empirischen Verhal-tensforschungentnimmt, sondern dem in der Bibel geoffenbar-ten Wort Gottes über die Bestimmung und das Sollen des Menschen. Aus dem Entwicklungsgedanken könne gerade dies abgeleitet werden, daß menschliches Ethos anders ist als tierisches Sichverhalten. Doch wenn das Verhalten des Menschen stammesgeschichtlich aus dem tierischen Verhalten ableitbar wäre, wäre die auf die Bibel gründende Ethik den Prinzipien entgegengestellt, die in der Stammesgeschichte maßgeblich waren. Wenn Gott sich dieses Prozesses der Erschaffung des Menschen bedient hätte, so forderte er folglich vom Menschen Verhaltensweisen, die seiner (in dieser Sichtweise durch Evolu-
4.2.2	“Gemäßigte” Vorstellungen
Die zweite Gruppe (Abschnitt 3.2) ist bemüht, den Evolutionismus mit seinen Folgen für das Sündenverständnis in Schranken zu weisen. Man geht davon aus, daß zusätzlich zu den Evolutionsfaktoren in einer nicht näher bestimmbaren Weise Gott am Werke war, um dem frühen “Urmenschen” seine Gebote und die Beziehung zu Gott zu ermöglichen. Durch Gottes Eingreifen wird ein Einschnitt im Übergang vom Tier zum Menschen postuliert. So wählt Feiner den Weg, evolutionstheoretische Konsequenzen nicht durchgängig zu akzeptieren, da “zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort dieser Erde sich durch eine freie Setzung Gottes” das Wunder der Menschwerdung ereignet haben soll.42 Man könnte sich denken, daß mit einer solchen Setzung ein Neuanfang in seiner Geschichte gewährt wurde, durch den er vom evolutiven Erbe befreit wurde (vgl. Abschnitt
4.1.3). Solche Überlegungen laufen jedoch dem Evolutionsdenken diametral entgegen. Im Fluß des Evolutionsgeschehens ist eine solche Konstruktion ein Fremdkörper. Die damit verbundene Problematik wurde in den Abschnitten 3.2 und 4.1.3 diskutiert, weshalb auch in diesem Zusammenhang auf sie verwiesen werden soll.
4.2.3	Zusammenfassung
Im konsequent evolutionistischen Kontext kann das traditionell biblisch orientierte Verständnis von Sünde als vom Menschen verschuldeter Bruch mit Gott, als Unglaube und Feindschaft Gott gegenüber und in diesem Sinne als geistliches Totsein nicht vertreten werden. Der Begriff der Sünde wird jedoch nicht aufgegeben, sondern
mit neuem Inhalt gefüllt. Sünde wird zur Weigerung, sich an der Mitwirkung beim evolutionären Prozeß zu beteiligen und zu seinem Gelingen beizutragen, und besteht darin, an den durch Evolution überkommenen Verhaltensweisen und Werten (früherer Evolutionsphasen) festzuhalten. Da es, evolutionistisch gesehen, allenfalls die Norm des Evolutionsfortschritts geben kann, wird die Bestimmung von Sünde anhand dieses Maßstabs vorgenommen. Von der Sünde als einer den Menschen von Gott loslösenden Macht kann in diesem Denkrahmen nicht gesprochen werden.
Sündige Verhaltensweisen, die biblisch gesehen Ausdruck des Seins in der Sünde sind, müssen evolutionstheoretisch als Folge des postulierten Anpassungs- und Höherentwicklungsprozesses gewertet werden. Sie haben sich (ebenso wie positive Verhaltensweisen) etabliert, weil sie sich im Überlebenskampf als vorteilhaft erwiesen haben. Sie sind als notwendiger Nebeneffekt mit der Menschwerdung entstanden und gehören zum Wesen des Menschseins; Geschöpfsein heißt daher gleichzeitig Sündersein — im Gegensatz zur biblischen Sicht.
Gemäßigte evolutionstheoretische Vorstellungen können diese Konsequenzen nur vermeiden, indem sie besondere Eingriffe Gottes bei der Menschwerdung postulieren und damit das Evolutionskonzept an entscheidender Stelle einschränken (vgl. die Erörterung dazu in Abschnitt 4.1.4).
lion geschaffenen) Natur widersprachen - ein merkwürdiger Widerspruch. Wenn Fritzsche im weiteren schreibt, daß “christliche Ethik nichts verlangen darf, was widernatürlich ist” (S. 17), so ist das unter der Voraussetzung eines theistischen Evolutionismus gerade nicht möglich. i: Feiner, Ursprung 244.
4.3	Der Einbruch der Sünde in die Welt
4.3.1	Problemstellung
Der Mensch ist vor Gott Sünder. Weshalb ist das so? Wie kam es dazu? Weshalb hat der Mensch moralische Mängel? Weshalb ist der Mensch Gott entfremdet? Weshalb ist die Welt trotz der Präsenz Gottes dunkel und zerrüttet?1 Weshalb herrschen Sünde und Tod mit ihren vielfältigen Begleiterscheinungen? Auch der materialistisch eingestellte Mensch muß feststellen, daß die “statistische Normalität” des Lebens offensichtlich nicht mit dem korrespondiert, “was wir als Inbild gelungenen Menschseins in uns tragen”2. Die Motivation für diese Fragen besteht nicht in erster Linie darin, Geheimnisse des Ursprungs und der Vergangenheit des Menschengeschlechts zu enthüllen, sondern den Menschen in seiner gegenwärtigen Situation in der Welt zu verstehen. Diese Situation ist - auch abgesehen von einer bibliscnen Bewertung - durch eine Spannung zwischen Macht und Ohnmacht gekennzeichnet, die unauflösbar erscheint. Die Menschheit hat großartige Fähigkeiten und Möglichkeiten; sie hat eine gewaltige kulturelle Entwicklung hinter sich, hat viele Probleme gelöst. Andererseits sind die Kehrseiten des Lebens dennoch nicht weniger geworden, es sind andere entstanden. Daneben sind die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten des Zusammenlebens im Kleinen wie im Großen über die Zeiten hinweg dieselben geblieben. Die ethischen Mängel sind dieselben. Weshalb ist dies alles so? Gefragt ist die zutreffende Diagnose der Defizite des Menschen.
Gemäß der traditionellen biblischen Sicht muß die Gegenwart vor dem Hintergrund eines fundamentalen Bruches in der Schöpfung verstanden werden, der die Lebensbedingungen grundlegend veränderte. Die biblischen Schriften geben zwar keine Auskunft über naturkundlich wissenswerte Details, aber sie stellen klar, weshalb die heute verwirklichten Lebensbedingungen herrschen. Mit den traditionellen Begriffen “Urständ”, “Sündenfall” und “Erbsünde” aus-
gedrückt heißt dies: Das Menschsein in den heutigen Rahmengegebenheiten entspricht nicht dem Schöpferwillen; der Mensch lebt in seinem gefallenen Wesen im Zustand der Trennung von Gott (“Erbsünde”3). Die Phänomenologie der heutigen Schöpfung ist zu unterscheiden von einer Ursprungswirklichkeit (“Urständ”; vgl. Abschnitt 5.5.2). Der Umbruch von der Urständs-Wirklichkeit in die Bedingungen “dieses Äons” wurde durch den “Sündenfall” des Menschen ausgelöst.
Diese drei Begriffe (Urständ, Sündenfall, Erbsünde) sind in der theologischen Diskussion unseres Jahrhunderts intensiv hinterfragt worden, mit dem weithin akzeptierten Ergebnis, daß sie am besten aufgegeben werden sollten. Bei einer Beibehaltung könnten sie allenfalls noch als Metaphern für existentielle Wahrheiten Verwendung finden. Die Kritik am traditionellen Inhalt dieser Begriffe kann in dieser Arbeit nicht im Detail dargestellt werden; für unsere Fragestellung ist das auch nicht erforderlich. Vielmehr sollen anhand einiger biblischer Texte die wichtigsten Aspekte zur Frage nach dem Einbruch von Sünde und Tod (und ihren Begleitphänomenen) herausgearbeitet werden, um diese den evolutionären Vorstellungen gegenüberzustellen.
Die Fragen nach einem Urständ und dem Einbruch der Sünde sind Zentralinhalte des Glaubens. Der Grund dafür ist die enge Verzahnung mit wesentlichen Aussagen des Neuen Testaments.4 Jesus Christus ist gekommen, um die Sünde der Welt zu tragen. Die Hamartiologie hängt daher eng mit der Soteriologie zusam-
1 So fragt Schmaus, Paradies, 7.
1 Spaemann, Erbsündenlehre 54.
3 Zur genaueren Begriffsbestimmung s. Abschnitt “Urständ, Sündenfall, Erbsünde” in Abschnitt 4.3.2.1.
* Vgl. Parker, Original Sin.
men.5 Folglich hat das Verständnis von “Sünde” und ihres Ursprungs Konsequenzen für das Verständnis und die Möglichkeit einer Erlösung von Sünde. Es geht um die Frage, ob Sünde vom Menschen verantwortete Schuld ist oder eine notwendige Begleiterscheinung menschlichen Lebens.6 Wenn Gott für die Sünde des Menschen verantwortlich ist, ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis von Gnade und Erlösung. Es gäbe keinen Anhaltspunkt für den Sieg über das Übel, über Krankheit, Armut, Krieg, soziales Unrecht und Sünde, wenn das Übel göttlicher Wille wäre.7 All dies gehörte dann zur göttlichen Weltordnung. Ist aber die Welt durch die Tat des Menschen so geworden, wie sie ist, kann sie durch die Tat des Menschen verändert werden. Die Verhältnisse der Welt können verändert werden, wenn Gottes Wille geschieht.
Wenn Sünde ein Nebenprodukt der Evolution ist, ergeben sich Folgen für die Anthropologie (vgl. Abschnitt 4.1) und die Begründung ethischer Normen (Abschnitt 4.2). Die Theodizee-Frage8 ist davon betroffen. “Man kann das Dogma der Erbsünde nicht antasten, ohne gleichzeitig das Erlösungswerk Jesu Christi seines Wertes zu berauben.. .”9
Dieser schlaglichtartige Aufriß10 macht genügend deutlich, daß die Frage nach dem Ursprung von Sünde und Tod mit dem Herzstück des christlichen Glaubens untrennbar verknüpft ist, dem Erlösungswerk Jesu Christi. Diesem Umstand entspricht die Fülle an Literatur zu Fragen des Urstandes und der Erbsünde, hauptsächlich im katholischen Bereich. An dieser Stelle werden entscheidende Weichen gestellt.
Mit der Frage nach Urständ und Ursünde hängt weiter der Fragenkomplex um die monnoderpolygenetische Abstammung des Menschen zusammen. Dabei geht es um die Verbundenheit der Menschheit durch die Schöpfung und durch das Verhängnis der Ursünde; diese Verbundenheit ist biblisch klar bezeugt."
4.3.2	Historizität des Sündenfalls?
Die Historizität des Urstandes und der Ursünde (Sündenfall) wird weithin bestritten oder als theo-
logisch irrelevant gewertet. Hinsichtlich Schöpfung und Fall gilt die Frage nach einem “wie, wo und wann” als bedeutungslos. “Schöpfung und Fall liegen beide hinter der historisch-anschaulichen Wirklichkeit, als ihre immer schon Vorgefundenen, im Geschichtlichen sich bereits auswirkenden Voraussetzungen.”12 Manche Autoren, insbesondere aus dem katholischen Bereich, vermuten zwar eine Beziehung des Sündenfallereignisses zur realen Geschichte, konkretisieren diese aber nicht.13 Seybold stellt fest, daß die Mehrzahl der katholischen Dogmatiker die extreme Vergleichgültigung der heilsgeschichtlichen Anfänge zurückweist.14
Zu diesem neuralgischen Punkt in der Diskussion um die Vereinbarkeit der biblischen und evolutionären Geschichtsschau sollen im folgenden zunächst die biblischen Zeugen ausführlich ausgelegt werden.
5	Die Erbsündenlehre ist die “'Kehrseite’des Frohen Botschaft, daß Jesus Christus der Heiland aller Menschen ist” (Schönborn, Erbsündenlehre 94). Im Licht Christi wird die Tragweite der Ursünde und ihrer Folgen deutlich.
6	Besonders drastisch hat Koestler, Irrläufer, das Unvermögen des Menschen, mit seinen Unzulänglichkeiten zurechtzukommen, als Evolutionsfolge ausgemalt.
7	Ragaz, Urgeschichte 44.
8	Vgl. Seybold, Erbsündendiskussion 269; Abschnitt 4.7.
8 Hulsbosch, Schöpfung 34. H. Haag (im Vorwort zu Bau mann, Erbsünde 7) stellt in diesem Zusammenhang fest, daß nicht nur ein Kapitel unserer Katechismen neu zu schreiben sei, sondern der ganze Katechismus.
Feiner, Ursprung 234, stellt zur Frage nach dem Urständ fest: “Das kirchliche Lehramt und die katholische Theologie halten die Geschichtlichkeit Adams fest, nicht, weil sie meinen, es sei für jede Einzelheit des biblischen Schöpfungsberichtes ein bestimmter historischer Inhalt zu suchen, oder wir müßten möglichst viel vom alten Weltbild der Bibel retten, sondern weil die Geschichtlichkeit Adams als des einen Stammvaters der Menschheit und die Geschichtlichkeit des Urstandes und des Falles Voraussetzung und Grundlage der kirchlichen, in der Offenbarung des Neuen Testaments begründeten Lehre von der Erbsünde und Erlösung sind." Der Autor stellt hier klar, daß die Heilsgeschichte Gottes mit dem Menschen auf dem Spiel steht.
10	Die einzelnen Themen werden in den folgenden Abschnitten naher ausgeführt.
11	Vgl. Hulsbosch, a. a. O. 35.
12	Brunner, Widerspruch 143.
15 Z. B. Scheffczyk, Sündenfall 762.
14 Seybold, Erbsündendiskussion 269.
4.3.2.1	Der Einbruch von Sünde und Tod nach Römer 5,12—21 und Genesis 2-3
Rom 5,12ff. ist in der Exegese sehr umstritten. Paulus hebt die Universalität der Erlösung durch Jesus Christus hervor. Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, erläutert Paulus eine typologi-sche Beziehung Jesu Christi zu Adam, dessen Tat ebenfalls universale Bedeutung hatte. Nach der zuvor erfolgten ausführlichen Erläuterung der von Jesus Christus bewirkten und in ihm angebotenen Erlösung wird mit diesem Text ein längerer Abschnitt über die Sündenverfallenheit der Menschheit und das Erlösungsangebot in Christus abgeschlossen. Das Gesagte wird durch die Gegenüberstellung von Adam und Christus nochmals bekräftigt.15 Betont wird am Anfang dieser Gegenüberstellung die Aussage gemacht, daß durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod. Der in V. 12 angefangene Satz wird durch eine Serie von Einschüben unterbrochen, jedoch in V. 18 logisch fortgesetzt.'6
Man muß daher V. 12, 18 und 19 als die Hauptaussage des Abschnitts ansehen, von dem aus die Details und die Einschübe verstanden werden müssen. Ein Kernpunkt dieser Hauptaussage ist die Gegenüberstellung zweier Personen, genauer ihrer Taten. Daß die Sünde in der Welt ist (und in ihrem Gefolge der Tod, s. u.), wird auf eine geschichtliche Tat eines Menschen zurückgeführt, die einen Ungehorsamsakt gegen Gott darstellte (V. 19). Das unterstreicht, daß Sünde kein Wesensmerkmal des Menschen ist, sondern etwas nachträglich Hinzugekommenes, wie dies auch durch das Wort Eiorjküev zum Ausdruck gebracht wird. Die Sünde kommt in die Welt hinein. Damit ist eine neue Situation gegeben, denn nun herrscht derTod. “Das Wort gekommen bedeutet die Einführung eines bis dahin fremden Princips in die Welt, und das Wort durch wirft die Verantwortlichkeit für diese hart auf denjenigen, welcher gleichsam den Damm durchbrochen hat, durch welchen der Einbruch geschehen ist.”17 Etwas Neues, vorher nicht Vorhandenes tritt jetzt in die Welt hinein.18 Die Tat des einen hat also eine neue Daseinsweise heraufbeschworen. Im zweiten Teil von Röm
5,12 wird erläutert, daß auf diese Weise (ovrws) der Tod zu allen Menschen gelangte. Adam und Eva als die ersten und zunächst einzigen hatten den Dammbruch der Sünde mit ihren Folgen verursacht und so waren nun - ob sie es wollten oder nicht - alle Menschen von dieser neuen Situation betroffen. Eine geschichtliche Tat konkreter Menschen hat diese Situation hervorgebracht. Dies ergibt sich aus der Parallelisierung von Adam und Jesus Christus.19
Die Ursünde und die Sünden aller Menschen Gegen diese Feststellung scheint der Nachsatz 12d zu stehen: “Weil alle sündigten”.20 Das klingt so, als ob die individuellen Sünden der einzelnen Menschen Ursache oder Mit-Ursache des Einbruchs des Todes seien. Dieser Nachsatz scheint somit die ganze vorige und in V. 18f. durchgeführte Argumentation zunichte zu machen und ihr diametral zu widersprechen.21
15	“Der seltsame, zunächst befremdende Gedanke, daß einer zum Heil ward für viele, wird durch ein Seitenstück aus der Heilsordnung, nämlich durch die (beim Leser als bekannt vorausgesetzte) Tatsache des Verderbens, das von einem ausging, beleuchtet, hinsichtlich seiner Möglichkeit dem Denken näher gebracht und bewiesen” (Freundorfer, Erbsünde 214).
16	Vgl. Wilckens, An die Römer (1) 108; Kasemann, An die Römer 137; Althaus,An die Römer 48; Lengsfeld,Ada/n und Christus 72; Staudinger, Erbsündenlehre 227. Kuss, Römerbrief 225, versteht das Ziel des Apostels von den Versen 18f. her: er wolle Adam und Christus als die Stammväter zweier Menschheitsreihen einander gegenüberstellen.
17	Godet, An die Römer 229.
18	Freundorfer, Erbsünde 224.
19	Weger, Erbsünde 96, bezieht ovtcus auf 12d, nicht auf 12b: Alle haben gesündigt und sich dadurch den Tod zugezogen. Durch seine eigene Sünde komme der Tod zu jedem Menschen hindurch und werde sein Tod (Lengsfeld, Adam und Christus 76). Was soll aber heißen, daß der Tod sein Tod wird? Der Tod ist offenbar für Lengsfeld schon da, unabhängig von der Sünde - entgegen dem, was der Text vermitteln will.
20	An der Übersetzung des e<p 5> im Sinne von “weil” oder “aufgrund dessen, daß” werden heute kaum noch Zweifel geäußert. Sie entspricht dem Sprachgebrauch des Paulus, ist aber grundsätzlich für eine relativische Deutung offen. Letztere war lange Zeit gemäß der von Augustinus vorgenommenen Vulgata-Übersetzung (“i<p'd>" = “in quo”: “in welchem alle sündigten") maßgeblich. Staudinger, Erbsündenlehre 241, will das unbequeme “weil-alle-gesündigt-haben” unbedingt stehen lassen. Er übersetzt: “weil die Bedingung erfüllt ist, daß alle gesündigt haben” (245).
21	Dieser Nachsatz hat die Exegeten über die Maßen beschäftigt. Für Baumann, Erbsünde, scheint in ihm geradezu der Haupl-
Es gibt jedoch zwei Möglichkeiten, einen Widerspruch zu vermeiden. Die eine Möglichkeit besteht darin, im Sündigsein zwei in Spannung zueinander stehende Aspekte zu sehen, einerseits ein Verhängnis, andererseits eine persönliche Schuld.22 Diese Deutung ist durch das Gesamtzeugnis des NT insofern gedeckt, als Sünde allenthalben einerseits als dem Menschen gegenüberstehende Macht erscheint (Röm 5,21; 6,6.12.17—20.22), andererseits der Mensch aber für seine persönliche Sünde zur Rechenschaft gezogen wird.23
Es ist aber auch durchaus möglich, daß das anfangs so betonte öievos avüpdmov in V. 12d zu ergänzen ist. Das bedeutete dann, daß das Sündigen aller eben mit diesem einen Menschen zu tun hat, und der Widerspruch wäre beseitigt. Dieses Vorgehen ist aus folgenden Gründen berechtigt:24
1.	Es wird durch den Kontext nahegelegt, denn es ist grundsätzlich unglaubhaft, daß ein Autor sich im selben Satz widerspricht, um später (V. 18f.) den zunächst (V. 12a-c)geäußerten Gedanken nochmals klar zu betonen. Im Kontext wird der Tod aller in der Weise auf Adam zurückgeführt wie die Gerechtigkeit aller auf Christus.
2.	Die Möglichkeit, daß der Tod aller aufgrund der individuellen Sünde aller erklärt werden soll, scheidet weiterhin aufgrund des unmittelbar vorhergehenden Kai ovtto?... aus (s. o.): “Und so” - wie durch den einen Menschen die Sünde und mit ihr der Tod in die Welt kamen -drang der Tod zu allen Menschen durch — also ebenso durch den einen.
3.	Der Tod der kleinen Kinder wäre unerklärlich.25 Da äpapravEiv Sünde als Akt bezeichnet, können die kleinen Kinder nicht in diesem Sinne gesündigt haben (wenn sie auch sündige Anlagen haben sollten).
4.	In V. 13f. sagt Paulus, daß es in der Zeit bis zum mosaischen Gesetz in der Welt Sünde gab, diese aber nicht angerechnet wird, dennoch aber der Tod auch über diejenigen herrschte, die nicht wie Adam durch Übertreten eines Gebots sündigten. Damit will Paulus offenbar sagen, daß das Sterbenmüssen nicht in den persönlichen Übertretungen (Sünden) der einzelnen grün-
det.26
5.	Eine weitere Stütze erfährt diese Auslegung durch 1 Kor 15,21f., wo ausdrücklich festgestellt wird, daß in Adam alle sterben und daß durch einen Menschen der Tod gekommen ist.27
Dagegen kritisiert Lengsfeld28, daß eine nachträgliche, selbst nur gedankliche Bezugnahme
gedanke des ganzen Abschnitts ausgedrückt zu sein, wenn er einen längeren Abschnitt seiner Untersuchung mit diesem Halbsatz überschreibt (S. 212 - 234).
22	Brunner, Dogmalik 121; Käsemann, An die Römer 138f.; Stuhlmacher, An die Römer 80; Schelkle, NT 124.
23	Beispielsweise vertritt Kuss, Römerbrief 31, die Auffassung, die unbequeme Verantwortung des einzelnen trotz Verhängnissituation sei hier festgehalten; vgl. Brandenburger, Adam und Christus, Lengsfeld, Adam und Christus 7ff. — Godet, An die Römer 233 und Freundorfer, Erbsünde 242 stimmen dem nicht zu, sondern sehen das Gewicht ausschließlich auf dem Verhängnischarakter.
24	Vgl. Godet, a. a. O. 233.
25	Vgl. Freundorfer, a. a. O. 245.
26	Ebd. 247. Kuss, Römerbrief232: “Daß es dem Apostel darauf ankommt, in dem Einschub W. 13.14 den Tod aller Menschen auf Adam allein zurückzuführen, ergibt sich mit vollkommener Deutlichkeit aus der Parallele, welche das Beweisziel des ganzen Zusammenhangs W. 12 bis 21 darstellt: das Leben für alle Menschen, die glauben, ist allein Jesus Christus zu verdanken.”
27	Röm5,12ff.kannalsdetaillierterKommentarzu 1 Korl5,21f. verstanden werden. Letzteres bringt gegenüber Röm 5 keine wesentlichen zusätzlichen Informationen zur Frage nach dem Einbruch von Sünde und Tod, zumal in 1 Kor 15 ein anderes Thema im Mittelpunkt steht. Paulus betont die Leiblichkeit des Menschen, so daß auch die Tatsache, daß er tfn>xV t,waa ist, den sündigen Menschen nicht vom Tod bewahren kann (Dittmann, Urgeschichte 178). “Paulus sagt: ‘Ihr Korinther glaubt nicht an die Realität der Sünde, wenn ihr die Auferstehung nicht wahrhaben wollt.' Wenn man an einen göttlichen Funken im Menschen glaubt, dann allerdings ist keine Auferstehung des Leibes zu einem neuen Leib nötig, dann ist es genug, daß dieser Funken zum Entflammen gebracht wird, indem die ihn bedeckende Asche, die Materie des Lebens, fortgeräumt wird” (Dittmann, a. a. O.). Das sind gnostische Vorstellungen, auf die Paulus hier offenbar eingeht (vgl. Wendland, Korinther 135f.). In unserem Text geilt es um die Sterblichkeit des sündigen Leibes; in 1 Kor 15 ist der Mensch als Sünder vorausgesetzt. V. 42-50 scheinen dagegen zu besagen, “daß das Sterbenmüssen zur Natur auch des nicht von der Sünde gezeichneten Menschen gehöre” (Wolff, Korinther 198). Doch V. 21 wird nicht aufgehoben; die Sterblichkeitgilt dt’ ävOpamov .V. 45 ist vordem Hintergrundder W. 42-44 als Analogie zu verstehen, die verständlich machen soll, weshalb die Auferstehungsleiblichkeit nicht anhand der irdischen Leiblichkeit vorstellbar ist (Dittmann, Urgeschichte 172). Die Leiblichkeit kann übrigens auch deshalb kaum als Grund für die Sterblichkeit gewertet werden, weil es ja, wie gerade 1 Kor 15 betont, eine Auferstehungsleiblichkeit gibt.
28	Lengsfeld, a. a. O. 75.
auf Adam keinen Anhalt am Text habe, da das Beziehungswort “durch einen Menschen” zu weit zurückliege und ein aktives Sündetun aller “in Adam” hier nirgends angedeutet erscheine. Daher müsse man davon ausgehen, daß im Nebensatz ein neuer Gedanke ausgeprochen wird, der nicht schon im Hauptsatz enthalten ist. Daraus ergebe sich eine Spannung zwischen Verhängnis und Verantwortung.29
Trotz dieser Kritik ist aufgrund der genannten Argumente die sinngemäße Ergänzung “in Adam” in V. 12d keine exegetische Willkür, sondern hilft, die Passage verständlich zu machen. Ein individualistisches Verständnis von V. 12d brächte nämlich bedeutend mehr Schwierigkeiten mit sich als die genannte Einfügung. Man müßte in diesem Fall viel mehr sinngemäß ergänzen. Schließlich macht Paulus das di' evos avdpwjiov zum Fundament eines Vergleiches und damit zum Kern dieses Abschnitts. Nur wenn alles Sterben durch den Fall des einen verursacht ist (und der Tod also nicht den freien, verantwortlichen Sünden der Einzelnen entstammt), so wie alles Leben von Christus kommt, hat der Vergleich einen Sinn. Der Verhängnischarakter der Sünde ist offensichtlich, wenn auch eine gleichzeitige persönliche Verantwortung der eigenen Sünde damit nicht ausgeschlossen wird.30
Paulus will “mit dem Verweis auf die Tatsünde die Wahrheit von der übergreifenden Sündenmacht nicht schmälern, sondern sie in gewisser Weise sogar durch die Behauptung verstärken: ‘Jeder bestätigt mit seinem eigenen Verhalten, daß er sich stets in einer von Sünde und Tod gezeichneten Welt vorfindet und ihrem lastenden Fluch unterliegt’.”31 Der Apostel verweist darauf, daß sich die in die Welt eingebrochene Sündenmacht in den Einzelsünden aktualisiert und konkretisiert.32
icafh'aiavcu (V. 19) wird von Paulus nur hier gebraucht, sonst hat es im NT in 16 von 22 Fällen die Bedeutung “einsetzen”. Ruckstuhl stellt dazu fest:
“Der Zusammenhang läßt auf ein Handeln Gottes schließen: Wie Gott durch seinen Freispruch in Christus die Vielen als Gerechte hinstellte und in den Stand der Gerechtigkeit einsetzte, so hat er durch seinen Schuldspruch die Vorgefundene Schuld
der Vielen ausgesprochen, alle als Sünder hingestellt, sie dem Stand der Sünder zugewiesen, sie sozusagen öffentlich als Sünder eingesetzt. Seit und durch Adam sind alle Menschen kraft ihres Zusammenhanges mit Adam und kraft eines Rechtsspruches Gottes ihrem Menschsein nach Sünder, wie sie seit und durch Christus, wenn sie an seine Heilstat und an den hier erfolgten Rechtsspruch Gottes glauben, Gerechte sind.”35
Von welchem Tod ist die Rede?
Durch den weiteren Textzusammenhang (V. 14) ist eindeutig zu beantworten, von welchem Tod
29	Ebd. 76f.
30	Vgl. Freundorfer, a. a.O. 254.
Weger, Erbsünde 97, kritisiert, daß von W. 12a, 18 und 19 aus der ganze Abschnitt zu verstehen sei, da seiner Meinung nach V. 19 im Licht von V. 12d ausgelegt werden müsse. In V. 19 werde wiederholt, was in V. 12d schon gesagt worden sei. Auch Schelkle, Schuld 27, liest V. 19 vor dem Hintergrund von 12d: ‘“Die Vielen’ wurden Sünder, indem sie nach der verhängnisvollen Ursünde Adams selber sündigten. Röm 5,19 enthält die gleiche Spannung zwischen Ursünde und eigener Sünde wie 5,12a—d” (ebenso von Schoonenberg, Theologie der Sünde 157, vertreten). Doch diese Auslegung kann nicht überzeugen, denn sie bedeutete, einen ganzen Abschnitt von einem Nebensatz aus verstehen zu wollen. Außerdem steht das schlicht nicht so in V. 19, wie es Schelkle herausliest.
Schelkle, a. a. O. 26, versteht auch V. 13f. vor dem Hintergrund von 12d. Alle seien durch die zu verantwortende Sünde der Macht des Todes verfallen. Doch das kann gerade nicht dem Text entnommen werden. V. 13 hakt zunächst ein, um klarzustellen, daß sündiges Tun nicht an das Vorliegen des mosaischen Gesetzes gebunden ist. V. 14 dient hierfür als Begründung, indem auf die Herrschaft des Todes verwiesen wird, die nicht durch gleichartige Sünde wie die Sünde Adams begründet ist. In V. 13f. wird also nicht - wie Schelkle behauptet - das allgemeine Todeslos als durch die je persönliche Sünde verschuldet erklärt. Ein Zusammenhang des Todes mit der persönlichen Sünde wird in diesen beiden Versen gar nicht thematisiert. Im Gegenteil: V. 14 stellt einen Gegensatz fest: Trotz des Fehlens der Sünde, wie sie Adam beging, herrschte der Tod.
Ruckstuhl, Unheilslast 66f., kritisiert die Auffassung, in V. 13f. solle nur begründet werden, daß alle gesündigt haben. Das sei nach dem langen Abschnitt 1,18-3,20 nicht nötig gewesen. Der Vergleich Adam-Christus werde ausgehöhlt, wenn nur die verantwortlichen Tatsünden der Menschen als Ursache der Herrschaft des Todes angesehen werden. Der Hinweis auf die Tatsünden der Menschen könne unmöglich die Ursächlichkeit Adams, die Verantwortlichkeit seiner Übertretung für den Tod und die Verurteilung der Vielen auslöschen. Die Tatsünden stünden nur am Rande unseres Abschnitts.
31	Käsemann,/1/t die Römer 141; vgl. Scheffczyk, Urständ 41.
32	Scheffczyk, a. a. O. 42.
33	Ruckstuhl, a. a. O. 75.
die Rede ist. Paulus spricht vom physischen Tod. Der ewige Tod, die Vollendung der Scheidung von Gott, kann in unserem Zusammenhang nicht primär und ausschließlich gemeint sein,34 da dieser Tod erst mit dem Endgericht zum Tragen kommt35 Auch der geistliche Tod allein kommt nicht in Frage,36 da dieser im NT (insbesondere auch bei Paulus) mit dem Sündigsein identifiziert wird, hier jedoch von der Sünde unterschieden wird. Dies wird unterstrichen dadurch, daß in V. 13f. offensichtlich vom physischen Tod die Rede ist (nämlich von der Herrschaft des Todes von Adam bis Mose). Dies gilt auch für die Verse 5, 6, 7,8 und 10 im Abschnitt davor. Unterstützt wird diese Deutung auch durch die augenscheinliche Anspielung auf Gen 3. Auch dort ist - entgegen heute weitverbreiteter Auffassung (s. u.) - vom physischen Tod die Rede (wie noch zu zeigen sein wird). Dem Einwand, in 1 Kor 15,42.47 werde der Tod auf die irdische Herkunft des Leibes (nicht dagegen auf die Sünde des Menschen) zurückgeführt (was auch Gen 3,19 nahezulegen scheint; s. dazu weiter unten), begegnet Godet37 damit, daß in beiden Fällen nur die Möglichkeit des Todes, nicht aber die Notwendigkeit seines Eintretens bewiesen würde.38 Wichtig für unsere Fragestellung ist, daß vom Einbruch des physischen Todes die Rede ist, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß der physische Tod mit anderen Aspekten des Todes (geistlicher, ewiger Tod) verbunden ist. Die Möglichkeit, daß nur der geistliche oder nur der ewige Tod gemeint seien, muß ausgeschlossen werden.
Was ist mit Koapos gemeint?
Unter Koapos wird von den meisten Auslegern die Menschenwelt verstanden, da Koopos in Parallele zu “allen Menschen” (V. 12c) stehen soll.39 Außerdem sei für die Sünde nur der Mensch zugänglich.40 Beide Argumente können jedoch entkräftet werden. V. 12c kann auch eine Fokussierung des Blickfeldes sein; eine Parallelität zu V. 12b ist nicht sicher. Und was den Umfang der Sünde betrifft, gibt Kuss41 zu bedenken, daß die bildhafte Rede eine weitere Auffassung als “Menschenwelt” zulasse. Die Sündenmacht wüte in der ganzen Welt; schließlich spreche Paulus in 8,19ff. ausdrücklich von einer Beteiligung der
Schöpfung am Schicksal des Menschen (s. Abschnitt 4.3.2.2). Außerdem sei der Begriff “vorwiegend ethisch bestimmt als der Inbegriff und die Zusammenfassung der gottfeindlichen Welt”42, wobei die gottfeindliche Welt nicht auf den Menschen beschränkt sein muß. Eine definitive Entscheidung allein anhand dieses Verses scheint nicht möglich zu sein.
Allerdings kann man hierzu zusätzlich zum exegetischen Befund ein Argument aus der Biologie heranziehen. Aufgrund des ökologischen Verflochtenseins aller Lebewesen einschließlich des Menschen ist im Grunde genommen nicht denkbar, daß der Einbruch des physischen Todes isoliert in der Menschenwelt möglich war. So gesehen ist es naheliegend, den Einbruch des Todes auf die gesamte belebte Schöpfung zu beziehen.
Bevor eine Gesamtauslegung dieses Abschnitts erfolgen soll, soweit sie für die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung ist, soll auch noch ein Blick auf die Texte der Genesis geworfen werden, vor deren Hintergrund Rom 5,12ff. zu verstehen ist.
51 Gegen Bosnhard, h.rschütfl die Well 190.
55 Vgl. Kuss, Römerbrief228. Einen Hinweis, daß der ewige Tod im Sinne einer präsentischen Eschatologie gemeint sein könnte, kann man dem Text nicht entnehmen. In V. 13f. ist der physische Tod mindestens eingeschlossen.
36	Wie z. B. Brandenburger, Adam und Christus 165ff. und Berry, Adam 92 + 118, meinen; Brandenburgers Argument ist die Gegenüberstellung ddvaros - £cui) atwvior, Berry führt keine exegetischen Befunde ais Begründung an.
57 Godet, An die Römer 231. Vgl. dazu Anm. 27.
38 H. Haag, Erbsündenlehre 63, glaubt, daß der physische Tod nicht gemeint sein könne, da Jesus ihn noch "nicht aus der Welt geschafft” habe. Doch dieses Argument ist untauglich, denn es übersieht die Verschränkung der Zeilen mit und nach dem Kommen Jesu Christi. Jesus Christus ist selbst leibhaftig auferstanden, hat Tote leiblich auferweckt und damit zeichen-haft bereits vorweggenommen, was Christen erwarten dürfen: die endgültige Befreiung von jeglicher Art des Todes.
37	Brandenburger, Adam und Christus 160; Käsemann, An die Römer 137; Biedermann, Erlösung 89.
10 Freundorfer, Erbsünde 222.
41	Kuss, Römerbrief.
42	Biedermann, a a. O. 91.
Genesis 2—3
Von den meisten Exegeten wird angenommen, daß Paulus sich in Rom 5,12ff. auf Gen 2 und 3 bezieht.43 Zum Verständnis der Herkunft des Todes ist dieses Zeugnisin der Tat von wesentlicher Bedeutung. Paulus argumentiert im Sinne von Genesis 3, wenn er in Röm 5,12ff den physischen Tod auf die Ungehorsamstat des ersten Menschenpaares zurückführt. Diese Sicht wird von der heutigen Exegese weitgehend abgelehnt44; im folgenden sollen jedoch Argumente für sie angeführt werden. Die Schlüsselstelle ist Gen 2,17: “Aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen — von dem darfst du nicht essen; denn sobald du von diesem ißt, mußt du des Todes sterben.” Angesichts der Tatsache, daß nach der Übertretung dieses Gebotes der physische Tod nicht sofort eintritt (Gen 3,7), bereitet dieser Vers einige Verstehensschwierigkeiten. Hinzu kommt, daß in Gen 3,19 das Todeslos der Menschen damit begründet wird, daß sie vom Staub genommen sind. Die Annahme aber45, der physische Tod an sich habe gar nichts mit der Übertretung des Gebots zu tun, führt in Aporien, wie im folgenden gezeigt wird.
Worin bestand die Todesandrohung?
Man könnte es unter dieser Voraussetzung mit der Auslegung versuchen, daß mit der Todesandrohung in 2,17 der vorzeitige physische Tod gemeint gewesen sei. Da Adam aber sehr alt wurde, ist der physische Tod offenbar nicht vorzeitig eingetreten. Daraus folgt, daß die so verstandene Todesdrohung nicht nur mildernd abgeändert worden, sondern ganz unerfüllt geblieben wäre (denn der Tod wäre eben nicht vorzeitig eingetreten). Die Drohung wäre folglich in keiner Weise wahr geworden. Man müßte annehmen, daß Gott auf die Strafe ganz verzichtet hätte. Dies ist unglaubhaft, weil sich Gott damit als Lügner erwiesen, und die Schlange recht gehabt hätte. Diese Deutungsmöglichkeit muß ausscheiden.46
Andererseits scheitert auch die Vorstellung, es handle sich um den geistlichen Tod, aus verschiedenen Gründen. Zum einen verhindert dies die Wortbedeutung von niD .47 Zum anderen
verbietet es der weitere Zusammenhang, ln 3,22 ist davon die Rede, daß der Mensch auch nach der Übertretung des Gottesgebotes unsterblich werden könnte. Dies ist sicher nicht im geistlichen Sinne gemeint, folglich ist dies aufgrund des Zusammenhangs von 2,17 und 3,19 auch in 2,17 nicht der Fall.
Aus dem offenkundigen Dilemma gibt es jedoch zwei Auswege unter der vom Wortlaut naheliegenden Annahme, es sei vom physischen Tod die Rede.48 Zum einen ist im Bedeutungsspektrum von CP2 die Möglichkeit enthalten, mit “zu der Zeit, wann” oder mit “wenn” zu übersetzen. Gen 2,17 wäre dann nicht die Androhung des sofortigen Todes, sondern des Todes überhaupt. Man könnte dann übersetzen: “Zu der Zeit, da du davon gegessen haben wirst, wirst du sterben.” Dabei geht die temporale Funktion des DV2 nicht verloren.49
Eine andere Möglichkeit besteht darin, das “gewiß sterben” im Sinne eines Todgeweihtseins zu verstehen, dem nicht mehr entronnen werden kann. Dafür gibt es in 1 Kg 2,36ff. eine Parallele. König Salomo droht Simei mit dem Tode, sobald er über den Bach Kidron geht. Der Satzbau ist dem von Gen 2,17 ganz ähnlich. Auch hier tritt die Folge der Übertretung nicht sofort ein, sie war aber sofort gültig. Daher kann man Gen 2,17 so übersetzen: “An dem Tage, da du davon issest, (gilt für dich das Urteil:) du wirst des Todes
43	Käsemann, An die Römer 147f.; Wilckens, An die Römer (I) 314.
44	Von Rad, AID.
43	Z. B. von Vollborn, Tod\ vgl. Pannenberg, SystTheol 244.
44	Gegen Westermann, BKA 1 306, der von einer Inkonsequenz Gottes spricht, die anzeige, daß das Handeln Gottes an seinen Geschöpfen nicht festgelegt werden könne, auch nicht durch vorher gesprochene Worte Gottes. Eben damit werde das Handeln Gottes mißdeutbar, und davon mache die Schlange Gebrauch. - Hier steht aber die Aussage Gottes gegen die genau gegenteilige der Schlange; daher ist die grundsätzlich bedenkenswerte Argumentation Westermanns hier abzulehnen. An dieser Stelle geht es darum, ob Gottes Wort überhaupt etwas “zahlt”. (Ebenso gegen Zimmeru, Urgeschichte 177f., 201.)
47	Vgl. Gesenius, Handwörterbuch. Das Verb wird nicht verwendet, um ein geistiges Sterben zu beschreiben; vgl. Freun Dörfer, Erbsünde 26f.
48	Vgl. Freundorfer, a. a. O. 28ff.
49	Ebd. 29; Westermann, BKATi05.
sterben.”50
Gen 2,17 würde gegenstandslos werden, wenn die Androhung nicht einen Tod meinen würde, der ohne Sünde nicht eingetreten wäre.51 Da die Möglichkeit, es sei allein der geistliche Tod in der Drohung 2,17 gemeint, ebenso wie die Annahme einer Vorzeitigkeit des Todes ausscheiden muß, schließt die Androhung den leiblichen Tod ein und kann nur beinhalten, daß Adam und Eva diesen Tod ohne Sünde (Ungehorsam) nicht erleiden sollten. Nur dadurch ist gewährleistet, daß die Drohung nicht leer war.
Zur Auslegung von Gen 3,19 Kritik erfährt diese Auslegung durch den Hinweis auf Gen 3,19. Für viele (heute wohl die meisten) Exegeten ist es ausgemacht, daß dieser Vers (ähnlich wie auch 1 Kor 15,42.47) beweise, daß die physische Konstitution und die Sterblichkeit der ersten Menschen von der Sünde nicht betroffen worden sei. Denn in 3,19 wird gesagt, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten hat, bis er wieder zu Erde wird. Das Zu-Erde-Werden, also das physische Sterben scheint demnach zur ursprünglichen Schöpfungsordnung zu gehören.52 Diese Schwierigkeit wird durch die in 3,19 gegebene Begründung unterstrichen: “Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.”53 Angesichts des Zeugnisses von Röm 5,12ff. und der Auslegung von Gen 2,17 ist dieses Verständnis jedoch anfechtbar. Die genannte Schwierigkeit kann dadurch gelöst werden, daß man annimmt, die Todestendenz des “Staubwesens” Mensch sei durch Gottes übernatürliches Wirken im Status integritatis aufgehoben worden. Dafür könnte die Anwesenheit des Lebensbaumes ein Bild sein, von dessen Gegenwart Adam und Eva nach dem Fall vertrieben werden.54 Die Unsterblichkeit der ersten Menschen scheint mit dem Lebensbaum verknüpft gewesen zu sein. Mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dessen Nähe ist auch die Trennung ihrer Nachkommen von diesem Baum besiegelt. In diesem Sinne kann man somit von einem Erbtod sprechen oder auch von einer Erbstrafe.
Darüber hinaus ist zur scheinbaren Unverträglichkeit von 2,17 und 3,19 zu bedenken, daß die Erde, von der Adam genommen ist (3,19a),
verflucht wurde (3,17b). Die Begründung, weshalb Adam als aus Erde Gemachter sterben muß, erscheint auch von daher in einem anderen Licht. Dieses Wort ist in die Situation nach dem Vollzug der Strafworte hineingesprochen worden.55
Man kann also schlußfolgern, daß Paulus sich in Röm 5,12ff. zurecht auf Gen 2 und 3 bezieht, wenn er die Herrschaft des Todes auf die Übertretung des einen zurückführt.
Schlußfolgerungen
Paulus hat die Person Adams und den Ursprung der Sünde historisch gemeint. Sünde und Tod, auch der physische Tod sind durch die geschichtliche Tat des ersten Menschenpaares in die Welt
50	Freundorfer,o.o. 0.30;vgl.LANDERSDORFER,Sünden/a//52f.; Morant,Anfänge 121. Delitzsch erklärt (Genesis 91): “Nicht eine richterliche Execution wird der Tod sein, sondern eine in der Natur der Übertretung liegende Folge.” Er spricht S. 111 von einem “Ausreifen des Todeskeimes”. - Der Ausdruck wird sowohl für Drohungen als auch für die Proklamation eines Todesurteils gebraucht - so neuerdings Dohmen (Schöpfung und Tod 75).
51	Vgl. von Rad,/!77) 77: Das Wort vom physischen Tod (3,19) wäre “so ... niemals an den Menschen vor seiner Versündigung gerichtet worden, und deshalb gehört es thematisch mit einem besonderen Schwergewicht in das Strafwort hinein” (Hervorhebung im Original). Von Rad sieht freilich keine Möglichkeit, das Drohwort 2,17 mit dem Strafwort 3,19 zur vollständigen Deckung zu bringen.
52	Der Tod sei nicht als Strafe gemeint, so Westermann, BKA 7 361f. V. 19b habe allein die Funktion, die Mühsal der menschlichen Arbeit als bis zum Tod sich erstreckend, den Tod als Grenze für die Mühsal der Arbeit hinzustellen (363). Nach von Rad, ATD 77 sei zumindest gemeint, daß der Mensch jetzt von diesem Ende erfahre; es werde in sein Bewußtsein gerückt.
53	Neuerdings meinen Hemminger & Hemminger, Weltbilder 159, die Vollkommenheit und Unsterblichkeit seien dem Menschen nicht verliehen, sondern nur verheißen worden. “Die Urgeschichte der Bibel beschreibt, wie die Verheißung durch den Ungehorsam des Menschen verlorengeht und doch nicht verlorengeht, weil Gott an ihr festhält." Doch es kann nicht beides gelten: Verlorengegangen und nicht verlorengegangen. Wenn sie nicht verlorengegangen ist, hat sich Gott als Lügner erwiesen, die Schlange hätte recht behalten.
34 Freundorfer, Erbsünde, und vor ihm zahlreiche andere Exegeten; vgl. Frl'hstorfer, Weltschöpfung 65. Delttzsch meint (Genesis 81), der Lebensbaum sei jetzt erst “demaskiert” worden.
55 Vgl. Morant, Anfänge 196.
eingedrungen. Es geht hier um eine “heilsgeschichtliche Glaubenswirklichkeit”, zu deren Stützung sich Paulus der typologischen Schriftdeutung bedient.56 Jesus Christus wird in einer typologischen Entsprechung Adam gegenübergestellt. Typologien sind Feststellungen von Entsprechungsverhältnissen von Personen, Geschehnissen, Einrichtungen und Gegenständen einer früheren Zeit mit bestimmten einer späteren Zeit.57 Typologische Entsprechungen setzen Historizität voraus.58 Der Zusammenhang von Sünde und Tod wird mit den Kategorien von Ursache und Folge behauptet, wenn auch nicht weiter expliziert und reflektiert.59 “So wird entscheidend nicht von persönlicher Schuld und naturnotwendigem Sterben gesprochen, sondern von den in die Welt einbrechenden Mächten Sünde und Tod.” Der Mensch befinde sich in Sachzwängen, die seine Existenz übergreifen.60 Eine erste Tat, nicht ein von außerhalb der Welt her verursachtes Schicksalsverhängnis oder ein innerweltliches, nicht verantwortbares Wesens-konstitutivum des Menschen (etwa sein Materiesein) hat diese Situation heraufbeschworen.61 “Paulus denkt nicht in übereinanderliegenden Räumen wie die jüdisch-hellenistische Gnosis, sondern er denkt in einander ablösenden Zeiten.”62 “Christus ist der Neuschaffer einer Gerechtigkeit und eines Lebens, das vor ihm und ohne ihn nicht war; so kann es nur der Sinn der paulinischen Aussage sein, daß auch Adam, Christi Gegenbild, Sünde und Tod so in die Welt gebracht hat, daß sie ohne ihn nicht gewesen wären, also vor ihm nicht waren.”65
Dies gilt, auch wenn es Paulus in Röm 5,12-21 nicht primär um Adam geht. So wendet Weger ein, Paulus habe das, was er als Vergleichsmaterial zur Erklärung des Christusgeschehens gebraucht, deshalb nicht ausdrücklich lehren wollen.64 Die Schuld Adams und die Solidarität aller mit ihm seien allgemein bekannte, aus der Schrift erwiesene Tatsachen. Sie seien nicht Ziel, sondern Voraussetzung und Mittel seines Beweisgangs. Paulus bediene sich ihrer, um die Universalität des Erlösungswerkes Christi aufzuzeigen.65 Nach Meinung Wegers identifiziere sich Paulus nicht unbedingt mit dem Vergleichsmaterial, das er gebraucht.66
Was Paulus aber explizit zum Ausdruck bringt (die christologischen Aussagen), kann ohne das verwendete Vergleichs- und Entsprechungsmaterial nicht aufrechterhalten werden. Auf den historischen Einbruch der Sündenmacht und den Tod durch die Tat Adams kann nicht verzichtet werden, um die beabsichtigte Aussage machen zu können. Paulus versichert sich in 5,12-21 “in höchst objektiver Weise” der Basis seiner Interpretation.67 Als “Anfänger der neuen Menschheit” kann Jesus nicht mit einem Menschen innerhalb der israelitischen Heilsgeschichte verglichen, sondern nur dem Anfänger der alten Menschheit gegenübergestellt werden.68
Der Tod ist sekundär
Der Tod - der physische Tod eingeschlossen -gehört nicht zur ursprünglichen Schöpfung, sondern ist - bildhaft gesprochen — ein “Einbrecher”. “Daß der Tod erst in die Menschenwelt ‘hineinkam’, setzt... voraus, daß er zuvor nicht in ihr existent oder als normales menschliches Los vorgesehen war.”69
Auch in 1 Kor 15 versteht Paulus den Tod “nicht einfach als tpdopa aufgrund der körper-
54	Goppelt, Typos 162f.
57	Armstrong, Genesis 7; vgl. Kasemann, An die Römer 132.
58	Käsemann, a. O.O. 132; 147f.; vgl. Grundmann, Gnade 50.
55	Käsemann, a. a. O. 137.
40	Ebd.
41	Lengsfeld, Adam und Christus 75.
42	Grundmann, ci. a. O. 51; vgl. Wilckens, An die Römer 17)314.
43	Freundorfer, Erbsünde 223.
44	Weger, Erbsünde 88; ähnlich Lyonnet, Erbsünde 34ff.
45	Weger, a. a. O. 88f.
44 Die Begründung Wegers ist fragwürdig: “. . . denn sonsl würden ja auch die sehr diversen und teilweise konfusen Vorstellungen des apokryphen Judentums über Adam und dessen Sündenfolgen zum Glaubensgut der Kirche gehören müssen” (89). Das trifft eben nicht zu, denn Paulus hebt sich davon gerade durch den Verzicht auf spekulative Ausmalungen ab. Da Paulus die zeitgenössischen jüdischen Vorstellungen nicht wahllos übernimmt, hat das, auf was er zurückgreift, sehr wohl Bedeutung. "Die Erwähnung Adams laßt wenig von seiner Königsstellung und seiner engelgleichen Art wie in der spätjüdischen Apokalyptik erkennen” (Scheffczyk, Urständ 35).
47	Brandenburger, Adam und Christus 262f.
48	O. Michel, An die Römer 138.
44 Brandenburger, a. a. O. 163.
lich-irdischen Konstitution des Menschen, die durch die Verbindung mit dem Erhöhten als der eikcüvOeov des Ursprungs abgetan wird, sondern als die Wirklichkeit unserer Bestimmtheit durch Adam, den ersten Sünder. Auferstehung der Toten ist dementsprechend Erlösung von der Sünde (vgl. V. 18) als Aufhebung des Todes in diesem Sinn.”70
Urständ, Sündenfall, Erbsünde
Bei allen Unterschieden im Verständnis über Urständ, Sündenfall und Erbsünde wird die allgemeine Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen von den bezogenen Exege-ten nicht bestritten. Die entscheidende Frage ist, worauf die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, dieser Widerspruch zwischen Sein und Sollen, zurückzuführen ist.71 Röm 5,12ff. stellt klar, daß sie nicht durch Gottes Schöpfungsordnung, sondern durch die geschichtliche Tat eines Menschen bedingt ist, durch die Sünde und Tod in die Welt gekommen sind.72 Dieses geschichtliche Ereignis und seine Folgen soll mit dem klassischen Begriff “Sündenfall” bezeichnet werden. Daher ist einprotologischer Vorbehalt zu machen und ein prae lapsum (Urständ) und post lapsum (Situation nach dem Fall) zu unterscheiden. Mit dem Begriff “Erbsünde” soll ausgedrückt werden, daß aufgrund dieses geschichtlichen Ereignisses des Sündenfalls der Mensch und die ganze Schöpfung unter einschränkenden Lebensmöglichkeiten existieren muß, die durch den Tod und die ihn begleitenden Phänomene wie Krankheit und Leid gekennzeichnet und Ausdruck dessen sind, daß das Verhältnis Mensch-Gott gestört ist. “Erbsünde” ist daher nicht primär moralisch zu verstehen, sondern soll einen Zustand beschreiben: den Zustand der Trennung von Gott (Sund, Sünde = Trennung). Der Begriff “Erbsünde” soll also zum Ausdruck bringen, daß der Mensch sein Leben nicht als “tabula rasa” beginnen kann, sondern von Geburt an aufgrund des realen Sündenfall-Einschnittes in einer Welt leben muß, die unter dem Einfluß der Sünde steht.73 Dieser Zustand der Trennung wird durch die Generationenverkettung fortgeschrieben. In
diesem Sinne ist der Begriff “Erbsünde” angemessen.74
4.3.2.2	Die Unterwerfung unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit nach Römer 8,19—23
Der Text Röm 8,19ff. steht im Kontext des Leidens der Jünger und ihrer Hoffnung auf die Herrlichkeit. In ihm wird auch der Zusammenhang zwischen dem Leiden der Nachfolger Jesu und dem Leiden der Schöpfung insgesamt angesprochen. Auch die Schöpfung wartet auf Erlösung. Ihr Jetztzustand entspricht nicht dem ursprünglichen: Die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen; sie war also früher anders. Die
70	WiLCKENS,/4n die Römer (1) 320.
71	Koster, Urständ 147, faßt zusammen: Trotz vieler Unterschiede im einzelnen verstehen die meisten Autoren die “Erbsünde” als “eine aus fremdem Tun allen Menschen noch vor ihrer eigenen Entscheidung in den Augen Gottes anhaftende heilsnegative Befindlichkeit aufgrund allein der Zugehörigkeit zur konkreten geschichtlichen Menschheit.” Sie könne nur durch die Verbindung mit Christus überwunden werden und trage in den Augen Gottes den Charakter wahrer Schuld (151).
72	“Das Aufbrechen der Sünde ist in Gen 3 in keiner Weise kausal aus der guten Schöpfung Gottes hergeleitet" (Zim MERU, Grundriß 148). “Sünde bricht nicht als ein Verhängnis, dem er [der Mensch] verfallen wäre, einfach Uber ihn herein, sondern steht ihm als Versuchung zunächst gegenüber” (Ebd. 150).
73	Vgl. Kuss, Römerbrief233. Nach Althaus, Wahrheit 129, bezeichnet der Begriff “Erbsünde" das Geheimnis eines “immer schon vor mir entschiedenen Gesamtwillens, der mich bestimmt und trägt, doch so, daß ich ihn selber will und trage. Man kann den Personcharakter der Sünde nicht gegen den Gedanken der Erbsünde ausspielen.” Rahner, Mongenismus 306: “Eine allgemeine, alle Menschen im voraus zu ihrer eigenen personalen Freiheitsentscheidung umfassende Un-heilssituation, die dennoch Geschichte und nicht Wesensbestand ist, durch den Menschen geschehen und nicht einfach mit der Kreatürlichkeit gegeben”; vgl. auch Kinder, Erbsünde 46f.; Köster, Urständ 101.
74	Paulus gibt keine Auskunft Uber einen kausal-rationalen Übertragungsmodus dieses Sündenwesens (Scheffczyk, Urständ 42). Zur Art und Weise des Eindringens der Sünde in die Welt und zu allen Menschen hin geben die biblischen Texte keine näheren Angaben. Die biblischen Autoren sindan dieser Stelle weit zurückhaltender als jüdische Spekulationen zur Zeit des Neuen Testaments. Da viele Elemente in der au-ßertestamentlichen jüdischen Literatur von den Autoren des NT nicht geäußert werden, so hat das, was aufgenommen wird, umso gewichtigere Bedeutung: darauf kommt es wirklich an.
gesamte Schöpfung hat am einstigen Fall und an der künftigen Erlösung des Menschen teil.75 “Von diesem Seufzen ist hier klar bezeugt: es ist kein zufälliges, aus irrationalen Hintergründen herrührendes Leid: es ist Folge des Ungehorsams gegen Gott. Setzung Gottes. Nur aufhebbar durch Gott selber.”76 Die Anspielung auf Gen 3 ist offensichtlich.77
Eine Reihe von Autoren wollen den protolo-gischen Aspekt dieses Abschnitts aus der Aussageabsicht herausnehmen78 und sind der Auffassung, hier werde nur etwas über die Eschatologie ausgesagt. Doch wenn die Zukunft der Schöpfung auch zweifellos in erster Linie im Blickfeld liegt, so machen die Aussagen nur einen Sinn vor dem protologischen Hintergrund. “Es geht... nicht an, in unseren Versen den Blick auf die Urgeschichte zu leugnen und darin bloß Weissagung auf das endzeitliche Christusgeschehen zu finden.”79 “Es geht hier ... um eine wirkliche physische Verderbnis der kt uns.”1® Paulus stellt der Unterwerfung der Schöpfung in die “Knechtschaft der Vergänglichkeit” die Erlösung und Befreiung gegenüber.
Mit “Schöpfung” (kti'ois) ist nach Ansicht fast aller Ausleger die außermenschliche Schöpfung gemeint, wobei manche Ausleger den Menschen mit einschließen.8' Es wird nämlich ausdrücklich gesagt, daß die gesamte Schöpfung seufzt (V. 20 + 22), was nahelegt, daß in der kt lots die außermenschliche Kreatur eingeschlossen ist. Wenn nur die Menschen gemeint wären, sollte man einen anderen Begriff erwarten. Dazu kommt, daß die kti'ois “ohne ihren Willen” (ox>x ekovocc) unterworfen wurde, also nicht schuldhaft, was von den Menschen ja gerade nicht gesagt werden kann.82 Da der Mensch nach Gen 1 und 2 ein besonders hervorgehobenes Schöpfungswerk ist, auf das alles zugeordnet wird, erscheint auch von daher die Vorstellung unhaltbar, die “Knechtschaft der Vergänglichkeit” (V. 21) könnte nur den Menschen betroffen haben. Vielmehr betrifft das Verhalten des Menschen die gesamte Schöpfung, weil sie auf ihn bezogen ist (vgl. Gen 3; s. u.). Heim hebt hervor, daß wenn der Mensch in die satanische Empörung hineingezogen ist, dann auch die mit ihm zu einer Einheit verbundene ganze Welt.83 Schließlich ist aufgrund des
ökologischen Zusammenhangs von Mensch und außermenschlicher Schöpfung unbedingt anzunehmen, daß die gesamte Schöpfung gemeint ist. Denn es ist kaum glaubhaft, daß nur der Mensch der Nichtigkeit unterworfen wurde, nicht aber die Tierwelt, oder daß zwar schon immer die Tierwelt der Nichtigkeit unterworfen war, der Mensch ursprünglich jedoch nicht. Das paßt ökologisch nicht zusammen.
Dieses Verhängnis des Unterworfenseins unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit gilt nicht grundsätzlich, sondern es kennt einen Anfang und ein Ende. Das wird durch die Verwendung des Aorists vnETayr\ (passivus divinus) ausgedrückt, der einen diesem Ereignis vorausgehenden Zustand voraussetzt, in welchem die Schöpfung nicht unter diesem Verhängnis stand.84 Der Begriff fiaTatoTTjs (Vergänglichkeit; V. 20) wird betont an den Anfang des Satzes gestellt. Er bezeichnet nach Michel die Vergeblichkeit, die Inhaltsleere und die Nichtigkeit, vielleicht auch die Verkehrtheit und die Unordnung der Welt; die Schöpfung sei einem verderbenden Prozeß ausgeliefert.85 Auch an den Überlebenskampf ist hier zu denken. Es sind physische Übel gemeint.86 Die Knechtschaft der Vergänglichkeit (dovkela
75 Wilckens,/1/i die Römer (2) 156.
78 Zimmp.ru, Urgeschichte 192.
77	Biedermann, Erlösung 88; Kuss, Römerbrief 624; Wilckens, An die Römer (2) 153.
78	Schwantes, Endzeit 46; Paulsen, Römer 130.
79	Käsemann, .4« die Römer 223.
80	Biedermann, a. a. O. 101.
81	O. Michel,/4m die Römer; Barth, Römerbrief, Cullmann, Unsterblichkeit; Krimmer, Römerbrief Biedermann, a. o-O. 69f.; Paulsen, a. a. O. 116; Kasemann, a. a. O. 223; Stuhlmacher, An die Römer 122; Wilckens, a a. O. 152u.a. Möglicherweise liegt ein Wechsel des Bedeutungsfeldes innerhalb dieser Peri-Icope vor (vgl. Bayer, Predigtmeditationen).
82	Vgl. Kasemann, a. a. O. 223.
° Heim, Weltvollender 174; vgl. Echternach, Dogmatik 235; Delitzsch, Genesis 110: “Alles, was den Menschen trifft, trifft zugleich die mit ihm zu gemeinsamer Entwicklung zusammengegebene Naturwelt."
84	Vgl. Bai_7, Heilsvertrauen 40. Die Auffassung von Hemminoer & Hemminger, Weltbilder 156, Röm 8,19—22 lege nahe, daß das Übel auf ein “Noch-nicht fertig” zurückzuführen ist, ist also nicht möglich, sondern in den Text eingetragen. Sie ist durch das evolutive Weltbild motiviert, von dem diese Autoren ausgehen.
85	O. Michel, An die Römer.
86	Kuss, Römerbrief.
rfjs ipüopas, V. 21) wird in einen Gegensatz zur Herrlichkeit der Söhne Gottes gestellt. Dieser krasse Gegensatz macht deutlich, daß die gegenwärtige Welt wesensverschieden von der kommenden ist - wie sie auch wesensverschieden von der ursprünglichen Welt ist, wobei der gegenwärtige Status durch eine “Unterwerfung” in Kraft getreten ist.87
Die Unterwerfung ist um des Menschen willen88 geschehen. Das verweist auf die Tat Adams als Auslöser für den Zustand des Unterworfenseins und des Seufzens. Der Handelnde ist jedoch Gott, denn nur er kann auf Hoffnung hin unterwerfen;89 auf ihn weist im Text außerdem der passivus divinus hin.90
Es kann festgehalten werden: Röm 8,19ff. impliziert, daß die Schöpfung ursprünglich wesensmäßig anders beschaffen war als heute. Sie wurde der Vergänglichkeit unterworfen und besaß somit ursprünglich dieses Merkmal nicht.91 Folglich hatte sie andere Eigenschaften, die allerdings unserem Vorstellungsvermögen entzogen sind. Das gilt umgekehrt genauso für die verheißene zukünftige Schöpfung. Die Sehnsucht nach einer gemeinsamen Erlösung wird verstehbar vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Falles. So wie der Mensch auch “nicht aus der Welt erlöst wird, sondern mit ihr”92, wurde die gesamte Welt mit dem Menschen in die Bedingungen nach dem Fall hineingerissen.93
43.2.3	Der Einbruch von Sünde und Tod nach dem gesamtbiblischen Zeugnis
Das Zeugnis von Röm 5 und 8 sowie Gen 3 von einem historischen Umbruch in der Geschichte der Schöpfung spiegelt sich implizit allenthalben in der Heiligen Schrift wider. Den Taten Jesu ist unschwer zu entnehmen, daß Krankheit, Besessenheit und Tod Ausdruck einer Verkehrung der Schöpfung sind (ausführlicher wird darauf in den Abschnitten 4.4 und 4.5 eingegangen). Kuss macht deutlich, daß da, wo Gott alles einsetzt, um den Menschen zu retten, die Verderbnis ungeheuer sein muß.94 “Erst die umfassende Erkenntnis des durch Jesus Christus Geschehenen gibt dem
Apostel die Möglichkeit und den Mut, die Trost-losigkeit der vorchristlichen Situation des Menschen ins Auge zu fassen: Der Glaube an das durch Jesus Christus Wirklichkeit gewordene Heil ist der Quellpunkt der paulinischen ‘Lehre’ von der ‘Erbsünde’.” Das Zeugnis nach Röm 3,23, wonach alle gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren haben, versteht Scheffczyk als Hinweis auf die Doxa der ursprünglichen Schöpfung, “die durch Adam verlorenging, die er also zuvor innehatte.”95 In diese Richtung verweist auch Röm 6,23: der Tod als der Sünde Sold.
87	Eine geschichtliche “Unterwerfung” hat im Rahmen der Evolutionsanschauung keinen Platz.
88	tuet c. acc. in finalem Sinne. Die Übersetzung ist mehrdeutig (Echternach, Dogmatik 235). Die Wendung kann auch in kausalem Sinne auf das richterliche Urteil Gottes bezogen werden. “Die kausale Interpretation wäre eine tröstliche Erinnerung an die providentia Dei; die finale bringt, wenn man sie auf den Menschen bezieht, dessen Mittelpunktsstellung betont zum Ausdruck" (ebd.).
84 Paulsen, Römer 114; Barth, Römerbrief; Biedermann, Erlösung 74; Grundmann, Gnade 60.
90 Ata c. acc. kann auch mit “durch" wiedergegeben werden, wobei dann der Zusatz itpeXnlSi klarstellt, daß nur Gott der Unterwerfer sein kann (Kuss, a. a. O. 627), denn nur Gott kann Hoffnung vermitteln. vKenxyr) und dtet zbv vnozd — favro: bekommen das gleiche Subjekt, wenn Gott gemeint ist.
Heim, Weltvollender 156f., sieht im Unterwerfer die revolutionäre Macht der Sünde, welche diejenigen, die sich in ihren Dienst stellen, mit Vergänglichkeit belohnt. Damit, daß Gott selber der Unterwerfer sei, stimme nicht überein, was Paulus in Röm 6 über Gott und die Sünde sagt. Wir stehen hier vor einer der vielen Varianten der Theodizee-Frage (vgl. Abschnitt 4.7.3). Sicher wird man vor dem Hintergrund von Röm 6 und anderer biblischer Aussagen feststellen müssen, daß auch der Widersacher Gottes am Werke war, doch er hat nur den von Gott eingeräumten Spielraum. Der Aspekt, daß auf Hoffnung hin unterworfen wurde, zeigt, daß Gott der eigentlich Handelnde ist. Auch Heim (ebd.) will diese Frage nicht abschließend beantworten.
41	Kuss, a. a.O.
42	Althaus, An die Römer 82.
45 Martin Luther stellte fest: “Ihr werdet also dann die besten Philosophen und die besten Naturforscher sein, wenn ihr vom Apostel lernt, die Kreatur als eine harrende, seufzende, in Wehen liegende zu betrachten, d. h. als eine, die das, was ist, verabscheut, und nach dem verlangt, was zukünftig und darum noch nicht ist"(zit.beiO. Michel, An die Römer 202). Der Naturforscher deutet die Schöpfung richtig, wenn er die Kreatur nicht allein aus innerweltlichen Kräften und “Naturgesetzen” heraus zu verstehen versucht, sondern sie als gefallene (“unterworfene”, “fallsgestaltige”; vgl. Abschnitt 5.5.2) und auf Erlösung wartende Schöpfung begreift.
44	Kuss, a. a.O. 274; vgl. Dittmann, Urgeschichte 252.
45	Scheffczyk, Urständ 35.
Jesus selber verweist in Mt 19,4ff. auf die Her-zenshärtigkeit der Menschen angesichts von Ehescheidungsnöten. Das mosaische Gesetz über die Ehescheidung wurde wegen der Her-zenshärtigkeit hinzugefügt. Die Situation war jedoch ursprünglich anders. Dieser Bezug Jesu auf die Schöpfungsgeschichte kann als indirekter Hinweis auf den Sündenfall in den synoptischen Evangelien gewertet werden: Die Her-zenshärtigkeit kam erst nachträglich hinzu.96 Bezug auf das erste Menschenpaar nehmen auch 2 Kor 10,4 und 1 Tim 2,12-14, doch liefern diese Texte über das Gesagte hinaus keine weiteren Informationen, die für unsere Fragestellung bedeutsam wären.97
Auch vielerlei Texte des Alten Testaments sind vor dem Hintergrund eines geschichtlichen Falles zu verstehen, auch wenn dieser Einschnitt außer in der Urgeschichte nicht explizit thematisiert wird;98 Texte nämlich, die verdeutlichen, daß die aktuellen Sünden in einer tiefer gehenden Sündhaftigkeit wurzeln: Gen 6,5; 8,21; Hos 4,12; 5,4; Jer 2,23-25; 3,17; 6,7; 9,13; 13,23; 16,12; 17,9; Hes 36,26 u. ö. Auch das Buch Hiob kann hier genannt werden: “Nicht jene ‘Unreinheit’, die mit dem ontischen Abstand der Kreatur von Gott gegeben ist, bedrückt Job, sondern die Erfahrung eines göttlichen Zornes, den er durch seine persönlichen Sünden aus kreatürlichen Schwächen nicht hinreichend motiviert fand.”99 Ausdrücke wie “abgefallen”, “verlassen”, den Bund “gebrochen” etc. weisen auf ein “Nicht mehr” hin.100 Dubarle vertritt die Auffassung, daß der Begriff der Erbsünde “kein absoluter Ausgangspunkt ist, sondern ein Endpunkt, die Schlußfolgerung aus einer ungeheuren Arbeit des Beobachtens und Nachdenkens im Volke Gottes.”101 Wenn auch einerseits gegen den Tod in hohem Alter als etwas Normales nicht aufbegehrt wird, ist doch die Klage über die Flüchtigkeit des Lebens und über sinnlos erscheinendes Leiden im Alten Testament nicht zu überhören. Unglück wird oft mit Sünde in Verbindung gebracht; es gibt die Angst, eine Beute des Zornes Gottes zu sein; eine Neigung zum Bösen wird konstatiert; die Sünde wird als ausnahmslos jeden Menschen betreffend angesehen; die Bezie-
hung zwischen Gott und Mensch wird als gestört empfunden; die Begleiterscheinungen von Gottes Gegenwart erregen Schrecken, es bedeutet eine tödliche Gefahr, Gott zu begegnen; Sünde ist ansteckend und pflanzt sich auf die späteren Generationen fort. All diese Feststellungen leiten zur Schlußfolgerung, daß die Welt, wie sie ist, nicht dem Schöpferwillen entspricht, sondern verdorben wurde. “Alle Übel, denen die Menschheit unaufhörlich in ihrer Erfahrung begegnet, sind nicht Wirkung des göttlichen Willens oder seiner Ohnmacht. Sie kommen ausschließlich von einer freiwilligen Sünde der Kreatur.”102 Dieser Rückschluß erscheint angesichts der menschlichen Situation zwingend. Es gibt allerdings auch zahlreiche Bemerkungen zum Tod, die das Sterben als gewöhnliches Faktum erscheinen lassen (Ps 90; 102,26; Jes 40,6; 1 Kor 7,31; 15,50; 2 Kor 4,18 und 1 Joh 2,25); doch läßt sich daraus keine ursprüngliche Vergänglichkeit der Welt erschließen, da es dabei um die gegenwärtige Welt geht, wie sie seit der Sünde des Menschen beschaffen ist.103
4.3.2.4	Gründe für die Ablehnung eines historischen Urstands und Sündenfalls
Die Begründungen für die Ablehnung der Historizität von Urständ und Ursünde kommen vor allem aus der historisch-kritischen Exegese und
*	Vgl. Dubarle, Sünde 128, Dittmann, Urgeschichte 11 lff.
97 Die schwierige Frage, weshalb in lTim2,12ff. dieSündeEvas gegenüber Adam so sehr betont wird, ist nicht Gegenstand unseres Themas (vgl. z. B. Roloff, Timotheus; Grünzweig, Timotheus mit unterschiedlichen Auffassungen).
*	Das Alte Testament legt die Geschichte Gottes mit dem Menschen nicht in einer systematischen Form dar. Vor diesem Hintergrund muß man die Beobachtung sehen, daß im AT kaum explizit auf die SUndenfallgeschichte und auf den Ursprung von Leiden und Tod eingegangen wird. Abgesehen davon, daß diese Beobachtungen das Gewicht der biblischen Urgeschichte nicht mindern, wird implizit in vielfacher Weise deutlich, daß Leiden und Sterben als schöpfungswidrig emp funden werden.
99	Köster, Urständ 80.
100	Brunner, Dogmatik 104.
101	Dubarle, Sünde 11.
102	Dubarle, a. a. O. 50. Statt “freiwillig" sollte man besser “selbstverschuldet” sagen.
103	Vgl. Zahn, Seufzende Kreatur 530.
aus der Akzeptanz der Evolutionslehre. Außerdem wird darauf verwiesen, daß der in Gen 2 beschriebene Urständ real verstanden nicht vorstellbar sei, und es werden theologische Überlegungen genannt. Im folgenden wird einigen typischen Stimmen nachgegangen.
a.	Evolutionslehre
Der evolutionstheoretisch denkende Teilhard de Chardin sieht im Rahmen eines evolutiven Weltbildes keine Möglichkeit, die traditionelle christliche Lehre von einer Ur- und Erbsünde zu akzeptieren.104 Vielmehr sei dieses Verständnis für den Gläubigen ein unüberwindliches Hindernis. Adam könne nicht als Individuum gedacht werden.105 Der primitive Mensch sei unfähig, die Verantwortung für das Menschengeschlecht zu tragen.106
Für Gilkey sind “Abhängigkeit, Schwäche und Sterblichkeit... zu offensichtlich Teil der Struktur des Endlichen, als daß sie als Resultat der Sünde angesehen werden könnten.”107
Auch Schmitz-Moormann beruft sich ausdrücklich auf die Evolutionslehre.108 In einer evolutiven Welt könne ein Sündenfall nur ein Lokalereignis sein; die mit ihm gekoppelte Universalität der Erlösung sei damit aber fragwürdig geworden.109 In evolutionären Dimensionen könne die Tat eines Einzelnen keine kosmischen Folgen haben. Wenn Ursünde und Erlösung aufeinander bezogen sind, könne demnach auch die Erlösung im Rahmen der alten Konzeption nicht mehr universal gedacht werden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn er mit Teil hard die traditionelle Erbsündelehre als Hindernis für den christlichen Glauben ansieht.110 Dies ist aber nur dann einsichtig, wenn ein historischer Urständ im Ablauf der Evolution festgemacht werden soll. Der Gedankengang wird durch die Akzeptanz der Evolutionslehre bestimmt. Es geht hier um die Verkündbarkeit des christlichen Glaubens unter der Prämisse einer universellen Evolution.
Schmitz-Moormann stellt weiter fest, daß man dem eben aus dem Tierreich entstandenen Homo liabilis die Verantwortung für die Last der Erb-
sünde kaum aufbürden könne.111 Gott würde sonst “als ein kaum gut zu nennendes Wesen erscheinen, das mit dem Menschen härter umgeht als der Vater mit dem Kind, das für seine Anfangsfehler selbstverständlich Verzeihung erlangt.”
Seybold erwähnt explizit “Anfragen aus dem naturwissenschaftlichen Raum” als Faktor in der Erbsündendiskussion.112 Man wolle “die Anfragen der Naturwissenschaft berücksichtigt wissen und erklärt Urständ und Fall des Menschen auf eine Weise, daß der den Naturwissenschaften zugängliche oder erschließbare phänotypische Bereich als solcher unbetroffen bleibt”113. Der erwähnte Einfluß der Evolutionslehre ist auch hier offenkundig.114
164 Teilhardde Chardin, Glaube 47.
105	Ebd. 51,59, 225.
106	Ebd. 60.
107	Gii.key, Himmel und Erde 189.
Schmitz-Moormann, Erbsünde 18.
109	Ebd. 99; neuerdings Schmitz-Moormann, Evolution 13 lf.
110	Vgl. ebd. 105.
111	Ebd. 192.
112	Seybold, Erbsündendiskussion 267 —271.
113	Ebd. 269.
114	Ebenso bei Weger, Erbsünde 9; Westermann, Genesis 39: “Darum ist nichl nur eine grundlegende Revision der kirchlichen Sündenlehre notwendig; es wird dann auch möglich, den Gegensatz zwischen dem, was die biblische Urgeschichte und dem, was die naturwissenschaftliche Erforschung der Anfänge des Menschengeschlechts sagt, abzubauen.’' Genauso hält ScHELKLE,yVT 168, die Ergebnisse der Naturwissenschaften als entscheidend für die Entscheidung zwischen Mono- und Polygenismus.
Dubarle, Sünde 59, hält einen historischen Charakter des Sündenfallberichls für kaum vertretbar, da er im Gefolge der Evolutionslehre von einer sehr langen Menschheitsgeschichte ausgeht; eine historische Überlieferung hätte sich über Hunderttausende von Jahren nicht erhalten. Dieses Argument greift natürlich nur, wenn man von einer unüberschaubar langen Evolution vom Tier zum Menschen ausgchi. Das eigentliche Argument ist hier die Akzeptanz der Evolutionslehre. Dubarle argumentiert weiter: “Israel, dessen Religion sich auf einem historischen Ereignis, dem Auszug aus Ägypten, gründete, begriff die Gegenwart viel lieber als Folge vergangener Geschehnisse denn als Manifestationen der menschlichen Natur oder eines zeitlosen Gesetzes . . .; so war das israelitische Denken gewohnt, nach objektiven Tatbeständen zu suchen, die am Ausgangspunkt der Gegenwart stehen mußten” (60). Die Ereignisse der Paradiesesgeschichte sollen also nicht durch eine unmittelbare Offenbarung, sondern durch eine allmähliche Wiederentdeckung bekanntgeworden sein (62f.). Dabei sollen wirkliche Tatsachen berichtet und nicht nach Art einer Parabel zeitlose religiöse Wahrheiten gelehrt werden (65): Dubarle versucht damit einen Mittelweg zwischen
Hulsbosch äußert ebenfalls Bedenken aufgrund der Vorgabe der evolutiven Abstammung des Menschen aus dem Tierreicht
“In erster Linie ist es unwahrscheinlich, daß das am Ursprung unseres Geschlechtes stehende Menschenpaar mit den geistigen und körperlichen Qualitäten ausgestattet war, welche die Überlieferung Adam und Eva vor ihrem Sündenfall zuschreibt. Aus diesem düsteren Anfang würde man eher Typen erwarten, die kaum dem tierischen Stadium entwachsen waren.”115
Bewertung: Die Evolutionslehre ist ein beherrschendes Moment in der Diskussion um Urständ und Erbsünde. Sie ist jedoch aufgrund naturwissenschaftlicher und historischer Aspekte fragwürdig. Folglich stehen und fallen mit der naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Plausibilität der Evolutionslehre die auf ihr aufgebauten bzw. die mit ihr zusammenhängenden Argumente. Das gilt genauso für die Argumentation, die auf einer evolutionär orientierten Religionsgeschichte beruht (vgl. 3.).
Wie schon in Kapitel 1 bezüglich des Zusammenhangs von Glauben und Wissen allgemein festgestellt, erweist sich auch in den Fragen um Urständ und Sündenfall die unkritische Voraussetzung der Evolutionslehre als ein das Verständnis der menschlichen Frühgeschichte deutlich beeinflussendes Moment, auch in der theologischen Diskussion. Der fast stereotyp wiederkehrende Verweis auf die Evolutionslehre erweist sich so offenbar als Faktor, der die Auslegung der maßgeblichen Bibeltexte stark beeinflußt.
b.	Vorstellbarkeit
Das traditionelle Verständnis vom Urständ und Sündenfall wird weiter aus dem Grund zurückgewiesen, daß dem menschlichen Verstand ein “goldenes Zeitalter” und ein Einschnitt mit physischen Folgen für die Schöpfung nicht vorstellbar sei.116 Nur wenige könnten sich den Sündenfall als historische Handlung Adams vorstellen. “Ihre Begriffe sowohl von der Urgeschichte als von Gott verbieten ein solches Verständnis.”117 Dieser Vorbehalt wird in vielfältiger Weise zum Ausdruck gebracht. Man ver-
weist darauf, daß es ohne Tod zur Überbevölkerung gekommen wäre, daß der Erwerb tierischer Nahrung ein unverzichtbarer ökologischer Stabilisator sei usw. (vgl. dazu Abschnitt 5.5.2). Weiter kann Schmitz-Moormann nicht einsehen, wie ein “so begabter Mensch” des Urstandes der Sünde verfallen konnte, “mehr noch, Gott hätte das doch voraussehen können und dem Menschen noch ein klein wenig mehr Weisheit und Kraft geben können, wenn ihm wirklich so viel an diesem Menschen lag, daß er bereit war, später seinen Sohn für diesen Menschen und seine Nachkommen sterben zu lassen.”118 Für Teil-hard erscheint in diesem Rahmen der Schöpfer als “Pechvogel”, denn die Wahrscheinlichkeit sei doch sehr gering, daß ein einziger und vollkommener Mensch, der ein einziges Mal einer Prüfung unterworfen worden sei, sich gleich verfehlen würde.119 Mit demselben Argument lehnt Stange die traditionelle Vorstellung von einem paradiesischen Urständ ab, weil es widersprüchlich sei, daß ein vollkommener Mensch schon gegenüber der ersten Versuchung, die an ihn herantritt, zu Fall kommt.120 Unter diesen Zuständen könne er sich nicht im Zustand sittlicher Vollkommenheit befunden haben. Weiter widerspreche es der biblischen Gottesvorstel-
“Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes” und “Mythos” (zu dem auch das Merkmal der Zeitlosigkeit gehört) (66). “Der religiöse Zustand der Menschheit geht auf einen wirklichen Verlust zurück und bezeichnet nicht nur den Abstand von einem noch nicht erreichten göttlichen Ideal” (71). Bezeichnend für dieses Rückschlußverfahren sei eine Zurückhaltung in Detailschilderungen und Formulierungen. Vieles werde nur andeutungsweise gesagt.
115 Hulsbosch, Schöpfung 35. - Weger, Erbsünde 9, kommt es wie ein Willkürakt Gottes am Menschen vor, wenn die Flut von Leid und Sterben “ihre alleinige Ursache in der freien und unwiderruflichen Entscheidung eines in unvorstellbarer Ferne lebenden, primitiven Menschen haben soll.” Auch in dieses Argument geht die evolutionstheoretische Sicht ein.
Bereits 1909 drückte Tennant, Influence 424, seine Genugtuung darüber aus, daß die Evolutionslehre dazu verholfen habe, die veraltete Doktrin vom Sündenfall und der Ursünde abzuschütteln, die schon lange von vielen Christen als intellektuelle Last empfunden worden sei.
114 Berry, Adam 158.
117	Gilkey, Himmel und Erde 189.
118	Schmitz-Moormann, Erbsünde 191.
118 Teilhard de Chardin, Glaube 230.
120 Stange, Erbsünde 267. Hier schwingt das Theodizee-Problem mit, vgl. Abschnitt 4.7.3.
lung, wenn Gott als der Schöpfer der Welt vorgestellt werde und dann doch durch eine Tat des Menschen das Böse in die Welt kommt.121 Gott hätte voraussehen können, daß die dem Menschen geschenkte Freiheit mißbraucht würde. “Daß Adam der Versuchung nicht widerstehen konnte, erscheint völlig unverständlich, da in seiner Naturanlage nichts Gottwidriges war.”122
Bewertung: Da Gottes Wort teilweise über Dinge spricht, die unserer Anschauung und Erfahrbar-keit entzogen sind, sind Verstehensgrenzen folgerichtig und können plausibel gemacht werden, da der Verstand an der Gegenwart “geeicht” ist. Gott läßt sich in seinem Handeln nicht an die Verstehenskriterien unserer Vernunft binden. In diesem Zusammenhang ist der Abstand des Geschöpfes vom Schöpfer und die postlapsarische Verfaßtheit auch des Verstandes zu bedenken.
Das Argument der Vorstellbarkeit ist im übrigen nicht neu. Ein Urständ mit Lebensbedingungen, die von der heutigen Situation grundlegend verschieden sind, und ein Bruch, durch den die Lebensverhältnisse gravierend verändert werden, ist für Menschen aller Zeiten nicht anschaulich vorstellbar, da post lapsum allein die Bedingungen “dieses Äons” erlebt und gedacht werden können.123 Mit gutem Grund muß hier ein “protologischer Vorbehalt” gemacht werden. Nicht anders stellt sich die Situation bezüglich der verheißenen Zukunft dar. Hier könnte man genauso argumentieren, daß eine Welt ohne Trauer und Tod (Offb 21) unvorstellbar sei. Die biblischen Zeugen schildern auch die zukünftige Welt nicht konkret anschaulich. Die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Vorstellung eines realen Urstandes und eines den ganzen Kosmos in Mitleidenschaft ziehenden Sündenfalls ist also nicht neu.
Diese Bemerkungen sind selbstverständlich nicht intellektfeindlich gemeint. Vielmehr geht es an diesem Punkt um die Frage der normgebenden Instanz. Welche Reihenfolge wird verwirklicht: Offenbarung vor Vernunft oder umgekehrt?124 Das ist die eigentliche Frage; das Argument der Vorstellbarkeit ist lediglich ein Nebenaspekt.
Die zitierten Argumente von Schmitz-Moor mann, teilhard de Chardin und Stange können also abgewiesen werden. Diese Autoren verfallen dem Fehler, aus unserer Erfahrungswelt heraus die Situation vor dem Fall und den Sündenfall verstandesmäßig begreifen zu wollen. Vollkommenheit und Schuldfähigkeit schließen einander nicht aus. Was Sündlosigkeit ist, können wir aus eigenem Erleben nicht erfassen (wir können nur an Jesus Christus sehen, wie er als sündloser Gottmensch gelebt hat). Aufgrund dieser Begrenzung können wir auch nicht begreifen, wie der sündlose Adam sich verfehlen konnte. Auf Fragen dieser Art gibt es als Antwort nur die Antwort Gottes an Hiob: Unsere Einsicht in die Zusammenhänge der Welt ist viel zu sehr begrenzt (Hiob 38-41).
c.	Exegetische und religionsgeschichtliche Erwägungen
Die Historizität des Sündenfalls wird von den historisch-kritisch orientierten Theologen heute auch aus exegetischen Gründen und mit religionsgeschichtlichen Überlegungen abgelehnt. Die Überlieferungen der biblischen Urgeschichte werden vor dem Hintergrund zeitgenössischer außerbiblischer Quellen gedeutet und als theologische Überarbeitungen vorliegender Texte verstanden. Die Quellen wiederum werden in den Rahmen einer kulturellen Evolution gestellt,
121	Stange, a. a. O. 268.
122	Ebd. 269.
123	Beispielsweise hat auch Thomas von Aquin (zit. bei Schmaus, Glaube 270) eine Änderung der physischen Lebensumsiände durch den Sündenfall abgelehnt. Dagegen stellt Echternach, Dogmatik 234, fest, daß die Vorstellung, alle jemals Geborenen und alle Zukünftigen würden zugleich die Erde bevölkern, ein Versuch wäre, uns aus der gefallenen Welt hinauszureflektieren. Das Schwert des Cherub treffe jeden, der eigenmächtig, auch denkend, ins Paradies zurückwolle (232). Kumem, Auferstehung 173, gibt zu bedenken, daß es in der Situation nach dem Fall nur eine infralapsarische Theologie gebe, der auch gedanklich der Zutritt zur reinen Schöpfung verwehrt sei. Die Theologie könne nur die gegenwärtige Weltlage feststellen und müsse darüber wachen, daß von Schöpfung und Sünde zugleich und gleich stark geredet werde.
124	Beck, Universalität lff.
die als Fortsetzung der biologischen Entwicklung betrachtet wird. Im Rahmen der biologischen und kulturellen Evolution des Menschen sollen sich auch Gottesvorstellungen entwickelt haben, von primitiven Anfängen animistischer Prägungen bis hin zu “hochentwickelten” monotheistischen Vorstellungen. Man kann von einer “Religionsevolution” sprechen. Parallel dazu hätten sich auch die kosmologischen und weltbildlichen Vorstellungen gewandelt. Die sich entwickelnden Gottesvorstellungen, auch die biblischen, bedienten sich dieser sich wandelnden Weltbildvorstellungen. So sei etwa Gen 2 vor dem Hintergrund einer Welt der Steppe zu verstehen, in der das Wasser knapp ist; das Gottesbild vom formenden Schöpfer sei noch relativ primitiv; viel “moderner” sei dagegen die Gottesvorstellung des später datierten Schöpfungsberichts Gen 1. Aus solch gravierenden Unterschieden wie den Berichten von Gen 1 und 2 müsse das Gemeinsame und Verbindende entdeckt werden, um zur eigentlichen Botschaft durchzudringen (vgl. dazu aber den Exkurs über das Verhältnis von Gen 1 und 2 in Abschnitt 5.3). Es ist unmittelbar einsichtig, daß vor diesem Hintergrund die traditionell-christlichen Vorstellungen über die Anfänge der Menschheit nicht haltbar sind. Vielmehr wären sie nach dieser Sichtweise als Ausdruck eines veralteten Weltbildes zu verstehen. Die weltbildliche Einkleidung theologischer Wahrheiten müsse mit dem Weltbildwandel ausgetauscht werden. So lehnt Baumann die klassische Erbsündenlehre ab, weil es das Weltbild, in dem sie einen legitimen Ort haben mochte, nicht mehr gebe.125 Teilhard de Chardin sieht die Vorstellung vom Sündenfall als Erklärungsversuch an für das Übel in einem fixistischen Universum.126 Die Erbsünde sei eine statische Lösung des Problems des Übels. Denn: “Theoretisch ... läßt sich in einem Universum, von dem angenommen wird, es sei fix und fertig aus den Händen Gottes hervorgegangen, die Unordnung nur durch eine sekundäre Veränderung der Welt erklären.”127
Weger hält vom exegetischen Standpunkt aus die relativ späte Reflexion Israels über den Ursprung von Sünde und Tod in der Welt durch die traditionelle Erbsündenlehre für überfordert.128
Bewertung: Beim dritten Aspekt von Einwänden gegen ein historisches Verständnis des Urstan-des und des Sündenfalls handelt es sich letztlich wiederum um ein evolutionstheoretisches Argument. Die Entwicklung menschlicher Gottesvorstellungen wird in den Rahmen einer allgemeinen Evolution gestellt. Die darauf aufgebaute Argumentation steht und fällt auch hier (vgl. a.) mit der Plausibilität einer Religions-“Höherent-wicklung”.
In dieser Argumentation ist ein möglicher Zirkel zu beachten: Evolutionstheoretisch geht man von sich entwickelnden Gottesvorstellungen aus. Daran anknüpfend wird eine solche vermutete Gottesbildevolution benutzt, um die Überlieferung der biblischen Bücher zeitlich einzuordnen: Texte mit vermeintlich primitivem Gottesbild (wie Gen 2+3) werden früh datiert, solche mit theologisch “gereifterem” später. Die hier angeschnittene Thematik kann an dieser Stelle nicht angemessen diskutiert werden; das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, doch soll auf diesen Zirkelgang aufmerksam gemacht werden.
d.	Theologische Gründe
Schließlich werden systematisch-theologische Gründe gegen die traditionellen Vorstellungen angeführt. Stellvertretend sei Brunner zitiert. Die historische Form der Sündenfallerzählung habe zu schweren Verbildungen des Glaubens, der Sündenerkenntnis und der Erkenntnis der Verantwortlichkeit geführt.129 Aus der Einheit von Verhängnis und Verantwortlichkeit sei ein Gegensatz gemacht worden, und dadurch werde der Zwang der Sünde auf Kosten der Verantwortlichkeit betont. Damit ist gemeint, daß die historisierende Ausprägung der Sündenfallerzählung dem Menschen erlaube, seine eigene Sünde auf die Tat Adams abzuwälzen und die
12s Baumann, Erbsünde 84.
126	Teilhard de Chardin, Glaube 98.
127	Ebd. 98f.
128	Weger, a. a. 0.9.
129	Brunner, Widerspruch 122.
Sünde als Schicksal zu verstehen, für das man nichts könne.
Brunner verwirft die Einseitigkeit der ausschließlichen Dominanz des Verhängnischarakters der Sünde, nicht die Verhängnisstruktur als solche.130 “Wir dürfen ... der historischen Wissenschaft dankbar dafür sein, daß sie uns die Historie von der Schöpfung und die Historie vom Sündenfall genommen hat und uns dadurch gezwungen hat, das Gotteswort von Schöpfung und Sündenfall wieder zu suchen.”131 Ein historisches Verständnis der Sündenfallerzählung leiste der kritisierten Einseitigkeit der Betonung des Verhängnischarakters Vorschub.132
Spaemann geht auf den vielfach geäußerten Einwand ein, es sei unverständlich, daß die Verfehlung eines einzelnen die ganze Menschheit in den Abgrund gezogen haben soll.133 Jeder könne doch nur für seine eigene Verfehlung zur Verantwortung gezogen werden. Diesem “individualistischen” Einwand begegnet Spaemann damit, daß die Erbsünde nicht eine positive ererbte Qualität, sondern das Fehlen einer zu erbenden Qualität sei, nämlich der Zugehörigkeit zu einer Heilsgemeinde. Die Qualität der Zugehörigkeit zu einem das Heil vermittelnden Volk Gottes könne aber nicht weitergegeben werden, wenn dieses Volk nicht existiere. Vor diesem Hintergrund könne man Erbsünde als den Zustand der anfänglichen Nichtzugehörigkeit zum Volk Gottes interpretieren.
Bewertung: Die genannten theologischen Gründe haben ihr Gewicht, doch handelt es sich nicht um zwingende Argumente gegen die Historizität eines “diesen Äon” begründenden Sündenfalls. Die Historizität des Sündenfalls macht den Doppelcharakter der Sünde als Schuld und Verhängnis134 nicht zunichte. Schuld und Verhängnis sind biblisch gesehen keine Widersprüche, sondern wie zwei Seiten einer Münze. Die Spannung, die hier liegt, wird von den biblischen Autoren nicht aufgelöst, sondern dem denkenden Menschen zugemutet (vgl. Abschnitt 4.3.2.1).
4.3.3	Herkunft der Sünde im evolutionstheoretischen Kontext
Im evolutionären Kontext stellt sich mit Bröker die Frage: “Wenn der Mensch ein Produkt von Evolution sein sollte, ist er es dann mit allem seinem Vermögen, auch mit dem Vermögen, schuldig werden zu können? Ist das Sündig-wer-den-können eine Auswirkung evolutiven Geschehens, oder hat es einen völlig anderen Grund?”135 Im folgenden soll untersucht werden, wie die Herkunft der Sünde im evolutionstheoretischen Kontext zu verstehen ist. Welche Folgen hat die Akzeptanz der Evolutionsgeschichte für die Fragen um Urständ, Sündenfall und Erbsünde? Auch manche Autoren, die der biblischen Urgeschichte, insbesondere der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte keinen historischen Wert zuerkennen, sehen in der biblischen Urgeschichte eine Bewertung von Existentialien des Lebens. So z. B. Hossfeld: “Gen 2—3 ist Protologie, weil sie die allgemeingültigen Voraussetzungen aller weiteren Geschichte klärt.”136 Die von ihm als mythisch eingestufte Erzählung klärt danach die Vorbedingungen, unter denen die weitere Geschichte abläuft. Dieser Autor sieht die Erinnerung an die positive Ausgangslage als “kritische Reserve und Utopie gegenüber dem Vorgefundenen”.137 Wenn dem aber keine geschichtliche Realität zukommt, sondern wenn dies nur ein Konstrukt menschlicher Überlegungen und menschlicher Logik ist, dann muß man weiterfragen nach der realen Geschichte. Wenn diese reale Geschichte eine Evolutionsgeschichte ist, ist dann die “positive Ausgangslage”, von der Hossfeld spricht, in irgendeinem Sinne historische Realität? Ganz konkret- Kann sie im evolu-
130	Ebd. 124.
131	Ebd. 145.
132	Auch Scheffczyk, Sündenfall 764, konstatier! einen Widerstand gegen die Vorstellung der Sünde als einer dem Menschen vorausgehenden Macht.
133	Spaemann, Erbsündenlehre 64.
134	Vgl. Abschnitt 4.3.2.1. “Verhängnis” meint die Vorgegebenheit einer gottfeindlichen Umwelt vor der persönlichen Entscheidung.
135	Broker, Sünde 35.
134 Hossfeld, Ursünde 7.
137 Ebd. 8.
tionären Tier-Mensch-Übergangsfeld festgestellt werden? Welche Konsequenzen hat die Aufgabe einer “positiven Ausgangslage” für christliche Glaubensinhalte?
4.3.3.1	Konsequent evolutionstheoretische Neuformulierungen
Im konsequent evolutionären Kontext sind Sündenfall und Erbsünde, sofern man diese Begriffe überhaupt noch verwenden will, Begleiterscheinungen der Evolution.
Teilhard de Chardin versucht, Erbsünde unter dem Gesichtspunkt der Universalität des Erlösungswerkes Christi in evolutionärem Kontext zu verstehen.13* Er argumentiert, daß dem evolu-tiv entstehenden Menschen die Last der Erbsünde nicht aufgebürdet werden könne.139 Aufgrund der evolutiven Struktur der Schöpfung müsse man die Schöpfung als noch unvollendet betrachten. Jede Werdewelt sei demnach wesentlich noch nicht vollkommen, als noch nicht restlos gut einsehbar.140 Das Übel erweise sich als das statistisch notwendige Nebenprodukt des Werdens der Freiheit.141
“Die in ihrer Allgemeinheit genommene Erbsünde ist keine spezifisch irdische Krankheit, noch ist sie an das Menschengeschlecht gebunden. Sie symbolisiert einfach die unvermeidliche Wahrscheinlichkeit des Übels, die an die Existenz allen teilhabenden Seins gebunden ist. Überall, wo Sein in fteri entsteht, treten unmittelbar als sein Schatten Schmerz und Sünde auf.... Die Erbsünde ist die wesentliche Reaktion des Endlichen auf den Schöpferakt....
Sie ist die Kehrseite jeder Schöpfung. . . . Der eigentlich menschliche Sündenfall ist lediglich die (mehr oder weniger kollektive und perenne) Aktu-ierung dieses ‘fomes peccati' (“Zunder der Sünde”] in unserem Geschlecht, der lange vor uns in das ganze Universum, von den niedrigsten Bereichen der Materie bis hin zu den Sphären der Engel eingegossen war.”142
Hinter Adam verberge sich ein universelles Gesetz des Rückfalls oder der Perversion - “das Lösegeld für den Fortschritt”143. Der Sündenfall erweise sich “nicht als ein Reihenelement, sondern als eine Seite oder eine globale Modalität der Evolution”144.
Teilhard argumentiert, daß es dem Wesen
der evolutiven Entwicklung entspreche, daß Unvollkommenes auftritt. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß Sünde ein Nebenprodukt der Evolution ist, wie wir bereits in Abschnitt 4.2 festgestellt haben. Teilhard schließt auch das moralisch Böse in die Nebenprodukte der Evolution ein.145 “Ursünde” sei ein Symbol für das allem Begrenzten anhaftende Übel, eine dunkle Begleiterscheinung des Fortschrittsdranges. Für das Paradies gebe es keinen Platz, da das Universum zu sehr Zusammenhänge, als daß ein privilegierter Freiraum Platz darin hätte.146 Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Inkarnation und die Erlösung:
“Schöpfung, Fall, Inkarnation, Erlösung, diese großen, allbedeutsamen Geschehnisse hören auf, uns als über die lange Geschichte hin verstreute Augenblicksereignisse zu erscheinen... Sie werden alle vier über die ganze Dauer und die Totalität der Welt hin gleichzeitige Ereignisse: real verschiedene, aber in der Wirklichkeit ungetrennte Momente eines und desselben göttlichen Handelns.”147
Die Erbsünde wird also als Kehrseite aller Schöpfung (= Evolution) gedeutet. “Die Erbsünde wird nach und nach eher einem mühsamen Anfang denn einem Fall vergleichbar; die Erlösung kommt einer Befreiung näher denn einem Opfer; das Kreuz beschwört stärker den mühsamen Fortschritt denn die sühnende Buße”14*. Fall und “Wiederaufstehen” “sind nicht mehr zwei verschiedene Epochen, sondern zwei in jedem Menschen und in der Menschheit beständig verbundene Komponenten”149.
Ähnliche Gedanken hat von Ditfurth vorgebracht. Zum Ursprung des Bösen angesichts
138	Vgl. Schmitz-Moormann, Erbsünde.
139	Teilhard de Chardin, Glaube 60; vgl. Abschnitt 4.3.2.4, b.
140	Vgl. Schmitz-Moormann, a. a. O. 193.
141	Teilhard de Chardin, a. a. O. 232; vgl. Schmitz-Moormann, a. a.O. 195; Schmitz-Moormann, Evolution.
142	Teilhardde Chardin,a. a. O. 52-53. Diese Deutungerinnert an die protologische Ausweitung in Systemen wie denen der Gnosis oder von Origines.
143	Ebd.53.
144	Ebd. 178.
145	Vgl. Smulders, Theologie 1%.
146	Teilhardde Chardin, a. a. 0.60.
147	Ebd. 67f.; vgl. Abschnitt 4.5.
148	Teilhard de Chardin, zit. nach ScHMrrz-MooRMANN, a. a. O. 128.
149	Teilhard de Chardin, Glaube 67.
dessen, daß die Welt Schöpfung Gottes sei, meint er:
“Der Widerspruch verliert an Schärfe, sobald wir die Möglichkeit bedenken, daß die Welt, die wir erleben, eine ‘Schöpfung in nascendo’ sein könnte. Nicht das fertige, von seiten Gottes abgeschlossene und von ihm gleichsam entlassene Schöpfungsprodukt. Daß die unleugbare Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit der Welt also vielleicht damit zusammenhängt, daß sie einer noch nicht vollendeten Schöpfung entspringt.”150
Neuerdings vertreten auch Hemminoer & Hem minger, die nicht nur mit Vorbehalt zu den in Abschnitt 3.3 charakterisierten “konsequenten Evo-lutionisten” zu rechnen sind, daß der biologische Tod und die sonstigen “natürlichen Übel” als Zeichen dafür genommen werden dürfen, “daß die Welt noch nicht an ihr von Gott bestimmtes Ziel gekommen ist.”151
Villalmonte deutet die “absolute Heilsohnmacht” des Menschen nicht durch einen Verlust, sondern sie “wurzelt... primär in der Kreatür-lichkeit, die zwar möglicherweise und faktisch auch sündig werden kann, aber Erlösung ist nicht primär und notwendigerweise Sündenvergebung, sondern Vergöttlichung, und gleichsam nur nebenher, wenn Sünden da sind, auch noch Sündenvergebung.”152 Ähnlich versteht Martelet die Hinfälligkeit des Geschaffenen als notwendige Begleiterscheinung der Andersheit des Geschaffenen gegenüber dem Schöpfer, nämlich dessen Materialität.153 Wollte Gott überhaupt erschaffen, so ging das auf der Stufe des menschlichen Seins nur mit Leid- und Todbehaftetheit. Andere Autoren verweisen auf die Endlichkeit des Geschaffenen, mit dem notwendig die Vergänglichkeit gekoppelt sei.
Urständ und Ursünde am Ende
Konsequent evolutionstheoretisch weitergedacht ergibt sich nach Schmitz-Moormann, daß die große Sünde erst bei der Parusie Christi gesucht werden könne, nicht beim Erstmenschen, dort am wenigsten.154 Die Sünde wachse in dem Maße, wie im Laufe der Evolution die Fähigkeit zur bewußteren und freieren Tat der Liebe ermöglicht wird. “Die Sünde, die als Wirklichkeit die
Geschichte der Menschheit und jedes Menschen durchzieht, stünde so als wirkmächtige Katastrophe der Menschheit, des Universums nicht am Beginn der Geschichte, sondern als der Kulminationspunkt dieser Geschichte der Sünde... am Ende der Geschichte der Schöpfung.”155
Hierin folgt er Teilhard de Chardin: “Die Sünde schlechthin ist nicht rückwärts, als von einer stammelnden Menschheit begangen, zu suchen: wäre sie nicht viel eher nach vorn hin an dem Tage vorauszusehen, da die endlich ihrer Kräfte voll bewußt gewordene Menschheit sich in zwei Lager teilen wird, für und wider Gott?”156 Schmitz-Moormann spricht von einer “völligen Umkehr der Perspektive, die die Fülle der Wirklichkeit nicht mehr an den Anfang, sondern an das Ende stellt, an den Zielpunkt der Evolution.”157
150	Von Ditfurth, Niehl nur von dieser Welt 145f.
151	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 170. Ganz erstaunlich ähnliche Formulierungen kann man bereits bei Tennant, Influence 427f., lesen. Das erste Auftreten von Sünde bestehe darin, daß bestimmte Praktiken beibehalten würden, die früher nicht als Schuld angesehen werden konnten, da sie noch nicht in der Übertretung eines Gebots bestanden. “The evolu -tionary anthropology and ethics for which Darwin paved the waywouldteachthatthe sinfulnessofsuchactswould gradual-ly increase, front the zero which was its value in the time of man’s non-moral innocence, as the Code grew more exacting and richer in content” (427). Das Kind rekapituliere in seiner moralischen Entwicklung die Geschichte seiner Art. Es erbe nämlich grundlegende Verhaltensanlagen (“stock tenden-cies") seiner tierischen Vorgeschichte. Diese seien nicht aufgrund eines Verlustes ursprünglicher Rechtschaffenheit vorhanden, sondern in Konsequenz der Abstammung von menschlichen Wesen, die zoologisch menschlich waren, bevor sie Moral erworben hatten, weil sie also die tierischen Eigenschaften ihrer Vorfahren ererbt haben. Der “alte Adam” in uns müsse folglich weiter zurückverfolgt werden, nämlich zurück in der Evolution prähominider Wesen.
Benz, Evolution 44 und 46, weist darauf hin, daß dieser Fortschrittsgedanke innerhalb der Anthropologie zeitlich vor dem Durchbruch des Evolutionsgedankens in der Naturwissenschaft durch Darwin steht. Erst durch Darwin wurde es möglich, “die Mängel der gegenwärtigen Species Mensch als die Übergangs- und Wachstumsstörungen einer auf dem Weg zu ihrer vollkommenen Form begriffenen Menschheit zu deuten."
152	Zit. nach Seybold, Erbsündendiskussion 272.
153	Nach Haeffner, Erbsünde 427.
1S< ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 214ff.
155	Ebd. 215.
156	Teilhard de Chardin, Glaube 68.
157	Schmitz-Moormann, a.a.O. 219.
Van Onna versteht in ähnlicher Weise den Urständ nicht als “Paradies, das wir der Sünde wegen nicht mehr haben”, sondern als den “Endstand”, die “verheißene und erhoffte, endgültige Zukunft dieser Welt, die noch nicht da ist, doch als Auftrag an die Menschheit mit der Schöpfung geschichtlich schon begonnen hat.”158 Hulsbosch, in den Fußtapfen Teilhards, geht davon aus, daß den biblischen Offenbarungen über die Anfänge der Menschheit ein statisches Weltbild zugrundeliegt und daß dieses Weltbild auch in die Formulierungen eingegangen ist. Er will prüfen, “inwieweit das statische Weltbild an der traditionellen Fassung des Dogmas der Erbsünde beteiligt ist”159 und wie die eigentliche Aussageabsicht im modernen Weltbild erhalten werden kann.160 Dazu stellt er heraus, daß es im dynamischen, evolutionistischen Weltbild auf das Ende ankomme, während im statischen Weltbild das Schöpfungshandeln am Anfang betont werde. Die Schöpfung verlaufe im Zuge der kosmischen Evolution, die noch nicht an ihr Ziel gelangt sei.161 Hier wird der Einfluß von Teilhard deutlich, auf den sich Hulsbosch ausdrücklich beruft.162 Die heutige Menschheit wird im gegenwärtigen Schöpfungsakt Gottes nur als Durchgangsphase zum vollendeten Menschen angesehen. “Der Übergang vom tierischen zum menschlichen Stadium steht im selben Zeichen der Gratuität wie die Gnadenausstattung des [stammesgeschichtlich] werdenden Menschen.”163 In seiner jetzigen Gestalt entspreche der Mensch nicht der Absicht des Schöpfers. Die Richtschnur für dieses Urteil könne (und brauche) nicht mehr das paradiesische Glück des ersten Menschenpaares sein (das wäre kennzeichnend für das statische Weltbild), sondern das ideale Ziel, auf das die Evolution zugehe.164 Schon bei Paulus habe sich eine Änderung des Blickwinkels ergeben, für den der Maßstab für das o. g. Urteil in erster Linie Christus gewesen sei: “Das Erlösungswerk Christi erst hat vollständig geoffen-bart, wie es um den Menschen bestellt ist.”165 Dennoch will Hulsbosch überraschenderweise “nicht leugnen, daß in der Urgeschichte der Menschheit Gottes Gebot übertreten wurde und wir davon noch die Folgen verspüren”166. Direkt anschließend aber: “Wir wollen nur sagen, daß
der Mensch vom ersten Augenblick seiner Entstehung an als im Werden der Schöpfung befindlich anzusehen und mit einer geschöpflichen Unvollkommenheit behaftet ist, die Vervollkommnung durch Christus verlangt.”167 In Hulsboschs Konstruktion findet sich das immer wieder vorzufindende Argument, die Wertung “es war sehr gut” meine “es wird sehr gut sein”. Dies ist analog der maximalen Sündhaftigkeit, die nach Schmitz-Moormann (s. o.) ebenfalls erst in der Zukunft erreicht wird.168
158	Van Onna, Urslandsfragen 498.
159	Hulsbosch, Schöpfung 40.
160	Ebd. 35, vgl. 43.
141 Ebd. 37f., 39.
162 Ebd. 14.
10 Ebd. 40.
144 Ebd. 41f., 49.
10 Ebd. 4L
146	Ebd. 42.
147	Ebd.
148	Zu keiner Phase einer Evoluiionsgeschichte könnte man das Urteil abgeben, daß alles sehr gut war, wie es der Schöpfer nach Abschluß seines Sechstagewerks selbst gegeben hat. Will man angesichts der zahllosen Widersprüche in der Schöpfung diesen Satz nicht einfach aus Genesis 1 streichen, kann man sich nur mit sehr weitgehenden Umdeutungen behelfen. So versteht Westermann, Schöpfung 88ff., die Billigungsformel nicht als objektive Beurteilung. Sehr gut sei die Schöpfung für den angefertigten Zweck, außerdem könne der Mensch das Gutsein an den Werken selbst nicht ablesen. (Das trifft für den Jetztzustand der Schöpfung zwar zu, aber um den geht es in Gen 1,31 nicht). Wettermann bezieht das Urteil “sehr gut” auf eine evolutive Welt; dieses Urteil soll die Welt betreffen, wie wir sie auch kennen. Hätte er damit recht, so wäre dieser Satz aus Gen 1,31 für den Menschen eine sinnlose Aussage; denn was wir sehen, ist oft ausgesprochen schlecht. Auch das Argument, man müsse den Zweck beachten, hilft nicht entscheidendweiter: Natürlich ist ein Raubliergebißzweckmäßig und sehr gut, um andere Tiere zu töten und zu verspeisen. Damit werden wir aber vor die Frage gestellt, weshalb der Schöpfer solche Todesstrukturen erschaffen hat oder werden ließ. Dazu verweisen wir auf den Abschnitt “Gottesbild” (Abschnitt 4.7). Das Bedeutungsfeld von DIB kann darüber hinaus nicht auf das Zweckmäßige eingeengt werden, wie Wettermann, BKA T 229, selber vermerkt. Das Verständnis des Schönen als einem Geschehenden sei im Hebräischen vorherrschend (ebd.). Im übrigen nennt das Genesiszeugnis später ein anderes Urteil (Gen 6,12: die Erde war verderbt, denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden), was viele Ausleger in einer Entsprechung zu 1,31 sehen (ebd. 559L).
Frauenknecht, Urknall, versteht die Bewertung “sehr gut” als Urteil allein des Glaubens. Der Verstand erkenne wohl Gegenteiliges. Wie sich dieser Glaubensinhalt mit der Verstandeserkenntnis vertragen soll, wird nicht dargelegt. Ähnlich J. Hübner, Schöpfungsglaube 58: “Daß die Welt Schöpfung ist,
Hulsbosch stellt wie Teilhard Schöpfung und Erlösung in einen evolutionären Zusammenhang: “Die Erlösung durch das Kreuz und die Auferstehung ist zugleich die Fortsetzung der Schöpfung (vgl. Abschnitt 4.5.2). Das Erlösungswerk hat demnach zwei Aspekte, den der Befreiung von der Sünde (wobei “Sünde” als Hemmung der Evolution zu verstehen ist) und den der fortschreitenden Schöpfung.”169 Weiter. “Wenn wir diese beiden Aspekte im Erlösungswerk Christi aufzeigen können, liegt es nahe, daß sie auch in der Erbsünde enthalten sind. Der als Erbsünde bezeichnete Zustand schließt in sich, daß der Mensch als Geschöpf noch nicht fertig ist und daß darüber hinaus sein Verhältnis zu Gott Versöhnung erheischt.”170
Auch Schoonenberg verlegt das Paradies nicht an den zeitlichen Beginn, sondern ans Ende, an welchem auch Sünde und Erlösung in ihrer tiefsten Bedeutung gemessen werden müssen.171
“Die ganze Entwicklung der Schöpfung wird gekrönt in einem geschichtlichen Aufstieg der Menschheit, und dieser Aufstieg findet wiederum seine Krönung in Christi Gegenwart, die sich auch wieder auf seine Manifestation in der Parusie, den Beginn des ‘Gott alles in allem’, hin entwickelt. Dieser Aufstieg wird durch die ebenfalls zunehmende Sünde durchkreuzt, aber Gott läßt den Aufstieg in Christus den Sieg davontragen.”
In dieser Sichtweise wachsen folglich Heil und Unheil weiter bis zum Ende, “wobei eine ewige Fixierung in der Sünde als möglich befürchtet werden muß, aber ein All von Liebe unsere Hoffnung ist.”172 Die Krönung der Sünde ist die Verwerfung Christi, ihr ist die Unentrinnbarkeit der Erbsünde zuzuschreiben, nicht einer chronologisch ersten Sünde. Als Konsequenz aus diesen Überlegungen schließt Schoonenberg, daß jeder Mensch sowohl in einer Unheils- als auch in einer Heilssituation auf die Welt kommt.173 Jeden Menschen umfängt demnach nicht nur eine Erb-Sünde, sondern auch ein Erb-Heil von Anfang an. Köster kommentiert: “Das Situiertsein in Heil und Unheil sind nach Christi Tod und Auferstehung nicht zwei sich zeitlich ablösende Phasen: sie koexistieren.”174 Schoonenberg schlägt vor, Erbsünde als Situiertsein durch die Sünde der Welt (= die Summe der vorangegan-
genen Sünden, die das Leben beeinflussen), in dem der Mensch sein Dasein beginnt, darzustellen.175 Sie sei die Situation, in der der Mensch sich vorfinde und zwar dadurch, daß er als Mensch in einer Welt entstanden sei, in welche die Sünde eingebrochen ist.176 Diese “Situation” ist die Umwelt, die einerseits den menschlichen Taten vorausgeht, andererseits durch diese Taten selber beeinflußt wird. Es ist nicht nur ein äußeres, sondern auch ein inneres Bestimmtsein des Menschen als Einschränkung des Spielraums der menschlichen Freiheit.177
Zusammenfassend können folgende Gesichtspunkte konsequent evolutionstheoretischer Denker aufgelistet werden (wobei nicht alle Punkte auf jeden zitierten Autor zutreffen):
-	Der Urständ und der Sündenfall sind keine historischen Realitäten; einen Sündenfall als gravierenden Einschnitt in der Menschheitsgeschichte gibt es nicht,
-	Sünde entsteht und entwickelt sich mit der Evolution und ist daher ein Nebenprodukt, eine Randerscheinung des evolutionären Geschehens,
-	Die Sündhaftigkeit des Menschen wird in dem Maße größer, als die Evolution voranschreitet,
-	die Sündhaftigkeit wird auf die Leiblichkeit und Endlichkeit des Menschen zurückgeführt,
-	der Urständ wird auf das Ende der Evolution verlegt,
folgt aus dem Glauben an den Schöpfer. Daß die Well gefallene Schöpfung ist, folgt nicht aus dem Glauben, sondern aus reflektierter empirischer Erfahrung der Schöpfung."
m Hulsbosch, Schöpfung 46
170 Ebd.46.
1,1 Schoonenberg, Theologie der Sünde 217.
172	Ebd. 219.
173	Ebd. 220; Schoonenberg, Erbsünde 67; vgl. die kommentierende Zusammenfassung von Scheffczyk, Wellevolution 172f.
174	Köster, Urständ 194.
175	Schoonenberg, Erbsünde 65,68.
174 Vgl. Smulders, Theologie 221.
177 Vgl. Scheffczyk, Erbsünde 228. Smulders, a. a. O. 214, versteht wie Schoonenberg die Erbsünde als wachsende Wirklichkeit, die mit der primitiven Schuld eines primitiven Menschen begonnen hatte (234). Sie entwickelt sich weiter, da jeder einzelne Sünder ihr neue Gestalt und neuen Impuls gibt (214); die späteren sind folglich Mit-Ursache an der Erbsünde (223f.).
— Sünde als Verfehlung dem Willen Gottes gegenüber wird verharmlost oder gerät ganz aus dem Blickfeld.
Teilhard de Chardin und seine Epigonen geben also die traditionelle Erbsündenvorstellung (im Sinne eines Umbruchs von einem “Urständ” in die Bedingungen post lapsum) auf, wollen aber die Funktion der Erbsünde erhalten. Hier sieht Teilhard drei Aspekte:178 “1. Die Funktion der Theodizee: Die Gutheit der Schöpfung in einer Welt voller Übel.179 2. Die Feststellung der allgemeinen Sündigkeit der Menschheit, der Gott nichts schuldet. 3. Die Begründung der universellen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und damit der Universalität des Erlösungswerkes Christi.” Diese drei Funktionen der Erbsünde gelte es im evolutionären Kontext neu auszudrücken. Für die allgemeine Sündhaftigkeit und Erlösungsnotwendigkeit lautet diese Neuformulierung: Die Sünde schleicht sich allmählich ein in dem Maße, wie der Mensch sich vom Tier zum Menschen wandelt. Je mehr das Tier evolutiv zum Menschen wird, desto größer wird die Sünde. Der Mensch wird aber in eine neue Verantwortlichkeit gestellt, indem er für das weitere Gelingen der Evolution zur Verantwortung gezogen wird. Weil kein Mensch diese Verantwortungwirklichvoll erfüllt, ist die Sünde total und in diesem Sinne “Erbsünde”. Daraus ergibt sich auch die universelle Notwendigkeit einer Erlösung: Jeder ist von der Unvollkommenheit als Nebenprodukt der Evolution betroffen, die ihm durch weitere Evolution abgenommen werden muß (Näheres im Abschnitt 4.5).
4.3.3.2	Bewertung der konsequent evolutionstheo-retischen Positionen
Die angestrebte Neuformulierung der Funktionen der Erbsünde in einem evolutionären Kontext läuft auf eine Neukonzeption hinaus, die der biblischen Überlieferung fremd ist. Hier wird nicht der gleiche Inhalt der alten Botschaft evolutionär “neu eingekleidet”, sondern eine neue Botschaft konzipiert. Zwei der drei von Teil hard und Schmitz-Moormann genannten Funk-
tionen der Erbsünde, nämlich die allgemeine Sündhaftigkeit und die damit verbundene allgemeine Notwendigkeit der Erlösung, sind gar nicht das Entscheidende der Problematik um Urständ, Sündenfall und Erbsünde (die Theodizee-Frage wird eigens behandelt: Abschnitt 4.7). Entscheidend ist vielmehr die Ursache der allgemeinen Sündhaftigkeit. Nicht nur die Feststellung der Unheilssituation ist wichtig, sondern vor allem die richtige Diagnose, denn nur daraus ergibt sich eine erfolgversprechende Therapie. Und an dieser Stelle stehen sich die evolutionäre Sichtweise und das biblische Zeugnis diametral gegenüber. Die folgende Auflistung soll dies verdeutlichen.
a.	Der Sündenfall: ein Umbruch oderein Nebenprodukt der Evolution?
In den geschilderten Entwürfen erscheint Sünde als Konsequenz aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution. Wenn Evolution der Ausdruck von Gottes Schöpferhandeln ist, bedeutet dies also, daß Sünde eine Folge der Struktur der Schöpfung ist, daß sie mit dem Geschöpflichen notwendig verbunden ist. Die “Ursünde” wird in diesen Entwürfen aus einer schicksalhaften Gegebenheit hergeleitet; die Verantwortung wird dem Menschen abgenommen.180 Genau dies ist Sünde nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift nicht. Die Sünde ist durch die geschichtliche Tat eines Menschen in die Welt eingebrochen, sie ist gerade keine Notwendigkeit. Daß sie keine Notwendigkeit ist, wird an der Person Jesu Christi besonders offenkundig: Er war ganz Mensch, aber ohne Sünde (2 Kor 5,21; Hebr 4,15; 1 Pt 2,22), obwohl er in der Knechtsgestalt des Leibes “unseres Äons” war (Phil 2,6ff.). In den treffenden Worten von Althaus:
178 Nach ScHMrrz-MooRMANN, Erbsände 189; vgl. Teilhard de Chardin, Glaube 51, Anmerkung 4 der Herausgeber: “Indem er die Geschichtlichkeil ‘Adams’ leugnet, leugnet P. Teilhard noch nicht das Wesentliche des Dogmas der Erbsünde, nämlich die Universalität der Sünde in jedem Menschen und folglich die universelle Erlösungsnotwendigkeit."
Darauf wird im Abschnitt 4.7 eingegangen.
180 Vgl. Brunner, Widerspruch 117L
“Es gibt eine Tatsache, die es dem theologischen Denken verwehrt, unsere Sündigkeit einfach in festem, zwingendem Zusammenhänge mit unserer Natur und mit der Gestalt dieser Welt zu sehen. Das ist die reine Menschheit Jesu Christi.... Setzen wir die Sünde mit der menschlichen Natur (dem ‘Fleische’) und der Verfassung dieser Welt in einen unbedingten Zusammenhang, dann sind wir gezwungen, entweder doketisch das wahrhaftige Menschsein Jesu oder seine Reinheit preiszugeben.”181
Gehörte die Sünde zur Ordnung der Welt (auch der prälapsarischen), wäre sie in sich selbst gerechtfertigt und erübrigte die Rechtfertigung des Sünders182 (vgl. Abschnitt 4.5).
b.	Wer verantwortet die Sünde?
“Wie aber sind Sünde und Tod zur Herrschaft über die Menschen gelangt? Hierauf kann... nur geantwortet werden: durch die Entscheidung des Menschen gegen Gott.”183 Auch dieser Tatbestand kann in einem konsequent evolutionstheoretischen Denkrahmen nicht aufrechterhalten werden. Nicht mehr die Entscheidung eines Menschen hat die Sünde zur Herrschaft gebracht, sondern die Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten der Evolution. Ist also der Mensch allein durch das Wirken der Evolutionsfaktoren (die Gott wie auch immer gelenkt haben mag) entstanden, so ist auch sein Sündersein darauf zurückzuführen und damit auf Gott als den Urheber dieses Prozesses. Gott allein hätte die Sünde zu verantworten, wenn er durch Evolution geschaffen hätte. Das Gute und das Böse wäre monistisch auf Gott zurückzuführen. Alle Kirchen haben aber aufs entschiedenste abgelehnt, Goti für die Entstehung der Sünde verantwortlich zu machen.184
Leiblichkeit, Endlichkeit und Sünde
"Gott würde auch dann für die Entstehung der Sünde verantwortlich gemacht, wenn gelehrt wird, daß der Mensch von seinem Ursprung her zu schwach, zu bedürftig und begehrlich gewesen wäre, als daß er inmitten der Verlockungen und Bedrohungen seiner Umwelt Gott hätte vertrauen und die Mitmenschen hätte lieben können.”185
Schlink bemerkt richtig, daß sich diese Folgerung auch aus der Evolutionslehre ergibt. Dies wird durch die zitierten Autoren, die sich dieser Problematik widmen, unterstrichen, wenn davon die Rede ist, daß die Heilsohnmacht in der Kreatürlichkeit wurzle (Villalmonte), auf die Materialität des Menschen oder seine evolutionsbedingte Primitivität zurückzuführen sei (Martelet).
“Endlichkeit ist keine Unvollkommenheit, und besonders die Sünde resultiert nach biblischem Denken nicht aus der begrenzten Schöpfung, die ja ausdrücklich als ‘gut’ ausgegeben wird, sondern aus einem freien Ungehorsam des... Menschen. Sie ist also nie als eine Mangelerscheinung einer im Kosmologischen und Biologischen voranschreitenden Welt zu erklären.”186
Dagegen ist die Lehre vom Fall “die Ablehnung aller Versuche, die Entstehung der Herrschaft der Sünde und des Todes auf Gott zurückzuführen.”187 “Für den christlichen Glauben ist die Annahme schlechterdings ausgeschlossen, daß derselbe Gott, der im Tode Jesu Christi das Gericht über die Sünden der Welt auf sich genommen hat, den Menschen als Sünder geschaffen hätte.”188 “Selbst wenn die Aussagen über Adams Fall in der Bibel fehlen würden, ergäbe sich in der Reflexion über die Entstehung der Sünde immer wieder die Vorstellung von einem Fall.”189
Die Sünde kann auch deshalb nicht als ein Nebenprodukt der Kreatürlichkeit, der Leiblichkeit oder der Endlichkeit des Menschen gewertet werden, weil den Gläubigen ein Auferste-
181	Althaus, Wahrheit 141.
182	Ebd. 138.
183	Schlink, ÖkumDogm 140.
184	Ebd. Zwar kommt nach Jes 45,7 und Arnos 3,6 von Gott auch Finsternis und Unheil; doch das gilt für die bereits von Sünde gekennzeichnete Welt. Auch über die Welt der Sünde regiert Gott souverän; das Unheil bewirkt letztlich Gott. Eine Erklärung für den in der Welt existenten Widerspruch gegen Gottes Willen ist damit nicht gegeben. Arnos 3,6 ist ein Gerichtswort. Gott schickt Unglück, um Menschen zur Umkehr zu bewegen.
185	Ebd.
186	Schepfczyk, Weltevolulion 173.
187	Schlink, a. a. O. 141.
188	Ebd. 144.
186 Ebd. 145.
hungsleih verheißen ist, dem die Sünde nicht anhaftet. Leiblichkeit ist folglich nicht notwendig mit Sündhaftigkeit verbunden. Dies gilt, auch wenn der Auferstehungsleib mit dem irdischen nicht vergleichbar ist (1 Kor 15).
Die Notwendigkeit einer Vergänglichkeit des Geschaffenen, des Endlichen gilt nur in “diesem Äon” post lapsum und nicht schlechthin (vgl. dazu Abschnitt 5.5.2).
c.	Sünde wird verharmlost
In konsequent theistisch-evolutionistischen Konzepten wird Sünde fast gleichgültig, da Erlösung nicht primär und notwendigerweise Sündenvergebung ist. Von der tödlichen Gefahr der Sünde (Röm 6,23; Jak 1,15), von der Sünde als Barriere zwischen Mensch und Gott (Jes 59,lf.; Röm 3,23) ist gar keine Rede. Dieses durchgängige Schweigen der zitierten Autoren zu diesem wesentlichen Aspekt der Sünde ist vielsagend. Scheffczyk bemängelt, daß nach Schoonenberg die Sünde völlig selbstverständlich in die Weit trete, sie trete überall gleichmäßig und geradezu notwendig auf, sei am Anfang gar nicht so tragisch und dramatisch zu nehmen, sondern gewinne diese Tragik erst am Schluß in der Verwerfung Jesu Christi.190
Auf den Einwand, in evolutionistischen Entwürfen wie etwa denen von Teilhard de Chardin würde die Sünde nicht ernst genommen, entgegnet Hübner, daß seit Christus “nicht mehr die Sünde ohne weiteres als Konstitutivum theologischen Denkens erscheinen kann. In Christus hat die Sünde als überwunden zu gelten, und die Theologie hat zu bedenken, was für Konsequenzen das hat, was das für die Schöpfung und die Befreiung der Schöpfung zu ihrer Eigentlichkeit bedeutet.”191 Nun ist aber die Welt nicht automatisch “in Christus”. Das Neue Testament macht hier einen grundlegenden Unterschied: Nur wer den Sohn hat, hat das Leben (1 Joh 5,12). Gerade mit dem Kommen Jesu wird deutlich, was Sünde ist: Die “Sünde, daß sie nicht an mich glauben...” (Joh 16,9) kann von Hübner nicht gemeint sein, denn diese ist erst nach Christus in dieser Weise aktuell und nicht etwa im Prinzip überwunden.
Überwunden sind die Sünde als Macht und der sie begleitende Tod (2Tim 1,10). Sünde und Tod sind noch Realität, aber sie haben nicht mehr das letzte Wort. Die Sünde, die letztlich Feindschaft gegen Gott ist, ist durch das Kommen Jesu nicht automatisch faktisch relativiert - im Gegenteil: sie tritt umso schärfer hervor. Es gibt nur eine Rettungsmöglichkeit, das heißt aber nicht, daß sich an den Gesetzmäßigkeiten dieses Äons etwas geändert hat. Offenbar versteht auch Hübner “Sünde” als etwas Strukturelles, als ein Konstitutivum der Welt, als Kennzeichen der gegenwärtigen Evolutionsphase. Hier wird der eschatolo-gische Vorbehalt der Erlösung, die Spannung des “Schon” und “Noch nicht” mißachtet.
d.	Sünde ist ein personales Geschehen
Wird Sünde als ein Nebenprodukt der Evolution verstanden, so erscheint sie nicht als interpersonales Geschehen, sondern als unpersönliches Prinzip - ganz entgegen dem biblischen Verständnis von Sünde. Scheffczyk scheint es, daß mit dem Verständnis der Sünde als Nebenprodukt “diese vor allem als Verfehlen eines aperso-nalen kosmischen Gesetzes betrachtet wird, als Nichterreichen einer im Wettlauf angelegten Norm oder als Schädigung einer auf Perfektion angelegten Ordnung.”192 Sünde hat aber “nichts vom Charakter mangelnder Perfektion oder Schädigung eines Vollkommenen an sich, sondern das personale Gepräge der Abwendung vom heiligen Gott, ja der Rebellion gegen ihn. Sünde ist im biblischen Verständnis so exklusiv personal gefaßt, wie es der Psalmist... charakterisiert, der da sagt: ‘An dir allein habe ich gesündigt’ (Ps 51,6)”193.
lw Scheffczyk, Weltevolulion 229.
1,1 J. Hübner, Verhältnis 24. Ähnlich J. Hübner, Schdpfungs-gtaube 57: “Himer das Bekenntnis, daß die Welt von der Macht der Sünde und des Todes befreit zu gelten hat, kann evangelische Theologie nicht zurückgehen." Hübner versteht dies als Extrapolation des Satzes “Dir sind deine Sünden vergeben" auf die ganze Welt. m Scheffczyk, Weltevolulion 165. tn Ebd. 165f.
e.	Die Bedeutung der Heilszeiten194
Im evolutionären Rahmen geht der heilsgeschicht-liche Aspekt des Handelns Gottes weitgehend verloren. Dies wird im Konzept Schoonenbergs besonders deutlich, nach dem Heil und Unheil den Menschen von Anfang an bis zur Gegenwart in immer gleicher Weise — wenn auch mit zunehmender Intensität - begleiten. Ein vor und nach Christus gibt es im Grunde nicht mehr. Durch das Wirken Christi wird lediglich die stete Gleichzeitigkeit von Heil und Unheil besonders deutlich. Die biblische Überlieferung dagegen unterscheidet verschiedene Heilszeiten, etwa die Zeit vor dem Fall, vor der Flut, vor dem Gesetz, die Zeit des Gesetzes, die auf die kommende Zeit der Gnade vorbereiten und die Gnadenbedürftigkeit offenbaren sollte (Gal 3+4), und schließlich die bis heute geltende Zeit der Gnade post Christum. Mit dem Kommen Jesu Christi ist eine Verschränkung der Zeiten durch das zeichenhafte und punktuelle Hereinbrechen des escha-tologischen Reiches Gottes gegeben (vgl. z. B. Mt 12,28; Mk 1,15; Lk 10,17-20; 17,21). Der Unterschied ante und post Christum wird daran deutlich, daß sich die Glaubenshoffnung der Christen auf ein reales Ereignis der Vergangenheit stützen kann, die Auferstehung Jesu Christi und die damit bereits “geschlagene Entscheidungsschlacht”195. Diesen Anhaltspunkt kannte das Judentum nicht; es konnte sich nur auf die eschatologischen Verheißungen und die Taten Gottes im Alten Bund stützen. “Norm ist nicht mehr das, was kommen wird, sondern der, der gekommen ist.”196 Während also nach biblischer Lehre die Tat Jesu etwas ganz Einmaliges ist, wird sie im konsequent evolutionstheoretischen Rahmen zu einem Aspekt einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit herabgestuft.
f Gott ist in seinem Handeln frei191
Ein verbindender Aspekt zwischen den großen Taten Gottes in der Geschichte kann in der frei handelnden Liebe und Gerechtigkeit Gottes gesehen werden, nicht jedoch in einem Evolutionsprinzip oder einer objektiven Naturnotwen-
digkeit. Vor dem Hintergrund eines naturnotwendigen evolutionären Prozesses sind die Freiheit Gottes und seine Liebe ihres Inhaltes beraubt. An Teilhard bemängelt Smulders dessen instinktive Abneigung gegen alles Kontingente, die ihn vergessen lasse, “daß die Wurzel unserer Existenz und unseres Heils eine radikale Kontingenz ist, die jedoch mehr Festigkeit bietet als alle ‘Notwendigkeit’: die frei strömende Liebe aus Gottes eigenem Herzen.”198
g. Der Bezug zu den paläanthropologischen Daten fehlt
Wenn man einerseits konsequent evolutionistisch (im Sinne von Abschnitt 3.2.1) orientiert ist, andererseits (wie z. B. Hulsbosch) von einer Übertretung des Gottesgebotes spricht, dann erhebt sich die Frage, wie eine solche Übertretung in der Evolutionsgeschichte vom Tier zum Menschen denkbar sein und worin sie bestanden haben soll. Welches Gebot sollen die ersten durch Evolution entstandenen Menschen übertreten haben? Die Unschuld Adams sei, so Hulsbosch, im evolutionstheoretischen Rahmen mehr bedroht gewesen, als wenn er in einem paradiesischen Milieu aufgewachsen wäre.199 Gerade weil der Mensch als Geschöpf noch unvollkommen ist, sei er der Sünde zugänglich.200 “Der unfertige Zustand des Menschen macht die Existenz der Sünde eher begreiflich als die Annahme eines Stammvaters, der bereits die Züge des vollkommenen Menschen in sich trägt.”201
Zu diesem Konzept ist festzustellen, daß es im evolutionstheoretischen Rahmen keine Begriffe für “Schuld” und “Unschuld” gegeben haben kann. Hulsbosch stellt selber fest, daß man das Milieu einbeziehen müßte, wenn man Adam eine vollkommenere physische Kondition im
w Ausführlicher in Abschniti 4.6.3. m Cuuwann, Zeit 75.
1,6 Ebd. 122.
m Vgl. dazu auch Abschnitt 4.7.1.
'* Smulders, Theologie 177. w Hulsbosch, Schöpfung 43.
200	Ebd. 46.
201	Ebd. 49.
Paradies zubilligen wollte und gibt direkt oder indirekt zu verstehen, daß er weder vom einen noch vom anderen ausgeht. Also gibt es keinen Unschuldszustand in einer Frühphase der Menschheit, weil man ohnehin nicht von Schuld sprechen kann bzw., wenn man es täte, man sofort, unmittelbar bei der Entstehung des Menschen, von Schuld reden müßte. Denn nach allem, was man im Rahmen evolutionärer Hypothesen rekonstruieren kann, war die Menschheit in allen Phasen ihrer Geschichte alles andere als unschuldig, gemessen an biblischen Maßstäben (und um die geht es im Rahmen theistischer Evolutionsvorstellungen).
Es bleibt ungeklärt, wie die Sünde ihren Anfang genommen hat, wenn man überhaupt von einem Anfang reden will und Sünde nicht wie Teilhard de Chardin als Nebenprodukt der Evolution versteht. Jede sündhafte Tat, schreibt Schoonenberg, gebe Ärgernis und trage zur Sünde der Welt bei. Doch wie kommt es zur ersten sündhaften Tat, die dann als Vorbild lawinenartig weiterwirken kann?202 Im evolutionstheoretischen Kontext heißt das, wie bereits ausgeführt: Die Sünde hat sich aus minimalen Anfängen parallel zum Evolutionsprozeß nach und nach entwickelt. Damit gehört sie wesensmäßig zu diesem Prozeß. Die Sünde ergibt sich aus der Endlichkeit der Welt.
4.33.3	Beibehaltung traditioneller dogmatischer Positionen im evolutionstheoretischen Rahmen
Viele Theologen, besonders aus dem katholischen Bereich, sehen die Folgerungen aus der konsequent evolutionistischen Schau als biblisch unhaltbar an. Die in Abschnitt 43.3.2 zu Wort gekommenen Kritiker lehnen aber dennoch die Evolutionsanschauung nicht ab. Sie gehen vielmehr davon aus, daß man auch in einem modifizierten evolutionären Geschichtsrahmen die monierten biblischen Glaubensinhalte vertreten kann. Im Gegensatz zur Gruppe der “konsequenten Evolutionisten” (zu der Teilhard de Chardin, Schmitz-Moormann, Schoonenberg, Altner, Hübner oder Hulsbosch zu rechnen wären) ist ihnen wichtig, Sünde auf einen Akt des
Menschen zurückzuführen und ein prae lapsum (Urständ) von einem post lapsum zu unterscheiden. Überlegungen dieser Art werden in diesem Abschnitt vorgestellt und beurteilt.203
a.	“Virtueller Urständ”
Nach Alszeghy & Flick ist der Urständ nur eine virtuelle Gegebenheit.204 Dies ist so zu verstehen, daß die Ursünde eine Verschlechterung bedeutet, da sie den Anbruch einer Weiterentwicklung verhindert haben soll. Der Urständ wird als Ziel verstanden, auf das die Menschheit hätte zugehen sollen und können.205 Durch die Sünde des Menschen sei die Evolution aber erstmals zum Stillstand gekommen.206
“Wenn das Angebot der ursprünglichen Form des übernatürlichen Lebens angenommen worden wäre, wäre die Menschheit zu einer Vollkommenheit von beachtlichem Unterschied gelangt: von Anfang an im Besitz des Gnadenlebens, hätten die Menschen mit der vollkommenen Entwicklung der Person
202 Bei Schoonenberg, Erbsünde 69, wo die Frage aufgeworfen wird, sucht man vergebens nach einer Antwort; vgl. die Kritik bei Schelkle, Schuld 45. Schelkle selber meint (NT 129), daß, wenn es keinen realen Urständ gebe, die paulinische Lehre von der Sünde Adams und ihrem weiterwirkenden Verhängnis so lauten könnte: “Jeder Mensch ist in eine Menschheit hineingeboren, die immer schon von falschem Trachten geleitet ist.” Aber woher kommt dieses falsche Trachten?
201 Eine stichwortartige Übersicht dazu findet sich bei Köster, Urständ, im Sachregister (S. 284).
204	Alszeghy & Flick, Erbsünde 154.
205	Vgl. dazu auch Seybold, Erbsündendiskussion 270; Schmitz-Moormann, Erbsünde 69; Smulders, Theologie-, Schmaus, Glaube 550; Scheffczyk, Weltevolution 174f.; Baumann, Erbsünde 95. Jüngst hat sich Spaemann, Erbsündenlehre 66, ähnlichgeäußert: “Im Rahmen einer sich legitim beschränkenden Evolutionstheorie könnte man die Erbsünde bezeichnen als die Verweigerung eines Schrittes, den zu tun in einem bestimmten Augenblick fällig war und der durch eine göttliche Herausforderung ermöglicht wurde. Das Nichttun dieses Schrittes ist die erste, folgenreiche Schuld des Menschen, das peccatum originale. Der Schritt hätte in der ausdrücklichen Anerkennung Gottes gelegen, die identisch war mit der Anerkennung, selbst nicht Gott zu sein. Dieser Schritt, wenn er getan worden wäre, hätte die Menschheit in einen ganz anderen Zustand versetzt, als es der ist, in dem wir uns jetzt befinden.” Dabei mag die jetzige Schöpfungsstruktur natura-listisch-evolutionistisch erklärbar sein, es handle sich aber um einen falschen Zustand.
206	Alszeghy & Flick, Erbsünde 152.
den ganzen Dynamismus der Natur beherrscht, hätten das Leid ausgeschaltet und wären vom irdischen Stadium ihrer Existenz zum endgültigen Stadium geschritten, ohne jene Erfahrung eines Bruches durchstehen zu müssen, den der Tod darstellt, so wie wir ihn kennen. Die Evolution blieb allerdings nicht stehen, sondern geht von jetzt an einen anderen Weg und wird von einem anderen Gesetz bestimmt . . . Die Evolution vollendet sich nun im Zeichen des Ostergeheimnisses."2”7
Auf diese Weise vermeiden Alszeghy & Flick es, dem phänomenologischen Bild der Evolution des Kosmos eine Änderung beizufügen, obwohl sie einen Sündenfall annehmen.208
Diese Sicht ist evolutionstheoretisch gesehen maximal spekulativ und erscheint unrealistisch. Die Realkorrespondenz mit historisch faßbaren Phänomenen bleibt unklar. Man muß sich an dieser Stelle die Evolution vom Tier zum Menschen konkret vergegenwärtigen (vgl. Abschnitt
2.5). Die Evolution zum Menschen und insbesondere die dafür postulierten Kräfte und Mechanismen hängen nicht vom Verhalten eines seiner Produkte ab. Hier spekulieren Alszeghy & Flick offenbar, daß dem (Ur-)Menschen soviel Einflußmöglichkeit gegeben war, daß er den Lauf der Evolution beeinflussen konnte. Da eine solche Fähigkeit aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution nicht ableitbar erscheint, sollte man von den Autoren Auskunft darüber erwarten, woher diese Fähigkeit gekommen sein soll. Es ist außerdem unklar, wohin die Evolution hätte konkret führen sollen, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, ebenfalls, worin seine Sünde bestand. Der Evolutionsverlauf wird hier je nach dogmatischen Erfordernissen passend zurechtgerückt. Denn die Annahme ist willkürlich, daß die Evolution eine andere Richtung hätte ein-schlagen können. Schmitz-Moormann kritisiert hier zurecht, daß eine Transposition der Ur-standslehre in evolutive Dimensionen vorgenommen werde, “ohne daß das Gebundensein dieser Lehre an eine statische Schöpfungsvorstellung als Problematik erörtert würde.”209 Die evolutive Struktur des Menschen werde letztlich doch mißachtet.210 Der Evolution würde eine Zielstrebigkeit unterlegt, die ihr nicht zukomme. “Die ‘ursprünglich von Gott gewollte Evolution’ ist eine Erfindung theologischer Spekulation.”211
b.	Ein anderer Umgangmildem Übel vordem Siin-denfall
Nach Schmaus erstreckt sich das Unheil, das mit der Sünde begonnen habe, nur auf den geistigethischen Bereich des Menschen, nicht jedoch auf den biologischen.212 Man müsse zwischen dem “natürlichen” und dem “moralischen” Bösen unterscheiden.213 Der Urständ sei durch die Abwesenheit von moralisch Bösem gekennzeichnet. Das natürlich Böse sei vor dem Fall nicht anders geartet als nach dem Fall. Entsprechend werden die sogenannten “außernatürlichen Gaben” im Sinne eines anderen Umgangs mit den menschlichen Übeln verstanden.214 Physische (“natürliche”) Übel habe es genauso gegeben wie heute, doch hätten sie dem Menschen nicht zu schaffen gemacht.
Der Idee, daß die Art und Weise des Umgangs mit dem Übel unterschiedlich sein könnte, widerspricht die Leib-Seele-Geist-Einheit des Menschen (vgl. Abschnitt 2.3). Ein physisches Übel hat auch Auswirkungen auf die Psyche; auch die umgekehrte Wirkungsrichtung ist möglich. Da kein Grund ersichtlich ist, die Leib-Seele-Einheit des Menschen als eine Folge des Falles zu begreifen, muß man auch beim Menschen des Urstandes von wechselseitigen Auswirkungen leiblicher und seelischer Befindlichkeiten ausgehen.
Da die Scheidung von moralischem und natürlichem Bösen auf eine ähnliche Denkstrategie hinausläuft wie die Scheidung von natürlichem und geistlichem Tod, sei für weitere Kritik auf den Abschnitt 4.4 verwiesen.
207 Ebd. 152f.
2* Vgl. Scheffczyk, Weltevolution 175.
m ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 70.
210	Vgl. auch Scheffczyk, a. a. O. 175.
211	Schmitz-Moormann, a. a. O. 71.
212	Schmaus, Paradies 20.
215 Gilkey, Himmel und Erde-, Swinburne, Existenz.
214 Schmaus, Glaube 276. Ähnlich Congar, Schicksal 665: “In einer Welt der Sünde nehmen die verschiedenen natürlichen Übel einen Strafcharakter an und müssen auch vom Menschen im Hinblick auf die Erlösung durch Christus angenommen werden."
c.	Der Urständ als Ausdruck von Gottes Willen
Renckens versteht die Wirklichkeit des Paradieses in dem Sinne, daß Gott den Menschen schuldlos und (auch im physischen Bereich) glücklich will, nicht daß er einmal glücklich und vollkommen war (vgl. die Ausführungen oben).215 Die paradiesische Vergangenheit sei die konkrete Darstellung des göttlichen Heilswillens. Dieser göttliche Heilswille sei aber durch die Sünde behindert.
Dieses Konzept hat indessen keinen Halt am biblischen Zeugnis. Vielleicht ist es durch die Meinung motiviert, angesichts der Evolutionslehre einen historischen Urständ nicht vertreten zu können. Renckens sagt dies zwar nicht, sondern verweist darauf, daß der Hagiograph etwas über die unglückselige Gegenwart lehren wollte, gibt aber zu verstehen, daß er den Urständ nicht als historische Realität ansieht. Der Sündenfallbericht wolle nur sagen, daß Mensch und Welt anders aussähen, hätte Jahwe seinen Weggehen können. Daß die Welt nicht seinem Willen gemäß gestaltet sei, sei nicht Gott zuzuschreiben, sondern der Sünde, “der Sünde früherer Zeit und der Sünde von heute”216. Der Gläubige müsse daher in Sünde und Tod mehr sehen als eine Naturnotwendigkeit.
Dies ist alles richtig, doch in einem evolutionären Weltbild unhaltbar. Renckens bedenkt offenbar nicht, daß mit der Ablehnung eines historischen Urstandes und Sündenfalls an die Stelle der biblischen die evolutionäre Geschichtsschau tritt. Danach aber sind - wie bereits ausgeführt wurde — Sünde und Tod eben doch Naturnotwendigkeiten - esseidenn, man postuliert einen besonderen Eingriff Gottes in der menschlichen Evolution, durch den quasi “Urstandsbedingun-gen” gesetzt wurden. Dann aber wären Urständ und Sündenfall doch historische Realitäten.
Oesch bemerkt zu dieser Auffassung, nach der das göttliche Ebenbild nur eine Anlage bzw. Aufgabe war, daß der Fall damit keine Schuld sei, die nun über uns schwebe. Christus werde zum Helfer degradiert und das, was letzten Endes rettet, falle doch unter den Begriff des Zusammenspiels. Jesus werde zur Hilfe in der Aufwärtsentwicklung (vgl. Abschnitt 4.5).217
d.	Realer Urständ und Sündenfall während der Evolution
Einige Stimmen, besonders im katholischen Bereich, wollen in der Evolutionsgeschichte einen realhistorischen Urständ gegen eine nachfolgende Verschlechterung unterscheiden.
So soll nach der Vorstellung von Haas der erste Mensch “gerade im Hinblick auf die Abstammungstheorie” durch seine übernatürliche und vor allem durch seine außernatürliche Begabung einen harmonisierenden Einfluß auf sich selbst und seine geschöpfliche Umwelt ausgeübt haben.218 “Wo Adam war, da war also das Paradies.”219
Durch den Sündenfall gerate der Mensch aus diesem privilegierten Zustand in den “Naturzustand”. Entsprechend unterscheidet Haas zwei Wirkungen der Evolution:
“eine erste, auf den Menschenleib ‘präorientierte’ Evolution, die einen Tierleib immer mehr in zahlreichen Schritten zum Menschenleib hin entwik-kelt. Nach der Erschaffung und dem Fall des ersten Menschen setzt aber eine ‘adaptive' Evolution ein, in der der Mensch in der Auseinandersetzung mit der Natur sich dieser anpaßt, Sonderentwicklungen zeigt, die wiederum tierhafte Merkmale in sein Bild einprägen”.220
Dieser Autor denkt hier z. B. an die Überaugenwülste beim Neandertaler.
Aufgrund der heutigen Datenkenntnis ist diese Sicht bereits aus empirischen Gründen äußerst fragwürdig, da die genannten adaptiven Veränderungen (Überaugenwülste u. a.) kaum als spezifisch tierhaft gewertet werden können. Es gibt auch heute Menschenrassen, die solche Merkmale aufweisen. Sie können deshalb jedoch nicht als primitiver im Vergleich etwa zum Europäer gewertet werden.
Darüber hinaus ist die Vorstellung einer “prä-orientierten Evolution” aufgrund der bekannten Evolutionsmechanismen fragwürdig (vgl. die
215 Renckens, Urgeschichte 256f.
2I‘ Ebd.
217	Oesch, Inspiration 49.
218	A Haas, Menschenbild 366. Dies erinnert an das Konzept von Alszeghy & Fuck, vgl. a.; vgl. van Onna, Urstandsfragen 496f.
219	A Haas.o. a. O. 366.
220	Ebd. 367.
Abschnitte 2.4 und 4.7).
Vor allem aber muß Haas, auch wenn er es nicht explizit tut, einen besonderen Eingriff Gottes bei der Menschwerdung postulieren, denn in einer von natürlichen Kräften bestimmten Evolution kann kein Mensch mit übernatürlichen Gaben entstanden sein. Daß Haas darüber keine Rechenschaft abgibt, verwundert, da er an anderer Stelle - wie man positiv vermerken muß -konkret nach den Fossilfunden zurückfragt (z. B. beim Neandertaler). Bei seiner Auffassung “Wo Adam war, war das Paradies” fehlt diese Rückfrage ebenfalls. Was soll sie im Rahmen des Evolutionsgeschehens bedeuten?
Schmaus221 und Boros222 gehen (offenbar durch die Evolutionslehre motiviert) davon aus, daß der erste Mensch eine Art “geistiges Dämmerleben” führte. Das stehe aber seiner besonderen Gnadenstellung nicht im Wege; diese erfordere keinen kulturellen und geistigen Hochstand.223 Ähnlich sieht es Schoonenberg: “Von der Begnadigung des ersten Menschen können wir nur behaupten, daß sie da war, und daß sich ihr Erleben in einem sehr primitiven Stadium befand, von dem wir uns keine Vorstellung machen können.”224 Schmaus vertritt die Ansicht, daß der Autor von Gen 2 durchaus eine Chronologie, ein Nacheinander von schuldfreiem und schuldhaftem menschlichem Leben im Auge hatte.225 Zwischen dem dumpfen Erwachen der Urmenschen zu sich selber und der Weigerung, Geschöpfe zu sein, habe eine nicht näher zu bestimmende Zeitspanne eines vorsündlichen Zustandes gelegen. Es genüge, daß mitgeteilt werde, daß am Anfang eine Sünde stand, und diese Sünde sei durch die ganze menschliche Geschichte hindurchgedrungen. “Man kann die These vertreten, daß der Urmensch schon im ersten Augenblick seines Auftretens, also schon auf der tiefsten und primitivsten Stufe der Kultur gesündigt hat, indem er Gott die Anerkennung verweigerte.”226 Die Sünde könne jedenfalls kein Entwicklungsdefekt sein, da die Sünde in der Schrift eindeutig als eine Tat menschlicher Freiheit charakterisiert werde.
Nach diesen Vorstellungen war der Urständ des Menschen eine Zeit eines ersten dumpfen Bewußtwerdens, vielleicht vergleichbar mit der
Aufwachphase nach dem Schlaf. Phylogenetisch gesehen müßte dies eine über viele Generationen dauernde Phase gewesen sein. In dieser Zeit eines allmählich erwachenden Bewußtseins soll sich der Sündenfall ereignet haben. Ein solcher Zustand ist aber sicher nicht geeignet, um klaren Sinnes Gottes Gnadenangebot zu einem Leben mit ihm anzunehmen oder abzulehnen. In einer Phase des “dumpfen Erwachens zu sich selber” konnte der Urmensch Gott die Anerkennung nicht verweigern, weil er Gott gar nicht in der nötigen Klarheit erkennen konnte, um ihm gegenüber positiv oder negativ zu reagieren. Ein realer Sündenfall in der Geschichte setzt einen voll erkenntnisfähigen und schuldfähigen Menschen voraus, wie dies der Schilderung in Gen 2 und 3 entspricht. Adam war in der Lage, Tiere zu benennen und muß daher besondere geistige Qualitäten besessen haben. Das ist in den eigenartigen Konstruktionen von Schmaus u. a. nicht gegeben.227
e.	Die Möglichkeit zur Sünde als Evolutionsfolge
Bröker versteht die Möglichkeit zur Sünde, die Freiheit dazu, als Ergebnis des Evolutionsprozesses, nicht das Sündigen selbst: “Könnte nicht die Schöpfung aus eigener Dynamik die geistigen Möglichkeiten des Freiheitlichen hervorgebracht haben?”228
221	Schmaus, Paradies 25.
222	Boros, Paradies 110.
223	Schmaus, Glaube 287.
224	Schoonenberg, Werdende Welt 109.
2:3 Schmaus, Paradies 29.
226	Schmaus, Glaube 249; vgl. 254.
227	Eine ursprüngliche Vollkommenheil des ersten Menschen, wie Schützer, Position 227, 228, im evolutionstheoretischen Kontext annimmt, kann in diesem Denkrahmen nicht aufgewiesen werden. Schützer postuliert daher einen übernatürlichen Eingriff Gottes, durch den dem evolutionär entstandenen Menschen besondere geistige Fähigkeiten vermittelt wurden. Ein entscheidender Schritt in der Entstehung des Menschen wäre nach dieser Vorstellung nicht-evolutionär verlaufen. Um eine echte Synthese von Schöpfung und Evolution handelt es sich hier daher nicht.
228	Broker, Sünde 37.
Doch ergeben sich mit diesem Versuch neue Probleme: Nach den gängigen Evolutionsvorstellungen übten die tiermenschlichen oder noch tierischen Vorfahren des Menschen Verhaltensweisen (Aggression, Promiskuität u. a.) aus, die die Bibel eindeutig als Sünde bezeichnen würde. Mit der Menschwerdung konnten diese Verhaltensweisen nicht einfach verschwunden sein. Im evolutionstheoretischen Rahmen gilt generell, daß die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich auch das menschliche Verhalten einschließt. Es ist also von Verhaltensweisen der tierischen Vorfahren des Menschen mitbedingt und (mindestens teilweise) aus den Bedingungen der Evolution zu erklären. Auch Verhaltensweisen werden als Ergebnis der Bewährung im Daseinskampf gewertet, wenn auch nach “gemäßigten Evolutionsvorstellungen” (vgl. Abschnitt 3.2) nicht ausschließlich. Folglich sind -im biblischem Terminus - sündige Verhaltensweisen (mindestens teilweise) Folgen der Evolution. Sind sie aber Folgen der Evolution, kann man nicht wie Bröker von einer Freiheit zur Sünde (s. o.) sprechen, sondern von einer Notwendigkeit. Daher sind solche Konstruktionen selbst inkonsequent bezüglich der Evolutionslehre, auch gegenüber gemäßigten Evolutionsvorstellungen.
Die Ausgrenzung des urständlichen Menschen aus der Welt würde ihn jenseits der wirklichen Geschichte plazieren, da Tod und Leiden, aber auch moralische Defekte einer evolutiven Welt nicht entzogen werden können, “sei es nur für ein räumlich begrenztes Naturschutzgebiet, das wir Paradies nennen”229. Denn der Adam des Paradieses müßte mit der vormenschlichen Herkunft verflochten gewesen sein.230 Eis widerspricht dem Grundgedanken der Evolutionslehre, den Menschen aus diesen evolutionären Gesetzmäßigkeiten herauszuhalten, um im evolutionären Rahmen eine besondere Urstandsrealität abzugrenzen.
Für Bosshard ist der Sündenfall ein theologisches Sinnbild dafür, wie der Mensch sein evolu-tiv erlangtes Selbstbewußtsein, kaum daß er es erreicht hat, so maßlos überschätzt, daß er einer verblendeten Egozentrik dauerhaft verfällt.231 Der Mensch sei zwar Kulminationspunkt der
Phylogenese, maße sich aber an, die Stelle Gottes auszufüllen. Alle Manifestationen von Schuld seien Folge dieses Aufbegehrens. Dieses rechtfertigetheologisch — nicht biologisch - denTod. In der Sündenfallerzählung finde sich eine theologische Auslegung des Sachverhaltes, daß der Mensch die Sicherheit seiner Instinkte verlassen hat. Dadurch sei ihm die Aufgabe zugewachsen, ein Gleichgewicht zwischen Selbstbehauptung und Selbstentäußerung bewußt zu verwirklichen. Beide Strebungen seien gleichermaßen ursprünglich in der Stammesgeschichte tief verwurzelt. Der Mensch besitze die Freiheit, sich zu versagen, und nehme diese Freiheit auch wahr. Durch den Fall werde diese an sich gute ego-altruistische Anlage pervertiert.232
Bosshard äußert sich nicht darüber, was er mit einem “Fall” im evolutionstheoretischen Kontext meint. Da er sich als konsequenten Evolutionstheoretiker ausweist (s. Abschnitt 3.3), kann damit kein reales Ereignis gemeint sein. Der Begriff ist daher fehl am Platz und suggeriert allenfalls einen traditionell verstandenen Inhalt, der in der Sicht Bosshards jedoch nicht existiert.
f.	Auswahl aus der vorhandenen “.Menschheit"
Eine ganz andere Überlegung geht davon aus, daß Gott aus der evolutiv entstandenen Menschheit einzelne Individuen (Adam und Eva) besonders auswählte, um mit ihnen die menschliche Geschichte zu beginnen. Diese Vorstellung wurde bereits in Abschnitt 4.1 beschrieben. Durch einen solchen Auswahlakt soll dem ersten Menschen von Gott eine besondere Gnadenstellung eingeräumt worden sein. Damit wird ein historischer Urständ festgemacht, und der Einbruch der Sünde kann dem biblischen Zeugnis gemäß auf die Tat der ersten Menschen zurückgeführt werden. Neben Rohrbach233 und Heim234 muß
229	Van Onna, Urstandsfragen 4%.
230	Ebd.
251 Bosshard, Evolution 114f.
232	Ebd. 117f.
233	Rohrbach, Bibel oder Naturwissenschaft; Rohrbach, Zugang. 232 Heim, Wellschöpfung.
hier auch Freiherr von Huene235 genannt werden. Er meint, daß ca. 4000 - 5000 Jahre vor Christus die evolutive Vorbereitung auf den Menschen hin vollendet gewesen sei. An dieser Stelle setze die Heilsgeschichte ein: “Gott setzt den Adam ins Paradies: durch den Sündenfall aber wurde alles anders, als es hätte gehen können. Adam und Eva mußten wieder hinaus in die Welt, und die uns bekannte Geschichte geht weiter.”236
Nach dieser Vorstellungerfolgten die wesentlichen Schritte zur Menschwerdung hin nicht-evolutiv, sondern durch einen besonderen Eingriff Gottes. Es handelt sich daher nicht um eine echte Synthese von evolutionärer und biblischer Geschichtsschau, sondern um eine unorganische Zusammenfügung von Elementen beider Konzepte.237 Diese Sichtweise ist aber auch fragwürdig, weil sie im Grunde auf einer Trennung von Leib und Geist beruht, die der Leib-Seele-Geist-Einheit des Menschseins nicht entspricht (vgl. Kritik in Abschnitt 4.1). Denn mit dem Auswahlakt Gottes, durch den Tiere zu Menschen geworden sein sollen, mußte notwendigerweise eine psychisch-geistige Transformation erfolgen, ohne daß die physische Konstitution geändert wurde, die durch Evolution entstanden sein soll.
g.	Der Mensch des Paradieses war nicht auf der Erde
ln anderen Harmonisierungsversuchen wird postuliert, daß der Mensch des Paradieses “kein körperlich-irdisches Wesen war, das Knochenreste hinterlassen hat... . Die Vertreibung war kein irdisches Ereignis. Erst der vertriebene Mensch wird irdisch erscheinen”23*. Auch solche Bemühungen klären den Zusammenhang mit den paläontologischen Daten nicht, denn es wird nichts darüber gesagt, in welcher Beziehung der gefallene, auf der Erde erscheinende Mensch mit der irdischen Organismengeschichte steht oder wie der gefallene Mensch in das sonst akzeptierte Evolutionsgeschehen eingeordnet wird. Wäre der irdisch erscheinende Mensch ohne Abstammungszusammenhang mit den evolutiv gewordenen anderen Organismen, läge kein
theistisch-evolutionistisches Konzept vor, sondern ein beziehungsloses Zusammenfügen von Elementen der Evolutionsanschauung und besonderen Eingriffen Gottes.
Nach anderen Auffassungen gibt es Evolution, weil es Sünde gibt.239 D. h.: Der Evolutionsprozeß als solcher oder der auf der Basis von Defekten und Tod ablaufende Evolutionsprozeß spielt sich deswegen ab, weil die Sünde in der Welt herrscht. Wenn es die Sünde nicht gegeben hätte, hätte es nach diesen Vorstellungen unsere (postulierte) Evolution nicht gegeben. Da der Mensch jedoch erst am (vorläufigen) Ende dieses Geschehens die irdische Welt betrat, kann die Sünde des Menschen nicht der Auslöser für die Evolution oder für ihre Triebkräfte gewesen sein. Es könnte sich daher allenfalls um Sünde in der außermenschlichen Welt der Geschöpfe (etwa in der Engelwelt) handeln. Den Menschen, wie wir ihn kennen, gibt es nach dieser Vorstellung also nur, weil es die den Evolutionsprozeß auslösende Sünde gibt. Aufgrund der auch in diesem Konzept vorausgesetzten evolutiven physischen Entstehung der Menschheit ergeben sich dieselben Schwierigkeiten, die bereits in den vorangehenden Abschnitten genannt wurden.
43.3.4	Zusammenfassende Bewertung
Die Vertreter einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung wollen einen besonderen, mit einer Veränderung der Lebensverhältnisse einhergehenden Einschnitt in der Evolutionsgeschichte durch die Sünde des Menschen aufrechterhalten
as Von Huene, Weg und Werk 46.
M Als Hinweise auf die präadamitische Menschheit wird gewertet, daß Kain Pflanzen kultivierte und Abel Haustiere hatte. Das brauche Zeit zur Domestikation; außerdem deute das Kainsmal und der Bau der Stadt durch Kain auf prähominidc menschenartige Wesen hin, aus denen die ersten Menschen ausgewählt werden konnten (von Huene, a. a. O. 46).
2,7 Vgl. Anm. 227 zu Schützer.
238 Heitler, Natur 109f.; ähnlich äußern sich z. B. Engelland, Am Anfang 92 und P. Müller, Bibel und Naturwissenschaft 90.
-iy Beschrieben bei Broker, Sinn 86ff.; vgl. DacquE, Urgestalt 95ff., der von einer “gebrochenen Urgestalt... in der Entwicklungsgeschichte der lebendigen Natur” spricht (107); s. auch DacouE , Natur und Seele 180ff.
und verstehen den Sündenfall in unterschiedlicher Konkretion als geschichtliches Ereignis. Nur dadurch kann von einer Verantwortung des Menschen für die Sünde gesprochen werden. Wenn der Mensch allein evolutionsbedingt ohne seinen Willen sündhaft wäre, wäre ihm diese Situation nicht anzulasten; das Erlösungswerk Jesu Christi könnte nicht im traditionell-biblischen Inhalt bestehen, sondern müßte an die Inhalte der Evolutionslehre angepaßt und entsprechend geändert werden. Diese Konsequenz will diese Gruppe vermeiden, ohne das evolutionäre Rahmenparadigma aufzugeben. Ihre Vertreter halten sich jedoch nicht durchgängig am exegetisch zu erhebenden Ursprungssinn einschlägiger biblischer Texte. Ihre Entwürfe sind evolutionstheoretisch unrealistisch. So ist der von Alszeghy & Flick postulierte Zusammenhang zwischen dem biologischen Evolutionsverlauf und der Entscheidung der Ursprungsmenschheit für oder gegen die Sünde evolutionstheoretisch nicht denkbar, ebensowenig ein realer Sündenfall als Einschnitt im Laufe der Evolution. In anderen Entwürfen wird der Zusammenhang zur Evolution gar nicht berücksichtigt. Die in etlichen Konzepten durchscheinende Idee, der Mensch könnte verhaltensbiologisch eine “tabula rasa” sein, wenn er durch einen besonderen Eingriff Gottes (z. B. einen Auswahlakt) aus dem zuvor evolutiv gewordenen Tierreich entstanden sei, ignoriert faktisch den evolutionären Zusammenhang und stellt keine echte Synthese dar. Solche Entwürfe sind unbefriedigend, weil sie den leiblichen und seelisch-geistigen Aspekt des Menschseins zu strikt trennen. Das gilt z. B. auch für die Annahme, vor dem Sündenfall sei der Mensch mit dem Übel anders umgegangen.
4.3.4	Fehlendes Rückfragen nach der Evolutionslehre
In den Abschnitten 1.5.2.1, 3.2 und 3.3 kam die sogenannte “Entflechtungsthese” zur Sprache (vgl. auch Abschnitt 4.1). Die Vertreter einer Entflechtung betrachten die Ergebnisse und Theorien der Naturwissenschaften als irrelevant für Fragen des christlichen Glaubens. Da die
Evolutionslehre gewöhnlich als naturwissenschaftliche Theorie angesehen wird (fälschlicherweise, wie in Abschnitt 3.6 herausgestellt wurde) und die Theorien der Naturwissenschaften als belanglos für Fragen des Glaubens eingeschätzt werden, wird von diesen Autoren auch die Evolutionslehre als “neutral” und ohne Einfluß gegenüber Aussagen des Glaubens gewertet. Eine vollständige Scheidung evolutionstheoretischer Aspekte und biblischer Glaubensinhalte wird auch in Fragen des Urstandes und des Sündenfalls vorgenommen. Im folgenden werden einige Positionen, die zu dieser Gruppe zu rechnen sind, vorgestellt und kritisiert.
Zu den “Entflechtern” ist — fast prototypisch - Karl Barth zu rechnen. Im Vorwort seiner “Kirchlichen Dogmatik” schreibt er die oft zitierten Sätze: “Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muß sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich eine heidnische Gnosis und Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.”240 Hinsichtlich dessen, was die Schrift und die christliche Kirche unter Gottes Schöpfungswerk verstehen, könne es “keine naturwissenschaftlichen Fragen, Einwände oder auch Hilfestellungen” geben.241 Für Barth ist der Adam von Gen 3
“ganz trivial, was wir sind: ein Mensch der Sünde. Nur eben in der Stellung des Anfängers... Er hat es uns aber nicht als Erbe hinterlassen und vermacht, sein zu müssen, was er war: Er hat uns nicht vergiftet und krank gemacht... Nur daß er eben das gleiche, was wir alle sind und tun, an der Eingangspforte der ganzen Weltgeschichte ... getan hat... exemplarisch für alle, die nach ihm kamen"; er ist “Repräsentant aller folgenden ..., der Mann, dem faktisch alle nach ihm Kommenden (gerade auch darin, daß sie alle sofort sündigten!) gleich werden.”242
Hier fehlt die Rückfrage nach den Konsequenzen der evolutionstheoretischen Sicht. Die in Abschnitt 4.3.3.2 zusammengestellte Kritik muß auch hier angeführt werden, da die Ent-
240	Barth, KD IIIU Vorwort.
241	Ebd.
242	Barth, KD IV/I 568.
flechtung - wie bereits in Abschnitt 1.5.2.1 erläutert — letztlich doch auf eine konsequent evolutionstheoretische Sicht hinausläuft.
Für Tillich, der den Sündenfall, als historisches Ereignis in der Menschheitsgeschichte verstanden, als Absurdität ansieht, geht es in dieser Geschichte um eine Beschreibung der Entfremdung des Menschen und seiner Welt von ihrem Wesen.243 Der ontologische Unterschied von Wesen und Existenz, von Wesen und Wirklichkeit sei in die zeitliche Dimension projiziert. Es habe kein aktuelles, sondern nur ein potentielles essentielles Sein gegeben. Das essentielle Sein sei immer nur in existentieller Verzerrung gegenwärtig. “Vollkommen entfaltete Geschöpflichkeit ist gefallene Geschöpflich-keit.”244 Einen vollkommenen Adam vor dem Fall anzunehmen sei absurd und mache den Fall überdies unverständlich. Der Übergang von der Essenz in die Existenz ereigne sich in jedem Neugeborenen hier und jetzt.
Auch Tillich interessiert sich nicht für die Folgen der Akzeptanz der Evolutionslehre. Sein Ansatz läuft dazu darauf hinaus, daß realisierte Schöpfung notwendigerweise mit der Sünde behaftet ist, und das schließt sogar ein, daß sie unter der Herrschaft der Sünde steht. Scheff czyk kritisiert hier zurecht:
“Der Satz: ‘Die Schöpfung ist gut, aber sie ist reine Potentialität’, mit dem Tillich den Vorwurf der essentiellen Notwendigkeit der Sünde beheben möchte, trägt den Stempel einer reinen Verlegenheitslösung an sich; denn gerade die reine Potenz, die keinen Akt mit sich bringt, bedarf der Aktualisierung durch den Schöpfer. So bleibt Gott letztlich doch die direkte Ursache für die Sünde.”“
In der materiellen Wirklichkeit fällt die Schöpfung mit dem Fall zusammen. Daraus resultiert die
“Folgerung, daß der erste sündhafte Akt zugleich als Verwirklichung der Menschenschöpfung gelten muß. Dann würde der Mensch sich im Akt der ersten Sünde erst verwirklichen, eine Deutung, die an Kants Auffassung vom Erwachen des Bewußtseins des eigenen Vernunftvermögens und des Eintritts in den Stand der Freiheit durch die Ursün-de erinnert. Sie kann nur zusammen mit einem tiefen Dualismus in der Menschennatur festgehalten werden.”2“
Eine Reihe von Theologen vertritt eine ‘'Entflechtung” zwar nicht ausdrücklich, argumentiert aber im Sinne einer solchen Trennung. Zu diesen Theologen kann Brunner gerechnet werden. Er vertritt die Auffassung, daß die Lehre vom ursprünglichen Menschsein und vom Sündenfall keine besondere Beziehung zur Prähistorie habe.247 Somit werde der Entwicklungsgedanke weder zur Erklärung christlicher Begriffe gebraucht noch stehe er im Gegensatz zu ihnen. Dennoch müsse man den Urständ zuerst als Sein und nicht als Sollen verstehen. Denn der ursprüngliche, gottgeschaffene Lebensstand bestehe darin, im Anruf Gottes zu stehen, der sich dem Menschen mitteilt und der ein Akt der Liebe sei und nicht zuerst eine Forderung.248 Durch die Sünde sei dieser Lebensstand restlos verloren. Andererseits versteht Brunner den Urständ nicht als historische Größe.249 Wenn auch das “unbrauchbare Gefäß” der historisierenden Erzählung verworfen werden müsse, dürfe doch der “unentbehrlichste Inhalt” eines alle Menschen betreffenden Sündenfalls nicht preisgegeben werden. Gott habe den Menschen nicht als Sünder geschaffen; der Mensch sei nicht in gleichem Sinne Sünder wie er Säugetier ist (für letzteres kann er nichts). Der Ursprung der Sünde und die Einheit aller in ihr lasse sich jedoch nicht darstellen. Die Frage nach dem geschichtlichen Beginn der Sünde sei unbeantwortbar. Das Thema der Bibel sei nicht die historische Entstehung, sondern die allgemeine und unwiderstehliche Macht der Sünde.250
Brunner sieht in den Begriffen “Sündenfall” und “Erbsünde” zwei Seiten derselben Tatsache zusammengefaßt, nämlich der Notwendigkeit der Sünde (die Tatsache, daß die Sünde als Macht dem Menschen immer voraus ist) und der Verantwortlichkeit des Menschen für die Sünde.251
243	Tillich, Werke V, 46.
244	Tillich, SyslTheol 294.
245	Scheffczyk, Erbschuld 33.
246	Ebd.
247	Brunner, Widerspruch Kapitel 17.
248	Ebd. 106.
249	Ebd.
250	Ebd. 121, Anm. 1.
251	Ebd. 120.
Mit dem Fall werde der willensmäßige Aspekt, mit der Erbsünde der schicksalhafte ausgedrückt. Die kirchlich-traditionelle Lehre zerreiße jedoch durch ihre historisierende Form die Einheit dieser beiden Gesichtspunkte, indem sie sie auf verschiedene Personen verteilt.252
Kritik: Brunner will also einerseits den Seinscharakter des Urstandes festhalten, lehnt es aber ab, ihm eine geschichtliche Realkorrespondenz zuzuordnen. Durch verschiedene Äußerungen deutet er an, daß die Evolutionslehre im Hintergrund steht,253 denn er stellt fest, daß es so etwas wie “atavistische” Restbestände gebe, die aus unserer Vergangenheit herrührten. “In aller Sünde steckt etwas vom Atavismus oder Archaismus und Infantilismus.”254 Doch das erkläre die Sünde nicht; sie sei ein echtes Novum. Diese atavistischen Tendenzen würden erst zur Sünde dadurch, daß der Mensch ihnen in seiner sittlichen Entscheidung Raum gebe. Aber was heißt “Novum”, wenn es kein geschichtliches prae und post lapsum gibt? Brunner stellt zwei sich widersprechende Sichtweisen nebeneinander (“Der Mensch ist nicht als Sünder geschaffen” und “Der Sündenfall ist kein historisches Ereignis”) und behauptet ihre gleichzeitige Gültigkeit, ohne die Möglichkeit dieser Zusammenschau zu begründen.255
Brunner ist durchaus bemüht, eine Beziehung zur Prähistorie herzustellen: “Gerade wie das Kind, so hat auch der primitive Mensch, unser Urahn — bis zurück zum Sinanthropus oder Pithecanthropus — sowohl zum einen wie zum anderen, zum ursprünglichen wie gefallenen Menschen eine weniger deutliche, eine entferntere Beziehung als wir.”256 “Die erste sündige Regung im Herzen eines homo primigenius hat mit dem Sündenfall sicher nicht mehr zu tun als die sündliche Regung im Kleinkind.”257 Als Sündenfall im individuellen Leben könne am ehesten der Moment angesehen werden, wo das Kind zum erstenmal bewußt und betont ‘Ich’ sagt.
Diese Auffassung ist jedoch sehr fragwürdig, denn auf die Stammesgeschichte übertragen hieße das, daß mit dem Erwerb des Ichbewußtseins gleichzeitig die Sünde auftrat. Das Ichbewußt-
sein als solches ist biblisch gesehen jedoch nicht Sünde.
Des weiteren fragt auch Brunner nicht konsequent nach den Folgen der Akzeptanz der Evolutionslehre. Unabweisbar stellen sich folgende Fragen: Wie ist die Macht der Sünde, die, wie Brunner richtig feststellt, dem Menschen immer voraus ist, im evolutionstheoretischen Kontext zu verstehen? Welchen Zusammenhang haben die sittlichen Entscheidungen des Menschen, die durch atavistische (d. h. evolutionsbedingte) Tendenzen provoziert werden, mit den Gesetzmäßigkeiten der Evolution? Brunner kann den Widerspruch nicht auflösen, daß aus dem Evolutionsgedanken einerseits folgt, daß auch die Sündhaftigkeit des Menschen entwicklungsbedingt (mindestens mitbedingt) ist258 und der Mensch somit nicht für seine Sünde und die daraus folgenden Tatsünden verantwortlich ist, andererseits der Mensch für seine persönliche Sünde von Gott zur Verantwortung gezogen wird. Wenn es eine Evolution vom Tier zum Menschen gab, dann ist die Sünde allmählich geworden. Diese Folgerung ist unter Beibehaltung des Evolutionsgedankens nur vermeidbar, wenn man ein besonderes Eingreifen Gottes bei der Menschwerdung postuliert (s. vorigen Abschnitt), was Brunner aber expressis verbis nicht tut.
Als weiterer Autor sei in diesem Zusammenhang Althaus angeführt. Für ihn liegen der Urständ und der Urfall auch für Adam - wesentlich, nicht zeitlich gesprochen - zurück, wie er für uns zurückliege.259 Denn “der Fall ist in den geschichtlichen Taten da, aber er ist selber keine geschichtliche Tat; auch die erste sündige Tat in der Geschichte ist nicht der Fall selbst, sondern seine Erscheinung, sein Ausdruck. . . Urständ und Fall sind nicht zwei einander folgende histo-
252	Ebd. I20f.
253	An anderen Stellen sagt er es explizit, vgl. Abschnitt 1.3.
254	Brunner, a. a. O. 393.
253 Vgl. dazu auch die Kritik von Scheffczyk, Erbschuld 35.
256	Brunner, a. a. O. 392.
257	Brunner, Dogmalik 116.
258	Was Lorenz, von Ditfurth, Bresch u. a. vehement vertreten, vgl. Abschnitt 4.2.1.
259	Althaus, Wahrheit 147.
rische oder prähistorische Epochen. Sie bezeichnen den Ursprung, von dem wir in unserem historischen Sein und Tun immer schon herkom-men.” Einerseits entspringe - so Althaus - die Sünde jetzt in mir, der Fall geschehe heute, andererseits sei er schon geschehen. Der Mensch, der heute sündigt, sei nicht der erste, der das tut. “So ist der Fall vergangen und gegenwärtig zugleich. Damit verbietet sich seine historische Datierung.”260 Dennoch will Althaus unbedingt daran festhalten, daß es zur Sünde “durch eine unableitbare unbegreifliche Tat, durch einen Fall" komme.261 Damit werde der Gedanke eines Ur-standes unumgänglich. Wir seien gezwungen, unser schöpfungsmäßiges Sein und unser Sünder-Sein klar zu unterscheiden. “Mein böser Wille, der wider Gott streitet, ist nicht von Gott gesetzt. Sünde bedeutet Widerspruch gegen das schöpfungsmäßige Sein, Verkehrung desselben. Wir sind also aus einem Urstande, den Gott gesetzt hat, herausgefallen.”262 Althaus lehnt auch die Idee, wir verfehlten mit dem Sündigen nur unsere Bestimmung, als unzureichend ab. “In der Sünde verfehlen wir es [das Leben bei Gott] nicht nur als eine uns zugedachte Zukunft, sondern wir verlieren und verscherzen es als die uns vorgegebene Wirklichkeit unser selbst.”263
Angesichts dieser eindeutigen Formulierungen ist es erstaunlich, daß Althaus dennoch eine evolutive Abstammung des Menschen aus dem Tierreich akzeptiert. Er sieht zwei Auffassungen der Weltgestalt, nämlich “Werkzeug des Liebes-willens” und “Ausdruck des Zornes” in Spannung gegeneinander.264 Dieses dürfe jedoch nicht in ein Nacheinander aufgelöst werden. Nicht eine frühere Weltgestalt (Urständ), sondern unsere Welt sei Gottes ‘sehr gute’ Welt (Gen 1), auch heute, unbeschadet dessen, daß wir als Sünder den Zug des Gerichts in ihr sehen. “Diese exi-stentiale Zuordnung der Weltgestalt zu unserer Sündhaftigkeit bedeutet keine metaphysische Herleitung unserer Welt von dem Sündenfall.”265 Wenn man so verfährt, muß man danach fragen, welcher Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen besteht. Können die von Althaus hervorgehobenen dogmatischen Positionen in diesem Rahmen gehalten werden? Wie ist das Herausfallen aus einem Urständ etwa in einem hy-
pothetischen “Tier-Mensch-Übergangsfeld” zu konkretisieren? Was bedeutet unter den Voraussetzungen der Evolutionslehre eine Verkehrung gegen das schöpfungsmäßige Sein? usw. Die gleichzeitige Aufrechterhaltung biblisch begründeter traditioneller Glaubensinhalte einerseits und der evolutiven Weitsicht andererseits “lebt” hier offenbar davon, daß die Evolutionslehre nicht wirklich zur Kenntnis genommen wird. So kritisiert Scheffczyk zurecht, daß an entscheidender Stelle Unklarheiten auftreten: “So heißt es vom Urständ einerseits, daß er ‘kein wirklicher Zustand der ersten Menschen gewesen’ sei. Andererseits behauptet der Autor im gleichen Zusammenhang, die Theologie könne von diesem Stande wenigstens dieses sagen, ‘daß die Gemeinschaft mit Gott in ihm ungebrochen war’.”266 Ebensowenig sind die Aussagen harmonisierbar, daß Urständ und Fall einerseits der Geschichte vorausgehen und ihr zugrunde liegen, andererseits in ihr allgegenwärtig und gleichzeitig sind.
Ähnlich argumentiert Althaus bezüglich des Todes. Er will den Tod zugleich als gnädige Ordnung des Schöpfers und als Gerichtsakt festhalten. “Das Sterben hört, weil es Gericht ist, nicht auf, ursprünglicher Wille des Schöpfers zu sein.”267 Der Tod ist danach Gericht und Schöpfung, folglich nicht auf einen historischen Sündenfall Adams zurückzuführen.268 Es bleibt jedoch unklar, wie beides zusammengesehen werden kann.
Schließlich seien einige Stimmen aus jüngerer Zeit genannt. Hebart269 vertritt die Auffassung (ohne dies auch nur andeutungsweise zu begründen270), daß es beim Sündenfall “nicht um das einzelne Schicksal von zwei Menschen am An-
M Ebd. 147.
261	Ebd. 145; Hervorhebung im Original.
262	Ebd. 146.
265 Ebd.
264	Ebd. 189.
265	Ebd.
244 Scheffczyk, Erbschuld 42.
267	Althaus, a. a. O. 185.
268	Ebd. 186.
249 Hebart, Schöpfungsglaube 61.
270 Vermutlich schließt er sich einem allgemeinen Konsens an.
fang” gehe, “sondern um etwas Grundsätzliches, das sich im Leben jedes einzelnen Menschen verhängnisvoll abspielt. In erster Linie geht es also nicht um den Ursprung der Sünde, sondern um die Darstellung ihrer Universalität." Aber können Universalität und Ursprung der Sünde so geschieden werden?
In ähnlicher Weise baut Gilkey einen falschen Gegensatz auf, wenn er sagt, daß es beim Sündenfall um etwas Grundsätzliches gehe und nicht um das Schicksal zweier Menschen.271 Tatsächlich ist aber das Schicksal dieser beiden Menschen das Einbruchstor der Sünde in die ganze Welt (Röm 5,12), und weil Adam und Eva Stammeltern der ganzen Menschheit sind, geht es beim Sündenfall um etwas Grundsätzliches und Universelles. Der aktuelle Charakter der Sünde geht im übrigen nicht dadurch verloren, daß durch den einen, Adam, die Sünde in diese Welt gekommen ist. Die Erklärung des Ursprungs der Sünde und die Erklärung ihrer Universalität und Aktualität sind keine Gegensätze, sondern gehören gerade zusammen. Die biblische Urgeschichte und Röm 5 erklären, wie es dazu kam, daß alle Menschen vom Sündenproblem betroffen sind, was mit Sünde überhaupt gemeint ist und weshalb sie universal ist (s. Abschnitt 4.3.2.1).
Vollkommenheit und Unsterblichkeit seien dem Menschen nicht verliehen, sondern nur verheißen worden, meinen Hemminger & Hemmin ger.272 Die Urgeschichte der Bibel beschreibe, “wie die Verheißung durch den Ungehorsam des Menschen verlorengeht und doch nicht verlorengeht, weil Gott an ihr festhält.” Was gilt nun? Verlorengegangen oder nicht verlorengegangen? Wenn sie nicht verlorengegangen ist, wäre die Warnung Gottes leer gewesen. Ist sie aber doch verlorengegangen: wie und wann soll sich das in der Evolution abgespielt haben? Was für einen Bezug zur Evolutionslehre gibt es? Wie soll man diesen Verlust im Rahmen der Evolutionslehre verstehen? Da diese beiden Autoren sich diesen Fragen nicht stellen, betreiben sie faktisch eine Entflechtung von Aussagen der Evolutionslehre und biblischen Inhalten. Weiter schreiben Hem minger & Hemminger, dem Menschen sei ursprünglich eine heile Gottesbeziehung angebo-ten worden. Sie sei dadurch verlorengegangen,
daß der Mensch selbst Gott sein wollte. Daher befinde sich der Mensch heute im Zustand des Verlustes; menschliche Schuld habe etwas mit diesem Verlust zu tun.273 Was soll aber “Verlust” heißen, wenn es keinen historischen Sündenfall und kein “goldenes Zeitalter” (wie Hemminger & Hemminger sich wohl in Anspielung an die römische Zeitalter-Lehre ausdrücken) gegeben hat? Wie soll sich dieser Verlust in der Evolutionsgeschichte ausgewirkt haben? Wie soll die ursprünglich heile Gottesbeziehung ausgesehen haben? Das sind unabweisliche Fragen, wenn man wie diese Autoren eine allmähliche Evolution vom Tier zum Menschen voraussetzt. Wenn unter diesen Voraussetzungen diese Fragen gar nicht erst gestellt werden, hat man die eigentlichen Probleme verschwiegen und dadurch umgangen.274 Dann kann auch die Feststellung dieser beiden Autoren nicht wundern, daß die Evolutionstheorie “nirgends” zu besonderen Konflikten mit dem Schöpfungsglauben führe.275
Das scheinbar problemlose Zusammenfügen der Evolutionslehre mit der biblischen Urgeschichte wird schließlich auch dadurch ermöglicht, daß unabdingbare Aspekte der Evolutionslehre nicht berücksichtigt werden. Dies gilt z. B. für Lanzen-berger, wenn er schreibt: “Adam lebt noch jenseits von Gut und Böse.”276 Man muß — evolu-
271	Gilkey, Himmel und Erde.
272	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 159; ähnlich Feiner & Lohrer, MystSal 8371.: dem von Natur her sterblichen Menschen sei das ewige Ixben in Aussicht gestellt worden.
273	Hemminger & Hemminger, a. a. O. 160.
274	Wie diese notwendige Rückfrage umgangen wird, sei an einem weiteren Beispiel deutlich gemacht: “Schuld, Tod, Krankheit und leiden unter den Menschen werden auf die Macht des ‘Lügners von Anfang an’ zurückgeführt” (163). Der Mensch stand vor der Wahl, von der die Sündenfall-Geschichte erzählt, entweder bewußt Gottes Geschöpf oder selbst Gott sein zu wollen. “Wie diese Wahl erfolgte, wissen wir nicht. Wir wissen nur, wie sie ausging’’ (192). Wer eine theistische Evolution vertritt, muß hier plausibel machen, wie es überhaupt im evolutionären Geschehen zu einer solchen Wahl kommen konnte. Was soll “Wahl” in einem Prozeß bedeuten, der vollständig naturgesetzlich verlaufen sein soll?
275	Hemminger & Hemminger, a. a. O. 157; die Autoren meinen mit “besonderen Konflikten” solche, die über diejenigen Schwierigkeiten hinaus führen, die es auch ohne die Evolutionslehre gebe.
276	Lanzenberger, Schöpfung 107.
tionstheoretisch gedacht - fragen: Wann war das? War es zur Zeit des Homo ereclus oder des Neandertalers? Was bedeutet diese Aussage im Rahmen der Evolution? Wie entstehen überhaupt Gut und Böse in der Evolution?
Zur Sünde führt dieser Autor aus: “Naturwissenschaftler sehen das Rätsel von Sünde, Leid und Not, die Welt der Störungen streng von biologischen Gegebenheiten aus. Sie betrachten das Problem von einer ganz anderen Seite als der biblische Bericht. Damit heben wir die biblischen Aussagen von der Sünde nicht auf.”277 Aber wie werden nun beide Seiten zusammengebracht? Der Anspruch, die Evolutionsanschauung mit dem biblischen Zeugnis zusammenzubringen, wird nicht konkret umgesetzt.
Bei der Erschaffung des Menschen sieht Lan zenberger einerseits Gottes müheloses Wirken,278 doch wenn man bedenkt, daß der Prozeß der (seiner Auffassung nach von Gott gelenkten) evolutiven Menschwerdung quälend langsam und durch eine unbarmherzige Auslese ablief, kann diese Einschätzung kaum vertreten werden. Die Evolutionsvorgänge können keineswegs durch den Begriff “mühelos” charakterisiert werden.
Haag gibt zur Frage, woher das Böse komme, als Antwort: “Es kommt nicht von Gott, sondern es kommt einzig und allein von der Sünde des Menschen. Das ist die zeitlose Botschaft dieses Textes.”279 Sünde versteht er dabei als ein “Sich-Hinwegsetzen des Menschen über den Willen und die Ordnung Gottes”. Demgegenüber bleibe es relativ unwichtig, worin die Sünde konkret bestanden habe.280 Wie eine solche Aussage in einem konsequent evolutionstheoretischen Rahmen (von dem Haag ausgeht) aufrechterhalten werden kann, ist nicht ersichtlich. Andererseits stellt er nämlich fest: “Daß es eine solche Welt [einen leidens- und todesfreien Urständ] in Wirklichkeit niemals und nirgends gab, ist jedem Einsichtigen klar.”281
4.3.5	Monogenismus
Unter Monogenismus versteht man die Abstammung der Menschheit von einem einzigen Paar. In der traditionellen Dogmatik wurde nach
Genesis 2 dieses erste Menschenpaar mit Adam und Eva identifiziert (Röm 5,12ff; 1 Kor 15,21ff.). In der Frage nach einem ersten Menschenpaar geht es in erster Linie um die Schicksalsverbundenheit der Menschheit.
Mit Polygenismus wird ein Ursprung der Menschheit innerhalb einer Population bezeichnet. Nach der Evolutionslehre ist nur ein Polygenismus denkbar (vgl. Abschnitte 2.4 und 2.5), wenn man nicht ein besonderes unmittelbares Eingreifen Gottes in den Evolutionsprozeß postulieren will (s. u.; vgl. Abschnitt 4.1). Die Frage nach einem Mono- oder Polygenismus der Menschheit ist theologisch relevant, denn (wie in Abschnitt 4.3.2 gezeigt wurde) die Zeugen des Neuen Testaments stellen Jesus Christus, den Erlöser, in die eine von Adam herkommende Menschheitslinie (Monogenismus) und dem ersten Adam gegenüber (Röm 5,12ff.). Gäbe es neben der Adamslinie noch weitere Menschheitslinien, wäre die Frage unabweislich, welche Beziehung Jesus Christus zu diesen habe und wie sich sein Erlösungswerk zu ihnen verhalte.
Zum Problemkreis “Monogenismus/Polygenis-mus” gibt es auf katholischer Seite eine Fülle von Literatur. Die in diesem Zusammenhang bekannt gewordene Enzyklika Humani generis von Pius XII aus dem Jahre 1950 kritisiert die Polygenismus-Auffassung: “Eis ist in keiner Weise ersichtlich, wie eine derartige Auffassung sich vereinbaren läßt mit dem, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die Akten des kirchlichen Lehramtes über die Erbsünde sagen.. .”282
Unter dem Eindruck der scheinbaren Plausibilität der Evolutionslehre halten viele Autoren einen biologischen Monogenismus jedoch nicht für un-aufgebbar.283 Die mit dem Monogenismus verquickten dogmatischen Inhalte werden ander-
277	Ebd. 121.
278	Ebd. 67.
279	H. Haag, Schöpfungsgeschichte 45.
280	Ebd. 46.
281	Ebd. 47.
282	Zit. nach Schmaus, Weltbild 36; vgl. Rahner, Monogenismus 25 5 ff.
285 Vgl. Feiner & Lohrer, MystSal 576.
weitig (nicht durch biologisch-genetische Abstammung) zu sichern gesucht. Die wichtigsten hierzu vorgebrachten Konzepte werden im folgenden zusammengestellt und kritisiert.284
4.3.5.1	Schicksalsverbundenheit durch soziale Verbundenheit
Der Frage, wie man auch ohne erstes Menschenpaar die Schicksalsverbundenheit der Menschheit aufrechterhalten könne, widmet sich beispielsweise Hulsbosch. Seine Lösung liegt im Hinweis auf das soziale Netz, durch das alle Menschen verbunden sind.285 “Wenn die Welt gänzlich in der Macht des Bösen liegt, erstreckt sich diese Macht auch auf das neugeborene Kind, nicht aufgrund persönlicher Schuld, sondern als ein für sein Verhältnis zu Gott mitbestimmender Faktor.”286 Außerdem sieht er ein Prinzip der Einheit des Menschengeschlechts in der Tatsache, daß die Frage nach Gott im Menschen von Natur aus enthalten sei. Darin liege sogar “ein viel höheres Prinzip der Einheit, als es je durch die Abstammung von einem Stammvater begründet werden könnte.”287
Die Sünde eines repräsentativen Einzelnen würde, so Rahner, die Einheit der Menschheit in der Sündenverfallenheit auch bei einem biologischen Polygenismus begründen.288 Dasselbe gelte, wenn die ursprüngliche menschliche Gemeinschaft in Interkommunikation gesündigt hätte.
“Es ist durchaus denkbar, daß die humanitas origi-nans in alten ihren Gliedern am Anfang sich Gott versagt hat und so alle zusammen jenes Subjekt ‘Adam’ bilden, das durch Schuld die gnadenvermittelnde Funktion der Herkünftigkeit der humanitas originata aufhebt. Wird die Voraussetzung einer allgemeinen Schuld der humanitas originans gemacht, dann scheint mir überhaupt keine zwingende Schwierigkeit gegen einen polygenistischen Ursprung der Menschheit von der Erbsündenlehre her mehr gegeben zu sein. ‘Adam’ als Sünder ist dann der plastische Ausdruck für eine auch heilsgeschichtliche Einheit der humanitas originans, die als ganze gesündigt hat mit den Folgen, die die traditionelle Erbsündenlehre dieser Sünde zuer-kennt.’’28'’
Eine Möglichkeit, einen Polygenismus zu akzeptieren, sieht Scheffczyk dann gegeben, falls
man voraussetzt, daß die frühe Menschheit in einer örtlich und zeitlich zusammenhängenden Einheit existierte, in der auch ein gemeinsames Versagen vor Gott denkbar ist.290
In ähnlicher Weise setzt sich Weger mit einem “theologischen Monogenismus” auseinander. Darunter versteht er die Alleinverursachung der Erbsünde aller Menschen durch einen einzigen Menschen im Rahmen eines biologischen Polygenismus.291 Es muß in einem solchen Kon-
261 Baumann, Erbsünde, unterscheidet hier:
-	den evolutionistischen Weg: Danach wird versuch!, das evolutionistische Weltbild für die Theologie fruchtbar zu machen. Nach einem Grundaxiom dieser Sicht ist der von Gott erschaffene Mensch der Mensch, wie er in der Vollendung sein wird (Hulsbosch, Teilhard). Erbsünde wird als sich in diesem Prozeß entwickelnd (Hulsbosch) oder als Nebenprodukt (Teilhard) verstanden.
-	den “soziologischen” Weg: Danach wird die gesellschaftliche Verflechtung als Grund für die Allgemeinheit der Sünde angesehen; Ursünde ist die soziale Situation, in die der einzelne hineingeboren wird (Schoonenberg).
-	den personalen Weg: Dieser Weg betont die persönliche Verantwortung des einzelnen für seinen Schuldzustand. Kurz: Adam bin ich. “Die Allgemeinheit der Sünde beruht auf der schuldhaften, verantwortlichen Tat jedes einzelnen" (Ebd. 187), und zwar ausschließlich. “Einen ‘vorpersonalen Schuldzustand’ gibt es nicht" (Ebd.). Urständ bedeutet die gegenwärtige, unabänderliche Wirklichkeit des Geschaffenen; er ist weder vergangenes (wie beim historischen Weg) noch etwas Zukünftiges (wie beim evolutionistischen).
Der personale Weg umgeht die Frage nach der Ursache und stellt sich der anstehenden Problematik nicht. Denn wäre die Erbsünde “die Beschreibung des Verlustes einer Unschuld, die jeder Mensch neu verliert, dann müßte doch gesagt werden, warum jeder Mensch sie verliert" (Spaemann, Erbsündenlehre 48).
285	Hulsbosch, Schöpfung 45.
286	Ebd. 57.
281 Ebd. 55.
288	Rahner, Erbsünde 461 -465
289	Ebd. 464. Eine ähnliche Vorstellung äußerte GREtxrr (bei Weger, Erbsünde 62): Ein erstes Menschenpaar habe durch die erste freie personale Entscheidung die Menschwerdung erreicht, sich in dieser Entscheidung aber gegen das göttliche Gnadenangebot gestellt und gesündigt. Da nun alle anderen Menschen mit diesem Paar in Kommunikation standen, habe dieses Paar als Initiator und Lehrmeister beim Rest der Population diesen Schritt zur Menschwerdung ebenfalls ausgelöst (“Kelten-Hominisation"),d. h. die übrigen Glieder der Population wurden nun auch Menschen mit der Fähigkeit zur personalen Entscheidung und im Kontakt mit dem ersten, bereits sündigen Menschenpaar. In diesem Sinne sei das erste Menschenpaar Stammeitempaar aller Menschen.
290	Scheffczyk, Weltevohxtion 178f.
2,1 Weger, Erbsünde 58.
zept gezeigt werden, daß dieser eine Mensch (oder dieses eine Menschenpaar) anthropologisch und heilsgeschichtlich eine einzigartige, einmalige Funktion hatte. Weiter muß geklärt werden, was die anderen Menschen mit diesem Paar verband, so daß die Sünde dieses Paares die anderen “infizierte”.
Kritik: Zunächst verstoßen diese Konzepte gegen das biblische Zeugnis, daß das Unheil durch die Tat eines einzigen Menschen seinen Lauf nahm (vgl. Abschnitt 4.3.2); lediglich Rahner kann von dieser Kritik ausgenommen werden, da er vom Einbruch der Sündenmacht durch eine einzige repräsentative Person ausgeht.
Darüber hinaus besteht die Problematik eines Polygenismus zunächst darin, daß er nicht nur mehr- oder vielfacher Ursprung der Menschheit bedeutet, sondern überhaupt die evolutive Entstehung der ersten Menschen. Daher müssen dieselben Einwände geltend gemacht werden, die bereits in den vorigen Abschnitten zur Sprache kamen. Eine Schicksalsverbundenheit kann zwar durchaus nicht-biologisch begründet werden, doch die eigentlich dahinterstehende Problematik nach dem Einbruch von Sünde und Tod wird dadurch nicht verändert; die Schwierigkeiten, das biblische Ursprungszeugnis mit der Evolutionslehre zu harmonisieren, vermehren sich und treten nur noch schärfer hervor.
Durch die genannten Konzepte eines “theologischen Monogenismus” werden die entscheidenden Ursprungsfragen nicht beantwortet: Warum ist das soziale Netz vergiftet (vgl. Hulsbosch)? Wie entstand die Sünde des einzelnen, der alle mit sich in den Abgrund riß (Rahner)? Worin besteht das gemeinsame menschliche Versagen (Rahner) beim Durchlaufen des Tier-Mensch-Übergangsfeldes und weshalb geschah es? Es bleibt unklar, worin die ursprüngliche menschliche Gemeinschaft sich verfehlt hat, worin ihre Schuld bestehen soll und inwiefern sie nicht “naturnotwendig (evolutionsbedingt) sein kann.
Auch Hulsboschs Idee der Verbundenheit durch die gemeinsame Gottesfrage erscheint vor dem Hintergrund der vorausgesetzten Evolution wenig durchdacht. Denn in diesem Denkrahmen stellt sich die Frage, wie diese die Mensch-
heit verbindende Frage nach Gott evolutionär aufgekommen sein soll.
43.5.2	Ein erstes Menschenpaar im Evolutionsprozeß?
Manche Autoren gehen davon aus, daß im Laufe des Evolutionsprozesses ein erstes Menschenpaar aufgetreten sein könne, um auf diese Weise den Texten aus Röm 5 und 1 Kor 15 gerecht zu werden. So versucht Schützer den Monogenismus auch in einem evolutionären Rahmen dadurch aufrechtzuerhalten, daß er von einer thei-stischen und finalistischen Evolution ausgeht und Gottes richtenden Einfluß in diesem Prozeß zugesteht.292
Schmaus vertritt die Auffassung, daß Gott in dem biologischen Feld, dem der Mensch entstammt, in einem einzigen Organismus den Geist entstehen ließ, nicht aber in den übrigen Exemplaren und Populationen.295 Diese hätten sich weiterentwickelt oder seien ausgestorben. Die Naturwissenschaft könne die monogenetische Abstammung des Menschen weder beweisen noch widerlegen.
Nach Heinisch könne die Wissenschaft nicht ausschließen, daß das Menschengeschlecht mit einem einzigen Urelternpaar begonnen habe.294 Genau das berichte die Bibel und ergänze damit in einem wichtigen Punkt die profane Wissenschaft. Die Menschwerdung könne nur als ein Wunder Gottes begriffen werden; auch die Vertreter der Entwicklungslehre müßten, wenn sie den wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch anerkennen, an dieser Stelle ein-Wunder annehmen.
Als ersten Menschen Adam dürfe man nicht den paläontologisch ersten Menschen ansehen, sondern den religions- bzw. heilsgeschichtlich ersten, so Fattinger. Adam sei der “Vollendungsmensch mit erstmaliger übernatürlicher Ausstattung und der zum ersten Mal auf schwere
m Schützer, Position 226. m Schmaus, Dogmatik 349. ** Heinisch, Probleme 56.
Entscheidung geprüfte, weil infolge erreichter ethischer Reife prüfbare Mensch.”295
Kritik: Die Auffassung einer Zielgerichtetheit der Evolution auf den Menschen hin ist evolutionstheoretisch gesehen nicht demonstrierbar (vgl. die Abschnitte 2.4 und 4.7.1.2). Die Annahme einer Zielorientiertheit des Evolutionsgeschehens ist ein Postulat, das nicht aufgrund empirischer Befunde gestützt werden kann. Daher nimmt die Vorstellung, Gott habe die Evolution auf ein erstes Menschenpaar hin gelenkt (Schützer), keine Rücksicht auf die Inhalte der Evolutionslehre, wenn auch Schmaus296 zurecht feststellt, daß die Naturwissenschaft die monogenetische Abstammung nicht widerlegen könne. Im Rahmen der Evolutionslehre ist es jedoch reine Willkür, ein erstes Menschenpaar im Tier-Mensch-Übergangsfeld herauszuheben. Dieses Postulat wird von der Evolutionstheorie nicht nahegelegt (im Gegenteil), sondern bedeutet eine dogmatisch begründete Einschränkung des Evolutionsgedankens.
Darüber hinaus müßte in einem evolutionstheoretischen Rahmen ein erstes Menschenpaar sich nur auf einem sehr “primitiven” Stadium befunden haben, so daß man mit Teilhard de Char Din297 und Weger298 zurecht kritisieren könnte, daß man dem evolutiv entstandenen ersten Menschen nicht die Verantwortung für den Einbruch der Sünde zumuten könne. Darüber hinaus ist unverständlich, warum Gott nur einem (Paar) und nicht allen seine Gnade und die damit verbundene Prüfung angeboten haben sollte.299 Die Konsequenz, im evolutionstheoretischen Kontext den ersten Menschen als primitiv anse-hen zu müssen, versucht Fattinger zu umgehen, indem er unter den bereits kulturell tätigen und ethisch “entwickelten” Menschen den Adam sucht (s. o.), doch in diesem Stadium der postulierten evolutionären Menschheitsentwicklung kann kein erstes Menschenpaar herausgehoben werden. Außerdem ist die Annahme einer “ethischen Schwelle” sehr fragwürdig, ab der der Mensch plötzlich für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann.
4.3.6	Zusammenfassung
Beim Verständnis von Urständ, Sündenfall und Erbsünde geht es um zentrale Fragen der biblischen Erlösungsordnung. Die inhaltliche Bestimmung des Sündenfalls kanalisiert das Verständnis der Erlösung. Die biblische Heilslehre basiert fundamental auf dem Einbrechen der Sünde und dem Tod (in allen seinen Aspekten, auch dem physischen) durch ein historisches Ereignis (Abschnitt 4.3.2). Sünde und Tod gehören nicht zur prälapsarischen Schöpfungsordnung. Gott hat den Menschen nicht evolutiv zum Sünder gemacht oder werden lassen. Weil die Menschheit selbstverschuldet unter die Macht von Sünde und Tod unterworfen wurde (und mit ihr die ganze Schöpfung), ist sie erlösungsbedürftig. Plausible oder gar zwingende Gründe gegen ein historisches Verständnis des Sündenfalls (und der ganzen biblischen Urgeschichte) wurden nicht aufgewiesen (Abschnitt 4.3.2.4).
Ein sekundärer Einbruch von Sünde und Tod in die Schöpfung ist im Rahmen der Evolutionslehre nicht denkbar. Unter Zugrundelegung der unverzichtbaren Inhalte aller Evolutionsvorstellungen (vgl. Abschnitt 2.8) muß das traditionelle biblisch begründete Verständnis von Urständ, Sündenfall und Erbsünde aufgegeben und im evolutiven Denkrahmen inhaltlich neu bestimmt werden. Die Sünde wird als unvermeidlicher Nebeneffekt der Evolution, als notwendige Kehrseite der Schöpfung verstanden. Sie tritt in dem Maße auf, wie die Evolution in ihrer Komplexität zunimmt. Gott konnte demnach keine andere Werdewelt schaffen als eine solche, der das Übel solange anhaftet, bis die Schöpfung (nach vielen Milliarden Jahren) vollendet ist. “Erbsünde” bedeutet “mühsamer Anfang”, der Ausdruck eines “Noch nicht” anstelle eines “Nichtmehr”, eines Verlustes. Die bezeugte Vollkommenheit der Schöpfung wird vom Anfang an das Ende, das Ende der Evolution verlegt (Abschnitt
x Fattinger, Adam 6.
-**' Schmaus, Dogmatik 349.
2.7	Teilhard de Chardin, Glaube 60.
2.8	Weger, Erbsünde 9 w Ebd. 59.
4.3.3.1). Diese Sichtweise läuft auf eine Verharmlosung der Sünde hinaus; ihr personaler Charakter wird ebenso ausgeblendet wie ihre dämonische Dimension. Zentrale biblische Glaubensinhalte werden damit bestritten.
Im zusammenfassenden Abschnitt 43.3.4 wurden bereits solche Versuche einer kritischen Würdigung unterzogen, die entsprechend einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung einen Sündenfall-Einschnitt im Evolutionsgeschehen festma-chen wollen. Diese Autoren verlassen an verschiedenen Stellen den exegetisch zu erhebenden Sinn einschlägiger biblischer Texte. Darüber hinaus sind ihre Entwürfe evolutionstheoretisch unrealistisch. Die geschilderten Konzepte wirken teilweise gekünstelt und sind insofern
in hohem Maße spekulativ, als allenfalls indirekt auf die in der (vorausgesetzten) Evolutionslehre gedeuteten Daten und auf die relevanten biblischen Texte und Hauptpunkte christlicher Glaubenslehre Bezug genommen wird. Dies gilt auch für die Überlegungen, wie im Kontext der Evolutionsanschauung ein monogenetischer Ursprung der Menschheit vertreten werden kann.
Auch in der Sündenfall-Thematik verfahren einige Autoren nach einer Entflechtungsstrategie. Dogmatisch grundlegende Aussagen der biblischen Zeugen werden dabei zwar aufrechterhalten, gleichzeitig Inhalte der Evolutionslehre akzeptiert, die diesen Glaubensinhalten widersprechen, ohne diesen Widerspruch befriedigend zu behandeln oder gar aufzulösen.
4.4	Die Bewertung von Krankheit, Leid und Tod
In Kapitel 2 wurde dargelegt, daß der Tod der Organismen und seine Begleiterscheinungen wie Krankheit, Verletzungen oder Mißbildungen im evolutionstheoretischen Kontext notwendige Nebenprodukte des Evolutionsprozesses und Erfordernisse für dessen Vorankommen sind. Dies gilt auch für alle Varianten theistischer Evolutionsvorstellungen.1 Ohne Tod und ohne Leiden gibt es keine Evolution und folglich auch keine wie auch immer geartete theistische Evolution. Während beispielsweise in der Frage nach der Zufälligkeit des Evolutionsverlaufes ein Spielraum für Spekulationen besteht, ob das, was zufällig erscheint, in Wirklichkeit Ergebnis schöpferischer Lenkung sein könnte, besteht für die Bewertung der Rolle des biologischen Todes in Evolutionstheorien kein Spielraum. Ohne Tod gibt es kein Leben. Der Tod des einzelnen ist die Voraussetzung für eine Stammesentwicklung. Mohr schreibt: “Wenn wir also die Evolution des Lebens als ein in der Bilanz positives Ereignis, als die ‘reale Schöpfung’, ansehen, akzeptieren wir damit auch unseren Tod als einen positiven und kreativen Faktor . . .”2 Der Tod ist evolutionstheoretisch gesehen ein Mechanismus, der Leben hervorbringt!
Die Lebewesen seufzen unter den Bedingungen ihrer Existenz (Röm 8,19—22). Für dieses Seufzen gilt — evolutionstheoretisch gesehen -dasselbe wie für den Tod. Es ist notwendig für die Hervorbringung höherer Lebensformen. Der Theologe Bosshard schreibt: “Der Tod entpuppt sich in der Natur im Grunde als eine notwendige biologische Maßnahme zum Schutz des Lebens.”3
Bewertung von Krankheit
Im evolutionstheoretischen Rahmen sind die Begleitphänomene des Todes wie Krankheiten und Mißbildungen genauso zu bewerten:
“Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung,
Hungersnot und Tod sind ... die Ergebnisse der
strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängi-
gen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert. .. . Der wesentliche Punkt ist, daß das potentiell Gute und Sinnvolle des erschaffenen Lebens immer die Möglichkeit des natürlichen Übels in sich trägt. Das Böse ist immer das Ergebnis der gesamten Wechselbeziehungen.”4
Krankheiten sind in gewissem Sinne Vorboten des Todes. Man empfindet Krankheit als destruktiv, als Widerspruch zum Leben. Krankheiten bedeuten Einschränkung der Lebensfähigkeit und der Lebensfreude und -fülle. Im Kontext der Evolutionslehre müssen Krankheit wie der individuelle T od und der Artentod jedoch als unvermeidliche Nebenaspekte des Artenwandels gewertet werden. Dieser Zusammenhang existiert, weil Evolution nur durch Mutabilität der Lebewesen möglich ist, die meisten Mutationen jedoch zu verminderter Vitalität, Krankheit, Mißbildung oder Tod führen. Folglich muß man bei einer Harmonisierung von Evolutionslehre und biblischem Schöpfungsglauben das Phänomen Krankheit als Schöpfungsmittel Gottes ansehen.
Die biblischen Textzeugen werten Leiden und Sterben grundsätzlich negativ. Der Tod ist Feind Gottes (1 Kor 15,26), der Widerspruch zum Leben, “der Sünde Sold” (Röm 6,23). Die ganze Kreatur sehnt sich nach Erlösung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit (Röm 8,19ff.). Das gilt gleichermaßen für den geistlichen wie für den leiblichen Tod (Gen 3,3 + 19; Röm 5,12ff.; vgl. Abschnitt 4.3.2.1). Gese stellt fest, daß auch für die mythische Überlieferung der Tod “als das zentrale Problem des Menschseins verstanden wird, als die anthropologische Grundgegebenheit, die eben nicht der kosmischen Ordnung voll
1	Vgl. die Zusammenstellung der Gemeinsamkeiten aller Evolutionsanschauungen.
2	Mohr, Leiden 12.
3	Bosshard, Erschafft die Weh 156; vgl. von Weizsäcker, Tod.
4	Gilicey, Himmel und Erde 190.
entsprechen kann.”5 Das Alte Testament habe diese Seinserfahrung nicht beiseite geschoben. “Für den Schwerkranken,.für den mit dem Tod konfrontierten Menschen gibt es als Heil nur die Möglichkeit, in diese Welt des Lebens zurückgerufen zu werden, an der Israel-Existenz teilzuhaben, es gibt kein Heil im Tod.”6 Wo Gott ist, ist Leben, daher hat der Tote als solcher keinen Anteil an Gott.7
Daß der Tod der Feind Gottes ist, äußert sich auch darin, daß Jesus Christus Tote auferweckt hat und daß er “dem Tod die Macht genommen” hat (2 Tim 1,10). Jesus Christus hat durch seinen Tod den Teufel entmachtet, der die Gewalt über den Tod hat (Hebr 2,14).
Aus der Tatsache der Auferstehung Jesu folgt ebenfalls, daß der Tod etwas Widergöttliches ist. Erlösung im christlichen Sinne schließt die Befreiung vom Tod und seinen Begleiterscheinungen ein (Offb 21,1-5). Die leibliche Auferstehung Jesu, der Sieg über den Tod, ist das entscheidende und schicksalswendende Ereignis der Menschheitsgeschichte.8 “Die Auferweckung Jesu erscheint als Sieg Gottes über die Macht des Todes und als das große Zeichen, daß Gottes Heilswille und Lebensmacht die Grenze des leiblichen Todes nicht anerkennt.”9 Zeichenhaft für die eschatologische Auferstehung hat Jesus Tote auferweckt und auch damit neben seiner eigenen göttlichen Macht den negativen Charakter des Todes unterstrichen.
Jesus Christus selbst hat den Tod an sich als negativ betrachtet und seinen eigenen Tod als Sündenstrafe erlitten. Die Macht der Sünde traf ihn in seinem eigenen Tod. Den Evangelien kann man unschwer entnehmen, daß Jesus Angst vor dem Tode hatte. “Der Tod ist für ihn nichts Göttliches. . . . Jesus zittert wirklich vor dem großen Feind Gottes”, schreibt Cullmann zurecht.10 Auch für Jesus also, der in völlig intakter Beziehung zum Vater lebte, ist der Tod unnormal und abschreckend. Der Tod wird somit nicht erst durch die Sünde schrecklich: Auch Jesus als der Sündlose akzeptierte den leiblichen Tod nicht als etwas Normales: “Ich habe eine Taufe, mit der ich getauft werden muß, und wie ist mir angst, bis sie vollendet ist” (Luk 12,50). “Alles ist dir möglich, laß diesen Kelch an mir vorübergehen”
(Mk 14,36). Nach Hebr 5,7 hat Jesus mit großem Geschrei und mit Tränen Bitten und Flehen vor den gebracht, der ihn retten konnte.
Daß auch Krankheit und Leid etwas Gottwidriges sind, kann man daran ersehen, daß Jesus Kranke geheilt hat. Die Heilungen durch Jesus und seine Jünger wären unverständlich, wenn Krankheit etwas wäre, das einem natürlichen Prozeß (Evolution) entspringt und wesensmäßig zur (als Evolution gedachten) Schöpfung gehören würde. Es wäre widersprüchlich, wenn derselbe, der die Krankheiten heilte, diese in Kauf genommen hätte, um die Lebewesen zu erschaffen.
Außerdem hat Krankheit mit Sünde zu tun, wenn auch meist nicht unmittelbar (Joh 9, lff.; Jak 5,14ff.). Dies macht Jesus deutlich, wenn er zum Gelähmten (Mk 2,5) zuerst sagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Krankenheilungen Jesu sind also nicht nur ein Zurückdrängen des Tödes, sondern ein Einspruch gegen die Sünde.11
Schließlich wird aus Röm 8,19ff. deutlich, daß das “Seufzen” der ganzen Kreatur in der neuen Schöpfung aufhören soll und daß es durch eine Unterwerfung begonnen hat. Zum Seufzen der Schöpfung sind auch Krankheit und Tod zu rechnen. Röm 8 macht deutlich, daß dies nicht Teil der guten Schöpfung Gottes ist. Da Krankheit letztlich aus der Sünde resultiert, kann sie — so wenig wie Sünde selbst — nicht wesensmäßig zur “guten Schöpfung” Gottes gehören.
Nirgendwo wird in der Bibel der Tod als Mittel der Hervorbringung von Leben, als kreatives Werkzeug der Schöpfung gesehen. Im Gegenteil werden Tod, Krankheit, Elend und jegliches Unheil mit dem Gericht Gottes in Verbindung gebracht (nicht unbedingt in einem unmittelbaren Tun-Ergehen-Zusammenhang, wie etwa Joh
s Gese, Zur biblischen Theologie 34.
6	Ebd.41.
7	Ebd. 216.
8	Zur Bedeutung der AuferstehungJesu vgl. K\nwEm,Auferstehung. Der Erlanger Dogmatiker zeigt in diesem Werk, daß die Auferstehung im Mittelpunkt des NT steht und damit im Mittelpunkt des christlichen Glaubens stehen muß.
9	Ruckstuhl, Unheilslast 104.
10	Cullmann, Unsterblichkeit 25.
11	Heim, Weltvollender Kap. 3.
9,1—7, Lk 13,4 und vor allem das Buch Hiob deutlich machen). Vor diesem Hintergrund stehen Harmonisierungsbemühungen vor der Aufgabe, Tod und Leid zugleich als Schöpfungsmittel und als Gerichtsmittel plausibel zu machen.
Gibt es eine Möglichkeit, die Schlußfolgerung, Tod und Krankheit seien Schöpfungsmittel Gottes, zu vermeiden? Wie wird dieser offensichtliche Widerspruch zwischen der positiven evolutionstheoretischen Bewertung des Todes und der eindeutig negativen Einschätzung der biblischen Autoren zu überwinden versucht?
4.4.1	Konsequent evolutionstheoretische Konzepte
Autoren, die konsequent evolutionstheoretisch orientiert sind (vgl. Abschnitte 1.5.2.1 und 3.3), setzen sich über die biblische Bewertung von Tod und Leid hinweg und bejahen die evolutionstheoretische Bewertung.
a.	Der Tod als etwas Positives
Altner versteht in gewissem Sinne den Tod als “Tiefe des Lebens und Bestandteil von Gottes guter Schöpfung”12. Seine Begründung: “Die Hoffnung auf eine endgültige Todesaufhebung als Ziel und Abschluß der evolutiven Selbstüberhöhung des Lebens ist nur auf dem Weg über die im Leiden vollzogene Teilhabe am Tod zu haben, auch wenn das Leben über diesen hinausgeht und hinausträgt.” Altner schreibt weiter: “Der Wechsel der Generationen, das Nacheinander von Geburt und Tod, von Tod und Geburt, dieses als bedrückend empfundene Geschehen, Todesgeschehen innerhalb des Lebens, kann, wenn die Schöpfung als Wirklichkeit bejaht wird, als positive Lebensmöglichkeit aufscheinen.”13
Kritik: Die biblischen Aussagen über den Ernst und die Gottwidrigkeit des Todes (s. o.) werden hier übergangen. Außerdem wird eine Unterscheidung zwischen der Bedeutung des Todes vor und nach dem Sündenfall ganz aufgelöst, was
insofern folgerichtig ist, als Altner den Sündenfall ohnehin nicht als ein historisches Ereignis ansieht. Altner denkt konsequent evolutioni-stisch und gelangt so zur Umwertung des Todes. Die Hoffnung auf eine endgültige Überwindung des Todes verliert dadurch allerdings wichtige Anhaltspunkte.
Und weshalb soll der Tod eigentlich eher “als positive Lebensmöglichkeit aufscheinen”, wenn man Evolution als Schöpfung begreift? Das ändert an der Härte des individuellen Todes nichts. Kein Wort fällt bei Altner in diesem Zusammenhang darüber, daß die leibliche Auferstehung Jesu Hoffnung vermittelt und der Hinweis darauf ist, daß seine Nachfolger ihm auch in dieser Hinsicht folgen werden: “Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten” (Joh. 14,2). Vielleicht meint Altner mit dem Tod als positive Lebensmöglichkeit die den Gläubigen verheißene Auferstehung, d. h. das neue Leben im Eschaton (obwohl das aus seinen Ausführungen nicht hervorgeht). Mit der Auferstehung wird der Tod aber gerade überwunden ; die christliche Hoffnung beinhaltet wesentlich die Befreiung von der Todesmacht. Insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern der Tod als “Lebensmöglichkeit” verstanden werden kann.
b.	Der Tod als Notwendigkeit
In der heutigen Welt übt der Tod eine regulierende Funktion aus. Die Stabilität heutiger Ökosysteme basiert auf den Todesmechanismen. Ist also der Tod nicht doch notwendiger Bestandteil der Schöpfung - jeder Schöpfung? So meint beispielsweise Spilsbury, ohne Tod gäbe es keine Liebe, mindestens keine sexuelle, ohne Tod wäre das Leben gleichgültig oder mittelmäßig.14 Auch für Schmitz-Moormann gehört der Tod notwendig zur Schöpfung.15 Er ist ein “praktisch nicht zu vermeidender Sekundäreffekt der evo-
12	Altner, Evolution 271.
13	Altner, KonflikJpartner 466.
14	Spilsbury, Providence Lost 101.
15	Schmitz-Moormann, Erbsünde 219.
lutiven Schöpfung aus Freiheit, in Freiheit und auf Freiheit hin.” Das bedeutet seiner Auffassung nach nur dann einen Einwand gegen Gott, wenn man von einem “Handwerker”-Gottesbild ausgeht, nach welchem Gott alles determiniert (vgl. dazu Abschnitt 4.7).
Kritik: 1. Die Tatsache, daß der Tod unabwendbares regulierendes Faktum ist, gilt nur für die Situation nach dem Sündenfall, in der Situation, die uns allein erfahrungsmäßig zugänglich ist. Aus der uns geläufigen Gegebenheit des Gleichgewichtes von Fressen und Gefressenwerden kann man jedoch nicht auf das Wesen jeglicher Schöpfungsstrukturen schlechthin schließen. D. h.: Eine Schöpfungsstruktur ohne physischen Tod ist nicht prinzipiell ausgeschlossen. Der Tod muß nicht notwendiger Bestandteil jeder Schöpfungsgestalt sein.
2.	Wenn der Tod notwendig und unvermeidbar zu jeder Schöpfung gehörte, müßte er folgerichtig auch zur neuen Schöpfung gehören. In der verheißenen zukünftigen neuen Schöpfung gibt es jedoch keinen Tod (Offb 21,1-5). Vor diesem Hintergrund wird leichter nachvollziehbar, daß ein Urständ ohne Tod keine Denkunmöglichkeit ist. Auch die neue Schöpfung hat leibliche Struktur, wenn sie sich auch von der irdischen Leiblichkeit in einer menschlich nicht vorstellbaren Weise unterscheidet (Vgl. 1 Kor 15,35ff.; 2 Kor 5,1 ff.). Wenn man den Tod als zum Geschöpflichen wesensmäßig zugehörig versteht, begeht man den Denkfehler, die heutige Struktur der Schöpfung (post lapsum) mit “Schöpfung” schlechthin gleichzusetzen. Unter den heutigen Bedingungen ist der Tod sinnvoll, z. B. als dichteregulierender Faktor. In einer anderen Schöpfungsstruktur sind die heute sinnvollen Funktionen des Todes nicht notwendigerweise erforderlich. Die neue Schöpfung ohne Leid und Tod (Offb 21) wird anders gestaltet sein als die heutige. Analog muß angenommen werden (auch wenn es dafür ebensowenig Anschauungsmöglichkeiten gibt), daß auch die Schöpfung vor dem Fall von anderer Struktur war, in der der Tod als dichteregulierender Faktor nicht gebraucht wurde. Die Argumentation, der Tod sei ein notwendiger Bestandteil der Schöpfung,
ist entweder evolutionstheoretisch motiviert oder durch die ausschließliche Orientierung an unserer Erfahrung begründet (oder beides). Weder die Evolutionsanschauung noch der menschliche Erfahrungshorizont können jedoch ein letztgültiger Maßstab für die Bewertung des Todes sein. Denn für den menschlichen Verstand bleibt die Gestalt der Welt ohne Tod ein Geheimnis. Hier müssen die heilsgeschichtlichen Einschnitte (vgl. Abschnitt 1.1) beachtet werden. Daher kann man weder über die Schwelle zum Proton noch zum Eschaton wissenschaftlich oder anschaulich extrapolieren.
c.	Das Leid als notwendiger Bestandteil der Schöpfung
Wie bei der Beurteilung der Sünde des Menschen und der Bewertung des Todes wird auch bei der Einschätzung von Krankheit und Leid evolutionstheoretisch argumentiert, daß dieses Kennzeichen der Schöpfung ein notwendiger Bestandteil des Geschaffenen sei. Dies vertritt besonders pointiert Teilhard de Chardin.16 Das Böse wird “zu einem Element der Evolution, zu einem Kunstgriff, das Leben durch Widerstand, Mißbrauch der Freiheit, Mißbrauch der Intelligenz, zu immer breiterer Entfaltung und immer höherer Entwicklung zu führen, zu einer List der Vernunft, den Sieg des Guten herbeizuführen”17. Kriege, die beiden Weltkriege eingeschlossen, versucht Teilhard evolutionstheoretisch positiv zu deuten, als “ehrenvoller Beitrag zur natürlichen Evolution”18, als Zeichen nicht einer Auflösung, sondern einer Geburt.19 “Ja er kommt sogar zu der Erkenntnis, daß er als Mitglied der kämpfenden Truppe mit der Handgranate in der Hand oder hinter dem Maschinengewehr ‘mehr Priester’ wäre.”20 Selbst die Existenz der Atombombe interpretiert Teilhard in diesem Sinne.21
16	Zusammenfassend dargestellt von Benz, Endzeiterwanung 247ff.
17	Ebd. 248.
18	Ebd. 250.
19	Zit. bei Smulders, Theologie 129.
20	Benz, a a O. 250.
21	Moltmann, Weg Jesu Christi 319ff. kritisiert dies unter Beibehaltung der Evolutionsanschauung.
“Wo das Leben beginnt, beginnt der Schmerz; wo der Mensch beginnt, beginnt die Sünde.”22 “Das Übel tritt unvermeidlich mit dem ersten Atom des Seins auf, das die Schöpfung in die Existenz ‘entfesselt’.”23 In diesem Rahmen hört für Teilhard das Übel auf, “ein unbegreifliches Element zu sein, um zu einem natürlichen Zug in der Struktur der Welt zu werden”24. Es ist ein sekundärer Effekt der Schöpfung auf dem Wege der Evolution25: “Unter diesen Umständen ist das Übel im Universum kein unvorhergesehener Zufall. Es ist ein Feind, ein Schatten, den Gott unvermeidlich allein durch die Tatsache entstehen läßt, daß er sich zur Schöpfung entscheidet”26, eine “conditio sine qua non der Existenz”27, ein Schatten der Schöpfung. “Dies ist keine Begrenzung der Macht Gottes, sondern Ausdruck eines ontologischen Naturgesetzes, bei dem es absurd wäre, Gott könne gegen es handeln.”2*
Schmitz-Moormann kommentiert: “Diese Nebenprodukte gehen nicht auf eine Schwäche Gottes zurück, sondern auf eine solche des geschaffenen Seins.”29 In Teilhards Fußtapfen versteht Schmitz-Moormann das Übel ebenfalls als statistisches Nebenprodukt der Freiheit der Entwicklung.30 Gott habe nach Teilhard das physische Übel positiv als Stachel, als zu überwindendes Hindernis konstituiert.31 Durch die Kraft des Kreuzes sei dieses Übel, dieser Abfallhaufen der Evolution wertvoll geworden, dadurch daß der Mensch begriffen habe, daß so auf wirksamste Weise ein Voranschreiten der Evolution möglich war.32 Das Leiden sei “Folge und der Preis einer Entwicklungsarbeit”33, das Kreuz “das Symbol der schwierigen Mühe der Evolution.”34 Das Kreuz wird folgerichtig unabhängig von einer Ursünde begriffen. Als Konsequenz ergibt sich: “Jesus an seinem Kreuz ist zugleich das Symbol und die Wirklichkeit der unermeßlichen, jahrhundertelangen Mühsal, die nach und nach den geschaffenen Geist emporhebt, um ihn in die Tiefen des göttlichen Milieus zurückzubringen.”35 Die Folgen dieser Sichtweise für die Christologie sind offenkundig (Abschnitt 4.5).
Auf diese Weise sieht Teilhard eine befriedigende Möglichkeit, das intellektuelle Problem des Übels beseitigen zu können, indem das Böse als “statistisch unvermeidliches Nebenprodukt
der Einswerdung des Vielen” verstanden wird.36 In einer evolutiven Welt werde verständlich, warum das Böse auftreten muß, nicht so dagegen in einer statischen Welt.
Nach den einleitenden Ausführungen dieses Abschnitts ist eine weitere biblische Bewertung dieser Anschauung nicht mehr erforderlich. Teil-hard (und seine Anhänger) verwenden zur Darstellung ihrer Sichtweise zwar biblisches Vokabular, versehen es aber gegenüber dem traditionellen Verständnis mit ganz neuen Inhalten, die der Evolutionsanschauung konsequent angepaßt sind.
4.4.2	Andere Konzepte
Eine solch vorbehaltlose Auslieferung an die Evolutionsanschauung wird von vielen Theologen nicht nachvollzogen. Sie sehen vielmehr Möglichkeiten, die Gegensätze zwischen der biblischen und evolutionstheoretischen Bewertung des Todes zu vermeiden oder zu mildern. Im folgenden werden ihre Argumente dargestellt und kritisch bewertet.
22	Koster, Urständ 178, über Teilhard.
23	Teilhard de Chardin, Glaube 43.
2< Ebd. 100.
25	Ebd. 100, 102.
26	Ebd. 103.
27	Ebd. 104.
28	Ebd. 160. Auch zu dieser Einschätzung gibt es Teilhard-Vorläufer wie z. B. der schon zitierte Savage. Er verstand das Böse als Symptom einer noch nicht zu ihrer Vollendung gelangten Evolution, als notwendiges Element, um die Evolution selber in Gang zu halten. Es ist eine zeitlich vorübergehende Bedingung des Seins (nach Benz, Endzeiterwartung 166f.; vgl. Moore, Controversies 240).
Dagegen schreibt Teilhard zum Rang und zur Rolle des Bösen in einer evolutionären Welt in einem 1948 verfaßten Nachwort zu “Der Mensch im Kosmos” (S. 325): “Auf diesem Gebiet fühle ich mich, ehrlich gesagt, nicht berufen, Stellungzu nehmen, und es ist auch nicht der Ort dazu.”
29	Schmitz-Moormann, Erbsünde 178.
30	Ebd. 195; vgl. Teilhard de Chardin, Glaube 232.
31	Schmitz-Moormann; a. a. O. 79.
32	Ebd. 81.
33	Ebd. 82.
34	Ebd. 82.
35	Teilhard de Chardin, Milieu 112.
36	Teilhard de Chardin, Glaube 235; vgl. Viallet, Alpha und Omega 210.
fl. Unterschiedliche Qualität des Todes vor und nach dem Fall
Einige Autoren nehmen an, daß der Tod vor dem Sündenfall eine andere “Qualität” hatte. So sehen Boros37, Scheffczyk3*, Schmaus39 u. a. eine Möglichkeit darin, daß die Natur des Leidens und des Todes beim urständlichen Menschen und seine Einstellung dazu anders war: “Aus einer tiefen (und gnadenhaften) Verbindung mit Gott empfand er weder das eine noch das andere als unerträgliche, demütigende Bedrohung. Es war nicht der Schmerz und nicht der Tod (mit seiner Dunkelheit und seinem Gefühl der Vernichtung), wie wir beides heute kennen.”40 Die Andersartigkeit der von der Paradiesesgeschichte gemeinten Welt betreffe die menschliche Bewußtseinslage.41 Nach Boros’ Auffassung hätte der Urmensch keinen Tod im eigentlichen Sinne “erlebt”. “Er hätte sich aus seinem irdischen Leben unmittelbar zu Gott ‘hinübergezeugt’.”42 Schmaus geht in diesem Sinne davon aus, daß der urständliche Mensch das Sterben anders erlebt hätte.43 “Die paradiesische Welt war also keine andere Welt, aber sie war eine anders erlebte Welt.”44
Der Mensch in der Urstandsgnade hätte nach Scheffczyks Auffassung den Tod nicht als die katastrophale Sündenfolge erfahren, wie wir ihn heute erleben. Der Tod sei ursprünglich nicht als einschneidender Umbruch verstanden worden.45 “In ihm wäre . . . die Vollendung des irdischen Daseins erfahrbar geworden als harmonischer Übergang in eine höhere Lebensform, die dem Menschen das unmittelbare Gotterleben geschenkt hätte. Dieser Tod wäre eine Verwandlung des irdischen in den himmlischen Menschen gewesen, die den Menschen nicht mit Leid erfüllt hätte, sondern von ihm als glückhafter Aufgang in die vollkommene Gottgemeinschaft erlebt worden wäre.”*
Ähnlich sieht es auch Rahner: Der “Tod” Adams wäre ohne Sünde, “reine, offenbare, tätige Vollendung . . .”47 Auch Brunner urteilt so: “Nicht daß die Menschen sterben, ist der Sünde Sold, sondern daß sie so sterben, wie sie sterben, in Todesangst, in furchtbarem Todeskampf, in der angstvollen Ungewißheit über das, was jenseits der Todesschwelle liegt... kurzum der uns bekannte Menschentod”.4* Neuerdings bringt
Haag diese Sicht ebenfalls zum Ausdruck: “Nicht der Tod an sich, von dem das Strafwort mit keiner Silbe spricht, ist hier der Inhalt des von Gott angeordneten Verhängnisses, sondern das von den Schrecken des göttlichen Zorngerichtes erfüllte Sterben und letzten Endes auch die Angst vor dem Abgrund des Nichts, dem sich der Sünder nach seinem Scheitern in dieser Welt ausgeliefert sieht.”49 In dieser Linie liegt auch Dessau ers Auffassung, nach der das Leben des Paradieses vergänglich war, wobei man jedoch nicht wisse, wie Gott das Einzelleben des Menschen ins andere Dasein hinübergeführt hätte.50 Auch Hemminger & Hemminger machen einen Unterschied zwischen dem Tod, der in Gottesferne erlitten wird, und dem in vollkommenem Vertrauen auf Gott empfundenen Tod: “Für den ungefallenen, mit Gott verbundenen Menschen ... wäre der biologische Tod wohl tatsächlich ein ‘Übergang’, eine ‘Verwandlung’.”51
Kritik: 1. Ein “Tod” des “Übergangs”, der “Verwandlung” oder “Vollendung” wäre offenbar etwas qualitativ anderes als das, was man gewöhnlich unter dem Tod versteht und fürchtet. Die Bezeichnung “Tod” für den Übergang zum “himmlischen Menschen” wäre unangemessen; folglich wäre die eigentliche Problematik — woher kommtder“furchtbare”,schrecklicheTod - gar nicht gelöst. Für Hemminger & Hemminger rührt die Bitterkeit des Todes vor allem daher, daß der Mensch das Ende seines Lebens nicht von sei-
37	Boros .Paradies 109ff.
38	Scheffczyk, Sündenfall 769; Scheffczyk, Sünde und Tod 163. 19 Schmaus, Paradies 23ff.
40	Koster, Urständ 132.
41	Schmaus, Paradies 23.
42	Boros, a. a. O. 111.
43	Schmaus, a. a. O. 26.
44	Ebd. 24. Er lehnt sich hier an Thomas von Aouin an, der die Dornen und Disteln im realen Sinne schon vor dem Sündenfall als Bestandteil der Schöpfung ansieht, sie seien erst danach für den Menschen zu ebensolchen geworden (Schmaus, Christo-zentrik 39).
45	Scheffczyk, Sündenfall 769.
44 Scheffczyk, Sünde 110f.
47	Rahner, Tod.
48	Brunner, Dogmatik 150.
49	E. Haag, Ursünde 31.
30 Dessauer, Menschenpaar 150.
51 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 167f.
nem Schöpfer annehmen könne.S2 Abgesehen davon, daß für diese Auffassung der Bibel kaum positive Stützen entnommen werden können, spricht die Art und Weise des Sterbens Jesu klar dagegen. Jesus empfand den Tod als bitter, obwohl er im Einklang mit dem Willen des Vaters starb. Am Kreuz Jesu werden alle verharmlosenden, seine Härte überspielenden Vorstellungen über den Tod — auch den leiblichen - zunichte gemacht. Beisser bemerkt hierzu, daß nicht erst der schlecht bewältigte Tod ein Übel ist, sondern der Tod überhaupt. “Und nicht die bessere Hinnahme des nach wie vor bleibenden Todes ist uns verheißen, sondern die Aufhebung des Todes selbst.”53
2.	Außerdem muß man sich fragen - um Bezug zur Evolutionslehre zu nehmen -, wie die letzten tierischen Vorfahren des Menschen den Tod empfunden haben sollen. Man kann entweder annehmen, daß sie wie die heutige Kreatur das Sterben als etwas Schreckliches empfunden haben (die Beute fürchtet sich nicht umsonst vor dem Räuber), oder man müßte postulieren, daß sie gar nichts empfunden haben, was das Sterbenmüssen betrifft. Als Gott dann bestimmte Tiere zu Menschen machte oder werden ließ, müßte dann der “Tod” in einem plötzlichen Umschlag zunächst etwas Positives gewesen sein, obwohl sich an der physischen Konstitution gar nichts geändert hätte. Solche künstlichen Konstruktionen werden jedoch gewöhnlich gar nicht erst durchgeführt und können nicht überzeugen, weil das eigentliche Problem nicht angegangen wird. Man wird kaum um die Feststellung herum kommen, daß evolutionstheoretisch gedacht der Tod des Menschen oder Urmenschen immer der schreckliche Tod war.
3.	Wenn der Tod als Sündenfolge nicht das leibliche Sterben eingeschlossen hätte, wenn vielmehr das leibliche Sterben schon immer wesensmäßig zum Leben und zur Schöpfung gehört hätte, würde unverständlich, weshalb Jesus stellvertretend für die Sünde der Menschheit, die den Tod nach sich zog, leiblich sterben mußte und leiblich auferstand. Auch von der Auferstehung der Gläubigen wird bezeugt, daß sie einen leiblichen Aspekt hat: Johannes spricht von denen, die in den Gräbern Jesu Stimme hören werden
(Joh 5,25.28f.; vgl. vor allem 1 Kor 15).
4.	Auch die Destruktivität von Krankheil und Leid kann nicht dadurch abgemildert werden, daß man annimmt, daß der in ungetrübter Gottesgemeinschaft Lebende das Lebensbedrohende der Krankheit nicht so empfindet. Wird die Krankheit erst dadurch als negativ empfunden, daß man im Ungehorsam seinem Schöpfer gegenüber in Sünde lebt? Die Krankheit an sich ist auch für den Glaubenden lebensvemichtend und schmerzlich. Der Gläubige kann freilich im Vertrauen auf die Güte Gottes das Destruktive der Krankheiten leichter ertragen, weil er weiß, daß auch das Böse nicht ohne Gottes Einwilligung auf ihn zukommt und weil er weiß, daß durch Gottes Wirken auch das Widerwärtige zum Guten mitwirken kann (Röm 8,28; Hebr 12,11).
b.	Die Möglichkeit des frühen Todes als Sündenfolge
Eine andere Möglichkeit, trotz der Existenz des Tödes vordem Auftreten des Menschen den Tod als Sündenfolge zu verstehen, sehen manche Autoren darin, daß der unzeitige Tod Ausdruck der Sünde sein könnte.54 Als Argument wird angeführt, daß viele Stammväter “alt und lebenssatt” gestorben sind und daß der Tod im hohen Alter oft nicht als unnormal empfunden wird. Außerdem setze Gen 3,19 (“bis du zum Staub zurückkehrst”) voraus, daß der leibliche Tod in hohem Alter zur Schöpfung gehöre.55 Zu Röm 5,12ff. bemerkt Beth, daß durch Christus ja der Tod nicht beseitigt worden sei.56
Doch alle diese Argumente sind nicht überzeugend. Zunächst muß berücksichtigt werden, daß das AT den Tod (auch den späten Tod) nicht durchweg unproblematisch sieht (s. o.). Das Sterben im Alter und in Lebenssattheit ist eine Formulierung, die in der Situation nach dem Fall angemessen ist, denn in “diesem Äon” ist die
52	Ebd. 169.
53	Beisser, Eschatologie 14.
54	Z. B. Beth, Entwicklungsgedanke 185.
35	Dieses Argument wurde bereits in Abschnitt 4.3.2 entkräftet.
% Beth, a. a. O. 186.
irdische Lebensspanne nun einmal begrenzt. Wer diese jetzt gesetzte Grenze erreicht, ist in diesem Sinne lebenssatt. Das Urteil des alten Jakob über sein kurzes und flüchtiges Leben (Gen 47,9) spricht eine deutliche Sprache.
Durch Jesus Christus ist der physische Tod zwar nicht beseitigt worden, es gilt aber, daß er noch nicht beseitigt ist. Seine Beseitigung steht für die Gläubigen noch aus. Das Sterben Jesu ermöglicht seinen Nachfolgern die Befreiung vom ewigen Tod, von der ewigen Gottesferne - das gilt jetzt schon —, und die Auferstehung Jesu ist das Angeld dafür, daß die Nachfolger Jesu ihm auch darin folgen werden. Punktuell ist die Realität der Auferstehung durch die Totenauferweckungen Jesu bereits in diesen Äon hereingebrochen. Frühzeitiger Tod ist in unserer Welt im übrigen auch ohne Sünde möglich, z. B. durch nicht vom Menschen verursachte Naturkatastrophen. Umgekehrt kann man aus einem späten Tod nicht schließen, daß hier keine oder vielleicht weniger Sünde vorlag. Die Idee, daß der unzeitige Tod Sündenfolge ist, kann nicht aufrechterhalten werden.
c.	Der Tod ist nur geistlich zu verstehen
Wie bereits in Abschnitt 4.3.2.1 anhand der Texte aus Röm 5 und Gen 2—3 diskutiert, versteht man in der heutigen Theologie weithin den Tod als Sündenfolge ausschließlich geistlich im Sinne der Trennung von Gott.57 Für Bosshard rechtfertigt das Aufbegehren des in der Evolution zu sich selbst erwachten Menschen gegen Gott theologisch — nicht biologisch - den Tod. Das würde heißen, daß der evolutionär bedingte physische Tod nachträglich geistlich aufgrund der Sünde gerechtfertigt wird.58 Nur der geistliche Tod kann damit Sündenfolge und Gerichtszeichen sein.
Doch nach dem in Röm 5 und im einleitenden Teil des Abschnittes 4.4 Gesagten ist diese Lösung nicht haltbar: Jesus starb leiblich und wurde leiblich auferweckt. Das würde keinen Sinn machen, wenn der leibliche Tod etwas ganz Normales wäre. Auch die Auferstehung der Gläubigen hat eine leibliche Dimension (s. o.).
Und schließlich kennt die ganze Bibel die
künstliche Trennung zwischen den verschiedenen Aspekten des Lebens nicht. Man kann Leibliches, Seelisches und Geistliches zwar unterscheiden, aber nicht aus dem ganzheitlich-personalen Bezug lösen (vgl. Abschnitt 2.3).
Der physische Tod infolge des Falles habe nur den Menschen betroffen, meint Schumacher.59 Dies ist nicht glaubhaft, da der Mensch mit der gesamten Schöpfung als ihr Hauptwerk verbunden ist, so daß der Tod den Menschen inmitten einer ansonsten sterblichen und durch Gefahren bedrohten Welt genauso wie die übrige Schöpfung bedroht haben mußte. Der evolutiv entstandene Mensch kann vom physischen Tod nicht ausgenommen gewesen sein.
Nur das moralische Übel als Sündenfolge
Gilkey geht zwar davon aus, daß das Böse nach der Schöpfung gekommen sei, äußert sich jedoch kaum darüber, wie diese Vorstellung im evolutionstheoretischen Rahmen aufrechterhalten werden kann. Er versucht es mit einer Trennung zwischen “natürlichem” Bösem und vom Menschen hervorgerufenem Bösem. Das natürliche Böse war schon immer da: “Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung, Hungersnot und Tod sind also die Ergebnisse der strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängigen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert.”60 Dieses Böse ist also auch für Gilkey Begleiterscheinung der Evolution. Das Böse dagegen, um das es der Bibel geht, betreffe nur den Menschen und meine das von ihm verantwortete Leid, das er sich selbst und seinen Mitmenschen antut.
Daraus würde jedoch die groteske Sicht folgen, daß es bis unmittelbar vor der Menschwerdung nur natürliches Böses gab; ein Vormensch war also nicht “moralisch böse”. Als er dann zum Menschen geworden war, war er zunächst auch
57	Z. B. Hemminoer & Hemminger, a. a. O. 161, 167; Berry, Adam 92, 118.
58	Bosshard, Evolution 114f.; vgl. Vollborn, Tod.
59	Schumacher, Urknall 11 lf.
“ Gilkey, Himmel und Erde 191.
nicht moralisch böse, sondern nur “natürlich böse”. Gab es dann einen Sündenfall, der zum moralisch bösen Menschen führte? Solche Fragen sind unabweislich, sie werden jedoch von Gilkey nicht gestellt. Der Übergang von einem “Ursprung” (der aber nicht zeitlich fixiert werden kann) zu einem “fallsgestaltigen”61 Zustand, in dem es moralisch Böses gibt, bleibt ebenso unscharf wie der Übergang vom Tier zum Menschen.
Brunner meint, es gebe ein Leiden, das der Zeitlichkeit und Leiblichkeit als solcher notwendig verbunden sei. Dieses aus dem Bilde des Gottgeschaffenen zu eliminieren, bedeute nicht weniger, als die Leiblichkeit und Zeitlichkeit des gottgeschaffenen Menschen zu leugnen.62 Für ihn sind nach dieser Argumentation Leiblichkeit und manche Aspekte des Leidens untrennbar verbunden. Diese Koppelung muß aber hinterfragt werden; sie gilt nur für “diesen Äon”, nicht für jede mögliche Schöpfungsgestalt überhaupt.
d.	Der Tod als Folge des Saiansfalls vor der Evolution
Sauer hält es mit der biblischen Lehre für vereinbar, daß Tod und Verderben schon vor dem menschlichen Sündenfall in der Welt gewesen seien.63 Nur müsse dies auf einen uranfänglichen Fall Satans zurückgeführt werden. Der Mensch sei dann nicht der Urheber von Sünde und Tod im Weltall an sich, sondern das Eingangstor dieser schon vorher vorhandenen Sünde in die von ihm abstammende Menschenwelt. fsidt mit gen. (bi ivos ävdpamov; Rom 5,12) sei im Sinne eines Durchgangspunktes zu verstehen. Nach dem Fall Satans sei die Geschichte der Erde durch den Widerstreit zwischen Verderben und Weiterentwicklung, Tod und Leben entscheidend beeinflußt.
Kritik: Es ist biblisch gesehen richtig, daß der Mensch nicht der Urheber von Sünde und Tod an sich ist, sondern den Eintritt der Sünden- und Todesmacht in die Welt ausgelöst hat. Denn nach der Sündenfallgeschichte tritt mit dem Versucher ein bereits von Gott abgefallenes
Geschöpf mit der Absicht an den Menschen heran, ihn zu verführen. Doch ist mit diesem Umstand in keiner Weise begründet, daß der Tod schon vor dem Auftreten des Menschen in der Organismenwelt oder auch nur in der menschlichen Sphäre geherrscht habe. Außerdem kann mit dieser Feststellung die Tatsache nicht übergangen werden, daß es ohne Tod keine Evolution zum Menschen gibt. Das gilt genauso auch dann, wenn der Tod Folge des Satansfalles ist. Daraus würde folgen, daß es ohne den Fall Satans keine Evolution gegeben hätte. Wenn nun aber Evolution die Schöpfungsmethode Gottes sein soll, hieße das, daß es ohne Fall keine Schöpfung gäbe. Die biblisch gesehen unannehmbare Gleichung bliebe unverändert: Ohne Tod kein Leben.
Sauer deutet allerdings an, daß die Evolution ohne den Fall auf eine andere (von ihm nicht näher beschriebene Weise) gelaufen wäre, denn er schreibt, daß die Evolutionsgeschichte infolge des Falles Satans entscheidend beeinflußt worden sei.64 Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß sie ohne den Tod gar nicht abgelaufen wäre. Flier fehlt in Sauers Ausführungen die Rückfrage nach den durch die Evolutionslehre gedeuteten Daten der Wissenschaft.
Lückentheorie (Restitutionstheorie)
Die Bedeutung des Todes im Evolutionsprozeß wird von manchen konservativen Auslegern65 in einen Zusammenhang mit einem Satansfall vor dem Sechstagewerk gebracht. Ausgehend von der Schilderung des biblischen Schöpfungsberichts, wonach die geschaffene Erde im Zustand eines irQI Hin (Gen 1,2) war, vermuten sie eine Zerstörung der ursprünglichen Welt, deren Wiederaufbau (“Restitution”) in Gen 1 beschrieben wird. Man spricht daher von Restitutionstheorie oder Wiederherstellungstheorie.
61	Vgl. Abschnitt 5.5.2.
62	Brunner, Dogmatik 149.
63	Sauer, König 86f.
M Vgl. Alszechy & Fuck und Spaemann in Abschnitt 4.3.33. a Z. B. Bettex, Lied-, Kroeker, Schöpfung-, Sauer, König, vgl.
Schumacher, Urknall 98ff.
Als Argument für diese Sicht wird angeführt, daß das irQI HUI (“Wüste und Leere”) nicht auf ein Schaffen oder ein Wort Gottes zurückgeführt werden könne; es sei für eine Gerichtssituation kennzeichnend. Außerdem bestehe die Möglichkeit, nrvn in Gen 1,2 mit “wurde” zu übersetzen: Die Erde wurde wüst und leer. Zwischen dem ursprünglichen Schaffen Gottes (Gen 1,1) und dem “Wüste- und Leere-Werden” der Erde (Gen 1,2), was als Zerstörung interpretiert wird, könne ein größerer Zeitraum, eine zeitliche Lücke, liegen. Diese Vorstellung wird daher auch als Lückentheorie bezeichnet. Die Fossilien als Zeugnisse des Todes in der Welt werden auf den Satansfall zurückgeführt, der diese Zerstörung verursacht haben soll.
Diese Konstruktion ist aus folgenden Gründen sehr fragwürdig:
-	Die Übersetzung durch “wurde” ist grammatisch nicht möglich. Die Satzstruktur zeigt einen Nomrinalsatz, der durch ein 1 (“und”) mit einem Verbalsatz davor verbunden ist. In einer solchen Satzkonstruktion wird ein Zustand beschrieben, der der Haupttätigkeit (Verbalsatz) zeitgleich ist. Daher kann Hirn nicht mit “wurde” übersetzt werden. Diese Übersetzung wäre möglich (aber auch nicht zwingend), wenn dem Prädikat ein Adjektiv folgen würde.
-	Die Vorstellung eines sekundären Chaos ist nicht verträglich mit dem Zeugnis, daß die ganze Schöpfung vom Schöpfer selber später als “sehr gut” bezeichnet wurde (Gen 1,31). Wenn zum Zeitpunkt dieses Urteils sich bereits widergöttliche Mächte von Gott losgesagt hätten, könnte dieses Urteil nicht in dieser umfassenden Form ausgesprochen werden.
-	Schließlich ist zu bedenken, daß bei der Begründung des Sabbatgebotes (Ex 20,11) gesagt wird, daß Gott Himmel und Erde und alles, was darinnen ist, in sechs Tagen geschaffen (nicht wiederhergestellt) habe.
-	Die häufig vorgenommene Interpretation des inm inn durch ein “Urchaos” und damit als Anklang an außerbiblische kosmogonische Mythen von einem ursprünglichen Kampf der Elemente und Geistesmächte ist aus dem Text nicht zwingend ableitbar. Möglich ist auch die Deutung, daß die geschaffene Erde (zunächst noch)
“ungeformt und ungefüllt” war, in “rohem Zustand”“. inn und irQ werden nicht immer im Zusammenhang mit einem göttlichen Gericht verwendet.
Darüber hinaus hilft die Vorstellung der Lük-kentheorie nicht, die Regelhaftigkeit der Fossilablagerungen67 zu verstehen. Außerdem hätte die biblische Sintflut wiederum keine nennenswerte Spuren hinterlassen, wären die Schichtgesteine und ihre Fossilinhalte auf die postulierte Ur-Katastrophe und nicht auf die Flut zurückzuführen.
Die Lückentheorie erscheint somit als eine unnötige Konstruktion, die historisch durch die scheinbare Übermacht evolutionistischer Entstehungstheorien motiviert bzw. wiederbelebt wurde. Dadurch konnte eingeräumt werden, daß die Erde viele Millionen Jahre alt sei, scheinbar ohne dem biblischen Zeugnis Abbruch tun zu müssen.
e.	Positive Aspekte des Todes und des Leides?
Gegen die eindeutig negative Bewertung des Leides und des Todes wird der Einwand formuliert, daß beides auch positive Aspekte habe: Schmerzen bedeuten z. B. Warnung. So versteht beispielsweise Congar das Übel gleichsam als Voraussetzung für ein höheres und allgemeineres Gut.68 Doch ähnlich wie bei der Bewertung des Todes gilt auch hier: Der positive Aspekt des Leides kann nur unter den Bedingungen “dieses Äons” geltend gemacht werden. Positive Aspekte des Leidens gibt es, insofern es als göttliches Gericht zur Umkehr bewegen und vor Schlimmerem bewahren kann und soll. Um die Notwendigkeit der Umkehr begreiflich zu machen, kann Gott in der von Sünde gezeichneten Welt Leid einsetzen. Die regulierende und zur Umkehr bewegende Wirkung mancher destruktiver Aspekte in der Schöpfung können Leid und Tod an sich jedoch nicht umwerten.
“ Fields, Unfonned.
67 Z. B. befinden sich in tieferen Schichten bis zum Karbon nur Reste von Wasserlebewesen.
** Congar, Übel 621.
Wenn der Christ einer Krankheit in seinem Leben auch Positives abgewinnen kann, ja wenn Paulus sogar sagen kann, daß er lieber abscheiden würde (Phil 1,21—24), so können Krankheit und Tod dennoch nicht als schöpfungsgenuin betrachtet werden. Denn der Christ hat Trost und Hoffnung trotz Krankheit und Tod; er weiß, daß die lebensfeindlichen Mächte nicht das letzte Wort haben. Der Tod ist auch für ihn der letzte Feind (1 Kor 15,26), aber er weiß, daß er besiegt ist. Entsprechend ist für den Gläubigen das Ende des Lebens in diesem Äon zu werten. Es ist insofern positiv, als es einen Einschnitt darstellt, der zum Leben in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott führt. Ist der Tod also nicht doch Leben? Nein, er ist es gerade nicht. Er ist für die Gläubigen der zur Auferstehung und zur Befreiung vom Todeswesen führende Umbruch.
4.4.3	Zusammenfassung
Die Bewertung von Krankheit, Leid und Tod fällt in konsequent evolutionistischer Sicht diametral entgegengesetzt zur Bewertung in biblischheilsgeschichtlicher Perspektive aus. Wie die Sünde ist der Tod mit seinen Begleitphänomenen evolutionstheoretisch gesehen eine notwendige Begleiterscheinung des Werdens. Da der Tod eine unverzichtbare Voraussetzung für eine Höherentwicklung und Entfaltung des Lebens darstellt, wird der Tod in diesem Denkrahmen als positiver, kreativer Faktor der Evolution gewertet. Biblisch gesehen sind Leid und Tod als solche dagegen Verkehrungen und (Zerstörungen der Schöpfung und daher prinzipiell negativ zu werten. Dies wird besonders durch die Auferstehung Jesu deutlich, die als Sieg über den Tod proklamiert wird.
Auch in gemäßigten theistisch-evolutionisti-schen Konzepten müssen Tod und Leid als Schöpfungsmittel angesehen werden. Das Übel in der
Welt ist in allen derartigen Entwürfen eine notwendige Begleiterscheinung des Lebens. Dem Widerspruch zur biblischen Bewertung des Todes soll hier die Schärfe genommen werden durch die Annahme, der Tod habe vor dem Fall eine andere Qualität gehabt und sei ein harmonischer Übergang gewesen. Einen solchen Übergang könnte man jedoch nicht als “Tod” bezeichnen. Darüber hinaus ist im evolutionären Denkrahmen (auch dem gemäßigten) davon auszugehen, daß der Tod immer als katastrophales Ende empfunden wurde, insbesondere bei den tierhaften Vorfahren des Menschen. Hier kann es keinen harmonischen Übergang zum ewigen Leben geben. Auch die Idee, daß die Möglichkeit eines frühzeitigen Todes Sündenfolge sei, kann nicht befriedigen, da im evolutionären Rahmen der unzeitige Tod bei den unmittelbaren Vorfahren des Menschen bereits Vorkommen mußte (z. B. aufgrund von Naturkatastrophen). Hier wird die Evolutionslehre mit ihren Implikaten nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Außerdem wird biblisch gesehen fast durchweg der Tod an sich, nicht etwa nur seine Vorzeitigkeit, negativ gewertet. Aus den genannten Gründen ist auch die Vorstellung abzulehnen, der geistliche Tod und nur das moralische Übel seien Sündenfolge.
In konsequenten wie in gemäßigten evolutionstheoretischen Entwürfen wird der Tod mit seinen Begleiterscheinungen gleichermaßen verharmlost. Dies hat zur Folge, daß die Bedeutung der Erlösungstat Jesu verkleinert wird, denn durch Jesu stellvertretendes Sterben am Kreuz wird die Macht des Todes überwunden (vgl. Abschnitt
4.5).
Der Aspekt des Dämonischen des Todes als Macht (vgl. 1 Joh 3,8; Joh 8,44)69 wird in den meisten Entwürfen faktisch übergangen (vgl. Abschnitt 4.5.4).
69 Vgl. Brunner, Dogmatik 23; Kinder, Erbsünde 67.
4.5	Christologie
4.5.1	Die Person Jesu Christi
Da in konsequent evolutionärer Sichtweise die Begriffe Schöpfung, Urständ, Sündenfall und Erbsünde inhaltlich neu bestimmt werden, resultiert daraus auch eine neue Bestimmung der Identität Jesu Christi und der Bedeutung seines irdischen Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung.1 Denn Jesus Christus ist gekommen, um die Sünde der Welt zu tragen (Joh 1,29) und um das Verlorene zu suchen und zu retten (Lk 19,10). Wenn die Sünde, die Jesus Christus trägt, der Einbruch der Sünde in die Welt und das Verlorensein evolutionär zu verstehen sind, ergeben sich Konsequenzen für eine evolutionäre Christologie. Es ist also folgerichtig, daß Autoren, die konsequent evolutionistisch denken, die Identität Jesu, wie sie das Neue Testament zeichnet, antasten.
In diesem Abschnitt werden hauptsächlich konsequent evolutionstheoretisch ausgerichtete Autoren zu Wort kommen, da Vertreter gemäßigter Vorstellungen sich kaum mit einer “Christologie in evolutionärem Kontext” befassen. Das heißt allerdings nicht, daß gemäßigte Evolutionsanschauungen keine Konsequenzen für die Christologie hätten. Sie werden nur nicht aufgearbeitet. Die Folgen für die Christologie ergeben sich vor allem durch den Zusammenhang der Sündenfallthematik und der Bewertung des Todes (Abschnitte 4.3 und 4.4), aber auch aufgrund anthropologischer Aspekte (Abschnitt 4.1). Die Problematik der gemäßigten Evolutionsvorstellungen liegt teilweise weniger in unannehmbaren dogmatischen Konsequenzen, sondern in fragwürdigen Hilfskonstruktionen (vgl. Abschnitte 4.3.3.3 und 4.4.2). Durch diese Konstruktionen werden evolutionstheoretische Konsequenzen, die das Kernstück der biblischen Botschaft, die Christologie, betreffen, vermieden. Wie gezeigt wurde, ist dies nur mit prinzipiellen Einschränkungen in evolutionären Theoriekonzepten und Denkweisen möglich.
Die Göttlichkeit Jesu und seine Menschwerdung
Konsequent evolutionstheoretisch denkende Autoren lehnen die Göttlichkeit Jesu und seine universale und einzigartige Mittlerschaft zwischen Gott und Mensch ab. Jesus wird zu einem herausragenden Menschen degradiert, der dem Evolutionsgeschehen wichtige Impulse gegeben habe, damit das durch immanente Prozesse zu erreichende Ziel, eine friedliche Kooperation der gesamten Schöpfung, erreicht würde (vgl. Abschnitt 4.6). Von Ditfurth fordert aufgrund seiner evolutionär orientierten Deutung der Welt das Zugeständnis einer grundsätzlichen historischen Relativierung Jesu Christi.2 Denn die universale Mittlerschaft und Göttlichkeit Jesu seien im evolutionären Kontext nicht aufrechtzuerhalten: Von Ditfurth begründet dies damit, daß es — im Rahmen der Evolution gedacht — den Menschen an sich ja nicht gebe, sondern nur verschiedene Stufen im Prozeß der Menschwerdung. Daher sei auch Jesus Christus nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsstufe und könne nicht für Menschen aller Zeiten ein Mittler zu Gott sein. Für den Neandertaler, den von Ditfurth auf einer niedrigeren Evolutionsstufe sieht,3 wäre Jesus Christus, hätten beide gleichzeitig gelebt, ganz unverständlich gewesen. Nicht anders werde es unseren eigenen Nachfahren gehen, die eine höhere Evolutionsstufe erreicht haben werden. Jesus werde für sie zum zurückgebliebenen “Neandertaler von morgen”. Von Ditfurth sieht Jesus nur als Menschen, und zwar als Menschen einer bestimmten Evolutionsstufe.
Die Menschwerdung Jesu versteht Altner als Teil eines immanenten Prozesses. Er schreibt: “Die Theologie steht heute vor der Aufgabe, die
1	Vgl. Oesch, Inspiration 51.
2	Von Ditfurth, Sicht nur von dieser Welt.
5 Fälschlicherweise übrigens, aber an seinem Argument ändert sich dadurch nichts.
Menschwerdung Gottes als Gottes Sein im Werden auszulegen, Gottes Leiden im leidvollen Werden der Geschichte als Befreiung des Menschen zu begreifen.”4 An anderer Stelle schreibt dieser Autor:
‘‘Die christliche Gemeinde bekennt Jesus Christus als den, der da ist, und der da war, und der da kommt. Damit ist nicht so sehr die Inkarnation eines überzeitlichen Gottes gemeint, sondern die Gewißheit zum Ausdruck gebracht, daß in Jesus Christus die Geschichte der Menschheit an eine entscheidende Schwelle gelangt, eine Phase durchläuft, in der eine neue Form der Humanität möglich wird, eine wie immer geartete Hoffnung auf Vollendung des Menschen an Boden und Realität gewinnt. Im Kontinuum der Zeiten, im Fortgang der menschlichen Geschichte, in der Immanenz natürlicher und menschlicher Entwicklungsprozesse konkretisiert sich die Hoffnungauf eine neue Form der Menschlichkeit.”5
Im Licht der Evolution ist die Inkarnation für Daecke nicht auf den Jesus des Evangeliums einzuschränken.6 Sie ist vielmehr die Verheißung von etwas Besserem als Evolution im Sinne der Abhängigkeit von der Selektion und egoistischem Kampf ums Dasein. In Christus sei Gott nicht nur Mensch geworden, sondern in die sich entwik-kelnde Materie eingegangen. Jesus Christus scheine das Ziel und die Vollendung der Evolution über den Menschen hinaus vorweggenommen zu haben. Die Inkarnation Gottes in Jesus Christus versteht Daecke als Vollendung der evolvie-renden Menschheit.7
In seinem Versuch, die christlichen Glaubensartikel in evolutionären Termini auszudrücken, faßt Theissen Jesus Christus als eine unter vielen “Mutationen” menschlichen Daseins auf, durch die etwas grundlegend Neues in die Geschichte eingeführt wurde.8 Jesu Wirken versteht er als Protest gegen den Selektionsdruck, und damit als Bruch mit der biologischen Evolution. “Während die Propheten zu dem Gedanken vordrangen: Verhaltensänderung und Umkehr ist besser als Tod, konkretisiert Jesus die geforderte Verhaltensänderung. An die Stelle des Selektionsprinzips tritt das Solidaritätsprinzip.”9 Theissen spricht von “antiselektionistischer Ethik”.10 “Jesus zielt somit auf eine größere Freiheit gegenüber dem natürlichen und sozialen Selektions-
druck. Er spricht auch den Menschen Lebensmöglichkeiten zu, die physisch und sozial verringerte Lebenschancen haben. Seine Verkündigung ist ein Protest gegen das Selektionsprinzip.”11 Das mutativ Neue bei Jesus zeige sich dabei in der neuen Kombination traditioneller Elemente, während es für die einzelnen Elemente der Verkündigung Jesu durchaus Parallelen gebe.12
In seinem “Grundkurs des Glaubens” befaßt sich Rahner mit einer “Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung”.15 Die evolu-tive Weltanschauung setzt er ausdrücklich als Vorgabe für seine Überlegungen voraus.14 Die Geschichte des Lebens und der Welt insgesamt sieht er als Geschichte einer gegenseitigen Bezo-genheit von Geist und Materie, wobei diese Bezogenheit selbst eine Geschichte hat. In dieser Geschichte erfolgen “Wesensselbsttranszendenzen”, Sprünge in wesensmäßig Neues (Materie -» Leben -* Bewußtsein -* Geist). Rah ner spricht von einem Werden in Selbsttranszendenz, wobei die höheren Stufen nicht mit den alten identisch, sondern kategorial neu seien. Der ganze Prozeß sei zielgerichtet; heute greife der Mensch selbst steuernd in diesen Prozeß ein, die Natur komme in ihm zu sich selbst. Das Zu-sich-selbst-Kommen der geistigen Subjekte sei auch ein Zueinanderkommen. Das Ziel der Welt bestehe in der Selbstmitteilung Gottes an die Welt. In Jesus Christus sei nun die Selbstmitteilung an ihrem Höhepunkt angelangt und endgültig. Schöpfung und Menschwerdung Jesu wer-
I	Altner, Konfliklpartner 456. Altnbr ist ein Repräsenlanl der im angelsächsischen Bereich aufgekommenen Strömung der Prozeßtheologie, die vor allem durch die Prozeßphilosophen Whitehead und Hartshorne beeinflußt wurde; vgl. Cobb & Griffin, Prozeßtheologie.
5	Altner, Grammatik 73f.
6	Daecke, Putting an End 159:“Inthelightofevolution,incarna-tion then is no abstract dogma, applicable only to an histonc Man, i. e. the Jesus of the gospel.”
7	Daecke, a. a. O. 159.
8	Theissen, Biblischer Glaube 114; vgl. dazu Hummel, Evolutionismus 130ff.
* Ebd.
10	Ebd. 146.
II	Ebd. 148.
12	Ebd. 138.
13	Rahner, Grundkurs.
14	Ebd. 180, 182.
den so als zwei Phasen ein- und desselben Vorgangs der Selbstentäußerung und Selbstäußerung Gottes gewertet. “Durch das christliche Dogma von der Inkarnation soll also ausgesagt werden: Jesus ist wahrhaft Mensch mit... seiner Partizipation an der Geschichte dieses Kosmos in der Dimension des Geistes und der Freiheit, an der Geschichte, die durch den Engpaß des Todes hindurchführt.”15
Jesus Christus wird scheinbar nahtlos in den Evolutionsprozeß integriert und als Gipfel der Entwicklung angesehen.16 In den Worten Molt-manns: Es “muß das Verhältnis von Materie und Geist als Geschichte und das heißt auch als Werden und als Evolution zu immer höheren Formen aufgefaßt werden. Naturgeschichte transzendiert sich auf die menschliche Geschichte hin. Im Menschen und seiner freien und bewußten Selbsttranszendenz kommt der Geist gleichsam zu sich selbst.”17 An der Spitze der menschlichen Entwicklung fallen menschliche Selbsttranszendenz und göttliche Selbstmitteilung im “Heilbringer” zusammen. “In ihm transzendiert sich die menschliche Natur in das göttliche Geheimnis.”18
Kritik
a.	Die Göttlichkeit Jesu nach den Zeugen des NT
Die in konsequent theistisch-evolutionstheoreti-schen Entwürfen in Frage gestellte oder bestrittene Göttlichkeit Jesu wird im Neuen Testament zwar nur vereinzelt explizit festgestellt (Joh 10,30; Rom 9,5; Phil 2,6; Kol 2,9; Tit 2,13; Hebr l,8f.; 1 Joh 5,20), doch zeigt sie sich an einer Fülle von Taten und Worten Jesu. Jesus selber verweist angesichts des Unglaubens der Juden auf seine Werke (Joh 10,38), die den Glauben bewirken sollen, daß er und der Vater wirklich eins sind (Joh 10,30). Dies sei beispielhaft an einigen Berichten aus den Evangelien belegt: Jesus spricht dem Gelähmten (Mk 2,1-12) die Vergebung der Sünden zu. Zurecht denken die Pharisäer: “Wer kann Sünden vergeben außer Gott?” (Mk 2,7) Das Alte Testament bezeugt Gott als denjenigen, der die Sünden vergibt (Ps 103,3; 130,4; Mi 7,18 u. v. a.). Jesus belegt seine Vollmacht zur
Sündenvergebung dadurch, daß er den Gelähmten heilt (Mk 2,10-12). Damit gibt er seine Göttlichkeit zu erkennen. Jesus tut das, was Gott tut. In ähnlicher Weise wird die Gottheit Jesu daran deutlich, daß er die Naturgewalten beherrscht, so bei der Stillung des Sturmes (Mk 4,35ff. par). Die Reaktion der Zeugen ist: “Was ist das für einer, daß ihm sogar Wind und Meer gehorchen?” Das Alte Testament gibt dem Kundigen die Antwort. Die Frage enthält im Grunde genommen schon die Antwort: Gott ist es, der das tut (Ex 14; Hiob 38; Ps 18; vgl. Jes 40,12-26). Auch durch das Wunder des Fischzugs (Lk 5,1 — 11) demonstriert Jesus seine Herrschaft über die Schöpfung; das Zeichen zu Kana (Joh 2,1-12) zeigt Jesus als Herrn über die materielle Welt. Durch das Brotwunder (Mt 14) erweist sich Jesus als Schöpfer und damit als Gott.19 Die Schöpfermacht Jesu wird auch durch die Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40-42) deutlich. Die Heilung erforderte Erschaffung neuen Gewebes und erfolgte augenblicklich.
Auch aus vielen Worten Jesu kann man seine göttliche Herkunft entnehmen: “Ehe Abraham ward, bin ich” (Joh 8,58) verweist auf die Präexistenz Jesu. Aus der ablehnenden, ja feindlichen Reaktion der Juden auf diesen Ausspruch wird deutlich, daß Jesus damit Unerhörtes, ja scheinbar Gotteslästerliches behauptet hatte. Jesus bestätigt vor dem Hohen Rat, der Sohn Gottes zu sein (Mt 26,64) und fügt hinzu: “Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.” Damit nimmt Jesus einen Platz für sich in Anspruch, der Gott selber zukommt. Auch hier zeigt die Reaktion des Hohenpriesters und der Zeugen der Verhandlung, daß Jesu Worte eben so verstanden wurden. Des weiteren behauptet Jesus von sich, der Herr über den Sabbat zu sein (Mt 12,8). Das Sab-
15 Ebd. 182; vgl. Feiner & Löhrer, MystSal 571.
14 Vgl. Moltmann, Weg Jesu Christi 324.
17	Ebd. 322.
18	Ebd.
19	Es erinnert an das Psalmwort (Ps 104,27) “Sie warten alle auf dich, daß du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit."
batgebot hatte Gott selber gegeben. Auch mit diesem Ausspruch setzt sich Jesus an Gottes Stelle. Weiter sagt Jesus seinen Jüngern vor der Himmelfahrt, daß ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben sei, eine Aussage, die nur auf Gott selber zutreffen kann. Die göttliche Herkunft Jesu wird schließlich durch seine Auferstehung und Himmelfahrt bestätigt.20 Als letzter Aspekt soll die Schöpfungsmittlerschaft Jesu genannt werden. Jesus ist nach Joh 1,14 das fleischgewordene Wort, durch das alles geworden ist (Joh 1,3). Dies drückt auch Paulus in Kol 1,16 aus: “In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden.” Wenn durch Jesus alles geschaffen wurde, heißt das nichts anderes, als daß Jesus selber Gott ist.
b.	Die Menschwerdung Jesu
Die Menschwerdung Jesu erscheint bei den zitierten Autoren als Teil eines immanenten Naturprozesses, als Zeichen dafür, daß die Evolution eine neue Phase erreicht hat (Altner). Die Inkarnation wird als ein Evolutionsgeschehen verstanden, als Ausdruck dafür, daß die Evolution eine Zukunft hat und ihrer Vollendung entgegengeht, die in Jesus Christus schon beispielhaft vorweggenommen sein soll (Daecke). Nichts zu spüren ist dagegen von der biblischen Botschaft, wie sie besonders im Prolog des Johannesevangeliums und im ersten Brief des Johannes bezeugt wird, daß nämlich Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, um dem Menschen Zeugnis vom Vater zu geben und ihm einen Zugang zu Gott zu verschaffen.
Die Menschwerdung Gottes ist ein freiwilliger Akt der Liebe Gottes. Die Liebe Gottes ist das Motiv für diesen Weg.21 Es ist daher kein Geschehen, das folgerichtig und notwendigerweise im Laufe des Evolutionsprozesses ablaufen mußte. Wenn man schon die Inkarnation in einen globalen Evolutionsprozeß hineinverlegt (was übrigens auch Vertreter gemäßigter Vorstellungen machen müssen), dann müßte wenigstens klar sein, daß sie etwas evolutionär Unableitbares ist. In den genannten Zitaten wird dies jedoch nicht deutlich.
c.	Die Einzigartigkeit Jesu
Die exklusive Mittlerschaft Jesu zwischen Gott und Mensch bestreitet von Ditfurth mit dem evolutionstheoretischen Argument, daß Jesus Christus nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsphase sein könne. Daher könne er nicht für die Menschen aller Zeiten Mittler zu Gott sein, da er weder von Menschen früherer noch späterer Evolutionsstufen verstanden werden könne bzw. konnte. In diesem Rahmen ist Menschsein gegen Tiersein nicht klar abgrenz-bar, vielmehr können nur Abstufungen zwischen Tieren und Menschen unterschieden werden (vgl. Abschnitt 4.1). In einem konsequent evolutionstheoretischen Rahmen, in dem eine Zielorientierung der Evolution auf den Menschen hin nicht gegeben (auch nicht möglich) ist, scheint sich kein Ausweg aus dieser Konsequenz zu eröffnen.22
Die Auffassung, Jesus Christus sei nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsstufe, widerspricht dem Anspruch Jesu, der einzige Weg zum Vater zu sein (Jch 14,6), wie das auch die Apostel verstanden haben (Apg 4,12). Die Einzigartigkeit der Mittlerschaft Jesu hängt damit zusammen, daß er durch seine Tat die Sündenkluft zwischen Mensch und Gott überbrückt hat. Diese Kluft hat sich mit dem Sündenfall aufgetan. Der Mensch lebt post lapsum in der Trennung von Gott (Erbsünde; vgl. Abschnitt 4.3). Nur indem diese Trennung überwunden wird, wird der Weg zu Gott frei. Gibt es dagegen keinen historischen Sündenfall, sondern ist die Sünde des Menschen ein Nebeneffekt der Evolution (Teilhard de Chardin u. a.; vgl. Abschnitt
4.2)	und nicht vom Menschen verschuldet, dann macht der Anspruch der einzigartigen und uni-
20	Goppelt, Theol NT 402; er bezieht sich dabei auf Phil 2,6ff. Barrett, First Adam 16, bemerkt in Phil 2,5-11 eine “negative Korrespondenz” zu Adam.
21	Vgl. die Sendungschristologien bei Joh und Pis.
22	Ein Ausweg wäre die Annahme, daß die biologische Evolution zielgerichtet auf den Menschen verlief und mit ihm zu ihrem Ende kommt. Doch ist diese Annahme evolutionstheoretisch gesehen reine Willkür und hat keine Stütze in den empirischen Befunden der kausalen Evolutionsforschung, da sie keine zielorientierten Mechanismen kennt; vgl. Abschnitt 2.4).
verseilen Mittlerschaft Jesu keinen Sinn. Denn Jesus Christus hat stellvertretend für die vom Menschen verschuldete Sünde den Kreuzestod erlitten. Der Zusammenhang der Erlösungslehre (s. u.) mit der Frage nach dem Einbruch der Sünde ist offensichtlich.
Der Schreiber des Hebräerbriefes verdeutlicht, weshalb Jesus der einzigartige und universelle Mittler zwischen Gott und Mensch ist. Jesu Wirken wird mit dem Amt des Hohenpriesters verglichen. Nur ein heiliger, unschuldiger und sündloser Hoherpriester konnte die Rettung von Sünden bewirken (Hebr 7,26f.; 9,11-10,18). Ist Jesus aber Glied der Evolutionskette, kann diese herausragende Stellung Jesu und die damit verbundene Funktion nicht behauptet werden.
d.	Jesus — ein Kind seiner Zeit?
Jesus Christus hat die biblische Urgeschichte nicht in Frage gestellt, sondern sie ohne Abstriche bejaht (vgl. Mt 19,3-8; 24,37-39). Wenn sich Jesus an dieser Stelle geirrt haben sollte, ist aus diesem Grund die Göttlichkeit Jesu anzuzweifeln. Wenn man argumentiert, Jesus habe sich auf die Wissensstufe seiner Zuhörer gestellt, um sich verständlich zu machen, käme man auch nicht umhin, ihn als Täuscher anzusehen. (Dieses Argument ist im übrigen ohnehin fragwürdig, da evolutionäre Vorstellungen im Altertum geläufig waren und die Zeitgenossen Jesu hier keine Verständnisprobleme gehabt hätten und da Jesus manche jüdischen Vorstellungen kritisiert hat.)
Es gibt keinen Grund, göttliche Attribute Jesus abzusprechen, wenn dies von der Heiligen Schrift nicht ausdrücklich getan wird. Denn Jesus war nach dem Zeugnis des Neuen Testaments Mensch und Gott zugleich. Die Allwissenheit Gottes gilt daher auch für Jesus Christus. Nach Phil 2,5ff. hat Jesus zwar die Herrlichkeit des Vaters aufgegeben; er hat auf Machtausübung verzichtet (vgl. Mt 4,1 — 11; 26,53). Ein Nichtwissen Jesu wird aber ausdrücklich nur in bezug auf den Zeitpunkt seiner Parusie (Mk 13,32) bezeugt. Umgekehrt wird expressis verbis gesagt, daß Jesus das Innere eines jeden Menschen kannte (Joh 2,25), was nach 1 Sam 16,7 Gott zukommt. Jesus hat
seinen Tod und seine Auferstehung vorhergesehen und weist damit ein Wissen aus, das Menschen sonst nicht haben können. Jesus als dem inkarnierten Schöpfer (Kol l,15ff.) das Wissen um Ursprung und Ziel der Welt abzusprechen, erscheint auf diesem Hintergrund unvereinbar mit seiner Göttlichkeit. Die Meinung, Jesu Wissen sei auf das Wissen seiner Zeitgenossen beschränkt gewesen, entspringt der Sichtweise, den Gottessohn aus den Verhältnissen seiner irdischen Umgebung verstehen zu wollen. Das widerspricht aber dem Anspruch Jesu selber, wie er von den neutestamentlichen Zeugen überliefert ist.23
4.5.2	Das Werk Jesu Christi
Die Einzigartigkeit Jesu Christi als universaler Mittler zwischen Gott und Mensch wird unter konsequent evolutionstheoretischen Voraussetzungen bestritten. Welche Folgen ergeben sich daraus für das Verständnis seines Wirkens? Was bedeuten die Taten Jesu, sein Sterben und seine Auferstehung in evolutionärem Kontext?
a.	Christus evolutor
Teilhard de Chardin und seine Adepten24 wollen einen Christus, dessen Züge sich den Erfordernissen einer Welt von evolutiver Struktur anpassen. Christus soll als Retter der Idee und Wirklichkeit der Evolution dargestellt werden.25 Nach seinem Verständnis übernimmt Christus die Führung der Evolution, er ist ein “Evolutor”.26 Als Erlöser ist Christus allenfalls in zweiter Linie zu sehen, ja, Teilhard zeigt geradezu eine Abneigung gegen die Vorstellung einer Wiedergutmachung und Sühne, die mit Jesus Christus gemäß traditioneller christlicher Vorstellungen verbunden sind.27 “Nicht mehr zuerst
23	Auf das komplexe Diskussionsfeld, was das wahre Menschsein Jesu beinhaltet, wird hier nicht naher eingegangen.
24	Wie z. B. Altoer, Hübner, Theissen, Rahner.
25	Teilhard de Chardin, Glaube 95f.
26	Vgl. Schefpczyk, Chrislogenese 146ff.
27	Teilhard de Chardin, Glaube 97f., 173-175.
sühnen und darüber hinaus wiederherstellen; sondern zuerst schaffen [oder über-erschaffen] und deshalb [unausweichlich, aber nebenbei] gegen das Übel kämpfen und für es bezahlen.”2* In einem Diskussionsbeitrag faßt Lay zusammen:
“Für Teilhard ist Christus nicht an erster Stelle der Erlöser. . . . Für ihn ist Christus eine bestimmte Stelle der Evolution, an der die Welt sich mit Gott strukturell eint. Es geht also um ein evolutionäres Geschehen und nicht um ein Erlösungsgeschehen.
... Liebe ist das Ziel, auf das hin sich Mensch und Menschheit entwickeln, auf deren Vollendung und Absolutheit und Ausnahmslosigkeit, sagt Teilhard.
. . . Das Wesentliche ist, daß das Leben Jesu im System Teilhards nicht primär Erlösungsfunktion hat, sondern Erfüllung der Liebe bis zum Schluß ist.”29
Schiwy schreibt über Teilhard: “Erlösung ist die unbeirrbare Gegenwart Gottes in der Materie auch in Sackgassen der Evolution und sein bleibendes Energieangebot auch an den Menschen, der sich verweigert oder aufgegeben hat. Zeichen für dieses Engagement Gottes ist der Kreuzestod Christi.”30 Jesus Christus ist demnach im Evolutionsgeschehen eine wichtige Station in einer allgemeinen Entwicklung zur Liebe hin. Der Kreuzestod Jesu hat also nur noch Zeichencharakter (s. u.). Es ist Ausdruck dessen, daß die durch Evolution sich vollziehende Schöpfung eine “gefährliche, schmerzhafte und abenteuerliche Sache” ist,31 “keine Kleinigkeit, keine Vergnügungsreise”, sondern ein “Abenteuer, ein Risiko, eine Schlacht”, in die sich Gott ganz und gar einlasse. Auf diesem Hintergrund werde das Geheimnis des Kreuzes größer und erhelle sich.32 Jesus Christus wird zum “Symbol” und zur “Geste” des evolutionären Fortschritts. Daß er die Sünden der Welt trägt, heißt für Teilhard: Er ist “derjenige, der strukturell in sich selbst und für uns alle die Widerstände überwindet, die das Viele der Einswerdung entgegenstellt: die der Materie inhärenten Widerstände gegen den geistigen Aufstieg.”33 “Das Kreuz ist das Symbol und die Geste des Christen, der die Welt mit der ganzen Last ihrer Trägheit, aber auch mit ihrem ganzen Elan emporhebt.”34 Es handelt sich um ein “Kreuz, das, weit mehr als den gesühnten Fehler, den Aufstieg der Schöpfung durch An-
strengung symbolisiert. Ein Blut, das weit mehr zirkuliert und belebt als ausgegossen wird.”35 Daecke bemerkt zu Teilhard: “Der ‘Christus-Redemptor’ wird bei ihm zum ‘Christus-Evolu-tor’. Das heißt: die in Teilhards Augen überholte Erlösungs-Vorstellung des ‘Loskaufs’ wird für ihn zur ‘Genese’ in der Evolution.” Christus rettet die Evolution als ihr “Beleber, Beweger, Lenker, Sammler und Einiger, und bewahrt vor allem die Evolution davor, in der Endlichkeit, im Natürlichen steckenzubleiben.”36 Die Inkarnation Gottes in Jesus wird als Vollendung des Prozesses kosmischer Evolution verstanden. “Die Menschwerdung Gottes wird als Vollendung jenes Evolutionsprozesses betrachtet, der empirisch gesehen zur innerweltlichen Menschwerdung hinführte.”37 Die “klassische Theorie der Erlösung” sieht Schmitz-Moormann dagegen “in einer statischen Weltschau gefangen, in der am Anfang alles gut war und in der das Übel erst durch den Menschen in die Welt kam. Die Vorstellung dieser traditionellen Sicht der Erlösung als Versöhnung und Loskauf von den Folgen des Sündenfalls Adams ist ein Unsinn für jeden, der um den evolutiven Hintergrund der menschlichen Existenz in der heutigen Welt weiß.”38
b.	Erlösung: Die Weiterführung und das Ende der Evolution und die Befreiung von ihr
Erlösung erhält im Rahmen des konsequenten, von Teilhard geprägten Evolutionismus einen neuen Inhalt und Stellenwert. Sie wird als ein Aspekt des Evolutionsprozesses und als dessen
28	Ebd. 175.
29	Lay, Diskussionsbeiträge 327L; vgl. Vialiki, Alpha und Omega 214.
30	Schiwy, Schöpfung 72; vgl. Schmitz-Moor mann, Evolution 146f.
51 Teilhardde Chardin, Glaube 103.
32	Ebd.; vgl. Viaijsj, Alpha und Omega 210f.
33	Teilhard de Chardin, a. a. O. 104.
39 Ebd. 160.
35	Ebd. 175; vgl. 195,259.
36	Daecke, Evolution 240L; vgl. Teilhard de Chardin, a. a. O. 186.
37	Daecke, a. a. O.
38	ScHMrrz-MooRMANN, Möglichkeiten 92.
Weiterführung und Vollendung angesehen.39 Daecke faßt zusammen, was Erlösung für Teil-hard nicht (mehr) ist: “Die Erlösung ist für Teil-hard kein - wie er einmal etwas karikierend schreibt — ‘Reparieren’, kein ‘Sühnen’ mehr, Christus ist nicht mehr derjenige, der die Sünden der schuldigen Welt trägt, das Kreuz ist nicht mehr ‘das Zeichen eines Sieges über die Sünde’.”40 Stattdessen gilt: “Der gekreuzigte Christus ist das Symbol der Überwindung der Not der kosmischen Entwicklung.”41
Diese Gedanken wurden vielfach aufgegriffen.42 Koltermann folgt Teilhard de Chardin, wenn er Christus als den “Punkt Omega” ansieht, auf den die ganze Schöpfung zugeht.
“Das Ziel von Schöpfung und Evolution ist nicht einfach der Mensch, wie er tatsächlich bisher bei der Evolution herausgekommen ist. Das Ziel von Schöpfung in Evolution ist der Mensch Jesus Christus. Was Menschsein im eigentlichen bedeutet, ist an seiner Güte, seiner Wahrhaftigkeit, seinem Erbarmen, seiner Liebe und Hingabefähigkeit und seinem Starkmut im Leiden abzulesen. Ziel der Schöpfung in Evolution ist nach den Aussagen des Neuen Testamentes, christusförmig zu werden, die Gestalt, das Gewand Christi anzuziehen.... Christus als Gottmensch ist der Punkt Omega, auf den zu die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt (Röm 8,22).”43
Für Hübner, für den der Sündenfall ein Bild ist, das zeigt, wie der Mensch sich in seinen eigenen Wünschen und Interessen verstrickt, heißt Erlösung: “Jesu Glauben und Handeln, sein Geschick und seine österliche Herrschaft reißen heraus aus dieser Verdammnis und bringen auf den Weg der Freiheit, die das Angeld einer besseren Zukunft ist.”44 In der Konsequenz ergibt sich, daß es “nicht der Buße” (einer Umkehr des Willens, Denkens und Handelns), sondern der “Therapie” bedarf: “Sünde wird begriffen als ein Nebenprodukt der Evolution, und man hofft, im Laufe weiterer Evolution, durch die unbewußte Evolution des Lebendigen überhaupt oder durch bewußte gesteuerte Evolution des Lebendigen durch den Menschen, diese Fehlerhaftigkeit auszumerzen.. .”45
Nach Theissen besteht vor dem Hintergrund seines evolutionären Sündenverständnisses46 Rechtfertigung darin, daß Gott die fragwürdigen Anpassungsversuche der Menschen an die zen-
trale Wirklichkeit Gottes gelten lasse. Gott bejahe sie unabhängig von ihrem Gelungen- oder Mißlungensein.47 Offenbar ist somit das Bemühen (seine Anpassungsversuche) des Menschen für seine Rechtfertigung vor Gott entscheidend.
c.	Die Bedeutung des Kreuzes
Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu kam in den bisherigen Zitaten schon gelegentlich zur Sprache. Der Sühnecharakter des Kreuzes wird in konsequent evolutionistischer Sicht relativiert oder ganz aufgegeben. Dem entspricht die bereits festgestellte Verharmlosung der Sünde. Denn wenn Sünde nicht Schuld vor Gott, sondern unvermeidlicher Nebeneffekt der kosmischen Evolution ist, kann der Kreuzestod Jesu nicht Sühne für die Sünde bedeuten. Schmitz-Moor mann hebt hervor, daß ein Begreifen des Kreuzes zunächst ein Absehen von dem sich als sekundär erweisenden Sühnecharakter verlange, “um sich zu dem eigentlichen konkreten Geschehen am Kreuze selbst zuzuwenden, das sich als Sterben par excellence darstellt.”48 Köster faßt zusammen: “Das Kreuz ist nur sekundär Sühne für Sünde als je einzelnes Verfehlen des Heiles. In erster Linie ist der dort erlittene Tod als notwendiger Bestandteil der (in der Inkarnation übernommenen) Schöpfungsstruktur zu verstehen, dann als Durchgangsphase zu der durch diesen Tod definitiv angebotenen Vereinigung mit Gott
39	Schmitz-Moormann, Evolution 136.
40	Daecke, Teilhard 367.
41	Scheffczyk, Christogenese 149.
12 Z. B. J. Hübner, Biologie i 19ff.; Bresch, Alpha-Bedingungen; von Ditfurth, Nicht nur von dieser Welt, von Ditfurth, Ende, von Ditfurth, Gott.
43	Koltermann, Schöpfung 63.
44	J. Hübner, Biologie 81.
45	Broker, Sünde 35.
* “Mangelndes Vermögen, adäquate Anpassungsstrukturen an die letztgültige Realität zu verwirklichen”, vgl. Abschnitt 4.2.1
47	Theissen, Christlicher Glaube 214.
48	Schmitz-Moormann, Erbsünde 236. “Ist aber der Tod das sichtbarste Zeichen der Heilsbedürftigkeit des Menschen und gehört der Tod wesentlich mit zur Struktur des Menschseins, so wird die Annahme des Todes notwendig zunächst einmal um der Inkarnation willen, die die Schöpfungsstruktur eben nicht sprengt” (237).
(Sinnerfüllung).”49 Nach Schmitz-Moormann ist das so verstandene Heil bereits im Schöpfungsplan vorgesehen.50
Die Bedeutung des Kreuzes Jesu wird auch bei Altner grundlegend evolutionär angepaßt gedeutet. Das Kreuz sei ein memento mori, eröffne aber auch “demjenigen, der nicht die Augen verschließt, einen Neuanfang, den Mut, ungeachtet der Sterblichkeit menschlicher Existenz im Zeichen von Mitmenschlichkeit und Solidarität den Schritt nach vorn in eine offene Zukunft zu tun.”51 Von Sündenvergebung und Rechtfertigung ist in diesem Zusammenhang auch bei Altner keine Rede.
d.	Erlösung als ein Aspekt der Schöpfung
Schöpfung (= Evolution), Inkarnation und Erlösungsind für Teilhard de Chardin drei Seiten ein und desselben Unternehmens und nicht drei aufeinanderfolgende “Überarbeitungen”.52 Die Erlösungsbedürftigkeit ist weder von der Erbsünde noch von der Sünde überhaupt herzu begründen. “Die Evolution ist [bei Teilhard] identisch mit der ‘eucharistisation’ des Universums, der Wandlung des Kosmos in den Leib Christi.”53
Das Zusammenfallen von Schöpfung und Erlösung wird in der Auffassung Teilhards dadurch deutlich, daß Schöpfung notwendigerweise vom Übel als Nebenprodukt begleitet wird. Da Gott mittels der Evolution schafft, muß er das Übel notgedrungen als Schöpfungsmittel einset-zen. Daraus folgt: “Indem Gott schafft, verpflichtet er sich, wider das Übel zu kämpfen und folglich auf die eine oder andere Weise loszukaufen.”54 Dies geschehe dadurch, daß die Evolution schließlich an ihr Ziel kommt.
Auch in der Sicht Schmitz-Moormanns sind “Schöpfungskonzeption und Heilskonzeption ‘kongruent’.”55 Die Inkarnation versteht er als Krönung der evolutiven Leiter “komplexifizie-render Vereinigungen”: die Schöpfungsstruktur werde (durch Verbindung mit Christus) Heilsstruktur.56
Zusammenfassend seien die Inhalte einer konsequent evolutionären Christologie zusammenge-
stellt (wobei diese Inhalte nicht gleichermaßen von allen erwähnten Autoren vertreten werden):
1.	Jesus Christus ist ein Höhepunkt der Evolution.
2.	Jesus ist in erster Linie (oder sogar ausschließlich) Evolutor, erst in zweiter Linie (oder gar nicht) Redemptor. In konsequent evolutionärer Perspektive wird Jesus mehr unter dem Aspekt der Weiterbildung, weniger unter dem der Wiederherstellung gesehen.
3.	Erlösung bedeutet Befreiung von den Nebenwirkungen der Evolution.
4.	Schöpfung und Erlösung sind identisch. Sie gehen Hand in Hand, weil der Schöpfungsvorgang notwendigerweise mit dem Nebeneffekt des Übels verbunden ist, das durch weitere Evolution überwunden werden soll (= Erlösung).
49 Koster, Urständ 205.
30 ScHMrrz-MooRMANN, a. a. O. 235.
51	Altner, Evolution 271.
52	Teilhard de Chardin, Glaube 67, 160L, 186, 233, 237; vgl. ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 95; Daecke, Zeilhard 251.
53	Benz, Endzeiterwartung 244.
54	Teilhard de Chardin, Glaube 52.
53 ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 220.
% Ebd. 234f. Auch hierzu gibt es frühe Vorläufer: H. Drummond (1851-1897; nach Benz, a. a. O. 172f.; von Benz quasi als Vorläufer Teilhards angesehen, s. o.) will die Gesamtentwick-lung des Lebens von ihrem Ziel her als heilsgeschichtlichen Prozeß ansehen. Dieser sei durch das Kommen Jesu Christi in eine letzte Phase der Annäherung an die Vollendung in Gott eingetreten. Die Evolution finde ihren Abschluß und ihre Vollendung in der durch Jesus Christus eröffneten Epoche der Menschheit. Das Ziel der Evolution für den gegenwärtigen Menschen bedeute, dem Ebenbild des Sohnes gleich gemacht zu werden (Röm 8,29). Die christliche Heilsgeschichte sei der Abschluß und die Aufgipfelung der Gesamtentwicklung des Lebens (174). Auch im Bereich der natürlichen Evolution seien viele berufen und nur wenige auserwühlt (Mt 20,16). Auch bei Beth, Entwicklungsgedanke, wird die Bedeutung Jesu “nicht als einmaliger Einbruch eines Offenbarungsereignisses in die menschliche Geschichte verstanden, sondern als ein Beginn einer neuen Entwicklungsstufe, deren Ziel die fortschreitende Transformierung der Menschheit in die durch Jesus Christus eröffnete Seinsweise ist” (Benz, a. a. O. 191). “Die Organisationsstufe der Menschheit auf Erden ist der Durchgangzu einer höheren Entwicklungsstufe, der durch die Jesus-Offenbarung für alle Menschen im Prinzip eröffnet ist” (Beth, a. a. O. 268).
Kritik
a.	Jesus: Evolutor oder Redemptor?
Wiederholt wird behauptet, theistisch-evolutio-nistische Entwürfe tasteten den Inhalt des christlichen Glaubens nicht an, sondern würden ihm lediglich eine zeitgemäße Formulierung geben. Angesichts der geschilderten evolutionären Christologien muß diese Ansicht zurückgewiesen werden. Die neutestamentlichen Autoren bezeugen Jesus als “das Lamm Gottes, das der Welt Sünden hinwegnimmt” (Joh 1,29), “der sich als Lösegeld hingab” (1 Tim 2,6; Mt 20,28), der gekommen ist, “um das Verlorene zu suchen und zu retten” (Lk 19,10). Davon ist in den evolutionistischen Entwürfen nicht die Rede.
Wenn es - biblisch gesehen - auch richtig ist, daß Jesus Christus mit der Erlösung auch neues Leben bringen wollte (Joh 10,10b), so ist doch letzteres ohne ersteres nicht möglich. Ohne Sündenvergebung und ohne Versöhnung mit Gott gibt es biblisch gesehen kein neues Leben (vgl. Eph 2, lff.). Das neue Leben verstehen die Autoren des NT nicht als Verbesserung oder Steigerung des bisherigen Lebens, sondern als etwas völlig Neues (2 Kor 5,17). Es wird mit einem neuen Kleid verglichen, das angezogen werden muß (Kol 3,10; Eph 4,24).
Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments nimmt Christus eine souveräne Stellung gegenüber der Welt ein. Er kann daher - gegen Teilhard -nicht als innerweltliche, kosmologische Kraft verstanden werden. “Als schöpferischer Urgrund des Alls soll Christus gerade nicht als kosmologische Größe verstanden werden, sondern als überirdische Macht und Wirklichkeit.”57 In Kol 2,8ff. wird Jesus Christus ausdrücklich den “Elementen der Welt” gegenübergestellt und nicht etwa unter sie subsummiert.58
Jesus als Vervollkommner der Evolution zu sehen, ist außerdem selbst im Rahmen einer theistischen Evolutionsschau sehr fragwürdig. Denn wenn Gott durch Evolution geschaffen haben soll, so bedeutete die Notwendigkeit des Kommens Jesu, um die Evolution voranzubringen, daß die gewöhnliche evolutionäre Schaffensmethode Gottes ungenügend war, um die
Evolution ans Ziel zu bringen. Gott hätte dann durch Jesus Christus zusätzlich auf den Evolutionsprozeß eingewirkt, um dadurch einen Fortschritt zu ermöglichen, der sonst ausgeblieben wäre. - Wenn andererseits Jesus Christus keine besondere Rolle in der Evolution gespielt hätte, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht, bliebe ihm nur die Rolle eines Evolutionsprinzips. Er könnte nicht als Person gedacht werden, die die “Zeiten wendete”.
In Theissens Konzeption widerspricht dessen Rechtfertigungslehre dem evolutionistischen Rahmen, wenn die “Anpassungsversuche von Menschen”an die letztgültige Realität unabhängig von ihrem Gelingen von Gott akzeptiert werden.
b.	Verlust der Kreuzestheologie bzw. evolutionär angepaßte Interpretation des Kreuzestodes Jesu
Die Frage, ob Jesu Tat einen Evolutionsschub oder die Erlösung von der Sünde (Trennung von Gott) erbrachte, hängt mit der Bedeutung des Kreuzestodes eng zusammen. Im einen Fall geht es um die Befreiung unverschuldeter Mängel des Evolutionsprozesses, die mit Notwendigkeit als Nebeneffekt auftreten, im anderen Fall um die Wiederherstellung einer zerstörten Beziehung. Die Erlösung ist im einen Falle eine Phase der Höherentwicklung, im anderen die Beendigung einer unheilvollen Tendenz der Bewegung von Gott weg.
Anstelle eines Zurechtbringens der verdorbenen Schöpfung durch das Knechtwerden (Phil 2) und Sterben Jesu (wobei das Zurechtbringen allerdings bis zur Parusie nur verborgen und zeichenhaft geschieht) tritt ein Verbessern
57	Scheffczyk, Christogenese 162.
58	Delung, <7roixecu: Der Sinn von oxotycTov in Gal und Kol isi von den außertestamentlichen Bedeutungen her zu bestimmen. Danach ist bei der Wendung cnoiyeTa xov Koopovan die Grundstoffe zu denken, aus denen alles im gesamten Kosmos, einschließlich des Menschen, zusammengesetzt ist. In Kol 2,8 steht die Wendung parallel zu /eener rf/v napädooiv TÜrv avdpamaiv: Menschenüberlieferungen, “unzulängliche Träger des menschlichen Seins”.
eines schon lange ablaufenden Evolutionsprozesses, der mit einem Schöpfungsprozeß identifiziert wird. Auch das fügt sich in die evolutionstheoretisch motivierte Sicht ein, daß Schöpfung und Erlösung nicht mehr wesentlich zu unterscheiden, sondern beides Aspekte bzw. Phasen ein und derselben Realität sind.59
Das Neue Testament bezeugt vielfach, daß die Erlösung des Menschen aus seiner unheilvollen Situation einen großen Preis kostete. Gott gab seinen Sohn (Joh 3,16), er erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns starb, als wir noch Feinde waren (Röm 5,8). “Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Kreuz hinaufgetragen” (1 Petr 2,24). “Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen” (1 Petr 3,18). Jesus, das Lamm, hat mit seinem Blut Menschen für Gott gekauft (Offb 5,9). Dieses zweifellos bedeutende Thema des Neuen Testaments ist in konsequent evolutionärer Perspektive bedeutungslos.
c.	Die Opfer der Evolution
Moltmann kritisiert die TEiLHARDSche Sicht vom Christus evolutor, daß Christus, ohne Erlöser zu sein, ein grausamer Christus selector werde (vgl. Abschnitt 4.7.2).60 Mit demselben Argument kritisiert er Rahner: “Zwar kennt der Begriff der ‘Selbsttranszendenz’ nicht wie der Begriff der Evolution das Selektionsverfahren, aber er macht auch nicht auf die Opfer aufmerksam, die der Vorgang faktisch kostet.”61 Dennoch setzt Moltmann Christus ebenfalls in eine positive Beziehung mit der Evolution der Natur. Allerdings müsse Christus als “Opfer unter Opfern der Evolution” erkannt werden. Er dürfe nicht nur als Gipfel der Entwicklung, sondern müsse auch als Erlöser dieser Entwicklung von ihren Zweideutigkeiten gesehen werden. Der Gekreuzigte sei im Geist bei den Toten von Hiroshima präsent gewesen, nicht bei den Erfindern der Atombombe, deren Leistung Teilhard als letztlich evolutionsfördernd pries (vgl. Abschnitt 4.4.1). “Nicht einmal die beste aller möglichen Evolutionsstufen rechtfertigt die Opfer der Evolution
als unvermeidlichen Dünger solcher Zukunft.”62 Christus müsse zum Erlöser der Evolution werden, wenn er mit ihr zusammengedacht werden soll.
In der Auferweckung der Toten liege die Erlösung der stets zweideutigen Evolution.63 Eine Erlösung durch die Evolution selber gebe es nicht, da mit dem Werden notwendig auch ein Vergehen verbunden sei.
Die Kritik Moltmanns an Teilhard ist jedoch unzureichend. Wenn Christus auch als Christus redemptor, als Mitleidender an der Evolution, ein Christus evolutor bleibt,64 dann stehen wir vor dem Widerspruch, daß Christus die Welt von der Evolution erlöst, die er selber inszeniert hat und an der die Welt leidet. Christus leidet nicht mehr stellvertretend für die Sünde, sondern als Hauptverantwortlicher für die Evolution. Die dreigliedrige Auslegung der Schöpfungsmittlerschaft Jesu: Christus als “Grund der Schöpfung” - als “Triebkraft der Evolution der Schöpfung” und als “Erlöser des ganzen Schöpfungsprozesses”65 ist folglich ein Widerspruch in sich.
d.	Gottes Handeln aus Liebe oder Automatismus der Evolution?
Scheffczyk vergleicht die Erlösung in der Sicht Teilhard de Chardins mit der von Paulus beschriebenen Erlösung und hebt darin den Gegensatz zwischen den Notwendigkeiten evolutionärer Entwicklung einerseits und der Freiheit des göttlichen Erlösungshandelns andererseits hervor.66
“Für Teilhard sind das Christusereignis und die Erlösung eine ‘Funktion’ oder wenigstens eine Verlängerung der kosmischen Evolution; die Erlösung und... Vollendung sind Teilmomente der Na-
M Vgl. Daecke, Teilhard 367ff.
60	Moltmann, Weg Jesu Chrisli 320.
61	Ebd. 324.
62	Ebd. 321.
63	Ebd. 327.
M Auch für Moltmann, a.a.O. 310, ist Christus “Triebkraft der Evolution der Schöpfung (creatio Continua)”.
65 Ebd. 310.
“ Scheffczyk, Christogenese.
turgeschichte des Kosmos.... Bei Paulus dagegen sind Christusgeschehen wie Parusie rein gnadenhaft aus der Transzendenz einbrechende Ereignisse, die freilich auch für den ganzen Kosmos eine Folge haben, die aber nicht von der Geschichte des Kosmos abhängig sind.”67
Das Christusereignis ist für Teilhard eine Fortsetzung der Evolution auf einer höheren Stufe, für Paulus dagegen ein Neuanfang und radikaler Umbruch des alten, der aufgrund einer vorausgehenden menschlichen und (wegen der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Kosmos) auch kosmischen Katastrophe notwendig wurde.68 Erlösung ist niemals ein Moment einer naturgesetzlichen, notwendig verlaufenden Evolution, sondern “das alles natürliche Verlangen und Bemühen des Menschen transzendierende ungeschuldete Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit.”69 Sie geschieht nur durch das Handeln und Eingreifen Gottes in Jesus Christus (Apg 4,12; Joh 14,6).
e.	Kontinuität oder Umbruch?
Mit der Alternative “Kontinuität oder Umbruch” ist ein weiterer Gegensatz angesprochen: Während evolutionistisches Denken die Kontinuität der Weltgeschichte hervorhebt, bezeugt die biblische Überlieferung immer wieder das unvorhersehbare, freie Handeln Gottes, das auch in seinem Erlösungswerk an keine Gegebenheiten dieser Welt gebunden ist.
f.	Was gehört zur Kirche?
Teilhard de Chardin sieht im Evolutionsprozeß eine wachsende Verchristlichung der ganzen Welt.70 Er rechnet auch die naturhaft-biologischen und physischen Kräfte zum Leib Christi, zur Kirche.
Im Epheser- und Kolosserbrief wird aber die Kirche vom “Leib” des Kosmos unterschieden. Die Aufbauelemente des Leibes Christi, der Kirche, sind immer nur die Gläubigen (Eph 1,23;
2,1	lff.; Kol 1,18.24; Apg 20,28).71
In ähnlicher Weise vereinnahmt Teilhard auch den Begriff des “Pieroma” (“ganze Wesensfül-
le”) für seine evolutionistische Schau. Während der Begriff in Kol 1,19 auf den geschichtlichen Jesus, in Kol 2,9 auf den erhöhten Christus bezogen wird, verwendet Teilhard ihn für den durch evolutive Reifung der Menschheit entstehenden Superorganismus, der aus der ganzen Menschheit und der außermenschlichen Welt besteht.72 Hier werden biblische Begriffe inhaltlich evolu-tionistisch neu bestimmt.
g.	Christusähnlich werden durch Evolution?
Schließlich sei noch bemerkt, daß das Christus-förmig-Werden, von dem das Neue Testament spricht, nichts mit Evolution zu tun hat, sondern Veränderung bedeutet, die nur unter der Voraussetzung, in Christus eine neue Schöpfung zu sein, möglich ist, als Lebensstil, den Christen in der Gottesbeziehung verwirklichen können. Das Christusförmig-Werden auf den Evolutionsprozeß zu übertragen, ist eine Vereinnahmung dieses Gebotes für die evolutionistische Schau.
Ebensowenig entspricht die evolutionäre Auslegung von Röm 8 als Seufzen der Schöpfung auf die Vollendung der Welt hin der Intention des Textes (vgl. dazu Abschnitt 4.3.2.2).
4.5.3	Auferstehung
Die Auferstehung, zentrale und entscheidende biblische Heilsbotschaft und bedeutender Inhalt der christlichen Hoffnung, wird von den konsequent theistisch-evolutionistisch denkenden Theologen wenig thematisiert. Die meisten Autoren, die eine theistische Evolutionslehre vertreten, äußern sich zum Inhalt der Realität der Auferstehung vor dem evolutionären Hintergrund nicht. Ein Zusammenhang mit den
67	Ebd. 168.
68	Ebd.
69	Scheffczyk, Weltevolution 175.
70	Teilhard de Chardin, Milieu 105.
71	Vgl. die Kritik, bei Scheffczyk, Christogenese 164f.
72	Teilhard de Chardin, Milieu 45, 56; vgl. Scheffczyk, Christogenese 166.
Inhalten der Evolutionslehre wird in der Regel nicht thematisiert. In der vorangegangenen Diskussion um den Sündenfall und die Bewertung des Todes wurde jedoch deutlich, daß ein enger Zusammenhang besteht (vgl. die Abschnitte 4.3.3.2, 4.4 und besonders 4.4.2), weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen sei.
Einige Autoren passen den Auferstehungsbegriff jedoch ausdrücklich an die evolutionäre Weltanschauung an. So versteht Altner Auferstehung und Leben unter evolutionärer Perspektive folgendermaßen:
“Leben kann nun nicht mehr einfach Unsterblichkeit und pure Jenseitigkeit sein, Auferstehung in einem objektiv abgeschlossenen Sinne, sondern nur mitleidendeTeilhabe am Geschehen der Evolution in seiner vollen Breite und seiner geschichtlichen Tiefe... Die mit der Auferstehung gemeinte unun-terdrückbare Wirklichkeit des Lebens, die sich immer wieder gegen die Wirklichkeit des Todes durchsetzt, erscheint in der Dynamik der Lebenssteigerung, wie sie uns die Evolution vor Augen führt. Das müßte die Rede von der Auferstehung und der Erlösung und der Neuwerdung des Menschen immanenter machen, als es uns bislang geläufig war. Freilich bleibt die Unverfügbarkeit des in der Evolution erscheinenden Lebens gewahrt dadurch, daß es um den Preis der Todesverdrängung verfehlt und zerstört und nur im Eingeständnis des eigenen Sterbenmüssens erlitten und erfahren werden kann.”73
Kritik: Die Beschreibung Altners bedeutet eine starke Einschränkung der Auferstehungsrealität, wie sie die biblischen Zeugen verstehen. Auferstehung ist zwar tatsächlich mehr als Jenseitigkeit, aber dieser Aspekt gehört wesentlich zur Auferstehungsrealität, ja er ist die Basis dafür, daß die Realität der Auferstehung sich auch in den Gläubigen auswirkt (Eph l,19f.; Phil 3,10). Sie ist bei weitem nicht nur “mitleidende Teilhabe”. An dieser Stelle sei auch an die in Abschnitt
4.4.1	erwähnte Vorstellung Altners erinnert, daß eine endgültige Todesaufhebung als Ziel und Abschluß der evolutiven Selbstüberhöhung des Lebens anzusehen sei. Die Hoffnung darauf sei nur auf dem Weg über die im Leiden vollzogene Teilhabe am Tod zu haben, auch wenn das Leben über diesen hinausgehe und hinaustrage.
Im Rahmen einer naturgesetzlich verlaufenden Evolution wird auch der Auferstehungsbe-
griff in diesem Denkraster inhaltlich gefüllt. Auferstehung wird immanentisiert. Ihre Bedeutung wird dadurch verändert, daß der Tod verharmlost wird (vgl. Abschnitt 4.4), denn die Auferstehung ist der Sieg über den Tod.
Eine erhebliche Beschränkung des Inhalts der Auferstehungsbotschaft ist auch bei Bosshard zu verzeichnen. Er meint, Jesus besiege durch seine Auferstehung den gewaltsamen Tod.74 An seinem neuen Leben gebe er fortan den Menschen Anteil. Wenn aber nur der gewaltsame Tod überwunden sein soll, kann daraus keine Hoffnung angesichts des gewöhnlichen Todes begründet werden.
Paulus stellt in 1 Kor 15,12ff. fest, daß die Auferstehung Jesu einen unverzichtbaren Bestandteil des christlichen Glaubens und Lebens bildet. Wenn die Auferstehung Jesu nicht Realität ist, ist der Glaube wertlos (1 Kor 15,14), und der Mensch verbleibt in seinen Sünden, denn die Auferstehung Jesu ist die Beglaubigung des Sühneweges Jesu durch Gott (vgl. Phil 2,9; Apg 17,31). Ohne die Auferstehung Jesu fehlt diese Bestätigung. Ladd kommentiert: “If Christ is not risen from the dead, the long course of God’s redemptive acts to save his people ends in a dead-end Street, in a tomb.”7S Paulus stellt weiterhin die Auferstehung Jesu in einen engen Zusammenhang mit der Auferstehung derjenigen, die Jesus nachfolgen. Ihm folgen alle, die ihm angehören (1 Kor 15,22), auch in der Auferstehung. Andernfalls gilt: “Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus gehofft haben, ist unser Elend größer als das aller anderen Menschen” (1 Kor 15,19). Ohne Auferstehung sind alle Menschen im Elend, das Elend ist jedoch größer, wenn man als Nachfolger Jesu mancherlei Nachteile bis hin zur Verfolgung in Kauf nimmt, ohne einen Vorteil davon zu haben. Daraus wird deutlich, daß die persönliche Auferstehung entscheidend wichtig für die Gestaltung des hiesigen Lebens ist.
Die Auferstehung hat aber auch eine universale eschatologische Bedeutung.76 “Jesus’ resur-
73	Altner, Konfliktpartner 465.
74	Bosshard, Erschafft die Well 156 73 Ladd, A/T 318.
76 Vgl Künneth, Auferstehung 235ff.
rection is not an isolated event that gives to men the warm confidence and hope of a future resur-rection; it is the beginning of the eschatological resurrection itself.”77 Die leibhaftige Auferstehung Jesu ist Zeichen dafür, daß die neue Welt Gottes sicher kommen wird, denn sie ist mit ihr punktuell bereits in diese Weltzeit hereingebrochen.
Das leere Grab ist für diesen Sachverhalt insofern entscheidend, als es Zeichen für die Realität der Auferstehung ist. Wenn auch das leere Grab alleine noch keinen Glauben an Jesus Christus als den persönlichen Herrn und Retter bewirkt, wie die Reaktionen der Frauen und Jünger am Ostermorgen zeigen, so ist es doch der “greifbare” Ausdruck einer mächtigen Realität.
Das leere Grab zeigt weiter, daß die Auferstehung eine leibliche Seite hat; Auferstehung betrifft nicht nur das Geistige.78 Paulus bemüht sich im “Auferstehungskapitel” 1 Kor 15 des weiteren, durch Bilder und Vergleiche verständlich zu machen, was mit der Auferstehung gemeint ist. Wie die Toten auferweckt werden und welchen Leib sie haben werden, kann man nicht sagen (V. 35f.), aber die Auferstehungs/etMc/ifcdf ist Realität. Den Auferstehungsleib kann man sich genausowenig vorstellen, wie die Gestalt einer Pflanze, wenn man nur ihren Samen kennt (V. 37f.). Klar ist aber, daß es sich um ein anderes Leben und um eine andere Leiblichkeit handelt, als wie wirsie kennen. Im Vergleich zur Herrlichkeit des Auferstehungsleibes ist unsere jetzige Leiblichkeit armselig.
Daß mit der Auferstehung eine andere Realität gemeint ist und nicht nur eine Fortsetzung der bisherigen unter besseren Randbedingungen, macht auch die Antwort Jesu auf die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung deutlich (Mt 22,23-33). Bei der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern wie die Engel im Himmel sein (V. 30). Es handelt sich also um eine andere Existenzweise. Jesus interpretiert weiter ein Wort aus Ex 3,6 im Sinne der Auferstehung: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden (V. 32). Die “irdisch” längst gestorbenen Väter leben also in einer anderen Weise. Das kommt auch im “Glaubenskapitel”
des Hebräerbriefes zum Ausdruck (Hebr 11). Abraham wird das Zeugnis gegeben, daß er nach einer besseren Heimat suchte, nicht nach der irdischen (Hebr 11,13-16; vgl. 13,14). Den Fremdlingscharakter in dieser Welt drücken auch Paulus in Phil 3,20 und Petrus in 1 Petr 2,11 aus.
Es ist nach den bisherigen Ausführungen bereits deutlich geworden, daß mit der Auferstehung des Einzelnen primär eine zukünftige und von unserer Welt verschiedene Realität gemeint ist. Dies drückt Paulus auch dadurch aus, daß er von seiner eigenen Auferstehung als von einer zukünftigen Realität spricht (Phil 3,10—14).
Der zukünftige Aspekt wird mit dem gegenwärtigen verschränkt: Schon jetzt sind die Gläubigen mit Christus auferweckt und sollen ihr Leben entsprechend ausrichten (Kol 3,1—3). Die Auferstehungsmacht Jesu wirkt schon jetzt in seinen Nachfolgern (vgl. Eph 1,19f.). Aber auch der gegenwärtige Aspekt lebt vom zukünftigen. So schreibt Paulus im Anschluß an das gegenwärtige Auferwecktsein mit Christus davon, daß wir zukünftig mit Christus in Herrlichkeit offenbar werden (Kol 3,4).
Zusammenfassend zeigt sich, daß Auferstehung zum einen ein künftiges, “jenseitiges” (d. h. jenseits unserer bekannten Realität und Erkenntnismöglichkeit bestehendes79) Leben meint, das wie das hiesige Leben auch einen körperlichen Aspekt, jedoch andere Gestalt und andere Gesetzmäßigkeiten hat, die uns prinzipiell verborgen sind. Zum anderen bedeutet Auferstehung aber auch die Erneuerung und Verwandlung der Schöpfung insgesamt, die durch Jesu Wirken punktuell bereits in diese Weltzeit eingebrochen ist.80
Die Betonung des Jenseitigen und Zukünftigen der Auferstehung soll ihre gegenwärtige Realität nicht verdrängen. Doch dieser Aspekt muß hier hervorgehoben werden, weil er im Rahmen der Evolutionslehre mehr oder weniger übergangen wird. Im konsequent evolutionären
77	I-add, NT 326.
78	Vgl Heim, Wettvollender 173— 176.
79	Vgl. Abschnitt 4.3.2.4, b.
80	Vgl. Künneth, (l a. O. 154ff.
Rahmen richtet sich die Hoffnung auf das Vorwärtskommen der Evolution. Dadurch sollen lebensfreundlichere Verhältnisse erreicht werden. Anhaltspunkt für diese Hoffnung ist dabei die (vermeintliche) Tatsache, daß die Evolution schwere Krisen immer wieder überstanden habe (vgl. Abschnitt 4.6). Die Hoffnung ruht auf dem postulierten bisherigen Verlauf der Evolutionsgeschichte. Die christlich-biblische Hoffnung dagegen stützt sich auf das Ereignis der Auferstehung Jesu, die sich auf unserer Erde ereignet hat.
4.5.4	Evolution und die Mächte der unsichtbaren Welt
Der Hintergrund des Auftrags Jesu und seines Kreuzestodes bildet sein Kampf mit der unsichtbaren geistlichen widergöttlichen Welt: “Der Sohn Gottes ist gekommen, die Werke Satans zu zerstören” (1 Joh 3,8). Jesus Christus hat Fleisch und Blut angenommen, “um durch seinen Tod der. zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel” (Hebr 2,14). Paulus spricht von der gegenwärtigen als einer “bösen Welt” (Gal 1,4; vgl. Eph 2, lff.). Jesu Weg warein Weg der Auseinandersetzung mit Satan. Das wird besonders daran deutlich, daß Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sich mit Satan auseinandersetzen muß (Mt 4,1 — 11 par). Nach seiner Gefangennahme sagt Jesus, daß jetzt die Finsternis die Macht hat (Lk 22,53). Heim hat diese Seite des Auftrags Jesu im dritten Band seines Werkes “Der Evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart” besonders markant und eindrücklich herausgestellt. Jesu Handeln ist ein Widerspruch zur gegenwärtigen Struktur dieser Welt.81
Die geistliche Dimension des Auftrages Jesu, sein Kampf mit Satan und seinen Mächten, wird in theistisch-evolutionistischen Entwürfen kaum thematisiert. Konsequent theistisch-evolutioni-stische Entwürfe beachten diese Dimension der Realität nicht;82 sie hat dort keinen Platz. Die Ausblendung dieser Realität ist verständlich, da in den konsequent-evolutionistischen Konzepten das Böse nicht personhaft gedacht wird,
sondern als strukturelles Moment, als statistisch auftretender Nebeneffekt der werdenden Welt. Die Folge davon ist ein monistisches Weltverständnis: Gott bewirkt in seiner Schöpfung mit dem Guten unvermeidlich und gleichzeitig auch das Böse.
Mit dem Verlust des dämonischen Wirklichkeitsbereichs erübrigt sich auch die Realität der Engelweltja der gesamten unsichtbaren Schöpfung - ein Aspekt, der nahezu vollständig bei konsequent evolutionistisch orientierten Autoren übergangen wird. Der Evolutionsgedanke kann nicht auf die unsichtbare Welt im Sinne einer Engel- oder Dämonenevolution ausgedehnt werden; die Existenz dieser Schöpfungsrealität wird nicht thematisiert.
In manchen gemäßigt-evolutionistischen Harmonisierungsversuchen wird der dämonischen Realität dagegen eine wichtige Rolle eingeräumt bis hin zur Spekulation, der Satansfall habe die Evolution ausgelöst (vgl. Abschnitte 4.4.2, d.; 4.3.3., g. und 4.2.1, Bewertung, c.). Wie in den angegebenen Abschnitten dieser Arbeit bereits gezeigt wurde, kranken diese Vorstellungen am mangelnden Bezug zu den Daten und Inhalten der von ihnen vorausgesetzten Evolutionsanschauung.
Neuerdings nehmen Hemminger & Hemmin ger als überzeugte Evolutionstheoretiker Bezug zur dämonischen Realität angesichts einer evo-lutiven Werdewelt. Sie urteilen, daß die biblische Vorstellung vom dunklen, zerstörerischen Widersacher Gottes und die traditionelle Vorstellung vom Engelfall, zu Widersprüchen mit der “Naturwissenschaft” (gemeint ist von den Autoren in ihrem Kontext die Evolutionslehre) führe, geben aber keine Rechenschaft darüber ab, welcher Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen besteht und wie im evolutionären
81	Heim, Weltvollender, vgl. Beck, Universalität 371ff.
82	Benz (Evolution 61) zitiert den erwähnten TEtLHARD-Vorläu-fer J. M. Savage: “Der Teufel ist ein finsterer Nachttraum der Vergangenheit, der in das Museum theologischer Kuriositäten, Mumien und Skelette gehört, in dem das kommende Zeitalter die Vorstellungen der früheren, versunkenen Epochen studieren kann.”
Rahmen die Existenz und das Wirken satanischer Mächte eingeordnet und verstanden werden kann.83
4.5.5	Zusammenfassung
Entsprechend der evolutionär orientierten Anthropologie und den Umformungen der Hamar-tiologie entwickeln konsequent-evolutionistisch denkende Autoren eine evolutionäre Christologie. Die Menschwerdung Jesu wird als Ereignis, als Höhepunkt innerhalb des immanent evolutionären Werdeprozesses verstanden, die Göttlichkeit Jesu und seine Wesenseinheit mit Gott, dem Vater, werden bestritten. Dies sind offensichtliche Widersprüche zu den Zeugnissen der Autoren des Neuen Testaments.
Das Werk Jesu Christi wird als Teil des allgemeinen Evolutionsprozesses gesehen, als Motor der Evolution, als Fortführung dessen, was sich in der Milliarden Jahre währenden Evolution bereits etabliert hat. Christus wird zum Evolutor, die traditionell biblisch bezeugte Sicht von Christus als Erlöser der Menschheit von der Sünden-und Todesmacht kann nicht in das Evolutionskonzept eingeordnet werden. Erlösung als ein ständiger Aspekt der Schöpfung bedeutet das Ende der Evolution, an dem die leidvollen Nebenwirkungen der Entwicklung überwunden sein
sollen; das Kreuz wird zum Bild für die Mühsal dieses Werdeprozesses. Der Werdeprozeß, der mit dem Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes identifiziert wird, erfolgt aufgrund weltimmanenter Kräfte notwendigerweise (zumindest bei Teilhard).
Hier wird deutlich, daß die Heilslehre und Glaubensinhalte des Neuen Testamentes von der vorausgesetzten evolutionstheoretischen Sichtweise aus nach Belieben umgedeutet werden. Der exegetisch zu ermittelnde Sinn der einschlägigen Texte wird nicht beachtet, oder unter Mißachtung des Kontextes evolutionäre Vorstellungen in isoliert herausgegriffene Texte hineingelesen.84
Die Auferstehungsrealität wird - ebenfalls in scharfem Kontrast zum biblischen Zeugnis -primär auf immanente Aspekte eingeschränkt, das Erlösungswerk Jesu als Kampf mit dämonischen Mächten gar nicht thematisiert.
Vertreter einer gemäßigten theistischen Evolution gehen auf christologische Aspekte gewöhnlich nicht ein. Die Zusammenhänge der Christologie zur Evolutionsthematik werden nicht aufgearbeitet.
83	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 164.
84	Als Beispiel sei an Teilhards Deutung des “pleroma” erinnert, s. Abschnitt 4.5.2, Kritik, f.
4.6	Eschatologie
Evolutionäre Vorstellungen haben auch Konsequenzen für die Zukunftsvorstellungen und Hoffnungen, wie bereits in Abschnitt 4.5.3 gezeigt wurde. Wenn die Gegenwart nicht von fundamentalen Brüchen in der Vergangenheit (Sündenfall, Sintflut) mitbedingt ist, wenn die lebenseinschränkenden Bedingungen in der Gegenwart nicht Ausdruck eines Verlustes des Ursprungs, sondern notwendige Nebeneffekte der Evolution sind, ergeben sich andere Perspektiven für die Zukunft, als sie die biblische Überlieferung zeichnet. Eine naheliegende Konsequenz des Evolutionsgedankens ist eine weitere Evolution auch in der Zukunft. Manche Autoren, die eine theistische Evolution akzeptieren, sehen allerdings die Evolution mit dem Erscheinen des Menschen als beendet an.1
Wie im Abschnitt zur Christologie kommen auch in diesem Abschnitt Vertreter einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung nur am Rande zu Wort, da sie sich zu dieser Thematik kaum äußern. Es ist möglich, auch in einem evolutionstheoretischen Rahmen an eine reale Wiederkunft Jesu als Vollendung und Wandlung der bisherigen Schöpfungsgeschichte und -gestalt zu glauben, ohne damit gegen diejenigen Inhalte zu verstoßen, die Bestandteil jeder Evolutionsvorstellung sind (vgl. Abschnitt 2.8). Eine die Weltgeschichte nicht-evolutionär umbrechende Wiederkunft Jesu und Neuschaffung von Himmel und Erde (Offb 21) wird durch die Evolutionsanschauung nicht strikt ausgeschlossen, da Evolutionstheoretiker gewöhnlich zur Zukunft keine konkreten Voraussagen machen. Sie liegt allerdings nicht im Gefälle von Evolutionsanschauungen.
4.6.1	Evolutionäre Eschatologie
Es liegt in der Konsequenz der Evolutionslehre, Evolution auch in die Zukunft hinein zu projizieren. So schreibt Teilhard de Chardin:
“Wir glaubten vielleicht, die Schöpfung sei seit langem beendet. Imum, sie geht mit vollem Schwung weiter, und zwar in den höchsten Bereichen der Welt... Und im Dienste ihrer Vollendung stehen wir, selbst durch die demütigste Arbeit unserer Hände. Das ist letzten Endes der Sinn und der Wert unseres Tuns. Kraft des durchgehenden Zusammenhangs Materie-Seele-Christus bringen wir, was immer wir auch tun, Gott eine Partikel des Seins, das er wünscht. Durch jedes unserer Werke arbeiten wir atomhaft, aber wirklich daran, das Pieroma zu errichten, d. h. Christus ein kleines Teil Vollendung zu bringen.”2
Das an das Ziel seiner Evolution gelangte menschliche Bewußtsein wird ein Höchstmaß an Komplexität und Konzentration haben “durch totale Reflexion seiner selbst in sich selbst”. Diesen Prozeß nennt Teilhard “Planetisation”. Er spricht von einer “Trift zum Kollektiven”, der keine Kraft in der Welt entgegensteuern könne, da es sich um die Kraft der Welt selbst handle — ein unwiderstehlicher physischer Prozeß der menschlichen Kollektivisation.3 Auch die beiden Weltkriege sieht er in diesem Zusammenhang, denn sie hatten zum Ergebnis, daß die Menschheit sich in einem immer unauflöslicheren Knoten verband.4 Nach der ersten Hominisation (der Entstehung des Denkens) ist die zunehmende Verflechtung der Menschheit nach Teilhard die zweite Hominisation.
Die Evolution ist für Teilhard also keineswegs beendet, im Gegenteil, der Höhepunkt der Vollendung steht noch aus und ist durch die Mitwirkung des Menschen zu erreichen.5 D. h.: Die Tatsache, daß der Mensch sich in einem Prozeß
1	So ist nach Koltermann, Schöpfung 63, die weitere Entwicklung der Evolution nicht mit den bisherigen Evolutionsfaktoren (Mutation etc.) zu vollziehen, sondern liegt im personalen Bereich der freien Entscheidung.
2	Teilhard de Chardin, Milieu 45.
3	Ebd. 167,169.
4	Ebd. 171; vgl. S. 177f.; s. o.
5	Benz, Endzeiterwartung 163, erwähnt in diesem Zusammenhang den bereits genannten Vorläufer Teilhards, Savage (1841 -1918), der die Einordnung des Menschen in die Reihe der animalischen Vorstufen nicht als Abwertung einstuft, sondern darin eine Hoffnung zukünftiger Vollendung sieht.
der Aufwärtsentwicklung befindet, vermittelt die Hoffnung, daß es mit ihm in der Zukunft besser werden wird. Im Gefolge dieser Denkrichtung hat Bresch ähnliche Gedanken geäußert (vgl. Abschnitt 4.1). Er sieht aufgrund seiner Interpretation der Evolution vom Tier zum Menschen den Weg zum Humanum durch ein finsteres Tal führen; wir hätten aber den größten Teil der Strecke bereits zurückgelegt.6 Dieser Gedanke könne uns Mut machen. Es käme jetzt nur darauf an, “den Lauf der Geschichte konsequent zu Ende zu führen, der die Gruppe der nach innen friedlichen, solidarischen ‘Wir-Gruppe’ ständig wachsen ließ: zum Stamm, zum Volk und jetzt — wenn wir uns mühen - zur einen Menschheit.”7
Diese Idee findet sich auch bei Theissen: “Die Christen sind Bürger zweier Welten. Anders ausgedrückt: sie sind Grenzgänger zwischen zwei Evolutionsphasen: Als Bürger der kulturellen Evolution sind sie zur Überwindung selektiven Drucks verpflichtet. Als Bürger der biologischen Evolution unterliegen sie ihm.”8 In diesem Sinne seien wir Heutigen als “missing link” vom Tier zum wahren Menschen zu verstehen. Aus dieser Sicht ergebe sich, so Theissen, die Hoffnung, daß der Mensch, der für Auschwitz verantwortlich ist, nur ein Übergang sei,9 und damit Hoffnung für die zukünftige Evolution.
In diesem Prozeß des Übergangs zum Humanum muß mit ähnlich langen Zeiträumen gerechnet werden, wie sie die Evolution schon in der Vergangenheit benötigte. Den langfristigen Zeiträumen der vergangenen Evolution entsprechen lange zukünftige Zeitspannen der weiteren Entwicklung. Die Akzeptanz der Evolutionslehre leite, so Benz, die letzte Phase des Abbaus der Naherwartung des Endes ein.10
Bei Bresch und anderen Autoren, die eine ähnliche Sicht vertreten, mischen sich in die geäußerten Zukunftsperspektiven Bedenken, ob die neue Evolutionsstufe wirklich erreicht werden wird: Der Mensch könnte versagen.
“Wir stehen vor einem neuen Abschnitt der Evolution, einer Evolution des Geistigen. Ob wir ihn je
erreichen, ist ungewiß, denn es ist zweifelhaft, ob
wir schnell genug neue Menschen werden können.
Die Wertmaßstäbe haben sich umgedreht - in Zukunft wird nur eine, eine pazifistische Menschheit leben oder gar keine. So sind die Gesetze der Evolution.”"
Ähnliche Bedenken äußerte von Ditfurth.12 Er glaubt zwar an eine göttliche Vollendung der Welt; es sei jedoch nicht garantiert, daß diese Vollendung mit dem Menschen geschieht. Die Evolution könne auch ohne den Menschen weiterlaufen; wir seien dafür verantwortlich, ob die Evolution mit oder ohne uns fortschreitet. Teil-hard läßt dagegen kaum Sorgen um einen katastrophalen Ausgang der Weltgeschichte erkennen, denn er geht von einem “planetaren Selbsterhaltungstrieb des Lebens” aus.13 Wir haben noch mehrere Millionen Jahre vor uns, meint Teilhard,14 so lehre es die Geschichte der anderen lebenden Gruppen. Die Tatsache, daß die Evolution schon viele hundert Millionen Jahre erfolgreich ablief, wertet Teilhard als “Hinweis, daß es [das Leben] unter irgendwelcher Mitwirkung der ‘blinden’ Kräfte des Universums, das heißt unfehlbar, vorwärtsschreitet.”15 Daher hält er ein Mißlingen der Zukunft letztlich nicht für möglich.16 “Eher würde die Erde aufhören, sich zu drehen, als daß die Menschheit, in ihrer Gesamtheit genommen, aufhörte, sich zu organisieren und eins zu werden.”17 Die weitere Zukunft sieht er in einer weiteren Kollektivierung der menschlichen Gesellschaft mit dem Endziel ei-
6	Bresch, Alpha-Bedingungen 34.
7	Ebd.39.
8	Theissen, Christlicher Glaube 153.
’ Ebd. 155.
10	Benz, Endzeilerwartung 248.
11	Bresch, Diskussionsbeiträge 120; vgl. Koestler, Irrläufer. Es sei an die Ausführungen in Abschnilt 4.2.1 erinnert, wonach evolutionstheoretisch gesehen sich Wertmaßstäbe und Normen ändern. Ein solcher Wertewandel müsse auch heule vollzogen werden: Während im “Tier-Mensch-Übergangsfcld” (vgl. Abschnilt 2.5) kriegerische Verhaltensweisen den Evolutionsfortschritt ermöglicht hatten, könne unter den heutigen gewandelten Verhältnissen nur noch eine pazifistische Menschheit überleben.
Zu Breschs Vorstellungen Uber die zukünftige Evolution vgl. Isak, Evolution 363ff.
12	In W.-R. Schmidt, Leben ist mehr 132.
13	Benz, a. a.O. 252; vgl. Lay, Diskussionsbeiträge 294.
14	Teilhard de Chardin, Zukunft 99.
15	Ebd.
16	vgl. Smulders, Theologie 124f.
17	Teilhard de Chardin, a. a. O. 203.
nes globalen Abschlusses, einer “Planetisation”.18 Er glaubt an den Fortschritt und an die Konvergenz der Menschheit. Nach Benz kann man geradezu von einer Religion des Fortschritts sprechen, der Religion des Homo progressive, der eine Übergangsstufe zwischen dem homo sapiens und dem kommenden Übermenschen der ferneren Zukunft ist.19
Die Wiederkunft Jesu
In einem evolutionstheoretischen Kontext erscheint es nicht sinnvoll, die Wiederkunft Jesu zu erwarten, bei der die bisherige Weltgeschichte in unvorhersehbarer Weise nicht-evolutionär abgebrochen wird (Mt 24; 1 Th 5,1 -4). Das stünde jedenfalls im Widerspruch zum Grundkonzept der Evolutionslehre. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie bei Teilhard de Chardin und seinen Epigonen - das Wirken Jesu als evolutionsfördernd gewertet wird. Wenn Evolution als die Schöpfungsmethode Gottes verstanden wird, paßt die Vorstellung eines Abbruchs dieses Geschehens durch ein göttliches Eingreifen nicht in diesen Kontext. Gott würde dann dem von ihm selbst initiierten und gelenkten Prozeß widersprechen. Wenn Altner meint, “die Versuchung, den allgemeinen Geschichtsprozeß durch die Setzung sogenannter überzeitlicher Ziele vorschnell zum Abschluß zu bringen, bietet sich immer wieder an”,20 bestreitet er offenbar die Wiederkunft Jesu als Einschnitt und Abbruch dieses Äons.
Kritik
Zukunftsperspektiven können in diesen konsequent evolutionären Entwürfen - wenn überhaupt - nur für das Kollektiv vermittelt werden; die Heilserwartungen für das Individuum werden auffälligerweise kaum thematisiert, was aber nicht verwundern kann, da die Individuen in der Evolutionsanschauung generell wenig bedeuten. Daher fehlt die Grundlage für eine persönliche Heilserwartung. Dies wird besonders bei Teil-hard deutlich, für den der Untergang der Indivi-
duen zum unvermeidlichen Nebeneffekt der Gesamtentwicklung wird. Seinen Optimismus für die Gesamtentwicklung begründet er damit, daß die Evolution Engpässe in der Entwicklung schon immer überwunden habe und zwar dadurch, daß jeweils eine große Zahl von Organismen die erforderlichen Sprünge auf der Evolutionsleiter aufwärts versucht habe, von denen immer einige durchgekommen seien.21 Zwar soll das Erreichen des “Punktes Omega” für das Individuum die volle Integration mit den anderen Individuen und volle Entfaltung der Persönlichkeit bedeuten,22 bis Omega aber erreicht ist, müssen offenbar die Individuen als letztlich wertlose Nummern betrachtet werden, die für den Gang auf das große Ziel hin notwendigerweise geopfert werden müssen. Dennoch versteht Teilhard die Liebe als Triebkraft auf Omega hin. Unter evolutionstheoretischen Vorzeichen wird hier der Begriff “Liebe” ausgehöhlt.
Es scheint, als ob die Zukunft auf das Ziel Omega hin mit Naturnotwendigkeit erreicht würde.23 Teilhard glaubt an einen “planetaren Selbsterhaltungstrieb” (s. o.), hinter dem die souveräne Tat Gottes verblaßt, wenn nicht ganz verschwindet. Dagegen stellen die neutestamentli-chen Zeugen klar, daß die Zukunft letztlich nur durch das Wirken Gottes gewährleistet ist.
Allerdings scheint für Teilhard die Antriebskraft doch kein “Naturgesetz” zu sein, sondern die Gnade Gottes.24 Gegen den Vorwurf, dies bedeute eine Verkleinerung der Gnade, setzt Teilhard seine Einschätzung, es handle sich um eine Erhebung der Evolution. Dennoch ist mit Smulders zu kritisieren, daß Teilhard die Garantie für den weiteren Erfolg der Evolution nicht in der Macht der Liebe Gottes und der göttlichen Gnade sucht, sondern “im Gegenteil mit aller Kraft nach einer Bewahrung und Sicherung, die innerhalb dieser Welt und dieser Mensch-
18	Ebd. 298ff.; 314L; vgl. Benz, a. a. O. 253.
19	Benz,<lo.O. 255; Teilhard de Chardin, Milieu 183.
20	Altner, Grammatik 73f.
21	Vgl. Smulders, Theologie 187f.
22	Ebd. 189.
23	Ebd. 164.
24	Ebd. 167.
heit gelegen ist.”25 Der Begriff der “Gnade wird also mit einem an die Evolutionsanschauung angepaßten Inhalt gefüllt, beinhaltet eine Eigenschaft der evolutionsfähigen Materie und ist somit unpersönlich. Die biblischen Autoren dagegen bezeugen die Gnade als unverdiente Tat Gottes, als Ausdruck seines Liebeswillens. Der christliche Begriff sollte in diesem konsequent evolutionstheoretischen Rahmen fallengelassen werden, denn sonst suggeriert er unberechtigt seinen traditionellen Inhalt.
Das Neue Testament bezeugt ein Ende der Geschichte, das von katastrophalen Ereignissen begleitet wird (Mt 24 par). Himmel und Erde werden vergehen, und es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben (Mt 24,35; 2 Petr 3,12f; Offb 21,1). Die näheren Begleitumstände dieses Geschehens (vgl. 1 Th 4,13-18; 2 Th 2,1-12; Offb 6-19) sind im Kontext dieser Arbeit nicht von Bedeutung. Entscheidend ist, daß es sich um ein Handeln Gottes handelt, das nicht innergeschichtlich ableitbar oder vorhersagbar ist. Jesus Christus selber wird in Macht und Herrlichkeit kommen (Mt 24,27; Hebr 9,28): Zeiten und Fristen hat der Vater in seiner Macht festgesetzt und bleiben dem Menschen verborgen (Apg 1,7; vgl. Mk 13,32).26
Gegenüber den teilweise überaus optimistischen Zukunftsperspektiven evolutionärer Eschatolo-gien stellt das Neue Testament heraus, daß es innerweltlich zu einer apokalyptischen Kulmination des Bösen und der Sünde kommt. Vor dem Ende “dieses Äons”, das durch Gottes unvorhersehbares Eingreifen herbeigeführt wird, werden sich die Zustände besonders im zwischenmenschlichen Bereich verschlechtern, sowohl was die “natürlichen” Rahmenbedingungen (Erdbeben), als auch was das Zusammenleben der Völker betrifft (Kriege; Mt 24). Es gibt Verfolgung um des Evangeliums willen (Mt 24,9-14); ein gravierender Glaubensabfall stellt sich ein (Mt 24,37-39; vgl. 2 Th 2,3-10). Durch das ganze Neue Testament hindurch zieht sich die Sicht, daß zwischen denen, die Jesus nachfolgen, und den anderen ein Riß zieht, der zu Verfolgungen führen kann. So sagt Jesus von sich selber, daß er
das Schwert bringt, das Gläubige von Ungläubigen scheidet, auch wenn zuvor enge Verbindungen bestanden haben (Mt 10,34); die Christen müssen um ihres Christseins willen mit Schwierigkeiten rechnen (1 Petr 4,12—19; Röm 8,17; 2 Kor 4,17f. u. a.). Dieser Widerspruch wird bis ans Ende bestehen, denn es gilt, bis zum Ende auszuhalten (Mt 24,13.44 u. ö.). Die Menschen können das Paradies auf Erden nicht schaffen.
Diese Perspektiven sollen jedoch nicht zu einem Fatalismus und Quietismus führen, sondern zu einem Handeln im Bewußtsein der menschlichen und innerweltlichen Grenzen auf der einen, und der göttlichen Herrschaft auf der anderen Seite. Jesus stellt klar, daß es in der Welt Bedrängnis gibt (Joh 16,33) und verweist angesichts dieser Tatsache auf sich selber, der die Welt überwunden hat. Das heißt, daß die Nachfolge Jesu Christi die Antwort auf die Bedrängnis ist.
Schließlich fällt noch auf, daß in konsequent theistisch-evolutionistischen Entwürfen das Gerichtshandeln Gottes (vgl. Mt 24 und 25; Joh 16, 9—11; Hebr 9,27; 10,27; 2 Petr 3,7 u. a.) nicht thematisiert wird. Vermutlich besteht hier ein innerer Zusammenhang mit der evolutionstheoretisch angepaßten Umdeutung der Sünde. Gericht ist Antwort Gottes auf die Sünde. Damit, daß Sünde als menschliche Verschuldung im konsequent evolutionstheoretischen Deutungsrahmen nicht gedacht werden kann, sondern ein Nebeneffekt der göttlich gelenkten Evolution ist, erübrigt sich die Konsequenz eines göttlichen Gerichts.
25	Ebd. 187.
26	“Dieses Geschlecht” (Mk 13,30) bezieht sich offenbar nicht auf die zur Zeit Jesu lebende Generation, sondern hat eine artgemäße, qualitative Bedeutung (Mussner, Ende der Welt 13; vgl. Mt 11,16; 12,29.41.42; 16,4; 17,17; Mk 8,12; Lk 11,29; Dt 32,5; Ps 94,10; Apg 2,40; Phil 2,15). “Im Munde Jesu ist damit immer das Geschlecht der Juden gemeint" (13). Das Volk der Juden wird nicht aussterben, bevor “das alles geschehen ist”. “Am Fortbestand des Judenvolkes bis zur Parusie des Herrn kann also der Christ erkennen, daß Jesu Verheißungen zuverlässig sind. Und so muß der Christ stets mit Ehrfurcht auf die Kinder Israels schauen" (14).
4.6.2	Die Beauftragung und Verantwortung des Menschen
Das evolutionäre Geschichtsbild hat auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Verantwortung und Beauftragung des Menschen.
Teilhard de Chardin sieht die Zukunft der Erde in den Händen des Menschen. Dabei sei der einzuschlagende Weg durch die “Lehre der ganzen Vergangenheit klar gewiesen. Wir werden nur voranschreiten, indem wir uns vereinen. Das ist, wie wir gesehen haben, das Gesetz des Lebens.”27 Dieser Vereinigungsprozeß dürfe jedoch nicht zwanghaft geschehen, sondern müsse von innen her, in voller Freiheit erfolgen.28 Teilhard spricht von einer “Verchristlichung” der Entwicklung, deren Gang nichts aufzuhalten vermag.29 Im Moment sei die Menschheit in bezug auf dieses Ziel jedoch gespalten dadurch, daß es zwei Gruppen gebe. Die eine wolle aus der Welt - sie verachtend - auswandern, die andere sie dagegen meistern und vollenden.30 In Teilhards Augen sollen Menschen, die das Ziel der evolu-tiven Vollendung der Welt anstreben, seien es Christen oder Nichtchristen, sich zusammenschließen, um eine neue Bewußtseinsschwelle zu durchstoßen. Er hofft auf eine tätige Minderheit, um die als festen Kern sich die Einmütigkeit von morgen entwickeln muß.31 Der Weg zum Ziel der Schöpfung ist nach Teilhard also stark von der kosmischen Evolution bestimmt; entscheidend ist für ihn, ob sich der Mensch der kosmischen Evolution hingibt oder sich ihr versagt.32
Im Gefolge Teilhards schreibt Hübner: “Der Mensch kann die Evolution beschleunigen, wenn er an der Durchsetzung des göttlichen Liebes-planes mitwirkt, er kann sie hemmen, wenn er sich ihm entgegenstellt und seine eigenen Interessen über die der anderen stellt. Dieser Prozeß der Geschichte, den Gott vorwärts treibt, offenbarte sich in Jesus Christus; er konkretisiert sich im Handeln der Christen, die für Gerechtigkeit und Frieden arbeiten.”33 “Die Ergebnisse der Naturwissenschaft sind auch für die theologischen Aussagen von Bedeutung: Sie decken den Gang der Evolution auf, an dem der Mensch teil hat und den zu lenken seine Würde ist.”34 Die Evolution wird als göttlicher Liebesplan gedeu-
tet, an dessen Verwirklichung sich der Mensch beteiligen soll. Die Aufgabe des Menschen besteht letztlich darin, aus eigener Kraft paradiesische Zustände auf der Erde zu schaffen. Freilich wird in einer nicht näher bestimmten Weise Gottes Wirken als notwendig erachtet, aber ohne den Einsatz des Menschen ist dieses Ziel scheinbar nicht zu erreichen. Nimmt der Mensch seine Verantwortung jedoch nicht wahr, so ist zu befürchten, daß der Evolutionsprozeß nicht zu seiner Vollendung gelangen könnte.35
“Wenn die Entwicklung... noch nicht zu Ende ist, wenn die Offenbarung dessen, was die Welt ist und wer mit ihr der Mensch eigentlich ist, noch aussteht, dann ist es die Aufgabe des Menschen, an dieser Entwicklung mitzuwirken. ... Er nimmt diese Verantwortung recht wahr, wenn er sich an Christus, dem 'Evolutor', ausrichtet, wenn er am von Liebe bestimmten Zusammenwachsen der Menschheit mitarbeitet, wenn er für eine Welt kämpft, in der Friede und Gerechtigkeit herrschen. Reich Gottes ist nicht irgendwo im Jenseits zu erwarten, sondern hier, in dieser Welt, vom Menschen mit vorzubereiten."v>
“Diese endzeitliche Vollendung wäre dann die natürlicne Fortsetzung und Krönung dessen, was bereits seit der Entstehung der Erde, des Lebens
und des Menschen... im Gange ist_Aufgabe des
Menschen wäre dann, sich diesem Prozeß ganz hinzugeben ... als Kirche, die diese Entwicklung tauft und als göttliche Aufgabe verkündet, als Christ, der an Gottes Schöpfungshandeln aktiv teilnimmt und darin seine Erfüllung findet."57
Auch Moltmann geht davon aus, daß die Schöpfung noch nicht fertig und noch nicht am Ende ist und daß der Mensch gefordert ist, das weitere Gelingen zu ermöglichen: “Die unmittelbare Fortsetzung der Evolution... liegt heute in der Hand der Menschen selbst: Sie können diese Evolutionsstufe vernichten oder sich selbst
77 Teilhard de Chardin, Milieu 102.
28	Ebd. 103.
79 Ebd. 105.
50	Ebd. 106.
51	Ebd. 110; vgl. Daecke, Teilhard 254. 57 Vgl. Scheffczyk, Chrisiogenese 170.
22 J. Hübner, Biologie 76.
22 Ebd. 76.
22 Feiner & Vischer, Glaubensbuch 951.
29	J. Hübner, o. a. O. 119.
27	Ebd. 126.
zu einer höheren Form des Zusammenlebens als bisher organisieren und die Evolution vorantreiben.”3* Schmitz-Moormann zieht diesen Gedanken bis in die Theologie hinein: “Gottes evoluti-ve Schöpfung geht weiter, Stillstand, auch theologischer Stillstand, hieße sich der Schöpfung verweigern. Deshalb müssen Versuche, auch theologische Versuche, gewagt werden.”39
Kritik: Wenn auch die Erwartung der Parusie mit dem Sichtbarwerden der Gottesherrschaft verbunden ist, übergehen diese Vorstellungen doch den Glaubensabfall, die wehenartig zunehmende Zuspitzung der Menschheitssituation, die zunehmende Verfolgung der Nachfolger Jesu und die mit Gerichten einhergehende Wiederkunft Jesu Christi in Macht in Herrlichkeit (Mt 24; Apg 1,11; 2 Th 2,8; Hebr 9,28). Es ist nicht davon die Rede, daß die Mächte des Bösen sichtbar ausgeschaltet werden,40 daß die im irdischen Leben getroffene Entscheidung für oder gegen Jesus Christus sichtbar wird, und daß der ganzen Welt deutlich werden wird, daß Gott allein Frieden schaffen kann.41 An die Stelle eines unvorhersehbaren Einschnitts durch das freie Handeln Gottes tritt die Vorstellung von einer Vervollkommnung, die schließlich auf evolutivem Wege ihr Ziel erreichen wird. Auf dieses Ziel hin soll der Mensch mitarbeiten. Die Idee, daß der Mensch auf diese Weise an Gottes Werk der Erschaffung durch Evolution mitarbeitet, muß angesichts des biblischen Urteils über den Menschen als Fehlweg gewertet werden, abgesehen davon, daß die Realität des menschlichen Miteinanders bzw. Gegeneinanders die überaus optimistischen evolutionistischen Zukunftsentwürfe geradezu widerlegt. Der Mensch kann sich und der (als Evolution gedachten) Schöpfung nicht entscheidend helfen. Hier wird wieder deutlich, daß die Sündhaftigkeit des Menschen ausgeblendet wird. Ohne Befreiung von der Sünde, die sich in Ichsucht und Friedlosigkeit äußert, können sich die Verhältnisse nicht grundlegend wandeln. Alle Hoffnungen, Perspektiven und Beauftragungen des Menschen, die die Sündhaftigkeit des Menschen übergehen, sind letztlich zum Scheitern verurteilt. Das bedeutet nicht, daß dem Menschen keine Verantwortung in der
Schöpfung gegeben ist, es kommt ihm aber nicht die Bürde der Welterhaltung oder der Weltverbesserung zu.42
Angesichts der Macht der Sünde ist die primäre Erfordernis für den Menschen, sich Gott anzuvertrauen und Gottes Gerechtigkeit zu suchen (Mt 6,33). Darauf liegt die Verheißung, daß alles andere selber von Gott zugegeben wird, denn es liegt nicht in der Möglichkeit des Menschen, auch nur eine Spanne seines Lebens zu verlängern, wieviel weniger, so könnte man hinzufügen, liegt die Weltgeschichte in seiner Hand.
Für die Christen gilt primär Jesu Auftrag zur Mission (Mt 28,19; Apg 1,8). Vordem Ende muß bei allen Völkern das Evangelium verkündet werden (Mk 13,10; par Mt 24,14). Das ist der Auftrag des erhöhten Herrn an seine Nachfolger. Das schließt andere Aufgaben nicht aus, legt aber die Priorität fest.
4.6.3	Eine evolutionäre Heilsgeschichte
Es wurde bereits dargelegt, daß das Neue Testament zwischen verschiedenen Phasen der Geschichte Gottes mit dem Menschen unterscheidet. Die neue Welt, das Eschaton (Offb 21, lff.), wird wesensmäßig von “diesem Äon” verschieden sein (vgl. Rom 8,19-22; 1 Kor 7,31), wie sich auch “dieser Äon” vom Proton unterscheidet (vgl. Röm 5,12ff.). Darüber hinaus können weitere Etappen wie etwa die Zeit des Gesetzes abgegrenzt werden, die aber im Rahmen unserer Fragestellung nur von untergeordneter Bedeutung sind.
Im evolutionären Kontext geht die biblische Zeitgliederung “Schöpfung — Sündenfall — Sint-
38	Moltmann, Schöpfung 204.
39	Schmitz-Moormann, Ansätze 8.
40	Von diesen Machten ist in konsequent theistisch-evolutionisti-schen Entwürfen auch sonst nicht die Rede, vgl. Abschnitt 4.5.4.
41	Vgl. Maier, Zukunftsenvartung 58f.
42	Die wichtige Frage der Verantwortung des Menschen, auch des erlösten Menschen, sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Denkanstöße, welche die Beschränkung der Lebensmöglichkeiten des Menschen aufgrund des Falles und der Flut in Rechnung stellen, finden sich bei Beck, Krise; Beck, Auftrag.
flutgericht — Erwählung Israels — Erlösungstat Jesu — Bildung der Gemeinde — Jesu Wiederkunft, letztes Gericht und Vollendung” verloren. In “gemäßigten” theistisch-evolutionistischen Entwürfen wird diese Konsequenz zwar teilweise zu vermeiden gesucht, in konsequent evolutionisti-schen Konzepten dagegen ausdrücklich oder unausgesprochen akzeptiert (z. B. bei Altner43 oder Hübner). Stattdessen wird auf ein evolutionäres Erreichen eines besseren menschlichen Zusammenlebens gesetzt. Für Teilhard de Char Din ist die Heilsgeschichte44 eine Phase der kosmischen Entwicklung;45 eine Unterscheidung zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte (s. u.) gibt es nicht.
Eine in Etappen gegliederte Geschichte, deren Rahmenbedingungen immer wieder neu von Gott gesetzt werden, wird in eine allgemeine, kontinuierliche Entwicklung aufgelöst.46 Es wurde oben dargelegt, wie die Erwartung der Wiederkunft Jesu in eine innerweltliche Hoffnung umgewandelt wird, die sich der Mensch durch eigenes Zutun selbst erfüllen muß. Der Mensch muß sein zukünftiges Paradies selbst schaffen. Ein allgemeines und permanentes verborgenes Wirken Gottes in der Evolution wird zwar postuliert, dieses Wirken ist aber in keiner Weise faßbar und erscheint als Postulat, das ohne Konsequenzen für das Verständnis des Menschen und seiner vergangenen und zukünftigen Geschichte fallengelassen werden könnte.
Die Heilsgeschichte ist nicht an den Menschen gebunden
Von der Evolutionsanschauung geleitet sieht Moltmann die Kosmogenese nicht an das Schicksal des Menschen gebunden. “Der Sinn der Welt ist nicht der Mensch. Der Mensch ist nicht der Sinn der Evolution.”47 Umgekehrt sei das Schicksal des Menschen jedoch an die Kosmogenese, die faktisch mit der Heilsgeschichte identisch ist, gebunden. Der Lobgesang der Schöpfung werde ggf. auch nach dem möglichen Verschwinden des Menschen von diesem Planeten gesungen, genauso wie er auch vor seinem Auftreten gesungen wurde. Denn, so Moltmann, nicht der
Mensch ist die Krone der Schöpfung, sondern der Sabbat Gottes, das Fest der Schöpfung, die den ewigen, unerschöpflichen Gott preise.48
Bewertung: Sautter charakterisiert die “an der Bibel orientierte Heilsgeschichte” als geschichtliche Bewegung, “die von Gott und seinem Handeln in der Schöpfung und in Christus herkommt und auf das Ziel in Gottes Reich zuläuft. Die Geschichte ist orientiert am Christusgeschehen, durch das dem Menschen eine neue Dimension des Lebens in der Welt, aber nicht von der Welt, eröffnet wird.”49 Die Heilsgeschichte ist zielgerichtet, nicht entwicklungsbedingt. Es handelt sich dabei nicht um eine zeitlose Idee, sondern um ein “geschichtliches Geschehen in Raum und Zeit, das Gott bewirkt hat”.50 Stadel-mann nimmt folgende Begriffsbestimmung vor: “Heilsgeschichte ist das nach Gottes Heilsplan durch sein Einwirken in Tat und Wort gestaltete, trotz Umwegen und ‘Sprüngen’ in sich zusammenhängende und dabei in Kontinuität und Diskontinuität verlaufende Geschehen in der Geschichte, das uns als solches in der biblischen Offenbarung erschlossen ist und als sein Ziel die Verherrlichung Gottes hat.”si Die Heilsgeschichte wird von Ott als ein “Nacheinander göttlicher Taten (Heilstatsachen)” verstanden, “die sich nach einem vorgefaßten Plane Gottes abspielen”. Sie gründe sich auf das biblische Gesamtzeugnis, das jene Heilstatsachen als nacheinan-
45 Altner, Grammatik 73f., spricht von einem “Kontinuum der Zeiten”. Damit gibt er offenbar die biblische heilsgeschtchtli-che Gliederung vom Urständ, "diesem Äon” und dem kommenden Reich Gottes in der neuen Schöpfung auf.
44	Zum Begriff s. weiter unten in diesem Abschnitt.
45	Vgl. Scheffczyk, Christogenese 138.
* Die Etappen der Heilsgeschichle überlappen sich teilweise. Der Unterschied zu konsequent evolutionistischen Entwürfen besteht darin, daß dort eine heilsgeschichtliche Gliederung aufgegeben werden muß.
47	Moltmann, Schöpfung 205.
48	Ebd. 204. Moltmann konstatiert zwar einen Sinn jedes einzelnen Menschen und jedes Lebewesens, der in Gott liege und unabhängig von deren Nutzen für die Evolution sei (S. 205), ohne allerdings einen Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen herzustellen.
44 Sautter, Heilsgeschichte 30.
M Ebd. 33.
51 Stadelmann, Heilsgeschichle 37.
der geschehene Ereignisse, als Folge göttlicher Verheißung und Erfüllung, dokumentiere.52
Als theologisches Prinzip, das den Geschichtsprozeß als ein Heilsgeschehen bestimmt, sieht Lowith53 die Sünde des Menschen und Gottes Bereitschaft zur Erlösung seiner gefallenen Schöpfung an. “ln dieser theologischen Sicht ist der Grundzug der Geschichte eine Bewegung, die von der Entfremdung zur Wiederversöhnung fortschreitet... Die Sünde des Menschen und die erlösende Absicht Gottes, sie allein erfordern und rechtfertigen die Zeit der Geschichte.”54 Das historische Interesse des Alten und Neuen T estaments konzentriere sich auf dieses Geschehen.55
Die Heilsgeschichte ist an den Menschen gebunden; das gilt insbesondere für ihr Ende (gegen Moltmann); die Parusie wird in engen Zusammenhang mit der Situation der Menschheit gestellt (Mt 24,37ff. par). Die biblische Eschatologie läßt die Möglichkeit einer Geschichte ohne den Menschen nicht zu. Dies wird aus Röm 8,19-22 besonders deutlich, wonach sich die ganze Schöpfung seufzend nach dem Offenbarwerden der Söhne Gottes sehnt.
Gegenüber der an der Bibel orientierten Heilsgeschichte sind gemäß Sautter Verengungen der biblischen Heilsgeschichte zurückzuweisen.56 U. a. geht dieser Autor auf die entwicklungsphilosophische Verengung der Heilsgeschichte ein, deren hervortretendes Merkmal die Vorstellung eines der Geschichte innewohnenden Entwicklungsganges ist, wobei Gott das Ziel vorherbestimmt haben mag. Diese Verengung der Heilsgeschichte liegt im Gefälle theistisch-evolutioni-stischer Entwürfe. Das gilt auch für die “universale Ausweitung der Heilsgeschichte”57., bei der es keinen Unterschied zwischen Heils- und Weltgeschichte mehr gibt, was sich darin äußert, daß auch z. B. politische Befreiungsbewegungen als Ausdruck des Heils- und Erlösungshandelns Gottes gewertet werden. Sautter zeigt demgegenüber auf, daß in der ganzen Heiligen Schrift eine heilsgeschichtliche Gliederung im oben genannten Sinne zu finden ist und kommt zu folgenden Ergebnissen:
“ 1 ■ Das kommende Reich Gottes ist die in der Bibel
verheißene Herrschaft des erhöhten Herrn in der
neuen Schöpfung, die 2. Gott und nicht der Mensch aufrichten wird. 3. Darüber, wann das geschehen wird, haben wir keine näheren Angaben in der Bibel. 4. Die Rolle des Menschen für das Kommen des Reiches Gottes ist bestimmt von der Gnade und dem Gericht Gottes, der jedes selbstmächtige Handeln ... am Wort der Schrift zunichte machen wird. 5. Über den Ablauf der Heilsgeschichte bis zur Ankunft des Reiches Gottes gibt die Schrift nur den Hinweis auf die leidende Gestalt der Kirche in der Welt.”58
Darüber hinaus sei implizit eine Unterscheidung zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte gegeben; es müsse zwischen Gottes Erhaltungsordnung und Gottes Heilsordnung unterschieden werden.
Das Verhältnis von Heilsgeschichte und Weltgeschichte ist schwierig zu bestimmen. Einerseits gilt es, an der Souveränität Gottes über die ganze Geschichte festzuhalten. Insofern kann man mit Lowith sagen, daß das Heilsgeschehen alle anderen Geschichten einbegreift.59 Andererseits ist nicht alles, was geschieht, Ausdruck des Heilswillens Gottes, denn die Welt steht unter der Macht der Sünde und des “Herrschers dieser Welt”. Insofern sind Weltgeschichte und Heilsgeschichte auseinanderzuhalten, und die Heilsgeschichte ist ein “schmaler Pfad entschlossenen Verzichts, der einigen Ereignissen Sinn verleiht, indem er die vielen Wege irdischer Begebenheiten durchkreuzt.”60 Die Identifikation von Heilsgeschichte und Weltgeschichte kann darauf hinauslaufen, gesellschaftliche Kräfte wie z. B. politische Befreiungsbewegungen als Ausdruck des Heilswirkens Gottes zu mißverstehen.61
52	Orr, Heilsgeschichie 187f.
53	Lowrm, Weltgeschichte 168.
54	Ebd. 168f.
55	Ebd. 170.
54 Sautter, a. a. O.
57	Ebd. 34.
58	Ebd. 69f.
58 Lowith, Weltgeschichte 170.
“ Ebd. 171.
61 Vgl. Sautter,a. a. O. , Beyerhaus,Aufbruch', Beyerhaus,Krise Daß cs sich hierbei um ein Mißverständnis handelt, wird z. B. daran deutlich, daß die neutestamentliche Theologie der politischen Geschichte dieser Welt fast kein Interesse entgegenbringt.
Aus den Charakterisierungen der biblischen Heilsgeschichte geht hervor, daß das an der Bibel orientierte heilsgeschichtliche Konzept nicht mit Evolutionsanschauungen vereinbar ist. Denn letztere kennen keine neue Schöpfung (vgl. 1.), sondern nur eine Fortsetzung der Evolution bis hin zu einem fiktiven Ende, dessen Erreichen wesentlich vom Einsatz des Menschen abhängt (im Gegensatz zu 2.) und verfehlt werden kann. Von Gnade und Gericht Gottes ist in evolutionären Eschatologien nicht die Rede, ebensowenig vom Leiden der Kirche (vgl. 5.). Die Gleichsetzung des Prozesses der Evolution mit der heilsgeschichtlichen Bewegung (nach Sautter eine entwicklungsgeschichtliche Verengung der Heilsgeschichte) scheitert daran, daß die Tatsache der in “diesem Äon” herrschenden Sünde überspielt wird (vgl. die Ausführungen des letzten Abschnitts). Dies ist ein grundlegender Unterschied zur biblischen Geschichtsschau, nach der aufgrund innerweltlicher Gesetzmäßigkeiten letztlich nur Tod und Verderben zu erwarten sind. Eine Zielorientierung gibt es nur, weil Gott sie durch sein souveränes Handeln ermöglicht und garantiert.
4.6.4	Zusammenfassung
Wie die Christologie wird auch die Eschatologie im Rahmen einer theistischen Evolutionslehre fast nur von Vertretern der konsequent-evolu-tionistischen Richtung thematisiert. In deren Sicht läuft die Evolution auf ihre Vollendung zu, getrieben von innerweltlichen Kräften und ermöglicht durch die notwendige Beteiligung des Menschen, von dessen Einsicht und Einsatz das weitere Gelingen der Evolution abhängt. Nach Auffassung einiger Autoren wird mit dem Ende bzw. Ziel dieses Prozesses das “Humanum” voll verwirklicht sein; dieses hat die Menschheit heute
noch nicht erreicht. Die Wiederkunft Jesu als nicht-evolutionärer Abbruch “dieses Äons” wird bestritten. Wenn auch für die Menschheit bzw. die Organismenwelt als Ganzes eine Zukunftsperspektive vermittelt wird, bleiben Zukunftserwartungen für das Individuum unkonkret, sofern sie überhaupt thematisiert werden.
Gegen den evolutionären Optimismus steht einerseits die biblische Verheißung, daß Gott selber einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, andererseits die Prophetie, daß das herannahende Ende mit katastrophalen Ereignissen, einem dramatisch zunehmenden Glaubensabfall, wachsender Verfolgung der Nachfolger Jesu Christi und Gerichtshandlungen Gottes einhergehen wird. Dies alles wird in konsequent theistisch-evolutionistischen Zukunftsentwürfen übergangen.
Biblisch gesehen kommt dem Menschen nur eine begrenzte Verantwortung zur Erhaltung der Schöpfungsstrukturen “dieses Äons” zu, keineswegs jedoch — wie in manchen Entwürfen einer theistischen Evolution — die Hauptlast der Verantwortung für das Gelingen der Evolution. Den Christen ist als höchste Priorität der Missionsbefehl aufgetragen. Die evolutionsorientierten Autoren sind auf den Vollzug der kosmischen Evolution, nicht auf das individuelle Heil ausgerichtet.
Die “Heilsgeschichte der Evolution” ist “eindimensional”; es gibt nur eine einzige Richtung zunehmender Integration (oder einen Abbruch der Evolution); Heilszeiten werden nicht unterschieden; es gibt nur einen “Äon der Evolution”. Signifikante Einschnitte wie der des Falls oder des Kommens Jesu, das mit dem zeichenhaften Einbruch der eschatologischen Herrschaft verbunden ist, und eine Verschränkung der Zeiten post Christum gibt es nicht; Fall* Sünde und Inkarnation werden als Begleitphänomene des im wesentlichen kontinuierlich verlaufenden Evolutionsprozesses verstanden.
4.7	Das Gottesbild der Evolutionslehre
In der theologischen Auseinandersetzung um die Evolutionslehre wird immer wieder die Meinung vertreten, daß ein Gott, der eine entwicklungsfähige Welt schuf, ungleich größer, weiser und mächtiger gedacht sei als ein Gott, der die Schöpfungswerke in besonderen Schöpfungsakten hervorbrachte.1 Man möchte Abstand nehmen von einem “Handwerkergott”2, der jedes seiner Schöpfungswerke gesondert “fabriziert”. Ein durch Evolution schaffender Gott sei zudem viel enger mit seiner Schöpfung verbunden als ein Gott, der an einem Anfang alles in fertiger Form ins Dasein gebracht habe. Die durch Evolution werdende Welt sei ständig auf die Verbindung mit dem Schöpfer angewiesen. Gott sei nicht im Sinne eines Deismus von der Schöpfung getrennt.3 Ein Gott, der sich in die geschöpfliehen Wirkungen und die innerweltlichen Zusammenhänge (Zweitursachen) einreihe, verliere seine Transzendenz; Gottes Handeln sei nur metaphysisch als Erstursache zu verstehen.
Im folgenden soll das auf den ersten Blick vielleicht überzeugende Gottesbild eines evolutiv erschaffenden Gottes hinterfragt werden. In diesem Abschnitt ist es wieder erforderlich, zwischen “konsequenten” und “gemäßigten” Vertretern der Evolutionslehre zu unterscheiden.
4.7.1	Konsequent evolutionstheoretische Konzepte
4.7.1.1	\Vas wirkt Gott in der Evolution ?
Konsequent theistisch-evolutionistische Konzepte zeichnen sich durch die Annahme aus, daß die Naturwissenschaften in der Lage sind oder noch sein werden, die Strukturen der Gegenwart und die historischen Faktoren, die zu ihr geführt haben, aus den bekannten und wissenschaftlich erforschbaren Kräften vollständig verstehbar zu machen. Eine Evolutionslehre könne alle Phänomene “im Prinzip” erklären oder werde in der Zukunft möglicherweise dazu in der Lage sein, und die
Theologie habe sich hier nicht einzumischen.4
Für Lanzenberger schließt die Automatik der Evolution Gott nicht notwendigerweise aus.5 “Warum sollte nicht alles, was wir in dieser Schöpfung als ein Werden und als einen wirksamen Prozeß der Natur definieren, Gottes Schöpfung sein?”6 Smulders ordnet den Zweitursachen die Evolutionslehre zu. Gottes Wirken begrenze und durchkreuze die Eigen- und Selbstwirksamkeit der Dinge nicht, sondern trage diese. Das “Eigentliche und Wesentliche der biblischen Schöpfungslehre und des christlichen Schöpfungsdogmas” sei das Zeugnis, daß der Schöpfer uner-reichbarvor, außerhalb und über allem Geschaffenem sei, und dies werde “selbstverständlich durch die Evolutionslehre nicht berührt, geschweige denn erschüttert.”7 Die Evolutionslehre beschreibe nur die Zweitursachen. Bosshard vertritt die These, daß die christliche Schöpfungslehre und das Konzept der Selbstorganisation grundsätzlich kompatibel seien.8 Eine “aktive Selbsttranszendenz” der Organismen versteht er als theologisches Äquivalent zur Selbstorganisation.9 Er sieht Gott als erstursächliche Wirkmacht, von der jedes Geschehen ohne Ausnahme umgriffen sei. Doch schalte Gott Zweitursachen und weltimmanente Kausalitäten ein.10 Der Eigengesetzlichkeit der Welt werde nicht das geringste abgesprochen, wenn Christus die Mit-
1 Vgl. z. B. Fruhctorfer, Wellschöpfung 19.
3	Schmtiz-Moormann, Erbsünde', Berry, Adum 212, spricht von einem “Uhrmacher"-Gott.
J Vgl. Pannenberg, Creation. — Daßeine Trennung Gottes von der Welt gar keine Konsequenz der abschätzig so genannten Handwerkergott-Vorstellung ist, wird in Abschnitt 5.6.8 gezeigt. Der Gedanke, daß Gott eine entwicklungsfähige Welt schuf, kann auch durch die zur Evolutionslehre alternative Grundtypenbiologie positiv aufgegriffen werden.
4	Vgl. z. B. J. Hübner, Biologie.
5	Lanzenberger, Schöpfung 29.
‘ Ebd. 40.
7	Smulders, Theologie 67; vgl. auch Li£nart, Entwicklungslehre
8	Bosshard, Erschafft die Welt 15.
9	Ebd. 16.
10	Ebd. 154.
te, die Bezugsgestalt von allem ist, meint Schmaus.1 1 Christus stelle einerseits die Mitte der Welt dar, andererseits werde demEigensein und der Eigengesetzlichkeit der Schöpfung nicht nur nichts weggenommen, sie werde vielmehr bestätigt. Auch für Winklhofer wirkt Gott in seiner Schöpfung immer, ohne sie in ihrer Eigengesetzlichkeit zu verändern, und führt auch die Eschata herbei, ohne den Kosmos in seiner Eigengesetzlichkeit aufzuheben.12
Für Teilhard de Chardin macht Gott im eigentlichen Sinne gesprochen nichts: “Er läßt die Dinge sich machen. Deshalb ist dort, wo er wirkt, kein Einbruch, keine Spalte. Das Netz der Determinismen bleibt unversehrt - die Harmonie der organischen Entwicklungen setzt sich ohne Dissonanz fort.”13 Eine analytische Beobachtung der Phänomene sei unfähig, uns Gott erreichen zu lassen, nicht einmal als ersten Beweger. “Wir werden wissenschaftlich niemals aus dem Kreis der natürlichen Erklärungen herauskommen.”14
Angesichts einer Werdewelt stellt sich die Frage, wie das freie, souveräne Handeln Gottes, das nicht auf einen Anknüpfungspunkt angewiesen ist (crealio ex nilülo), verstanden werden soll, insbesondere wenn man von einer Eigengesetzlichkeit der Welt ausgeht. Schoonenberg läßt das “aus-nichts-erschaffen-Sein” auch in einem Kosmos gelten, in dem das eine wirklich aus dem anderen hervorgeht.ls “Handelt es sich um Gottes Schöpfertätigkeit, dann ist diese nur transzendental. Er ergänzt nicht durch einen Eingriff, wo das Niedere zu kurz kommt, sondern verwirklicht die Welt so, daß das Höhere wirklich aus dem Niederen hervorgeht.”16 Gottes direktes Einwirken auf die Schöpfung im Sinne einer Zweitursache lehnt auch Schoonenberg ab, und zwar sowohl hinsichtlich eines besonderen Schöpfungshandelns am Anfang als auch hinsichtlich Eingriffen in den Evolutionsprozeß:
“Wenn Gott zwar am Anfang allein erschafft und seine Tätigkeit nachher durch andere Ursachen abgelöst wird, oder wenn seine Tätigkeit als Zwischenglied in der Kette der irdischen Kräfte eingreift, dann steht ER nicht über, sondern zwischen den innerweltlichen Ursachen. Er ist dann in der Welt tätig, aber nicht aus seiner Transzendenz heraus, dadurch, daß er radikal darüber steht. Er ist dann
nicht mehr Gott.’’,,
“Die Tatsache, daß das Höhere aus dem Niederen entsteht, weist daher wohl auf Gott hin, aber sie weist ihn nicht aus als eine Ursache, die eine Lücke in der innerweltlichen Kette der Ursächlichkeiten ergänzt; sie macht Gott daher nicht greifbar.”18
Ausführlich befaßt sich Weissmahr mit dem Wirken Gottes in der Welt, insbesondere auch mit seinem Wirken in der Evolution; dieser Autor soll daher etwas ausführlicher zu Wort kommen. Er kritisiert die Sicht, Gott könne, direkt, d. h. ohne Zweitursachen in der Welt wirken. Er lehnt auch die Gleichung Erstursache = Zweitursache als ein bloßes Spiel um Worte ab.19 Damit würde Gottes Transzendenz teilweise aufgehoben, er würde zu einem innerweltlichen Faktor.20 Dennoch aber hält er Gottes Freiheit im Wirken in der Welt fest. Die persönliche und souveräne Freiheit Gottes der Welt gegenüber sei durch die Eigengesetzlichkeit der Weltdinge grundsätzlich nicht beeinträchtigt, sondern werde eben dadurch ermöglicht.21
Dieser Autor sieht sich der Sichtweise verpflichtet, daß alles, was in dieser Welt geschieht, nach immanenten Gesetzlichkeiten abläuft.22 “Der Naturwissenschaftler geht in seiner Forschungsarbeit davon aus, daß jedes innerweltliche Ereignis auf ein anderes innerweltliches Ereignis zurückgeführt werden kann. Er könnte auf seinem Gebiet gar nichts unternehmen, wäre er nicht von der Gültigkeit dieser Voraussetzung
11	Schmaus, Christozentrik 42.
12	Winklhofer, Eschatologie 53.
15 Teilhard de Chardin, Glaube 36.
14	Ebd.37.
15	Schoonenberg, Werdende Welt 44.
“ Ebd. 45. Er bezieht seine Sicht auch auf die Erschaffung der Seele. Dies sei ebenfalls nicht durch einen Eingriff von außen geschehen. Auf der anderen Seite schreibt er jedoch (ebd.), er wolle eine unmittelbare Erschaffung der menschlichen Seele gerne zugeben. Wie er die beiden widersprüchlichen Kennzeichnungen “kein Eingriff von außen” und “unmittelbare Erschaffung" verbindet, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor.
17	Ebd. 44.
18	Ebd. 47.
'* Weissmahr, Gottes Wirken 70.
20	Ebd. 68, 144.
21	Ebd. 109.
22	Ebd. 3,58,63, 144.
überzeugt.”23 Dabei wird die innerweltliche Kausalität exklusiv verstanden: Jedes innerweltliche Geschehen hat nur innerweltliche Ursachen.24 Diese Erkenntnis bewirke eine Besinnung darauf, daß Gott nur durch Zweitursachen wirkt.
Weissmahr setzt allerdings “immanente Gesetzlichkeiten” nicht mit “prinzipiell naturwissenschaftlicher Erforschbarkeit” gleich. Er faßt diesen Begriff weiter. Außerdem unterscheidet er weltimmanente Erklärbarkeit von Determiniertheit. “Innerweltlich Hervorgebrachtes ist nicht identisch mit dem, was mittels begrifflich eindeutiger Erkenntnis erfaßt werden kann. Das von innerweltlichen Ursachen her Mögliche ist nicht dasselbe wie das naturwissenschaftlich grundsätzlich Erkennbare”; das sei nur ein Moment an der weltimmanenten Erklärung.25
“Es kann vielmehr von der Welt her, besser gesagt, vom eigenen Wirken des geschöpflichen Seienden her Neues, Unvorhergesehenes, Ursprüngliches innerhalb der Welt entstehen, und so ist es zu verstehen, daß die Freiheit Gottes der Welt gegenüber dadurch nicht aufgehoben zu sein braucht, daß Gott innerhalb der Welt niemals ohne Zweitursachen handeln kann.”“
Weissmahr sieht die Erschaffung der Welt als ganze ohne Zweitursachen ins Dasein gekommen. Die Welt als ganze hänge nur unmittelbar von Gott ab. Diese unmittelbare Abhängigkeit gelte auch für das einzelne Seiende, dieses Abhängigkeitsverhältnis sei aber zugleich von der Welt als ganzer vermittelt. Nur innerhalb der Well könne Gott nicht ohne Vermittlung der Eigenaktivität geschöpflicher Wirkursachen handeln, weil das in sich widersprüchlich wäre.27
Das Eingreifen Gottes geschehe durch “Selbstüberbietung der Geschöpfe”, was grundsätzlich nicht voraussagbar sei.28 Das Seiende könne mehr bewirken als was grundsätzlich vorausbestimmt werden kann. Die Einbruchsstelle des freien göttlichen Tuns liege nicht auf der begrifflichen, sondern auf der metaphysischen Ebene.29 “Die persönlich-freie Tätigkeit Gottes in der Welt ist, ohne jemals an Stelle der Zweitursachen zu treten, durch die im wahren Sinne eigene Aktivität des geschaffenen und deshalb zweitursächlich wirkenden Seienden möglich.”30
Weissmahr beschränkt Gottes freies Handeln auf Personen und bezieht es nicht auf Dinge. Ein freies Handeln Gottes in bezug auf Dinge wäre eine nachträgliche Korrektur des Geschaffenen.31
Kritik
a.	Was folgt aus der Eigengesetzlichkeit der Welt?
Die voranstehenden Ausführungen haben dokumentiert, daß einige Autoren, die eine Verhältnisbestimmung von einem Evolutionsprozeß und dem souveränen Handeln Gottes vornehmen, eine Eigengesetzlichkeit der Welt als theologisch unproblematisch ansehen. Mit Eigengesetzlichkeit oder Innerweltlichkeit ist gemeint, daß die Struktur und die postulierte Evolutionsgeschichte der Welt durch wissenschaftlich faßbare Wirkungen vollständig beschreibbar und erklärbar sei. Weissmahr erweitert zwar das Weltimmanente über das naturwissenschaftlich Faßbare hinaus. Doch das verändert die Problematik letztlich nicht, sondern verschiebt sie nur, denn auch diese Kräfte sind, so Weissmahr, den Geschöpfen eigen, und es gilt: “Es kann sich in der Welt nichts ereignen, was nicht von weltimmanenten Ursachen herstammen würde und somit nicht auf sie zurückgeführt werden könnte.”32 Offenbar rechnet Weissmahr mit verschiedenen weltimmanenten Kausalitäten, die nur teilweise wissenschaftlich erfaßt werden können.
Gottes Wirken ist nicht denknotwendig
In einer Welt, die im vorgenannten Sinne innerweltlich (eigengesetzlich) verstehbar ist, ist Gottes Wirken nicht denknotwendig. Es ist zwar
23	Ebd. 67. Daß dies nicht zutrifft, wird unten gezeigt.
24	Ebd. 95.
25	Ebd. 144 und 107.
“ Ebd. 144f.;vgl. 154.
27	Ebd. 71.
28	Ebd. 154.
25 Ebd. 157.
30	Ebd. 72.
31	Ebd. 173;vgl. 174; eine Zusammenfassung der Thesen Weissmahrs findet sich auf den S. 188ff.
32	Ebd. 107.
nicht denkunmöglich, doch kann ein kontingentes Wirken Gottes nicht mehr gedacht werden. In einer eigengesetzlich ablaufenden Welt erscheint eine “Offenheit” auf das Handeln Gottes hin nicht möglich.
Eine Denknotwendigkeit, d. h. der Ausschluß anderer Sichtweisen ausschließlich aufgrund rationaler Argumente muß allerdings nicht gefordert werden. Inden Bezügen zu den Feldern des “Wissens” genügt dem Glaubenden ein “Denkmöglich”, d. h. es reicht der Nachweis aus, daß die Daten der Natur- und Geschichtswissenschaften (das “Wissen”) auf der Basis der Glaubensaussagen plausibel deutbar sind und diesen nicht widersprechen.33
Eine deistische Schau, nach der die Welt losgelöst von Gott wie ein großes Uhrwerk abläuft und nach der lediglich am Beginn Gottes besonderes Schöpfungshandeln postuliert werden muß, ist also keine zwingende Folgerung aus der Annahme einer Eigengesetzlichkeit der Welt. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Gottes beständiges Einwirken auf die Welt erforderlich ist, um die Existenz der Welt zu garantieren. Es stellt sich allerdings die Frage, welcher Unterschied zum Deismus überhaupt noch vorliegt. Für das Verständnis des konkreten Ablaufs des Weltgeschehens spielt es faktisch keine Rolle, was man sich als Garanten für die Existenz der Welt vorstellt: Gottes ständiges Begleiten der Schöpfung, das aber die innerweltlichen Kausalitäten nie durchbricht, oder Materiegesetze, die Gott zwar geschaffen haben soll, aufgrund derer aber auch ohne sein beständiges Weiterwirken die Welt erhalten bleibt.
Gottes Beziehung zur Welt
Sollte die Welt tatsächlich eigengesetzlich funktionieren, so fragt sich, was “Schöpfungsglaube” dann bedeuten soll. Wenn die Abläufe der Welt, eine universelle Evolution aus ihren Zweitursachen voll kausal verstehbar ist, welches ist dann die Rolle Gottes in diesem Geschehen? Worin soll Gottes Schöpferwirken bestehen, wenn alles, auch das Entstehen, vollständig naturgesetzlich erklärbar sein soll? Man kann auch so fragen: Was würde sich am Evolutionsgeschehen
ändern (oder was hätte sich geändert), wenn Gottes Schöpferwirken nicht beteiligt (gewesen) wäre? Es bleibt eigentlich nur die bereits angedeutete Möglichkeit, daß Gott beständig dafür sorgt, daß die Gesetze der Welt bestehen bleiben. Gott ist der Garant der Natur- bzw. der Evolutionsgesetze. Das würde bedeuten, daß Gott sich an das Wirken dieser Gesetzmäßigkeiten gebunden hat und darüber hinaus nicht wirkt. Eine eigengesetzlich funktionierende Welt unterscheidet sich von einer mechanistischen Welt nur insofern, als Gott als Garant des Ablaufs postuliert wird, während in einer mechanistischen Welt die Materie und die ihr innewohnenden Kräfte diese Garantie abgeben würden. Eigengesetzlichkeit schließt Offenheit für Wirkungen “von außen” aus; sonst wäre der Begriff “Eigen”-Gesetzlichkeit nicht angebracht. Das ist ein entscheidender Punkt: Die Offenheit des Weltablaufs (im Kleinen wie im Großen) für das unvorhersehbare, unableitbare, die Weltgesetze souverän transzendierende Handeln Gottes ist in einer wirklich eigengesetzlich funktionierenden Welt nicht gegeben. “Soll man da nicht doch den Schöpfungsglauben als eine irrelevante Zutat weglassen?” Diese Frage stellt Track zurecht in den Raum.34
Einschränkung der Souveränität Gottes
Gegen seine Zusammenschau einer Eigengesetzlichkeit der Welt einerseits und dem freien Handeln Gottes andererseits nennt Weissmahr selbst den Einwand: “Wenn aber die geschöpfli-chen Kräfte doch einer besonderen göttlichen Tätigkeit bedürfen, um das Wunder hervorbringen zu können, so hat es nicht viel Sinn zu sagen, es handle sich im Falle des Wunders um solche Kräfte, die dem Geschöpf als solchem zukommen.”35 Er entgegnet, diesem Einwand liege die falsche Sicht zugrunde, göttliches und geschöpf-liches Wirken würden einander ausschließen.
33	In diesem Sinne die "Denkmöglichkeit” des Glaubens aufzuzeigen, war das Bemühen Karl Heims. Zur Kontingenzproble-maiik vgl. Torrance, Time.
34	Track, Evolution 489.
33 Weissmahr, a. a. O. 160.
Die Möglichkeiten einer Zweitursache dürfe man niemals ohne das Wirken der Erstursache betrachten. Doch das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Es geht vielmehr um die Souveränität Gottes. Wenn Gott über die Wirkmöglichkeiten der Zweitursachen hinaus nicht handelt, ist er faktisch an diese Möglichkeiten gebunden und insofern nicht souverän.
Hier liegt eine Alternative vor: Entweder gilt die Eigengesetzlichkeit oder die Souveränität Gottes. Gilkey hält Gott nicht für “frei”, wenn er bei der Schöpfung durch irgendein anderes gleichwertiges Prinzip bedingt, also begrenzt wäre.36 In einer eigengesetzlich ablaufenden Welt träfe das genau zu. Gott wäre allenfalls frei gewesen, die Gesetzmäßigkeiten einer sich entwickelnden Welt festzulegen. Hier gilt die Kritik von Volk: “Nur wenn Gott auch bei der Entwicklung unvermindert Schöpfer und Herr der Welt bleibt, und nur wenn die Welt unvermindert von Gott abhängig und auf Gott angewiesen bleibt, ist Entwicklung als theologisch möglich anzusehen.”37 Genau das geht aber im evolutionstheoretischen Geschichtsbild verloren, denn nach dieser Konzeption ist der Schöpfer an Naturgesetze strikt gebunden. Das gilt in abgeschwächter Form auch dann, wenn die bekannten Evolutionsfaktoren (nach gemäßigt-evolutionstheoretischen Vorstellungen) nicht die alleinigen Prinzipien der Erschaffung gewesen sein sollten. Der Schöpfer ist auch dann nicht der alleinige Herr der Welt; er teilt seine Herrschaft mit der “Herrschaft” von Mutation, Selektion und anderen Gesetzmäßigkeiten. Die Beschränkung des freien Handelns Gottes nur auf Personen, wie Weissmahr sie vornimmt, schränkt Gottes Wirkmöglichkeiten und seine Souveränität erheblich ein. Sie entspricht auch nicht dem Zeugnis des NT, wonach Jesus sich als Herr auch über die außermenschliche Schöpfung erwiesen hat (Mt 8,26 par). In Mt 6,25ff. macht Jesus klar, daß seine Souveränität jedes einzelne Geschehen einschließt.
In einer innerweltlich verstehbaren Welt fragt sich weiter, welche Beziehung Gott zu den konkreten Ereignissen dieser Welt hätte. Kann man mit einem unvorhersehbaren Eingreifen Gottes auf ein gläubiges Gebet hin rechnen? Die Ver-
heißungen, die Gottes Wort auf das Gebet legt, machen in einer eigengesetzlichen Welt keinen Sinn. Das besondere, unmittelbare Eingreifen Gottes in die Welt ist für den Glauben aber wesentlich. Und für die Heilige Schrift gilt: “Sollte Jahwe irgendetwas unmöglich sein?” (Gen 18,14; Dt 8,3f.; Lk 18,27)
In seiner Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre hebt Track hervor, daß sich Gott die Freiheit nehme, das Unerwartete zu tun.38 Was heißt “unerwartet” in einer eigengesetzlichen Welt?
Das Konzept der “Eigengesetzlichkeit” ist philosophisch, nicht etwa empirisch begründet. Die Wissenschaft arbeitet methodisch zwar auf der Basis einer Eigengesetzlichkeit (sog. “methodischer Atheismus” oder “methodischer Noninterventionismus” nach Stuhlhofer39) und das sehr erfolgreich, doch kann sie (indem sie Kausalanalysen durchführt) nur feststellen, welche Wirkungen vorhanden sind und gewisse Wirkungen ausschließen. Der Wissenschaftler kann jedoch nie sicher sein, ob er die Wirkungen vollständig erfaßt. Darüber hinaus — und das ist der wichtigere Punkt — kann der methodische Atheismus nur im Bereich der Gegenwartsanalyse angewendet werden (vgl. Abschnitt 3.6). Daher ist es falsch (wie Weissmahr meint), daß Naturwissenschaft nicht möglich wäre, wenn es keine Eigengesetzlichkeit der Welt gäbe. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist möglich, wo es Gesetzmäßigkeiten — oder besser: Regelhaftigkeiten -gibt, eine durchgängige Eigengesetzlichkeit ist nicht erforderlich.
Die Vorstellung einer Eigengesetzlichkeit ist noch aus einem weiteren Grund erkenntnistheoretisch kritisierbar: Die Naturwissenschaft erklärt einen Zustand dadurch, daß sie ihn auf bekannte Basisgesetze restlos zurückführt. Das
39 Gilkey, Himmel und Erde 95.
37	Volk, Schöpfungsglaube. Ähnlich Zimmerli, Urgeschichte 45:
“Auf das eine wird es freilich bei aller weiteren Verschiebung
unseres Weltbildes ankommen, daß die Herrschaft des einen
Herrn ungeschmälert bezeugt und alle Eigenmachte zu
Nichtsen entmächligt werden.”
38	Track, Evolution 490.
39	Stuhlhofer, Wellengrund.
bedeutet, daß das Verursachte als gleichwertig mit seiner Ursache anzusehen ist. Daraus folgt, daß evolutionär Neues, das durch innerweltliche Ursachen entstanden ist, nur scheinbar neu ist und in Wirklichkeit nur eine andere Erscheinungsform des Bisherigen ist. Es gäbe dann gar nichts wirklich Neues. Daraus folgt eine materialistische oder panpsychistische Weltanschauung. Erstere, wenn man die Materie als primäre Wirklichkeit ansieht, aus der alles abzuleiten ist, letztere, wenn man dem Geist den Primat zuerkennt, und alle materiellen Phänomene als Ausdruck des Geistigen ansieht.
Wenn Neues wirklich neu sein soll, wenn z. B. Leben gegenüber Nichtleben, Moral gegen Instinkt, Bewußtsein gegen Bewußtlosigkeit usw. kategorial neue Dinge sind, bleibt nur die Schlußfolgerung, daß das Netz der causae secundae kein hinreichender Grund für das Entstehen neuer Folgezustände sein kann und daß eine Eigengesetzlichkeit durchbrochen werden muß. Die Ebene des Verobjektivierbaren (= Ebene der Zweitursachen) muß als offen für Wirkungen von außen angesehen werden.
b.	Der Zusammenhang zwischen Erstursache und Zweitursachen
Wie kann man sich die Offenheit der Ebene der Zweitursachen für die Ebene der Erstursache vorstellen? Wie sind Wirkbrücken zwischen causae primae und secundae beschaffen? Wie erfolgt eine Interdependenz? Man muß zunächst einräumen, daß da, wo Gott handelt, eine Beschreibung des Wie nur sehr bedingt möglich ist. Der hier in der Theologie geläufige Begriff des concursus divinus, mit dem das Ineinandergreifen des ständigen Schöpferhandelns Gottes und des Eigenwirkens der Geschöpfe beschrieben wird, umschreibt ein gedankliches Konzept, ohne es konkret zu füllen. Mit diesem Konzept soll die Alleinwirksamkeit Gottes ebenso abgelehnt werden wie die Alleinwirksamkeit der Geschöpfe.40 Die Anteile des geschöpflichen und göttlichen Wirkens sind nicht in einer Formel zu bestimmen.41 Die Autoren, die von einer evolutiv-eigengesetzlich ablaufenden Welt ausgehen,
geben hierzu keine nähere Auskunft.
Ein Beispiel sei genannt: Hengstenberg sieht ein göttliches und geschöpfliches Zusammenwirken bei der Bildung der Arten.42 Er spricht von einem “Weiterschaffen” Gottes an dem, was er bislang geschaffen hatte, und von einer “Theorie der gestuften Schöpfung”43: “Es ist mithin widerspruchslos zu denken, daß eine frühere Lebensform konditional für eine spätere war, ohne daß diese ‘aus’ der früheren im Sinne eines kausalen Werdeprozesses hervorgegangen wäre. Vielmehr ist die spätere originär von Gott geschaffen. Dieser originäre Charakter wird nicht dadurch aufgehoben, daß es sich um ein Weiterschaffen an schon Geschaffenem handelt.” Doch will Hengstenberg dies nicht im Sinne von “Sondereingriffen” Gottes verstanden wissen.
“Vielmehr ist die Sachlage so zu sehen: in einem bestimmten Kairos innerhalb der ‘Naturgeschichte’ gelangt eine Lebensform in den Stand, daß sie einen neuen actus essendi vom Schöpfer empfangen kann Der Schöpfer teilt, ohne in etwas einzugreifen oder etwas kausal zu verändern, also ohne daß das ‘sine motu’ gefährdet wird, den neuen actus essendi an das Geschöpfliche mit.”'”
Kritik: Bei diesem Versuch bleibt unklar, warum das Handeln eines Schöpfers noch notwendig ist, wenn ein Eingreifen, ein “Verändern an Vorgegebenem” ausgeschlossen wird. Mit dem “Weiterschaffen” ist nur gemeint, daß Gott sich in den geschaffenen Dingen “ausdrückt”. Hengstenberg spricht von einer “Ausdrucksrelation”, die zur Kausalrelation hinzukommen müsse, damit Schöpfung geschieht. Eine “Umprägung... muß ... den von Gott eingeschaffenen neuen Prinzipien zugesprochen werden. Nur auf diese Weise gibt es eine konfliktfreie Verbindung des Formalobjekts der Evolutionstheorie mit dem Formalobjekt der Schöpfungslehre.”45
40	Vgl. Schunk, ÖkumDogm 97,98.
41	Es sei noch angemerkt, daß sich die Problematik des Verhältnisses der causa prima zu den causae secundae der Geschöpfe angesichts der Realität der Sünde verschärft.
42	Hengstenberg, Evolution 43.
43	Hengstenberg, Evolutionismus 85.
44	Ebd.
45	Ebd. 88.
Wie sieht das konkret bei der Entstehung des Menschen aus? Zunächst sieht Hengstenberg einen metaphysischen, nicht bloß qualitativen Sprung zwischen dem Tier und dem Menschen. Der erste Mensch muß daher “ganz neu geschaffen sein mit Geist, Personalitätsprinzip, Leib..., wenn auch das Anknüpfen Gottes an vorgegebene Teilmaterie nicht ausgeschlossen ist.”46 Andererseits lehnt Hengstenberg die Vorstellung ab, Gott habe einem schon existierenden Tierindividuum den Geist hineingeschaffen, der Geist habe dann die menschliche Formung der anderen Konstituentien übernommen. Gott habe auch nicht bei dem zu “verwandelnden” Individuum die Materie umgeordnet; das liefe auf die Vorstellung eines Deus ex machina hinaus. Kontinuität des Evolutionsprozesses und ein “ganz neues” Schaffen werden hier gleichzeitig behauptet, ohne zu klären, wie beides zusammenzudenken ist. Theologische Erfordernisse und Implikate der Evolutionslehre werden gleichzeitig genannt, ohne Rückprüfung, wie eine Synthese möglich ist.
Geht man dem biblischen Zeugnis gemäß dagegen von einer Offenheit der Zweitursachenebene für unvorhersehbare Wirkungen Gottes aus, könnte man sich denken, daß Gott neue Molekülkomplexe erschafft, die zu den bisherigen Sekundärursachen interagierend, hinzutreten (etwa bei einer Heilung oder z. B. bei der Verwandlung von Wasser in Wein). Umgekehrt könnte Gott auch Materie aus der Welt entfernen, die damit aus dem Wirkungskomplex der Zweitursachenebene ausscheiden würde. In beiden Fällen würde Gott nur indirekt in der Ebene der Zweitursachen handeln und doch volle Souveränität über die ganze Welt haben. Seine Transzendenz geht auf diese Weise nicht verloren (entgegen der Befürchtung Weissmahrs und Schoonenbergs). Transzendenz und Kondeszendenz schließen sich nicht aus: Gott verliert seine Transzendenz nicht, wenn er in seiner Souveränität in die Ebene der Zweitursachen im beschriebenen Sinne eingreift. Weissmahr und Schoonenberg bauen einen Scheingegensatz auf, wenn sie Gottes Tätigsein in der Zweitursachenebene der Welt gegen seine Transzendenz stellen.
Das bedeutet keineswegs, daß Gott nur am
Werke ist, wenn er auf diese besondere Weise in die Welt hineinwirkt. Es bedeutet vielmehr, daß zwischen einem schöpferischen (unableitbaren; creatio originans) und erhaltenden und begleitenden (die Regelhaftigkeiten der Welt garantierenden) Handeln Gottes (creatio continua et servanda) unterschieden werden muß. Die Tatsache beispielsweise, daß die Erde sich regelmäßig um ihre Achse dreht, ist nicht losgelöst von Gott, aber es ist nicht Ausdruck eines Schöp-/w/igshandelns im Sinne von ex nihilo. Ebenso schließt ein anfängliches besonderes Initialschaffen nicht ein, daß Gott nach dem Anfangswerk sich von der Schöpfung zurückzieht und diese ohne Gottes Wirken “funktioniert”.
Lanzenberger erläutert das Nebeneinander von Schöpfung und Evolution durch einen Vergleich: Wenn wir verstehen, wie ein Auto funktioniert, bestreiten wir deshalb nicht, daß ein Konstrukteur und Erbauer dahinter steckt.47 Sollte man also einen Schöpfer leugnen, wenn wir wissen, wie er geschaffen hat, nämlich durch Evolution? Der Vergleich ist jedoch unpassend. Er verdeutlicht gerade das Gegenteil dessen, was er veranschaulichen soll: Das Werden eines Automobils kann auf der Materialebene nicht verstanden werden. Im Evolutionsprozeß entspricht die Materialebene den Geschöpfen und ihren Kräften. Lanzenberoer geht aber von einer Automatik der Evolution aus. Er spricht nicht davon, daß Gott die Evolution lenken würde (“Gott hat es nicht nötig, übernatürlich einzugreifen”48), so wie ein Autokonstrukteur zielgerecht die Bausteine zusammensetzt. Es bleibt die Möglichkeit, daß Gott die Materie so erschaffen habe, daß sie eigengesetzlich evolviert: “Aus theologischer Sicht ist Evolution nichts anderes als die Bewegung der Natur, die durch Gottes Wort in Gang kam.”49 Andererseits sagt Lanzen berger, daß Gott ggf. die Welt auch führen könne.50 Eine in sich stimmige Sicht von “Evolution = Schöpfung” wird nicht erzielt.
46	Hengstenberg, Evolution 209.
47	Lanzenberger, Schöpfung.
48	Ebd.67.
44 Ebd.53.
50 Ebd. 79.
c.	Karl Heims voluntaristisches Weltbild
Zum Verständnis von Wundern und der damit verbundenen Frage nach dem Handeln Gottes in der Welt hat Heim hilfreiche Überlegungen geäußert.51 Wunder sind für ihn keine Durchbrechungen des Kausalzusammenhangs, keine “Reparaturen”. Vielmehr müsse man hinter allen Geschehnissen, auch den Regelmäßigkeiten der Welt, das Walten Gottes sehen. Die Regelmäßigkeiten gibt es nicht aufgrund von ewigen Naturgesetzen, sondern weil Gott sie durch sein ständiges Erhaltungshandeln gewährt. Alle Abläufe der Welt werden beständig vom Willen Gottes getragen. In diesem Sinne kann man von einem “voluntaristischen Weltbild” sprechen.52 Heim meint damit, daß die verobjektivierbaren und gesetzestypisch faßbaren Phänomene der Niederschlag eines Wirkens von Willensmächten der unsichtbaren Schöpfung sind (und nicht etwa Ausdruck ewiger Materie- oder “Naturgesetze”). Nach dieser Sicht der Dinge kann man nicht davon sprechen, daß sich Gott strikt an Naturgesetze binde, um dadurch eine Eigengesetzlichkeit der Welt zu sichern. Vielmehr gibt es danach gar keine Eigengesetzlichkeit, sondern nur Regelmäßigkeit, insoweit Gott sie garantiert (was der weit überwiegende Normalfall ist und weshalb erfolgreiche naturwissenschaftliche Forschung möglich ist). Hinter dem sichtbaren und erforschbaren Weltgeschehen sieht Heim also einen Willenskampf von geistlichen Mächten bis in den Bereich der anorganischen Welt hinein. Dies wird in der Stillung des Sturmes durch Jesus beispielhaft deutlich, denn durch ein Machtwort Jesu muß ein Ereignis in der anorganischen Welt seinen Lauf ändern. Das biblische Wunder ist nicht durch den Gegensatz zum Naturgesetz gekennzeichnet, sondern durch den Gegensatz zwischen dem göttlichen Willen und dem Wirken dämonischer Mächte.
“Die Wunder Jesu... sind ein ‘Binden des Starken’, ein Sieg über die Willensmächte, die hinter dem Leiden des Menschen stehen.... Die ganze Wundertätigkeit Jesu ruht also auf der Voraussetzung, daß die Welt eine Innenseite hat, die der Willenskraft zugänglich ist... Das Naturgeschehen ist ein Niederschlag von Willensmächten.”55
Mit dieser Schau kann sowohl die beständige Souveränität Gottes als auch die Regelhaftigkeit der Weltabläufe gleichzeitig vertreten werden. Ein besonderes Eingreifen Gottes ist kein Durchbrechen von Naturgesetzen, sondern ein Hinzutreten weiterer Wirkungen zu dem beständigen Erhaltungswirken Gottes. Das Konzept einer Eigengesetzlichkeit der Welt hat hier allerdings keinen Platz. Es gibt keine Naturgesetze, an die Gott sich selbst sklavisch gebunden hätte, sondern nur “Äonsgesetze”, Feststellungen über die Verfaßtheit “dieses Äons” post lapsum seitens des erkennenden und forschenden Menschen.54
4.7.1.2	Wie wirkt Gott in der Evolution?
Fragwürdige Schöpfungsmethoden
Nach der Auffassung aller Vertreter theistischer Evolutionsanschauungen steht Gott als treibende Kraft hinter dem Evolutionsgeschehen. Ein “Dieu evoluteur” (Teilhard) würde sich jedoch einer tötenden Schöpfungsmethode, nämlich der Methode der Zufallsmutation und Auslese der am besten Angepaßten (Selektion) bedienen, wenn die Evolutionstheorie die Entstehung der Arten richtig beschreiben und wenn Gott dieses Geschehen lenken würde oder angestoßen hätte. Für diese Einschätzung spielt keine Rolle, wie man sich die Wirkung Gottes im Evolutionsgeschehen konkret vorstellen soll. Das Selektionsprinzip würde in jedem Fall gelten. Auch wenn mit diesem Prinzip nicht einfach das “Recht des Stärkeren” gemeint ist, so besagt es doch, daß nur auf Kosten des Tödes und des Leidens ungezählter Individuen und Arten (Aussterben) eine allmähliche Höherentwicklung möglich war (vgl. Abschnitt 2.4). Ohne diesen “Ausschuß” wäre eine Evolution höherorganisierter Organismen nicht abgelaufen. Die Schöpfungsmethode Got-
51	Heim, Wandlung Kap. 17 und 18; vgl. Beck, Universalität 373ff.
52	Köberle, Heim 33, spricht sogar von einem “pan-voluntaristi-schen” Weltbild.
52 Beck, a. a. O. 375f. Vgl. Heim, Wunderheilungen.
54 Beck, a. a. O. 370.
tes durch Evolution hätte gewaltige Krisen und Katastrophen sowie einen erheblichen Verlust an biologischer Substanz in Kauf genommen.55 Angesichts dieses destruktiven, lebensvemeinen-den Aspekts einer Schöpfungsmethode durch Evolution erscheint die Frage “War der Teufel auch dabei?” von Heitler folgerichtig.56 Denn in der Schöpfung findet man heute neben dem Zweckmäßigen und Schönen auch das Destruktive und Grausame. Mit der Auffassung, Gott habe sich dieser Mechanismen bedient, um die Schöpfungswerke hervorzubringen, ist daher die Konsequenz gekoppelt, daß die Kehrseiten der Schöpfung zum Wesen der “guten Schöpfung” Gottes gehören.57 Diese Problematik wird bei Verhältnisbestimmungen von Evolutionslehre und Theologie fast durchweg ausgespart. (Welche Folgerungen sich daraus — abgesehen von den Implikationen für das Gottesbild - für die Erlösungshoffnung ergeben, wurde in Abschnitt 4.5 diskutiert.)
Zielgerichtetheit
In Abschnitt 2.4 wurde ausgeführt, daß die bekannten Evolutionsfaktoren keinen Hinweis darauf geben, daß der durch sie bewirkte Prozeß des Artenwandels in irgendeinem Sinne gerichtet wäre. Im Gegenteil deutet alles im Gebiet der kausalen Evolutionsforschung auf die Ungerichtetheit der beobachtbaren Evolutionsprozesse hin. Auch bei behaupteten makroevolutionären Übergängen gehen die Evolutionstheoretiker von einer Ungerichtetheit aus. Dieser Zufallsprozeß soll die Artenvielfalt hervorgebracht haben, den Menschen eingeschlossen.5*
Was heißt vor diesem Hintergrund und seinen evolutiven Deutungen, daß Evolution die Methode der Schöpfung ist? Man könnte darauf verweisen, daß der Zufall nur scheinbar Zufall ist (vgl. Abschnitt 2.4). In der Tat ist “Zufall” im Grunde genommen eine Umschreibung für Nichtwissen. Vielleicht sind zufällig erscheinende Ereignisse in Wirklichkeit doch gesteuert. Ein verborgenes Steuerelement könnte darin liegen, daß die Materie so beschaffen (bzw. geschaffen) ist, daß sie notwendigerweise durch ein ungerichtetes “Zufallsspiel” doch zu Höherentwick-
lung gelangt. Nach dieser Vorstellung hätten in der Evolution jedoch auch ganz anders gestaltete Formen anstelle des Menschen entstehen können. Allerdings könnte man annehmen, Gott habe den Zufall kanalisiert. Was uns als Zufall erscheint, sei in Wirklichkeit Gottes Handeln.59 Das würde aber heißen, daß Gott auch die große Überzahl (> 99,9%) an schädlichen Zufallstreffern (Mutationen) gelenkt hat. Die Lenkung der mutativen Änderungen (woraus konstruktive Entwicklungswege resultieren sollen) wäre durch ein Übermaß an destruktiven Wandlungsschritten kaschiert, so daß sich daraus für den forschenden Wissenschaftler ein Anschein von Zufälligkeit und Ziellosigkeit ergibt.
Kritik
a.	Selektion als Schöpfungsprinzip?
Die Kennzeichen der Evolutionsmechanismen entsprechen als Schöpfungsmittel nicht den biblischen Kennzeichnungen des schöpferischen Handelns Gottes bzw. Jesu Christi.60 Es ist zu bedenken, daß derselbe Gott, der die Welt erschaf-
5S Bosshard, Erschafft die Welt 150; vgl. Koestler, Irrläufer 14. King, Creation 201, sieht darin, daß Gott Millionen von Planeten und Galaxien schuf, eine Chance, daß irgendwo eine erfolgreiche evolutionäre Entwicklung ablief, die mit einem Minimum an äußeren Eingriffen voranschreitet.
58 Heitler, Natur.
57	Daraus resultiert die Tendenz zu einer monistischen Weltanschauung.
58	Auch von zahlreichen Theologen wird heute weitgehend die Evolution als nicht a priori zielgerichteter Prozeß angesehen. “Dafür ist die Zahl der entwicklungsentscheidenden Sprünge, die von den vorliegenden Gegebenheiten unmöglich abgeleitet werden können, allzu bedeutend. Im Prozeßverlauf sind
die Überraschungen und Glücksfalle... Legion___Und auch
innerhalb unseres Weltsystems wird keine vorbestimmte Finalitat, keine Zielgerichtetheit zugegeben. Eher schon ein gleichsam spielerisches Geschehen, wobei vieles umsonst und verschwenderisch ausfailt” (Ganoczy, Schöpfungslehre 154f.). - Die Charakterisierung “verschwenderisch” ist ein Euphemismus, der das mit einem evolutiven Schaffen verbundene allgemeine Sterben mit seinen Begleiterscheinungen verdeckt.
s9 Vgl. Hagele, Naturgesetze 73f. Moltmann, Schöpfung 214, spricht von einem “beabsichtigten Zufall", ohne allerdings zu verraten, wie er diesen Gegensatz zusammenbringt.
60 Vgl. Gitt, Evolution; Grrr, Zeugnis.
fen hat, sich in Jesus Christus offenbart hat. In Jesus ist “alles geschaffen worden, was im Himmel und auf der Erde ist” (Kol 1,16; vgl. Joh 1). Daher ist es berechtigt, die Schöpfungsmethode durch Evolution dem im Wirken Jesu zum Ausdruck kommenden Wesen Gottes gegenüberzustellen. Die schöpferischen Taten Jesu waren durch Barmherzigkeit und Liebe gekennzeichnet. Diese Charakterisierungen treffen auf den (auch theistisch verstandenen) Evolutionsprozeß gerade nicht zu.
“Die Identität Gottes des Schöpfers und Gottes des Erlösers... das ist die theologische Achse des Evangeliums” schreibt Gilkey,61 der eine theisti-sche Evolution vertritt. Man müßte also trotz des Zusammenhangs von Schöpfung und Erlösung annehmen, daß Gott in der Schöpfung einerseits und in der Erlösung andererseits auf gegensätzliche Weise gehandelt hätte. Besonders der Geist der Bergpredigt mit den dortigen Seligpreisungen widerspricht den Prinzipien der Evolution.62 Jesus Christus nahm sich insbesondere der Schwachen an, derer, die keine Aussichten hatten, als die Bestangepaßten im Kampf ums Dasein zu überleben, um in der Sprache der Evolutionslehre zu sprechen. “Wer unter euch groß sein will, sei euer aller Diener” (Mt 20,26).
Mit diesem Widerspruch müssen sich Verfechter aller Varianten einer theistischen Evolution auseinandersetzen. Wenn die Evolutionslehre eine zutreffende Rekonstruktion der Kosmosgeschichte wäre, hätte Gott die auf Fressen und Gefressenwerden angelegten ökologischen Zusammenhänge von vornherein gewollt und als Schöpfungsmethode eingesetzt, entgegen der offensichtlichen Tatsache, daß Jesus Christus der Struktur dieser Welt, die als Voraussetzung evolutionärer Entwicklungsmöglichkeit verwirklicht sein muß, widersprach (vgl. Abschnitt 4.5).63 Wenn Hübner vor dem Hintergrund der Evolutionslehre sagt, daß die Liebe, die in Jesus Christus ist, den Daseinskampf überwunden habe, impliziert er ein sich diametral wandelndes Gottesbild bzw. -handeln.64 Denn der von Christus überwundene Daseinskampf wäre von ihm selber inszeniert oder wenigstens geduldet worden. Diese Bewertung trifft auch auf Bosshards Feststellung zu, daß die evolutive Schöpfungs-
methode einen hohen Tribut an Katastrophen und Verlusten zollen mußte,65 wenn er andererseits später von einer “behutsamen Leitung” der Evolution in die Zukunft hinein spricht.66 Kurz davor erwähnt er Katastrophen, die “vielleicht unentbehrlich” gewesen seien, um der Evolution entscheidende Anstöße zu versetzen; sie mußten allerdings gut dosiert sein, um das Leben nicht völlig auszulöschen.67
b.	Das Schöpfungshandeln des irdischen Jesus
Das Handeln des irdischen Jesus wirft Licht auf seine Schöpfung. Jesus schuf augenblicklich neues Hautgewebe oder Muskelgewebe bei Kranken (z. B. Joh 5, lff.);68 er verwandelte augenblicklich Wasser in Wein (und schuf damit eine Vielzahl organischer Moleküle), er vermehrte Brot, ohne an Zeit gebunden zu sein. Die Erschaffensme-thode des Schöpfers hat Jesus Christus selbst gezeigt: Er schuf durch sein Wort, ohne Zeitverbrauch und in unerklärbarer Weise (die Evangelien enthalten sich jeglicher Andeutungen, wie Jesus es fertiggebracht hat, Brot zu vermehren, Kranke zu heilen und Tote aufzuerwecken). Hier sind keine Parallelen zu einer postulierten evolutionär verlaufenden Schöpfung Gottes zu finden - im Gegenteil: der Unterschied tritt deutlich hervor.
c.	Theologische Bewertung des Daseinskampfes
Der Daseinskampf ist Realität. Aber er ist theologisch anders zu bewerten als es die Vertreter theistisch-evolutionistischer Vorstellungen tun:66 Der Kampf ums Dasein ist nicht ein Mittel der
4,1 Gilkey, Himmel und Erde. a Vgl. King, Creation 205.
63	Vgl. Junker, Sündenfall
64	J. Hübner, Biologie 38.
65	Bosshard, Erschafft die Well 150.
“ Ebd. 209.
67 Ebd.
“ Es isi zwar nicht die Intention dieser Heilungsgeschichte, den Heilungsvorgang zu schildern und zu erklären, doch kann das Gesagte aus der Schilderung erschlossen werden. Manche Krankheiten, die Jesus, ohne an einen normalen Heilungsprozeß gebunden zu sein, heilte, konnten nur durch Erschaffen neuen Gewebes überwunden werden.
M Er ist auch biologisch anders zu bewerten als in den Vorstellungen der meisten Evolutionstheoretiker. Die Evolutions-
Erschaffung der Lebewesen, sondern Gerichtszeichen nach dem Sündenfall des Menschen (s. o.).70 Der Unterschied dieser beiden Deutungen ist gewaltig: Im einen Fall wäre der Kampf ums Dasein ein Wesensbestandteil der prälapsarischen Schöpfung und Ausdruck des Schöpfungshandelns Gottes; im anderen wäre er auf einen in der Schöpfung durch den Fall aufgrund des Gerichtshandelns Gottes vorhandenen Widerspruch gegen die Schöpfung zurückzuführen. Es ist also kein Argument für die Vereinbarkeit des Prinzips “Kampf ums Dasein” und des Schöpfungshandelns Gottes, wenn darauf verwiesen wird, daß Gott doch auch “grausam” handle, wenn er z. B. seinem Volk befahl, ganze Städte oder Völker vom Säugling bis zum Greis auszurotten. Dabei handelt es sich um Gerichte. Es sind Maßnahmen zur Eindämmung des Bösen, zur Verhinderung eines noch größeren Unheils, und keine Mittel zur Hervorbringung der Schöpfung. In diesem Sinne ist auch dem Einwand zu begegnen, Gott selber habe doch in der Geschichte seines alttestamentlichen Gottesvolkes geradezu grausam gehandelt, oder der Auffassung, daß die natürliche Auslese genauso eine Einrichtung Gottes sei wie der Staat, oder wie es der Wille des Vaters gewesen sei, daß sein Sohn leiden sollte.7' Doch dieses Handeln Gottes war Gerichtshandeln, nicht Mittel zur Hervorbringung der Schöpfung; es folgt aus dem Einbruch der Sünde in die Welt und ist ein Zeichen dafür, daß die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Ebenso ist die Notwendigkeit staatlicher Gewalt erst in einer Welt der Sünde erforderlich. Das Gerichtshandeln Gottes trifft im übrigen nicht bevorzugt die Schwachen und Unangepaßten, sondern ist als Konsequenz von Ungehorsam zu verstehen.
4.7.2	Gemäßigte Vorstellungen
Gemäßigte evolutionstheoretische Vorstellungen gehen von einer Zielgerichtetheit des evolutionären Prozesses oder von besonderen göttlichen Eingriffen in diesen Prozeß aus. Diese beiden Modifikationen der gemäßigten Evolutionsanschauung werden im folgenden bezüglich der Gottesbild-Frage dargestellt und kritisiert.
a. Teleologie
Manche theistischen Evolutionsanschauungen postulieren eine Teleologie im Evolutionsprozeß. Mit der Erschaffung des Menschen sei die Entwicklungslinie der Schöpfung zu ihrem offensichtlich zu Beginn gesetzten Ziele gelangt.72 Die Wissenschaft müsse angesichts der Tatsachen mit einer “evolution creatrice” rechnen.73 Wenn Entwicklung nicht mechanisch verstanden werde, sondern als von Schöpfungsakt zu Schöpfungsakt fortgehende Geschichte, dann bestehe kein Widerspruch zwischen Schöpfung und Entwicklung.74 Die Zielgerichtetheit der Evolution sei unter der Annahme eines Schöpfers allerdings eine “Glaubensaussage”, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht zu erheben sei.” Wenn der Entwicklungsgedanke den Zweckgedanken festhalte, widerspreche er in keiner Weise dem Christentum.76 Das Christentum müsse jedoch die jüngere, antiteleologische Form der Entwicklungsidee ablehnen.77 Das Leben sei un-ableitbar.78 “Die Biologie in der heutigen Naturwissenschaftverlangt das Weltbild des echten teleologischen Entwicklungsgedankens, und danach muß der Urgrund alles Seins als Leben gesetzt werden.”79
Beth stellt in diesem Zusammenhang dem “echten Entwicklungsgedanken” den “mechani-
faktoren bewirken nur Variation des Vorgegebenen und bestenfalls Erhalt des Geschaffenen. Der Satz: “Die bekannten Evolutionsmechanismen bewirken nur Veränderungen im Rahmen bereits vorhandener Gene und Strukturen” ist empirisch gut belegt (Illies, Jahrhundenirrtum\ Junker & Scherer, Entstehung Kapitel 3—5; Kahle, Evolution', Lonnig, Anbegriff u. v. a.). Ob mehr möglich ist, kann die Naturwissenschaft nicht sagen, es erscheint jedoch aus innerwissenschaft-lichen Gründen als unwahrscheinlich, nach gegenwärtigem Kenntnisstand z. T. als unmöglich (Vollmert, Molekül, Shapiro, Schöpfung). Positive Belege für eine Evolution neuartiger Gene und neuartiger funktionstüchtiger Merkmale des Phänotyps gibt es nicht.
70	Vgl. Junker, Sündenfall.
71	Berry, Adam 117.
72	Goez, Naturwissenschaft 110
73	Bri inner, Dogmatik 44,48f.
74	Ragaz, Urgeschichte 35.
75	Schmaus, Glaube 204.
74 Beth, Entwicklungsgedanke 32.
77	Ebd. 33.
78	Ebd. 41.
79	Ebd. 42.
stischen Entfaltungsgedanken” gegenüber.80 Ersterer enthalte die Annahme, daß von Gott gesetzte Zwecke als Entwicklungsfaktoren wirken.81 Die naturwissenschaftliche Theorie müsse sich dabei mit einer allgemeinen Zielbetrachtung begnügen. Sie könne eine “Vervollkommnung im Entwicklungsgang, ein Aufsteigen von allerfeinster zu verdichteter Materie, vom Anorganischen zum Organischen und innerhalb des letzteren vom unbewußten zum bewußten Leben” konstatieren. Die Frage nach dem Sinn und Zweck dieses Entwicklungsganges könne sie nicht aus der Welt schaffen, auch wenn sie außerhalb ihrer Grenzen entsteht. Die Deszendenztheorie müsse also von ihrer besonderen Form, dem Darwinismus, getrennt werden.82
Die Zielgerichtetheit der Evolution auf den Menschen hin wird auch heute noch von vielen Autoren vertreten.83
Kritik: Eine Zielgerichtetheit im Evolutionsprozeß kann nur eine Zielgerichtetheit mit Mißgeschicken sein. FIaas vergleicht die von ihm vermutete Zielgerichtetheit des evolutionären Prozesses mit der Zielgerichtetheit eines Schrotschusses.84 Einzelne Schrotkugeln mögen das Ziel verfehlen, die gesamte Ladung zeige aber die Zielgerichtetheit. So sei es auch, wenn man die paläontologischen Daten überblicke. Im Detail sei oft keine Richtung zu finden; der Gesamtablauf zeige sie aber deutlich. Um im Bild dieses Vergleiches zu bleiben: Ein großer Teil der Schrotkugeln verfehlt ihr Ziel, nur wenige treffen. Hier hilft auch die Annahme von Haas nicht weiter, in der Evolution sei neben Mutation und Selektion eine plangestaltende Kraft am Werke, ohne die es ein Formenchaos geben müßte.85 Eine solche Schöpfungsmethode könnte kaum uneffektiver sein, denn die angenommene planende Kraft würde oft gründlich danebentreffen. Inwiefern daraus ein sehr fragwürdiges Gottesbild resultiert, wurde bereits im vorigen Abschnitt herausgestellt.
b. Besondere Eingriffe Gottes ins Evolutionsgeschehen
Eine andere Möglichkeit einer Einschränkung einer eigengesetzlich voll funktionierenden Evolution wäre das Postulat eines besonderen Schöpferwirkens zusätzlich zu den bekannten Evolutionsfaktoren, als wissenschaftlich nicht faßbare Größe, die die eigentliche schöpferische Kraft darstellt. Damit wären die Evolutionsfaktoren nur noch modifizierende Kräfte, die jedoch keine neuen Bauplantypen hervorbringen könnten, also nicht schöpferisch wirken würden.
Kritik: Solche Evolutionsanschauungen, die von besonderen Eingriffen Gottes ausgehen, sind strenggenommen gar keine Evolutionstheorien, da das Entscheidende, das Neue, nicht-evolutionär entstanden sein soll. Diese Konzepte setzen damit den Grundansatz der Evolutionslehre außer Kraft. Man akzeptiert einerseits bestimmte Ergebnisse, die mit diesem Ansatz gewonnen wurden (nämlich das “Faktum der Evolution” und die in Abschnitt 2.8 genannten Gemeinsamkeiten aller Evolutionsanschauungen), lehnt aber andererseits andere Aspekte ab — ein willkürliches und inkonsequentes Vorgehen. Man sieht also im Rahmen einer theistischen Evolution teilweise durchaus Widersprüche zur biblischen Offenbarung und weist deshalb den Grundansatz der Evolutionslehre an wichtigen Stellen zurück.86
Behler setzt an die Stelle der Mutations- und Selektionshypothese zur Erklärung immer komplexer werdender Formen des Lebendigen und der Steigerung seiner Funktionsleistungen den theologischen Gedanken des “Dialogs zwischen
80	Ebd. 43.
81	Ebd. 69.
82	Ebd. 157.
83	detaillierte Ausführungen bei Broker, Sinn 120ff.
83 A. Haas, Entwicklungsgedanke 79.
85	Ebd. 80.
86	Wenn die Entstehung von Neuem nicht-evolutionär erfolgt sein soll, gibt es im übrigen keinen zwingenden Grund, diese entscheidenden Schritte zeitlich auseinanderzuziehen; sie ließen sich genausogut zeitlich stauchen.
Gott und der Schöpfung, getragen von einem Gesamtsinn der Schöpfung, sich vollziehend in Impulsen, die dem Geschaffenen eine Antwort im freien Spiel seiner Selbstgestaltungsmöglichkeiten gestatten.”87 Man müsse berücksichtigen, daß Gott seine Schöpfung in eine relative Eigenständigkeit entläßt. Behler sieht in der evoluti-ven Abfolge der Schöpfungsphasen, die vom Urknall ihren Anfang genommen haben, eine fortschreitende Befähigung des Geschaffenen, “Gegenstand der Liebe Gottes zu sein und schließlich auf diese Liebe in einer je eigenen Art und Weise zu antworten”88. Als dialogischen Charakter der Schöpfung bezeichnet er diese Befähigung und die Antwort der Schöpfung. Dabei sei die Schöpfung nicht so programmiert, “daß eine weitere Aktualisierung der Bezogenheit zwischen Schöpfer und Schöpfung überflüssig würde”89.
Hier fehlt ein konkreter Zusammenhang mit den Ergebnissen der Evolutionsforschung. Behler geht nicht darauf ein, wie sich der dialogische Charakter der Schöpfung konkret im Evolutionsprozeß äußern soll. Man könnte einmal konkret fragen, wie sich der Dialog zwischen Gott und der Schöpfung in den letzten hundert Jahren der Evolutionsgeschichte manifestiert hat. Die Evolutionsforschung geht heute davon aus, daß es immer wieder große Zeiträume gegeben hat, in denen die Evolution stagniert hat. Wenn vor diesem Hintergrund vertreten werden kann, daß auch in diesen Zeiten der Stagnation Gott am Werke war, dann ist das genauso möglich in einem Schöpfungskonzept, in dem die geschaffenen Formen sich nur in Grenzen unter Spezialisierung verändern können.
4.7.3	Die Theodizee-Frage im evolutionären Kontext
Die Theodizee-Frage stellt sich aufgrund des biblischen Zeugnisses, daß einerseits Gott gut und allmächtig ist, daß aber andererseits das Böse existiert. Im Konzept einer theistischen Evolution kann man sie folgendermaßen formulieren: Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Gutheit festgehalten werden, wenn Gott Krankheit, Mißbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, aber
auch Sünde (als Nebenprodukt) eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Dies hat weitreichende theologische Konsequenzen: Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments stirbt Jesus für die Sünde der Menschen, nicht etwa dafür, eine fragwürdige Schöpfungsmethode Gottes zu einem letztlich guten Ziel zu bringen (vgl. Abschnitt 4.5). Erst recht gilt Jesu Kreuzestod nicht als Sühne für die Schuld Gottes, der (nach konsequent evolutionärer Sicht) den Menschen (durch Evolution) schuldig geschaffen hätte.90
Die Problematik ergibt sich für konsequente und gemäßigte Evolutionsanschauungen, abgesehen vom Aspekt der Entstehung der Sünde, in gleicher Weise, so daß eine Differenzierung hier nicht erforderlich ist.
Die Konsequenzen der Evolutionsanschauung für die Theodizee-Frage werden nur selten bedacht. Nach Auffassung von Hemminger & Hem minger verschärft sich das Theodizee-Problem im evolutionären Kontext gegenüber der “klassischen” Fragestellung nicht. “Ob Gott Raubtiere und Parasiten fertig schuf, wie wir sie heute vorfinden, oder ob sie in einem Entwicklungsprozeß geschaffen wurden, ändert die Schwierigkeit für unser Gottesbild nicht.”91 Zu diesem Urteil können sie jedoch nur gelangen, indem sie die Sündenproblematik überspielen. In einer Welt der Sünde gerät zwar nichts außer Kontrolle Gottes (Gott ist allmächtig), aber angesichts der Freiheit des Menschen geschieht nicht notwendigerweise alles so, wie es dem Willen und dem Wesen Gottes entspricht. Im evolutionären Kontext (auch im gemäßigten) erscheinen Leid und Tod als Schöpfungsmittel und nicht als Gerichtsfolgen und -Zeichen. In dieser Hinsicht wird die Theodizee-Frage sehr wohl gründlich verschärft.
Gilkey92 und Swinburne93 versuchen die Problematik zu entschärfen, indem sie zwischen
87	Behler, Überlegungen 143.
88	Ebd.
89	Ebd. 144.
90	Vgl. Seybold, Erbsündendiskussion 269.
91	Hemminger & Hemminger, Weltbilder 157.
92	Gilkey, Himmel und Erde.
93	Swinburne, Existenz.
“natürlichem” und moralischem Bösen unterscheiden. Letzteres sei Resultat der menschlichen Freiheit. Ersteres stamme aus dem Gefüge der heilen Schöpfung Gottes selbst und sei notwendig, damit es eine relativ unabhängige Schöpfung überhaupt geben könne: “Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung, Hungersnot und Tod sind also die Ergebnisse der strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängigen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert.”94 Damit gehören unausgesprochen auch die Übel der Evolution zum natürlichen Bösen, also wesensmäßig zur Schöpfung. Gilkey stützt diese Überlegungen jedoch nicht auf biblische Aussagen, sondern er verweist darauf, daß Schwäche und Sterblichkeit notwendige Strukturen des Endlichen seien.95
Scheffczyk sieht die Theodizee zunichte gemacht, wenn die Ursünde ein Verhängnis war und nicht ein distinktes Ereignis.96 Die Gutheit der Schöpfung ist mit ihrem Vollendetsein am Anfangzu identifizieren.97 Auf diese Feststellungen legt Scheffczyk aus berechtigten dogmatischen Gründen Wert, doch bleibt in seinen Ausführungen unklar, wie das Zunichtemachen der Theodizee im evolutionären Rahmen verhindert werden soll.
Schmitz-Moormann widmet sich dieser Problematik und geht im Abschnitt “Die Gewährleistung der Gutheit der Schöpfung und der Gutheit Gottes in der evolutiven Welt” auf die Theodizee-Frage, wie sie Teilhard angegangen ist, ein (vgl. Abschnitt 4.3).98 In der Sicht Teilhards könne das Übel der Welt Gott nur dann angelastet werden, wenn man die Vorstellung des Handwerkergottes des alten Weltbildes auf das Weltbild der dynamischen Evolution fälschlicherweise übertrage.99 “Handwerkergott” heißt: Gott stellt alles vollkommen ins Dasein aufgrund eines präkonzipierten Schöpfungsplanes.100 Diese Vorstellung dürfe man nicht in den evolutionären Horizont übertragen, sondern sie müsse ganz aufgegeben werden. Die Übertragung des “Handwerkergottes” auf die Evolution resultiere in einer Determination des Evolutionsgeschehens. Das Nicht-Determiniertsein der Evolution soll nun Gott in der Theodizee-Problematik “ent-
lasten”. Doch ist nicht einsichtig, weshalb eine nicht-determinierte Evolution, die genauso notwendigerweise^) das Leid und den Tod als Nebenprodukt (und damit als Schöpfungsmethode) beinhaltet, die Theodizee-Frage in ein anderes Licht stellen soll als eine determinierte. Das Argument des “Handwerkergottes” hat mit dem Theodizee-Problem offenbar nichts zu tun. In Abschnitt 4.3 wurde bereits die Argumentation Teilhards erläutert, daß es dem Wesen der Freiheit entspreche, daß Unvollkommenes in der Evolution auftritt. Diese Grundstruktur der Freiheit sei mit der Evolution elementar gegeben. “Das Übel erscheint so nicht als aus dem Willen Gottes hervorgehend, sondern als die im Freiheitsvektor jedes Elements sich eröffnende Möglichkeit des Versagens, des Irrweges.”101 Das Übel sei der notwendige Schatten aller werdenden geschöpflichen Freiheit, nicht geschaffen, und doch Begleiter allen Werdens, einsichtig in der statistischen Notwendigkeit seiner Existenz102, eine “conditio sine qua non der Existenz”103. Das Übel “erscheint . . . notwendig im Laufe der Einswerdung des Vielen, weil es der eigentliche Ausdruck eines Zustands der noch unvollständig organisierten Vielheit ist”104. Teilhard sieht das Übel als “natürlichen Zug in der Struktur der Welt”, als “sekundären Effekt”, der sich unvermeidlich aus den Bedingungen der Evolution ergibt.105 In Abschnitt 4.4.1 wurde erläutert, daß für Teilhard das Übel im Universum kein unvorhergesehener Zufall ist, sondern ein Phänomen, das Gott unvermeidlich allein durch die Tatsache entstehen läßt, daß er sich zur Schöpfung entscheidet (vgl. die Abschnitte 4.2,4.4 und 4.5.2).
94	Gilkey, a. a. O. 191.
95	Ebd. 189; vgl. Abschnitt 4.3.2.4, a.
96	Scheffczyk, Sündenfall 770.
97	Scheffczyk, Erbschuld 35,39f.
96 Schmitz-Moormann, Erbsünde 189.
99	Ebd. 191-193.
100	Dies sei - so Schmitz-Moormann - aber kein Offenbarungsinhalt, sondern das dem statischen Kosmos entsprechende Gottesbild.
101	Ebd. 197.
102	Ebd. 198; Teilhard de Chardin, Glaube 100.
105 Ebd. 104.
1M Ebd. 102.
105 Ebd. 100.
Angesichts dieser Sichtweise verwundert es nicht, daß Teilhard sich selber an alte kosmogonische Mythen erinnert, wenn er in einer Fußnote schreibt: “Ist nicht gerade das die verworren in allen Mythen ausgedrückte Wahrheit, in denen die Vorstellung der Geburt und des Übels miteinander verbunden sind?”
Diese Argumentation entschärft das Theodizee-Problem nicht, denn man muß hier davon ausgehen, daß Gott scheinbar nicht anders handeln konnte, als eine solche Evolution ablaufen zu lassen, die notwendigerweise mit zahlreichen Unvollkommenheiten und einem Übermaßan Übel behaftet ist.
Wird hier mit der Freiheit der Schöpfung argumentiert, so ist im übrigen diese Argumentation auch auf das traditionelle dogmatische Verständnis vom Urständ und Fall anwendbar. Gott gab dem zu seinem Bilde geschaffenen Menschen die Freiheit, ihn aus seinem Leben auszuklammern, damit in dieser Freiheit Liebe verwirklicht werden kann.
Theodizee nach Genesis 1-11 und dem Buch Hiob
Wie aber wird die Theodizee-Frage nach der biblisch-heilsgeschichtlichen Schau beantwortet? Genesis 1-11 ist Teilantwort auf die Theodizee-Frage. Die biblische Urgeschichte gibt Auskunft, auf welchem Wege und durch welche Umstände das Böse in die Welt des Menschen kam. Von Rad sieht das Hauptanliegen der Paradieses- und Sündenfallerzählung darin, daß Gott und seine Schöpfung freigesprochen werden sollen von all dem Leid und der Mühsal, die in die Welt gekommen sind. Diese Erzählung wolle “zeigen, wie aus der Schöpfung das Chaos des gestörten Lebens geworden ist, das uns heute umgibt”106. In Abschnitt 4.3.2 wurde ausgeführt, daß durch die Sünde des ersten Menschenpaares der Tod mit seinen Begleiterscheinungen in die Schöpfung eingedrungen ist. Die Fluchworte Gen 3,16-19 stellen klar, daß lebenseinschränkende Umweltbedingungen Folge des Falles und nicht Ordnung der ursprünglichen guten Schöpfung Gottes sind. Ebenso löste vermutlich auch die Sint-
flut weitere Beschränkungen der Lebensmöglichkeiten aus.107 Genesis 1 — 11 versteht sich somit insgesamt als Begründung der jetzigen Seinsver-faßtheit.
Allerdings ist die Antwort der biblischen Urgeschichte auf die Theodizee-Frage unvollständig: Es wird nicht gesagt, woher der Versucher (Gen 3) kam. Andeutungen im Alten Testament sind zu vage, um klare Antworten geben zu können. Letztlich stößt hier das menschliche Denken an die Grenzen seiner Vorstellungskraft; es muß die Theodizee-Frage in diesem Sinne offen lassen und sich damit begnügen, daß die Schrift versichert, daß in Gott keine Finsternis ist (Jak 1,17). Die rationale Auflösung der drei o. g. Sätze “Gott ist gut, Gott ist allmächtig, das Böse existiert” ist nicht möglich. Doch gibt Genesis 1-11 die oben skizzierte Teilantwort, die evolutioni-stische Auffassungen ausschließt.
Die Theodizee-Frage wird im Buch Hiob thematisiert. Gott gibt Hiob in der Frage nach dem Leid keine Antwort, die den Verstand zufriedenstellt. Aber er gibt Antwort, indem er auf das minimale Wissen und die geringen Fähigkeiten des Menschen verweist, und seine eigene Größe dagegenstellt, die sich namentlich in der Schöpfung erweist. Ausdrücklich unrecht gibt Gott den Freunden Hiobs, die durch moralische oder philosophische Argumente das Böse gleichsam gedanklich in den Griff bekommen wollten.108
106	Von Rad, /LTD 81 f
107	Als Anhaltspunkt dafür kann die Erlaubnis gewertet werden, tierische Nahrung zu verzehren. Unter den heutigen Lebensbedingungen können sich Menschen nicht (mehr?) überall ausschließlich durch Pflanzenkost ernähren, z. B. Eskimos. Die Erlaubnis der Fleischnahrung und die ursprünglich vorgesehene Pflanzennahrung (Gen 1,29.30) implizieren, daß die Lebensverhaltnisse ursprünglich anders waren.
106 Congar, Übel 624, berichtet dazu eine Anekdote: "Um die Mitte des 18. Jahrhunderts . . . veranstaltete die Berliner Akademie einen Wettbewerb über das Thema: Das Problem des Übels. Mehrere Philosophen nahmen daran teil und verteidigten die Vorsehung, wie wir es soeben auch getan haben. Aber genau im Jahre 1755, in dem die Akademie die beste
Arbeit... auszeichnete, war das Erdbeben von Ussabon________
Gott schien den Menschen, die der guten Absicht waren, das Übel zu rechtfertigen, mit Donnerstimme zu antworten, daß sie nicht versuchen sollten, es zu rechtfertigen, daß sein Wille ein Geheimnis bleibe.”
Zusammenfassend kann man feststellen, daß das Theodizee-Problem im evolutionären Konzept insofern verschärft wird, als Leid und Tod in der Schöpfung nicht Gerichtsfolge, sondern Schöpfungsmittel sind.
Die Frage nach dem Übel ist letztlich nicht beantwortbar. Das Scandalon für den Verstand, daß Gott gut und allmächtig ist, und das Böse dennoch existiert, kann über die Teilantworten in Genesis 1-11 hinaus nicht beseitigt werden. Es bleibt ein Geheimnis. Dieses Geheimnis wird auch in der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte gewahrt.
Entschlüsselt wird dieses Geheimnis jedoch durch die Evolutionslehre. Wenn Gott die Evolution gesteuert hat, dann ist er definitiv und ausschließlich der alleinverantwortliche Urheber des Übels. Hier wird die Theodizee-Frage beantwortet: definitiv zuungunsten Gottes. Darin besteht die Unverträglichkeit der Evolutionslehre mit dem biblischen Zeugnis in dieser Sache.109
4.7.4	Zusammenfassung
Wenn Gott mittels des Evolutionsprozesses die Welt erschaffen hätte, ergäben sich Konsequenzen für das Gottesbild. Denn die Kennzeichen des Evolutionsgeschehens wären dann Ausdruck der Schöpfungsmethode Gottes. Sie wären somit als Hinweis auf sein Wesen zu werten. Da der Evolutionsprozeß notwendigerweise auf der Basis des Todes (individueller Tod und Artentod) voranschreitet, wäre ein durch Evolution schaffender Gott nicht nur Urheber des Schönen und Zweckmäßigen, sondern auch des Destruktiven und des Grausamen in der Schöpfung. Das gilt für alle Varianten theistischer Evolutionsvorstellungen. Die Kehrseiten der Schöpfung wären Ausdruck des Schöpferwillens. Biblisch gesehen müssen sie dagegen als Niederschlag eines in der Schöpfung vorhandenen Widerspruchs und eines von daher provozierten göttlichen Gerichtshandelns gewertet werden. Die Schöpfungsmethode mittels der Evolutionsmechanismen widerspricht außerdem den biblischen Kennzeichnungen des schöpferischen Wirkens Gottes. Es ist unglaubhaft, daß Jesus als Erlöser in vollkom-
men gegensätzlicher Weise handelt als in der Schöpfung (vgl. Joh 1; Kol l,15ff.).
In einer eigengesetzlich ablaufenden und werdenden Welt (konsequenter Evolutionismus) ist nicht ersichtlich, wie Gott souverän handeln könnte. Seine Souveränität könnte allenfalls darin bestehen, als Erstursache die Materie entwicklungsfähig geschaffen zu haben. Gott könnte nicht mehr als Herr der Geschichte gedacht werden. Die Idee der Eigengesetzlichkeit der Welt ist im übrigen keine Voraussetzung für naturwissenschaftliches Arbeiten oder für die Rekonstruktion der Geschichte, sondern ein naturphilosophisches Postulat. Wenn Gott auch Regelhaftigkeiten der Schöpfungsabläufe gewährt, und diese Gleichförmigkeiten empirische Wissenschaft erlauben, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß Gott direkt oder indirekt die zweitursächlichen Wirkzusammenhänge souverän durch sein analogie- und voraussetzungsloses Handeln (creatio ex nihilo) überlagern oder beeinflussen kann, ohne dabei seine Transzendenz zu verlieren. Zum Verständnis dieser Interaktion erweist sich Heims “voluntaristische” Schau des Weltgeschehens als hilfreich.
Nimmt man besondere Eingriffe Gottes im theistisch verstandenen Evolutionsgeschehen an (gemäßigter Evolutionismus), bedeutete dies eine wesentliche Einschränkung der Evolutionsanschauung, da die entscheidenden Schritte des Organismenwandels (die Entstehung von Neuem) nicht-evolutionär vollzogen worden wären. Das Postulat einer von Gott bewirkten Zielgerichtetheit des Evolutionsprozesses ist empirisch sehr fragwürdig. Da die Evolutionsfaktoren hauptsächlich unvorteilhafte Änderungen hervorbringen, die wieder ausgemerzt werden müssen, wäre die postulierte Lenkung des Evolutionsgeschehens hinter einem Übermaß an Fehlentwicklun-
m Die Theodizee-Frage darf nicht angesprochen werden, ohne an zwei Punkte zu erinnern:
1.	Jesus Christus nahm selber die Last des Übels an und stellte sich unter die Last der Theodizee-Frage: “Mein Gott, Mein Gott, warum hast du mich verlassen?”
2.	Die Bibel betont, daß jeder einzelne auch persönliche Schuld tragt. Die Sünde ist zwar eine Macht, aber dieser Aspekt ist durch die persönliche Verantwortung des Einzelnen zu ergänzen.
gen verborgen.
Im evolutionären Kontext ergeben sich Folgerungen für die Theodizee-Frage: Gott müßte als Urheber des Übels angesehen werden; das Übel entspräche, auch prälapsarisch, dem ausdrücklichen göttlichen Willen. Die biblische Überlieferung gewährt zu dieser schwierigen Frage
keinen umfassenden Einblick, stellt aber in der Urgeschichte Gen 1-11 klar, daß das Böse durch eine geschichtliche Tat des Menschen in die sichtbare Welt eingedrungen ist. Gen 1-11 schildert ein Verlustgeschehen, vor dessen Hintergrund die heutige Menschheitssituation begriffen werden muß.
5.	Geschichtsrekonstruktion auf biblisch-heilsgeschichtlichem
Fundament
5.1 Die biblische Urgeschichte als Rahmen für die Rekonstruktion der Naturgeschichte
Die biblische Überlieferung handelt davon, daß Gott zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten und mit bestimmten Personen konkret geschichtlich gehandelt hat. Die Geschichte ist der Bereich des Handelns Gottes. Michel stellt als “Hauptaussage der biblischen Gotteslehre” fest: “Gott ist vor allem und entscheidend der in der Geschichte Israels und der Völker lebendige und aktive Herr und Richter der Welt. In der Geschichte hat er sein vorzügliches Handlungsfeld.”1 Was wir über Gott wissen, ist in diesem Sinne geschichtsbedingt, d. h.: “Die Wahrheit der biblischen Gotteslehre liegt... in einer Kette von geschichtlichen Ereignissen.”2 Darin besteht ein besonderes Kennzeichen der biblischen Offenbarung: Mit theologischen Aussagen sind teilweise nachprüfbar3 bezeugte historische Ereignisse verknüpft.
Beck hebt hervor, daß der Wille und das Handeln Gottes einen Bezug zu allen Fakten der Welt haben. Das in den biblischen Berichten geoffenbarte Heilshandeln Gottes in und mit dieser Welt betrifft alle Bereiche und somit alle Wissensgebiete, die auch Gegenstand von Fachdisziplinen sind.4 Er plädiert für das “Prinzip der Erhaltung der Faktizität des Heilshandelns Gottes”.5 In allem Wandel der Geschichte, des Er-kennens und wissenschaftlich-technischen Fort-schreitens liefert das aus dem Heilshandeln Gottes für alle Zeiten Erschließbare Konstanz und Verbindlichkeit.6 Auch Stadelmann stellt fest, daß Heilsgeschichte nur auf festem historischem Grund denkbar ist.7
Aus diesem Umstand folgt zweierlei:
1.	Geschichtsrekonstruktionen der säkularen Wissenschaften müssen auf die Vereinbarkeit mit dem biblisch-heilsgeschichtlichen Geschichtsbild überprüft werden. Denn es ist nicht zu erwarten, daß säkulare Geschichtsentwürfe mit
dem biblischen Geschichtsbild von sich aus Übereinkommen. Damit ist die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre (die in Kapitel 4 geführt wurde), aber auch anderer Anschauungen über die Menschheits- und Naturgeschichte offenkundig.
2.	Es können Anhaltspunkte für eine biblisch vertretbare Geschichtskonzeption aus dem offenbarten Heilshandeln Gottes abgeleitet werden.
Die Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre erfolgte im vorigen Kapitel. Es wurde deutlich, daß die zentralen Aussagen der neutesta-mentlichen Zeugen in einem untrennbaren Zusammenhang mit den Stationen der biblischen Urgeschichte stehen. Daraus folgt, daß die Relevanz der in der Bibel geschilderten Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit und der ganzen Welt auch diesen ersten grundlegenden Abschnitt der Urgeschichte mitumfaßt und nicht etwa auf
1	K. H. Michel, Gottes Wirken 104; vgl. Schelkle, NT 89.
2	K. H. Michel, a. a. O. 121. Vgl. Flockiger, Geschichte 88: “Wir wissen nicht, wer Gott ‘an sich’ ist, wir können von Gott nur reden in Bezug auf sein Handeln in der Geschichte.”
3	Z. B. anhand historischer Quellen oder auch naturkundlicher Daten.
4	Beck, Universalität III.
5	Ebd. 9.
6	Ebd. 2.
7	Stadelmann, Heilsgeschichte 50. Gilkey, Debatte 466, dagegen schließt zwar den Bereich der Geschichte aus den Gebieten aus, in denen “die Religion autoritative Information gibt”. Er stellt aber gleichzeitig fest, daß sich das Interesse der Religion auf das Handeln Gottes bei bestimmten Gegebenheiten und Ereignissen richte. Sie unterrichte uns jedoch nicht im Detail darüber, “wie diese Gegebenheiten und Ereignisse an sich sind, so wie sie der empirischen Erkenntnis unterliegen” (466). Nun ist aber die Frage, welchen Weg Gott mit der Menschheit und der ganzen Welt in der Geschichte gegangen ist, sicher kein Detailproblem, sondern ein Zentralpunkt der biblischen Offenbarung.
die Zeit ab Abraham oder einen noch engeren Zeitraum eingeschränkt ist. Es muß also nicht nur der Bereich der menschlichen Frühgeschichte mit den biblischen Berichten in einen historischen Zusammenhang gestellt, sondern die ganze Kosmos- und Menschheitsgeschichte im biblischen Bezugsrahmen verstanden werden. Daher ist eine Verbindung zu den Daten derjenigen Natur- und Geschichtswissenschaften herzustellen, die Beiträge zur Erhellung der Geschichte der Schöpfung liefern.
Der Zusammenhang zwischen dem biblischen Glauben und dem durch die Methoden der Erfahrungswissenschaften gewonnenen Wissen (kurz: Glaube und Wissen) wurde bereits (im vorigen Kapitel) dadurch deutlich, daß evolutionäre Theorien zur Rekonstruktion der Naturgeschichte Inhalte des biblischen Glaubens zentral betreffen. Auch die Entflechtungsbemühungen offenbaren letztlich diese Untrennbarkeit, da das scharfe Auseinanderhalten von Glauben und Wissen nicht durchgehalten werden kann (vgl. Abschnitt 3.3.3). Darüberhinaus hat die moderne Wissenschaftstheorie ohnehin herausgestellt, daß es kein Wissen ohne metaphysische Grundlagen (“Glauben” in einem allgemeinen Sinne) gibt.8 Es kann also niemals darum gehen, scharfe Revierabgrenzungen mit dem Ziel einer zusammenhanglosen Aufteilung von Glauben und Wissen vorzunehmen, sondern es muß eine Verhältnisbestimmung durchgeführt werden, die in den einzelnen Wissensgebieten zu konkretisieren ist. Die entscheidende Frage ist, wie dies zu erfolgen hat.
Es ist also nicht möglich, eine strikte Trennung zwischen Wissen und Glauben zu vollziehen, auch wenn zwischen beidem unterschieden werden muß. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um einen geeigneten Deutungsrahmen (“Glauben”) für die Interpretation von Detaildaten der Wissenschaften (“Wissen”9). “Grenzüberschreitungen” können folglich nicht vermieden werden, wenn man an einer Deutung von Einzeldaten der Wissenschaften im Rahmen einer Gesamtschau interessiert ist.
Das Zeugnis der biblischen Urgeschichte ist für die Rekonstruktionen und Theorieentwürfe der historischen Wissenschaften relevant. Das
wird insbesondere durch die im Neuen Testament anzutreffenden Bezüge zur Urgeschichte (z. B. Röm 5,12ff. und Röm 8,19—22; vgl. Abschnitte 4.3.2.1/2) gefordert. Darüber hinaus erbrachte die Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre als Ergebnis, daß die Akzeptanz auch einer theistischen Evolution Inhalte (und nicht etwa nur Darstellungsmittel) des christlichen Glaubens so sehr betrifft, daß das traditionelle Heilsverständnis aufgegeben werden müßte (es sei denn, man verwirft grundlegende Prinzipien aller Evolutionstheorien an willkürlichen Stellen, vgl. z. B. Abschnitte 4.1.4, 4.2.3, 4.7.2). Eine grundlegende Alternative ist also gefragt, und diese kann mangels weiterer Möglichkeiten nur darin bestehen, das traditionelle Verständnis von Schöpfung und Fall wieder aufzugreifen und gemäß dem heutigen Wissensstand zu den Daten der Geschichts- und Naturwissenschaften in einen fruchtbaren Zusammenhang zu bringen.
Diese Aufgabe an sich und mit ihr verbunden eine konkrete Rekonstruktion der Geschichte des Kosmos ist freilich nicht eigentliches Thema der Schriften des biblischen Kanons. Die Alternative zur Entflechtungslösung kann nicht darin bestehen, die Bibel als “naturwissenschaftliches Lehrbuch” anzusehen.10 Die biblischen Autoren hatten andere Intentionen, als naturkundliche Fragen zu beantworten. Sie haben auch nicht in der wissenschaftlichen Sprache der heutigen Zeit geschrieben. Vielmehr geht es vor allem um den Weg Gottes mit dem Menschen. Da Gott aber in dieser Welt gehandelt hat, ergeben sich dadurch
8	“Man muß nicht das Wissen beseitigen, um dem Glauben Platz zu machen. Vielmehr muß man bereits etwas glauben, um überhaupt von Wissen und Wissenschaft reden zu können" (Stegmüller, Metaphysik 33); vgl. Popper, Spinner, Lenk u. a.; Abschnitt 1.4.
9	In diesem Sinne soll auch im folgenden “Wissen” verstanden werden.
10	Vgl. Studiengemeinschaft Wort und Wissen, Schöpfung. Stellvertretend für viele Autoren kann hierzu Heinisch, Genesis 106, zitiert werden: “Ferner wird jetzt wohl fast allgemein zugegeben, nicht nur, daßdie Bibel kein Handbuch der Naturwissenschaft ist, sondern auch, daß die biblischen Schriftsteller in ihren naturwissenschaftlichen Anschauungen Kinder ihrer Zeit waren. Gott wollte durch die Hl. Schrift nicht profane Wissenschaften lehren, sondern Menschen zu ihrem ewigen Ziele führen.”
sehr wohl naturkundliche und vor allem geschichtliche Bezüge.11
In diesem Spannungsfeld - einerseits des aufeinander Bezogenseins von Glauben und Wissen, das sich aus dem Geschichtshandeln Gottes ergibt, und andererseits der Tatsache, daß die naturkundlichen und naturgeschichtlichen Fragen nicht eigentlicher Gegenstand der biblischen Geschichte sind - stellt sich die Aufgabe, einen Bezug zwischen der biblischen Überlieferung und den Ergebnissen der Wissenschaften konkret in einer möglichst widerspruchsfreien Rekonstruktion der Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte herzustellen.
Im einzelnen ist dabei zu klären:
1.	Inwiefern können den biblischen Texten ein bestimmtes Weltbild und eine Weltanschau-
ung entnommen werden? Inwieweit gehen zeitbedingt weltbildhafte Vorstellungen in die biblischen Berichte ein? Inwieweit muß man hier zwischen Aussagemittel und -inhalt unterscheiden? Inwieweit erweisen sich die biblischen Autoren in ihren Zeugnissen als Kinder ihrer Zeit?
2.	Welche biblisch überlieferten geschichtlichen Ereignisse sind als Anhaltspunkte für die Geschichtsrekonstruktion zugrunde zu legen?
3.	Inwiefern betreffen die Aussagen der Bibel Theoriebildungen und geschichtliche Rekonstruktionen der Wissenschaft? Wie ist der Zusammenhang zwischen den offenbarten Texten und den Rekonstruktionen der historischen Wissenschaften, die Dokumente aus der Vergangenheit auszuwerten versuchen?
5.2 Glaube und Geschichte
Im Spannungsfeld von Glauben und Geschichte ist besonders die Frage nach dem Verhältnis von Heilsgeschichte und Profangeschichte brennend.12 Für unsere Fragestellung genügt dazu jedoch bereits die Feststellung, daß die Bibel im Alten und Neuen Testament Glaubensaussagen in auffälliger Weise gerade an geschichtliche Ereignisse bindet. Dabei ist - wie gezeigt wurde -die Urgeschichte einzuschließen. Überspitzt könnte man formulieren: Auch wenn die glaubensrelevanten geschichtlichen Daten nicht alles sind (ein bewiesenes leeres Grab bewirkt nicht automatisch Glauben an Jesus Christus als den universalen Herrn und Erlöser), so ist ohne diese Daten alles nichts. Die Glaubensinhalte würden jegliche Anhaltspunkte im Bereich des Sichtbaren, in der empirischen Welt, verlieren. Es gäbe keine Korrelate zu geschichtlichen Ereignissen, zu Phänomenen und Abläufen in der sichtbaren Welt. Der Glaube bliebe auf die Innerlichkeit des Menschen beschränkt. Schaef-fer hat m. E. zurecht davon gesprochen, daß der Glaube ohne Geschichte zum “Trip” wird, der sich in seiner Subjektivität nicht mehr wesentlich von einem durch Drogen ausgelösten Trip unterscheidet.13
Dem modernen Menschen und Christen würde eine unnötig schwere Glaubenslast aufgebürdet, so Michel, wenn er Gottes Handeln in der Ge-
11	So hal beispielsweise die Auslegung zu Röm 5,12ff. gezeigt, daß mit diesem Text nicht primär der sogenannte Urständ erhellt oder Wissen über den Sündenfall vermittelt werden soll. (Diese Lehren sind zur Zeit des Paulus unter Juden und Judenchristen eine Selbstverständlichkeit.) Vielmehr wird primär über das von Christus ausgehende Leben geredet. Die Aussagen Uber Sünde und Tod sollen diesen Hauptpunkt verdeutlichen (vgl. Freundorfer, Erbsünde 216; Weger, Erbsünde 86). Es gehl hier also nicht in erster Linie um die Geschehnisse des Anfangs. Doch ist der in den Ausführungen des Paulus erwähnte Anfang, der Einbruch von Sünde und Tod in diese Welt durch dieTat des einen, unverzichtbare Voraussetzung, um die entscheidende Heilstat Jesu Christi, um die es primär geht, verständlich zu machen. Ein bestimmter Anfang wird hier vorausgesetzt und kann nicht der Beliebigkeit anheimgestellt werden. Da aber die Anfänge der Menschheit auch Gegenstand wissenschaftlicher Rekonstruktionen der Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte sind, ist eine Auseinandersetzung von den sich berührenden Sachverhalten her unvermeidbar. Glauben (hier: Jesu Tat hat heilswirkende Bedeutung) und Wissen (das geschichtliche Wirken Jesu, das im Zusammenhang mit der Tat des einen, Adam, steht) sind untrennbar aufeinander bezogen.
12	S. hierzu Cullmann, Zeit; Löwith, Weltgeschichte; Sautter, Heilsgeschichle; Stadelmann, Heilsgeschichte; vgl. Abschnitt 4.6.3. Es sei hier an die in Abschnitt 4.6.3 nach Stadelmann, a. a. O. 37, vorgenommene Charakterisierung von Heilsgeschichte erinnert, wonach Heilsgeschichte das nach Gottes Heilsplan durch sein Einwirken in Tat und Wort gestaltete,
schichte nur glauben müßte, ohne empirische Anhaltspunkte zu haben.14 “Seinem Glauben allein wird zugemutet, alle Gottesaussagen zu tragen, weil er von Gott in dieser Welt angeblich nichts wahrnehmen und wissen kann.”15 Die geschichtlichen Hinweise auf das Handeln Gottes, die Spuren, die durch Gottes Handeln in dieser Welt hinterlassen wurden, können den persönlichen Glauben an Jesus Christus zwar nicht bewirken - daher wird Glaube auch nicht durch Wissen ersetzt -, sie können aber Grundlagen und dürfen Hilfestellungen zum Glauben sein (Grundlagen und Hilfestellungen sind keine “Beweise”). Sie sind auch zu fordern, wenn der Glaube einen Realitätsbezug haben soll. Das Zeugnis der Heiligen Schrift verliert Anhaltspunkte für seine Glaubwürdigkeit, wenn es von Geschichtsrealitäten abgekoppelt wird.16
Diese Zusammenhänge betreffen die Auseinandersetzung um die Evolutionslehre insofern, als deren Akzeptanz mit dazu beiträgt, die
biblische Ur- und Heilsgeschichte als beziehungslos zur realen Geschichte zu verstehen: Die Akzeptanz einer (theistischen) Evolutionslehre macht ein historisches Verständnis der Überlieferungen von Gen 1-11 unmöglich. Damit geht aber aufgrund der Koppelung von Ur- und Heilsgeschichte der historische Bezug des Glaubens zu entscheidenden Glaubensinhalten verloren (vgl. Abschnitt 4.3.2), und die Heilsgeschichte verliert ihre Bezüge zur Profangeschichte, oder es resultiert daraus die Tendenz, die Heilsgeschichte mit der Profangeschichte in dem Sinne zu identifizieren, daß alles Geschehen unter Überspielung der Sünde der Welt und den damit verbundenen Gerichtstaten Gottes als Ausdruck des Heilshandelns Gottes verstanden wird (vgl. dazu Abschnitt 4.6.3). Geschieht aber letzteres, wird der christliche Glaube, die christliche Deutung der Geschichte zum bloßen Interpretations-Anhängsel, das ohne Verlust des Geschichtsverständnisses abgeworfen werden kann.
5.3	Weltbild und Weltanschauung
Die zeitgenössische Theologie interpretiert naturkundliche Anklänge in den biblischen Berichten in der Regel als zeit- und kulturbedingte Ausdrucksweisen und unterscheidet zwischen diesen Ausdrucksmitteln und den durch sie ausgedrückten Konstanten des Glaubens (Kernaussagen). Diese Sicht wird weitgehend unterschiedslos vertreten, gleichgültig ob es sich um Aspekte der Struktur des Kosmos (Kosmographie) oder um Aspekte der Kosmos- und Menschheitsge-schichte handelt.17 Die beiden Bereiche - Kosmographie und (gesamte!) Kosmos- und Menschheitsgeschichte - müssen jedoch im Hinblick auf exegetische Fragen unterschieden werden, wie im folgenden gezeigt werden soll.
Problemstellung
Die Problematik um weltbildbedingte Darstellungen in den biblischen Texten sei durch die Auffassung Ratzingers verdeutlicht, wonach die Aussagen des Glaubens schon immer auf sich wandelnde Weltbilder bezogen werden mußten.18
Die Situation, den Glauben in eine Beziehung zum evolutiven Weltbild zu bringen, sei in diesem Sinne im Prinzip nicht neu. Schon die ersten
trotz Umwegen und ‘Sprüngen’ in sich zusammenhängende und dabei in Kontinuität und Diskontinuität verlaufende Geschehen in der Geschichte ist, das uns als solches in der biblischen Offenbarung erschlossen ist und als sein Ziel die Verherrlichung Gottes hat. Heilsgeschichte und Weltgeschichte können nicht nach einem Kriterienkatalog auseinandergehalten werden, sondern stehen in einem untrennbaren Verhältnis zueinander. Heilsgeschichte ist durch Erlösung, Gnade und Glaube (Annahme Jesu Christi), Weltgeschichte durch Erhaltung (providentielles Handeln Gottes), durch die Sünde als teaie Macht und durch Unglaube (Ablehnung Jesu Christi) gekennzeichnet. Als Herr der Welt regiert Gott souverän über die gesamte Geschichte; so gesehen ist Weltgeschichte ein Teilaspekt der Heilsgeschichte, doch sind heilsgeschichtliche und “weltgeschichtliche” Aspekte seiner Herrschaft und seines Handelns in der Geschichte im eben genannten Sinne zu unterscheiden. Die Heilsgeschichte wird von Gott und nicht von Menschen hervorgebracht; sie ist keine zeitlose Idee, sondern ein “geschichtliches Geschehen in Raum und Zeit” (Sautter, a. a. O. 30), deren Zentrum der Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist.
13	Schaeffer, Gott; die Formulierung “Trip” in diesem Zusammenhang stammt von ihm.
14	K. H. Michel, Gottes Wirken.
15	Ebd. 117.
beiden Kapitel des Genesisbuches gäben ein weithin gegensätzliches Bild vom Ablauf der Schöpfung; bereits innerhalb der biblischen Überlieferung seien also Glaube und Weltbild nicht identisch. Der Glaube bediene sich eines Weltbildes, ohne mit ihm kongruent zu sein. Ähnlich ist auch Bosshard der Auffassung, Gen 1 und Gen 2 seien Entwürfe von den ersten Dingen unter Verwendung jeweiliger konkreter Weltbilder.19 Weltbildmodelle seien zwar für die Explikation des Schöpfungsgedankens bedeutsam, enthalten jedoch keine Glaubensaussagen.20 Für Moltmann bieten sich die Schöpfungsgeschichten der Bibel zu ihrer produktiven Neuinterpretation und Weiterentwicklung selbst an. Es sei “nicht nur möglich, sondern notwendig, die biblischen Zeugnisse von der Schöpfung und der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung auf neue Naturerkenntnisse und neue Theorien zur Deutung dieser Erkenntnisse zu beziehen und sie ihrerseits in diesem Licht neu zu formulieren.21 Smulders stellt fest: “So bildete sich die Erkenntnis heraus, daß die Bibel kein Handbuch der Naturwissenschaften ist, sondern daß der Schreiber ein... für seinen Zweck zurechtgelegtes Weltbild benutzt, um eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, die ihm unendlich wichtiger ist als das Bild selber.”22 Brunner sieht es gar als schwere Schuld an, daß das biblische Weltbild, das für ihn im wesentlichen das Weltbild des Altertums ist, als Inhalt der göttlichen Offenbarung aufgefaßt wurde, wodurch die Bibel zum unfehlbaren Lehrbuch der Naturwissenschaft und Geschichtskunde wurde.23 “Dieser ganze Konflikt hätte vermieden werden können, wenn die Kirche besser zwischen Gefäß und Inhalt, zwischen Weltbild und Glaubensaussage zu unterscheiden gewußt hätte.”24 Ähnlich stellt Schlink fest, daß den biblischen Schöpfungsaussagen bei aller Mannigfaltigkeit gemeinsam sei, daß der jeweilige allgemeine Stand der Welterkenntnis vorausgesetzt ist. Es fänden sich in ihr keine besonderen Naturerkenntnisse, die von der Naturerkenntnis der Umwelt wesentlich verschieden wären.25
Doch darin, daß sich die biblische Überlieferung Elemente zunutze gemacht hat, die außerbibli-
schen Quellen entnommen sind, liegt die eigentliche Problematik gar nicht Die Frage ist vielmehr, inwiefern die Darstellungen weltbildbedingt seien, welche Elemente der Darstellungen nicht zu den G\aubensinhalten gehören sollen, und nach welchen Kriterien Weltbildbedingtes vom eigentlichen Kern der Offenbarung auszuscheiden sei. Die Ausführungen in Kapitel 4 haben jedenfalls gezeigt, daß traditionelle Glaubenskonstanten im evolutionären Weltbild zusammenbrechen und daß an ihre Stelle neue Inhalte treten, die diesem Weltbild angepaßt sind. Der “Umzug” in
16	Auf den in diesem Zusammenhang wiederholt erhobenen Einwand, daß durch die Koppelung von Glaubensrealitäten mit Geschichtsdaten der Glaube einerseits beweisbar gemacht werden solle, andererseits auch angreifbar werde, wird in Abschnitt S.öeingegangen. Schon hier sei vermerkt, daß der Vorwurf, Glaubensinhalte beweisen zu wollen, unhaltbar ist und konstruiert erscheint.
17	Geschichtliche Relevanz wird den biblischen Berichten gewöhnlich erst ab der Abrahamsgeschichte (oder noch späteren Stationen) zugebilligt.
18	Ratzinoer, Schöpfungsglaube 238f.
19	Bosshard, Evolution 122.
20	Bosshard, Erschafft die Well 15.
21	Moltmann, Schöpfung 200. Freilich sieht Moltmann die Evolutionstheorie fälschlicherweise als solche “Naturerkenntnis”
an.
22	Smulders, Theologie 60.
23	Brunner, Dogmatik 35.
24	Ebd. 36. Erwendet hierwie viele andere Autoren 2 Kor 4,7 auf das geschriebene Wort Gottes an: “Wir haben aber solchen Schatz in irdenen Gefäßen, auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns” (35). Doch meint dieses Pauluszitat nicht - wie Brunner es auslegt - den Schatz der Offenbarung, der in den Gefäßen des Weltbildhaften zu finden sei. Denn Paulus spricht an dieser Stelle von der Erleuchtung der Gläubigen, “daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi" (2 Kor 4,6). Von diesem Text aus kann nicht begründet werden, daß sich Wellbildhaftes zur eigentlichen Offenbarung wie Schatz und Gefäß verhalten. Die biblischen Autoren setzen in Bezug auf die Offenbarung Gottes den Vergleich aus 2 Kor 4,7 nicht ein.
25	Schlink, ÖkumDogm 75. Inwieweit dies auf naturkundliche Bezüge zutrifft, soll hier zunächst dahingestellt bleiben. Wird unter “Welterkenntnis" dagegen auch die Geschichte eingeschlossen, trifft sicher nicht zu, daß sich in der Bibel nichts wesentlich von der Umwelt Verschiedenes finden würde. Während in Israels Umwelt (Ägypten, Mesopotamien) die Geschichte nach festen Ordnungen ablaufend gesehen wurde, in der auch die Götter ihre Rollenzuweisung hatten und in der sich alles in vergleichbaren Konstellationen wiederholte, waren “die alttestamentliche Geschichtsschreibung und erst recht die geschichtsgebundenen Gottesaussagen Israels... in dieser Umwelt zwangsläufig ein Fremdkörper” (K. H. Michel, Gottes Wirken 91; vgl. von Rad, TheolAT 11).
die evolutionäre Weltanschauung ist nicht möglich, ohne die Inhalte fundamental zu verändern. Der biblische Schöpfungsglaube wird vage, wenn er von dem “gereinigt” wird, was nicht mehr ins evolutionäre Weltbild paßt. Beispielhaft sei Rat-zinger zitiert, für den als eigentlicher Inhalt des Schöpfungsglaubens nur bleibt, “die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt zu verstehen.”26
Exkurs: Zum Verhältnis von Genesis 1 und 2
Da namentlich die ersten beiden Kapitel der Genesis herangezogen werden, um die weltbildhaften Unterschiede biblischer Schöpfungstexte zu dokumentieren, sei auf dieses Beispiel ausführlicher eingegangen.
Die historisch-kritische Exegese unterscheidet in Genesis 1 und 2 zwei Schöpfungserzählungen. Der Hintergrund ist die Ansicht, daß die fünf Bücher Mose eine über Jahrhunderte reichende Entstehungsgeschichte haben sollen. Man stellt sich viele Verfasser und Redaktoren vor, die von den Anfängen der mündlichen Tradition immer wieder Teile aufschrieben, ergänzten und veränderten. Schließlich habe man die heutige Form erreicht. Der Pentateuch soll erst in den Generationen nach dem Babylonischen Exil durch Priesterschulen seine Endredaktion bekommen haben. So pflegt man nach gewissen Namens- und Stilmerkmalen Quellen zu unterscheiden.
Überblickt man die Auslegungsgeschichte der letzten zweihundert Jahre,27 so steht man vor einem Gewirr von Hypothesen bezüglich möglicher Quellen, Autoren und Redaktoren, über die die Auslegungswissenschaft bis heute keine einheitliche Meinung gebildet hat.28 Dennoch gibt es einen breit akzeptierten Grundkonsens: Neben den sehr späten, theologisch reflektierten nachexilischen Bericht eines priesterlichen Autorenkollektivs (Quellenschrift “P”, Genesis 1,1 -2,4a) ist die urtümliche, theologisch primitivere Erzählung (Quellenschrift “J”, “Jahwist”, Genesis 2,4b—25) zu stellen, die in der vorexilischen Zeit, möglicherweise im 7. oder 8. Jh. v. Chr. oder noch früher entstanden ist.
Da diese Quellen maßgeblich von den zeitbedingten kosmogonischen Vorstellungen der Abfassungszeit inhaltlich beeinflußt sein sollen, schließt der Großteil der zeitgenössischen Theologen aus, daß diese Berichte authentische Informationen über den Beginn der Welt und die Anfänge der Menschheit geben.
Als Begründung für die verschiedene Autorenschaft und Abfassungszeit der ersten beiden Kapitel der Genesis werden eine Reihe von Unterschieden und scheinbaren Widersprüchen genannt, die die beiden Berichte aufweisen bzw. aufweisen sollen.
Unterschiede zwischen Genesis 1 und 2
An allgemeinen Unterschieden zwischen beiden Texten sind der unterschiedliche Gebrauch der Gottesnair.en (Elohim in Gen 1, meistens Jahwe-Elohim in Gen 2) und unterschiedlicher Stil zu nennen. Außerdem werden verschiedene Schöpfungs- und Gottesvorstellungen angeführt.
Im einzelnen werden besonders folgende Punkte als widersprüchlich genannt:29
1.	Gen 2,4b spreche nur von einem Tag, nicht von sechs Tagen wie Genesis 1.
2.	Nach Gen 1 war die Erde zuerst mit Wasser umgeben, nach 2,5 fehlte Feuchtigkeit zunächst noch.
3.	Nach Gen 1,27 sind Mann und Frau gleichzeitig erschaffen worden, nach 2,7 der Mann zuerst.
4.	Die Reihenfolge der Schöpfung von Pflanzen und Mensch sei verschieden. In Gen 2 sei sie umgekehrt wie in Gen 1. Nach 2,5 seien u. a. deshalb noch keine Pflanzen vorhanden gewesen, weil der Mensch fehlte, um den Boden zu bebauen.
5.	Auch die Reihenfolge der Schöpfung von Tieren und des Menschen sei in Gen 2 gegenüber Gen 1 vertauscht (vgl. Gen l,20f.24f. mit 2,7.18.22).
Einwände
Die genannten Beobachtungen lassen jedoch nicht nur die oben umrissene heute eingebürgerte Auslegung zu. Es ist zunächst ein willkürliches Verfahren, aufgrund von Unterschieden im Stil, in der Reihenfolge usw. verschiedene Quellen zu postulieren. Zunächst sollte geprüft werden, ob der vorliegende Text, hier also Genesis 1 und 2 (bzw. letztlich die ganze Urgeschichte Gen 1-11) nicht doch als ein schlüssiges Ganzes verstanden werden kann. Aus schwer verständlichen Beobachtungen am Text darf nicht vorschnell die Annahme verschiedener Autoren und Abfassungsumstände abgeleitet werden. Bevor dies angenommen wird, muß nach üblichen hermeneutischen Regeln von der Einheit des Textes ausgegangen werden. Die Unterschiede (bzw. die vermeintlichen “Widersprüche”) können auch anders als durch Qucllenscheidung einsichtig gemacht werden, wie im einzelnen gezeigt werden soll.
Der Wechsel von Gottesnamen wird auch in anderer antiker Literatur beobachtet, ohne daß deshalb verschiedene Quellen vermutet werden. Entsprechendes gilt für Änderungen im Stil und für Wiederholungen.50 Wester mann räumt ein, daß die einzelnen Textbeobachtungen, die für Quellenscheidung sprechen sollen, auch anders erklärt werden können, lediglich in ihrer Gesamtheit seien sie seiner Meinung nach aussagekräftig.51
26	Ratzinger, Schöpfungsglaube 242.
27	Kraus, Geschichte', Beck, Genesis 26ff.
28	Beck, a. a. O. 46.
29	Vgl. Külung, Schöpfungsberichte.
50	Pohl, Schöpfungshymnus.
51	Westermann, BKAT.
Beispielhaft soll dies am Gebrauch des Gotlesnamens erläutert werden: Der Wechsel des Gottesnamens ist zuerst im Verwendungszweck zu suchen. Für den Inhalt in Gen 1 ist Elohim der angemessenere Ausdruck, da dieser Name den Allerhöchsten in der Welt als Ganzes am Werk zeigt. Die Verwendung von “Jahwe” (“Ich bin der Ich bin”) zeigt die Gegenwart Gottes dem Menschen gegenüber, weil es in Gen 2 um die Erschaffung des Menschen geht. Die Kombination Jahwe-Elohim in Gen 2 soll deutlich machen, daß Jahwe der Elohim ist, der die Welt erschuf und daß beide Namen denselben bezeichnen. Um gleichzeitig die Heiligkeit Gottes auszudrücken, war es offenbar wünschenswert, den Doppelnamen Jahwe-Elohim zu verwenden.32
Deutung von Genesis 2 unter der Voraussetzung der Einheit von Genesis 1 und 2
Im folgenden soll eine Auslegung einiger Abschnitte von Gen 2 vorgelegt werden, die von der Einheit von Gen 1 +2 ausgeht. Das in Gen 1 Geoffenbarte wird dabei als Voraussetzung von Gen 2 angesehen. Was in Gen 1 bezeugt wird, muß folglich in Gen 2 nicht unbedingt wiederholt werden.33
Beim Vergleich von Gen 1 und 2 fällt neben den erwähnten Beobachtungen auf, daß in Gen 2 der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Schöpfungswerke werden in ihrer Bedeutung für den Menschen beschrieben. Die strenge Aufzählung von Gen 1 fehlt. Gen 2 hat also einen anderen Schwerpunkt als Gen 1. Nur teilweise geht es um Schöpfung. Himmelskörper, die Erde und das Meer fehlen. Man sollte dies in einem echten Schöpfungsbericht nicht erwarten. Eine so lückenhafte “Schöpfungserzählung” wäre in der altorientalischen Literatur ohne Parallele. Die Bezeichnung “2. Schöpfungsbericht” ist daher fragwürdig. Eine Reihe von Auslegern lehnt diese Kennzeichnung folgerichtig ab. Gen 2 ist besser als Kommentar und nähere Erläuterung zur in Gen 1 knapp geschilderten Erschaffung des Menschen zu verstehen.34 Außerdem handelt es sich um eine Beschreibung der ersten Schritte der Menschen nach ihrer Erschaffung und um eine Überleitung zur Sündenfallerzählung. “Der Schauplatz dieser Geschichte ist die Erde. Darum steht in Gen 2,4b die Erde vor dem Himmel und nicht wie 1,1; 2,4a u. a. danach. Diese Wortstellung geschieht absichtlich und ist nicht etwa auf eine andere Urkunde zurückzuführen."35
Zu den besonderen Unterschieden
Zu 1. (“Tag” in Gen 2,4): In Gen 2,4ff. geht es nicht um die Reihenfolge und die Gliederung der Schöpfungswerke Die Wendung “am Tage, da" ( CV2 ;2,4) ist hier nicht im Sinne eines gewöhnlichen Tages zu verstehen, sondern -wie die meisten Übersetzer es tun - mit “zur Zeit, als..." oder einfach mit “als..wiederzugeben. Denn im Gegensatz zu Gen 1 fehlen hier die Textmerkmale, die dort einen gewöhnlichen Tag zum Ausdruck bringen: Aufzählung der Tage sowie die Wendung “Abend und Morgen”. Das
Wort “Tag” wird im AT verschieden gebraucht Der Kontext muß in jedem Fall Klarheit verschaffen, wie es gemeint ist.
Zu 2. (Vorhandensein von Wasser): Die zweite scheinbare Ungereimtheit löst sich auf, wenn Gen 2 im Lichte von Gen 1 (statt als separate Quelle) gelesen wird. Dann ist nämlich klar, daß in Gen 2 von der Erde nach der Scheidung von Wasser und Land gesprochen wird, als folglich die Erdoberfläche ohne regelmäßige Bewässerung ausgetrocknet wäre. In Gen 2,6 geht es um die Bewässerung des Landes nach der Wasserscheidung. Vermutlich gab es damals einen anderen Wasserkreislauf, als er heute (nach der Sintflut) verwirklicht ist. Gen 2,6 gibt also eine Bedingung für den Pflanzenwuchs an.
Zu 3. (Reihenfolge von Mann und Frau): Auch der dritte “Widerspruch” löst sich auf, wenn Gen 2 als Detailaufnahme von Gen 1,27 gesehen wird. In Gen 1 wird über eine Reihenfolge bei der Erschaffung des Menschen nichts ausgesagt, Gen 2 teilt Details mit. Diese Vorgehensweise ist auch sonst im AT und anderer hebräischer Literatur üblich: Nach einer allgemeinen Aussage folgt eine detaillierte Beschreibung.
Zu 4. (Reihenfolge von Pflanzen und Menschen): Zum vierten o. g. Punkt ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß in Gen 2 gar nicht gesagt wird, daß der Mensch vor den Pflanzen erschaffen wurde. Man liest bei den Übersetzungen hinein, daß beim Erscheinen des ersten Menschen noch keine Vegetation vorhanden gewesen sei. Eine grundtextnahe Übersetzung erleichtert das richtige Verständnis:36
4	Für die Zeit, da Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, gilt:
5	Es gab zunächst noch kein Gesträuch des Feldes auf der Erde und noch war kein Kraut des Feldes gesproßt, (wann, wird nicht gesagt. Aufgrund der Vorgabe von Gen 1 muß es vordem dritten Tag gewesen sein)
weil Gott, der Herr, noch nicht hatte regnen lassen auf die Erde,
und weil es keinen Menschen gab, den Erdboden zu bebauen.
6	Da stieg Feuchtigkeit aufvon der Erde und bewässerte die ganze Oberfläche des Erdbodens.37
(Nun konnte die Vegetation wachsen)
7	Und Gott, der Herr, bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase Atem des Lebens und es wurde der Mensch eine lebende Seele. (Nun konnte der Mensch den Ackerboden bebauen.)
32	McDowell & Stewart, Antworten.
33	Selbst wenn Gen 1 und 2 ursprünglich literarisch getrennt gewesen sein sollten, bliebe die Möglichkeit uneingeschränkt erhalten, daß der Schreiber von Gen 2 das Zeugnis von Gen 1 voraussetzt und nicht unabhängig davon schreibt.
34	Ross, 1. Mose 12.
35	Külung, a. a. O. 217.
36	Verändert nach Külung, a. a. O.
31 “Der Wechsel zwischen negativer und positiver Aussage bedingt, daß das 1 zu Beginn von V 6a adversativ zu übersetzen ist“ (Dohmen, Schöpfung und Tod 54).
Es wird deutlich, daß nichts darüber mitgeteilt wird, wann die Pflanzen geschaffen wurden. Mit der Information aus Gen 1 kann gesagt werden, daß sich das in Vers 5-6 Geschilderte vor der Erschaffung der Pflanzen am dritten Schöpfungstag abspielte.
In V. 6 wird dann eine Voraussetzung für den Pflanzenwuchs genannt: eine dauerhafte, geregelte Bewässerung (Feuchtigkeit aus der Erde).
In V. 7 wird anschließend (ohne Zeitangabe) die Erschaffung des Menschen beschrieben, der die Pflanzen kultivieren soll (vgl. V. 5d und 15: “bebauen") - der Zusammenhang zielt deutlich auf die Kultivierung der Pflanzen ab, nicht nur auf ihr Wachstum (V. 8: “Garten”). Daß Pflanzen auch ohne menschliches Tun wachsen können, braucht nicht hervorgehoben zu werden.
ln Vers 5-7 geht es also um zweierlei: um den ursprünglichen Wasserkreislauf als Bedingung für den Pflanzenwuchs und dieser wiederum als Öko-Rahmen für den Menschen, der erschaffen wird.3* Andernfalls hätte Gott den Menschen in eine unbelebte Umgebung gesetzt, was eine wenig glaubhafte Auslegung wäre. Daß an dieser Stelle dieTiere noch nicht erwähnt werden, fügt sich gut in den in Gen l,29f. erwähnten Umstand, daß sie ursprünglich keine Nahrungsgrundlage für den Menschen waren.
Zu 5. (Reihenfolge von Tieren und Mensch): Auch die letzte genannte Unstimmigkeit kann ausgeräumt werden, wenn man akzeptiert, daß die Erschaffung der Tiere gemäß der Schilderung von Gen 1 als bekannt vorausgesetzt wird. Dann ist klar, daß in 2,19 nicht die Erschaffung der Tiere beschrieben, sondern auf die Tatsache ihrer Existenz verwiesen wird. Dies wird in der deutschen Sprache am besten dadurch ausgedrückt, daß man mit dem Plusquamperfekt übersetzt:3’
18	Und Gott der Herr sprach: Der Zustand, daß der Mensch mit sich allein ist, ist nicht gut. Ich werde ihm eine Hilfe schaffen, die ihm entspricht.
19	Und Jahwe-Herr hatte auch alle Tiere des Feldes und alle Vögel aus dem Erdboden geschaffen und brachte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde.
Der Kontext muß Klarheit geben, wie eine sinngerechte Übersetzung vorgenommen werden kann. Der hier durchweg vorausgesetzte Zusammenhang mit Gen ^bestätigt die obige Übersetzung. Wie bereits vermerkt und durch viele Beobachtungen am Text deutlich wurde, geht es in Gen 2 nicht um Reihenfolgen (das ist u. a. Aussage von Gen 1), sondern um Zuordnungen.
Neben Gen 2,19 gibt es eine Reihe weiterer gleichartiger Satzkonstruktionen im AT, in denen der Textzusammenhangebenfalls eine Wiedergabe durch den Plusquamperfekt fordert. So z. B. Josua 2,22: Nachdem die Kundschafter Israels durch die Hilfe der Hure Rahab aus Jericho entkommen konnten, heißt es dort:“Sie aber gingen weg und kamen aufs Gebirge und blieben drei Tage dort, bis die zurückgekommen waren, die ihnen nachjagten. Denn sie halten sie gesucht auf allen Straßen und doch nicht gefunden.” Eine Übersetzung durch “ünd sie such-
ten sie... und fanden sie nicht” trifft den Sinn nicht. Die Satzkonstruktion ist hier identisch mit der Konstruktion in Gen 2,18f.
Genesis 1 und 2 - eine inhaltliche Einheit
Für die Einheit von Gen 1 und 2-3 spricht auch die Tatsache, daß beide Berichte für sich alleine jeweils unvollständig wären. Gen 1 allein würde die Frage offenlassen, wie es möglich ist, daß die sehr gute Schöpfung mit Leid und Tod angefüllt ist. Pohl sieht in diesem Punkt ein wichtiges Klammerstück, eine “innere Verkettung und Verzahnung”41. Gerade die innere Verklammerung beweise die literarische Einheit und den einheitlichen Verfasser. Gen 2 ohne Gen 1 fehlt ein Großteil der Schöpfungswerke und die Beschreibung der Schöpfung, wie sie aus Gottes Hand kam.
Schlußfolgerungen
Die Unterschiede zwischen Gen 1 und Gen 2 können durch den jeweils verfolgten Zweck der Texlabschnitte verstanden werden. Wenn man von der Einheit des Textes ausgeht, kommt man zu einer harmonischen, angemessenen Auslegung. “Widersprüche” entstehen erst bei einer angenommenen Quellenscheidung. Sie verkennt, daß Gen 1 beim Zeugnis von Gen 2 vorausgesetzt wird. Das heißt insgesamt: Die Merkmale der Texte erfordern nicht den Rückgriff auf die Annahme verschiedener unabhängiger Quellen. Die Relevanz auch für die reale Geschichte der Menschheit kann nicht durch die Unterschiede zwischen den beiden ersten Kapiteln der Bibel bestritten werden.
Weltbild und Aussageinhalt biblischer Texte — eine Verhältnisbestimmung
Um einer Antwort auf die aufgeworfene Frage, inwiefern biblische Darstellungen weltbildbedingt sind, näher zu kommen, und um Mißverständnisse zu vermeiden, sollen die beiden Begriffe
38	Vgl. Delitzsch, Genesis 76f.
39	Die Bedeutung des Waw-Konsekutiv-Imperfekts muß nach dem Zusammenhang bestimmt werden, “ln 2,19 ist der Bericht über die Erschaffung der Tiere dem Hauptthema, der Frage nach der Beendigung des Alleinseins des Menschen, unlergeordnet (Dohmen, Schöpfung und Tod 80). Vgl. DELrrzscH, Genesis 82: Hier werde nicht zeitlich Gefolgtes genannt, sondern auf die Ursache zurückgegangen. Wenn hier von einer Tierschöpfung die Rede wäre, müßte befremden, daß keine Kriech- und Wassertiere, sondern nur “Wild, Zahmvieh und Vögel” genannt werden.
40	Vgl. die Kritiker der Quellenscheidung Cassuto, Jacob, Rend-torff.
41	Pohl, a. a. O. 261.
“Weltbild” und “Weltanschauung” voneinander unterschieden werden. Im folgenden soll unter “Weltbild” eint Vorstellung von der Beschaffenheit, dem Aufbau und Gesetzen der sichtbaren Welt verstanden werden. Es soll damit der jeweilige Wissensstand über die empirisch kontrollierbare räumliche Struktur des Kosmos gemeint sein, sein Aufbau und die Kräfte, die in ihm gegenwärtig wirken.
Davon zu unterscheiden ist der Begriff “Weltanschauung”, womit eine Gesamtschau der Schöpfung einschließlich der erfahrungswissenschaftlich nicht erfaßbaren Aspekte und ihrer Wechselwirkungen mit dem Bereich der empirischen Wissenschaften gemeint sein soll, einschließlich der geschichtlichen Dimension.
Zu dieser Begriffsklärung sollen einige Beispiele genannt werden: Erfahrungswissenschaftlich kann kein evolutives Weltbild begründet werden; es gibt wohl aber eine evolutionäre Weltanschauung (nämlich das Konzept einer Milliarden Jahre dauernden Geschichte von allmählicher Zunahme an Komplexität), die in Bezug zu Daten der empirischen Wissenschaften gesetzt werden kann. Entsprechend gibt es eine biblischheilsgeschichtliche Weltanschauung, die im Geschichtshandeln Gottes in Schöpfung, Gericht, Erlösung und Vollendung ihre Eckdaten besitzt. Die biblischen Berichte enthalten nurzeitgebun-dene Weltbilde/emenre, aus denen jedoch kein “biblisches Weltbild” erhoben werden kann.42
Die Unterscheidung zwischen “Weltbild” im Sinne kosmographischer Vorstellungen und “Weltanschauung” im Sinne einer Gesamtdeutung der Welt ist als Hilfsmittel zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen notwendig. Sie soll davor bewahren, alle naturkundlich anklingenden biblischen Beschreibungen (eingeschlossen die Texte, die die menschliche Frühgeschichte und darüber hinaus die ganze Kosmosgeschichte betreffen) pauschal mit der Kennzeichnung “Weltbildbedingtes” zu belegen. Damit dies vermieden werden kann, sind die folgenden vier Gesichtspunkte zu beachten.
1. Die in den Schilderungen geschichtlicher Ereignisse verwendete Ausdrucksweise kann nicht ver-
wendet werden, um aus ihr ein “biblisches Weltbild” abzuleiten. In den Verhältnisbestimmungen von “Glaube und Naturwissenschaft”43 berufen sich zahlreiche Autoren weitgehend auf die Feststellung, das biblische Weltbild sei überholt, und verweisen auf Passagen wie Jos 10, wo berichtet wird, daß die Sonne und der Mond Stillständen. Diese Ausdrucksweise und dieses Geschehen sollen davon zeugen, daß der Autor dem veraltetengeozentrischen Weltbild anhing. Doch hier handelt es sich um ein Mißverständnis. Im Bericht Jos 10 wird Gottes Eingreifen bezeugt. Die Schilderung bedient sich der Sprache des Augenscheins. Die verwendete Sprache kann jedoch nicht ausgewertet werden, um damit ein biblisches Weltbild abzuleiten. Wenn in Jos 10 also vom Stillstehen der Sonne berichtet wird, so liegt dem offenbar ein astronomisches Ereignis zugrunde, dessen Vorgang mit Ausdrücken des Sinneseindrucks wiedergegeben wird, wie dies auch heute geschehen würde.44
In diesem Sinne gibt es heute genauso weltbildverhaftete Ausdrucksweisen, die wissenschaftlicher Erkenntnis “widersprechen”, ohne daß daraus auf ein zugrundeliegendes falsches Weltbild geschlossen wird. Wir reden beispielsweise vom Sonnenaufgang (statt umständlicher von einem Auftauchen der Sonne infolge der Erddrehung) oder davon, daß ein Stein zur Erde fällt (statt umständlicher, daß Stein und Erde sich auf ihren gemeinsamen Schwerpunkt zubewegen) usw. Wir bedienen uns der Sprache des Sinneseindrucks, wie sie der Alllagssprache angemessen ist.45 In dieser Sprache wird beim Naturwunder in Jos 10 gesagt, daß Sonne und Mond stehen blieben. Daraus kann man nicht ableiten, daß
,2 Mosis, Schöpfungsaussagen 12.
*' Insbesondere in religionspädagogischen Konzepten.
" Vgl. dazu Schoepfer, Bibel und Wissenschaft 15, 2h;
Ouweneel, Evolution 364ff.; Messenger, Theolog/ 29,31.
<s Vgl. Gese, Zur biblischen Theologie 206f.: "Was isi aber der gegebene Rahmen, über den das antike, das vornaturwissen-schaftliche Weltbild nicht hinausgeht? Es ist die sinnliche Wahrnehmung des Menschen, sein Sehen, Hören usw.” Lachenmann, Wort 175, unterscheidet ein primäres Weltbild, in welchem uns die Bibel begegne und wonach sich die Wirklichkeit durch die Sinnesorgane des Menschen unmittelbar erfassen läßt, und ein sekundäres Weltbild, bei welchem die Realität hinter dem verborgen liege, was uns erscheine.
der Text über die Struktur unseres Sonnensystems Auskunft geben wolle. Das ist aus dem Kontext ersichtlich. Das zugrundeliegende Weltbild ist das “Weltbild der menschlichen Wahrnehmung”46, das sich bis zum heutigen Tag nicht geändert hat. Oder wenn in Mt 6,9 unser Vaten'n den Himmeln angeredet wird, so soll damit in einer der damaligen Zeit angemessenen Redeweise ausgedrückt werden, daß Gott Vater nicht im pantheistischen Sinne in dieser Welt zu finden ist. Hier geht es offensichtlich nicht um Vermittlung astronomischer Vorstellungen. Folglich rechtfertigen Bibelzitate wie die genannten in keiner Weise die Preisgabe geschichtlicher Bezüge der Heiligen Schrift.
Nach Hübner habe zeitbedingt Weltbildhaftes nur deshalb Eingang in die Bibel gefunden, weil Gott sich in seiner Barmherzigkeit der Redeweise und den Vorstellungen der Menschen angepaßt habe, zu denen er reden wollte.47 Das ist sicher richtig, besagt aber nicht mehr, als daß die Bibel die Sprache des Alltags verwendet. Es genügt die einfache Feststellung, daß Gott sich einer verständlichen Sprache bedient hat, um den Menschen seine Botschaft mitzuteilen. Selbstverständlich versteckt Gott seine Offenbarungen nicht hinter wissenschaftlichen Formulierungen. Man kann den vorliegenden Sachverhalt so ausdrücken: Vom realen Handeln Gottes in der Welt wird in der Ausdrucksweise der sinnlichen Wahrnehmung berichtet.
2. Anschauliche Ausdrucksmittel finden sich weiterhin in poetischer Literatur. Daher ist zu beachten: Poetische Ausdrucksweisen können nicht unmittelbar weltbildhaft ausgedeutet werden.4* Als bekanntes Beispiel der jüngeren Poesie kann das bekannte MöRiKE-Gedicht zur Illustration genannt werden, das mit “Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte” beginnt. Niemand denkt hier an ein Textil. Biblische Beispiele sind das “Einrollen der Erde”, das “Gewand des Lichtes” (Ps 104,2) und ähnliche. Solche Formulierungen dürfen selbstverständlich nicht konkret ausgemalt werden.
Eine kontextgerechte Auslegung läßt mit diesen beiden Überlegungen bereits ein Großteil sogenannter weltbildverhafteter Aussagen der Bibel
einfach deuten als poetisch-bildhafte Darstellungen, aus denen gar keine Informationen über ein zugrundeliegendes Weltbild abgeleitet werden können. Ebensowenig leitet man aus moderner Poesie ein modernes Weltbild ab.49 Den biblischen Texten kann kein Weltbild im astronomischen Sinne entnommen werden, wie eine Durchsicht der einschlägigen Bibelzitate zeigt.50 Dennoch kann auch poetische Ausdrucksweise dazu benutzt werden, um ein reales Handeln Gottes wiederzugeben (Beispiel: Psalm 19).
3.	Man muß zwischen Aussagen über die Struktur und solchen über die Geschichte unterscheiden. Die vorigen Punkte haben diesen dritten und wichtigsten Gesichtspunkt bereits vorbereitet. Wenn von Texten wie Jos 10 aus — namentlich in religionspädagogischen Konzepten — bedenkenlos eine Linie zu den Schöpfungstexten der Genesis gezogen wird, wenn auch sie scheinbar folgerichtig als irrelevant für die Rekonstruktion der Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte eingestuft werden, wird die Unterscheidung zwischen Kosmographie und Geschichte grob mißachtet. Unter Punkt 1 wurde bereits verdeutlicht, daß aus der verwendeten Sprache nicht auf naturkundliche “Lehren” der Bibel geschlossen werden kann. Darüberhinaus ist jedoch zu beachten, daß es in Jos 10 wie in den Texten der biblischen Urgeschichte gar nicht um ein kosmographisches Weltbild geht, sondern um die Taten Gottes. Wenn Brunner meint, man könne nicht koperni-kanisch denken, ohne die Adamshistorie preiszugeben51, so begeht er den Fehler, nicht zwischen Kosmographie und der Beschreibung des Geschichtshandelns Gottes zu unterscheiden. Selbst wenn zeitbedingte Vorstellungen in der Beschreibung von Ereignissen Eingang gefunden haben sollten (was an dieser Stelle nicht untersucht wird), liefern eventuelle zeitbedingte räumliche Weltbildvorstellungen kein Argument, das bi-
* Gese.0. a. O. 212.
47	J. Hübner, Biologie 40.
48	Es ist Aufgabe der Exegese, die Gattungen der relevanten Texte zu bestimmen.
49	Vgl. Flockiger, Existenz 83ff.
50	Beck, Urknall.
51	Brunner, Dogmatik 58.
blisch bezeugte Schöpfungs- und Geschichtshandeln Gottes von der Geschichte zu entkoppeln, die in den biblischen Geschichtsbüchern überliefert ist. Der Übergang von einem geo- zu einem heliozentrischen Weltbild (Struktur) berührt die Berichte der biblischen Urgeschichte gar nicht, denn ersteres betrifft kosmographische Vorstellungen. Diese Berichte könnten gleich lauten, auch wenn ein anderes (kosmographisches) Weltbild zugrunde läge. Das Geschichtshandeln Gottes kann weitgehend unabhängig von kos-mographischen Vorstellungen geschildert werden. Dagegen haben die Vorstellungen über die Entstehungsweise des Menschen und seine Geschichte massive Konsequenzen für das Verständnis von Genesis 1 —11. Wer der Mensch ist, hängt kaum davon ab, wie das Sonnensystem oder das Weltall strukturiert ist; das Wesen des Menschen ist jedoch entscheidend durch seine Geschichte zu verstehen (vgl. Abschnitt 4.1.3).52
Mitterer zeigt auf, daß die antike griechische Naturwissenschaft (Platons bzw. Aristoteles’) mit dem christlichen Glauben durch Augustinus bzw. Thomas von Aquin so innig verknüpft wurde, “daß sie nicht mehr bloß auf ihren profanen Argumenten zu beruhen schien, sondern zugleich auf der Offenbarung Gottes. An dieser Naturwissenschaft zu rütteln, mußte daher nicht bloß als eine wissenschaftswidrige, sondern auch als eine glaubens-, Christentums- und kirchenfeindliche Tat erscheinen.”53 Er schließt weiter, daß die neuzeitliche Entzweiung zwischen Christentum und Naturwissenschaft in Wirklichkeit eine Entzweiung zwischen der alten und der neuen Naturwissenschaft war: “Was durch die neue Naturwissenschaft betroffen wurde, das waren jene naturwissenschaftlichen Anschauungen, die das Christentum im Kompromißweg von der alten Naturwissenschaft in Kauf genommen hatte.”54 Mit der Bedrohung der theologischen Synthese schien nicht bloß die eine der beiden Komponenten dieser Synthese, die alte Naturwissenschaft, sondern auch die andere Komponente, der christliche Glaube, in Gefahr zu sein.55 Und zur alten Naturwissenschaft gehörte auch die Auffassung von der astronomischen Mittelpunktsstellung der Erde, einer absoluten Artkonstanz und einer Gleichförmigkeit der Welt-
geschichte. Diese aus der alten Naturwissenschaft z. T. nur mühsam mit dem christlichen Glauben harmonisierten Merkmale wurden hinweggefegt. Es hätte also eigentlich ein leichtes sein können, das dem christlichen Glauben ohnehin nicht Entstammende aufzugeben. Ein Widerspruch mit der Offenbarungswahrheit der Bibel lag hier nach Meinung Mitterers durchweg nicht vor.
Hier wird erneut der Fehler begangen, nicht zwischen Kosmographie und Geschichte zu unterscheiden. Die Frage nach der astronomischen Position der Erde ist eine Strukturfrage, dagegen ist die Entstehung der Arten mit der Geschichte und dem Ursprung des Menschen gekoppelt. Dieser Unterschied wird auch hier nicht beachtet. Die kopernikanische Wende ist für die biblischen Schilderungen irrelevant, die Herkunftsfragen sind es nicht. Was beim Fall Galilei falsch war, muß beim “Fall Darwin” nicht auch verkehrt sein.56
52 Nurwenige Autoren, die dasSpannungsfeld von Glauben und Wissen thematisieren, gehen auf diese grundlegende Unterscheidung ein, beispielsweise Schoepfer, Geschichte 18: Für ihn ist die heilige Schrift “in eminentem Sinne geschichtlicher Unterricht". Man könne daher von der Geschichte nicht dasselbe sagen wie von der Naturwissenschaft. Schoepfer trifft hier die genannte Unterscheidung. Der Gegenstand der Bibel, die Erlösung der Menschheit, ist wesentlich Geschichte (Schoepfer, Bibel und Wissenschaft 123). Wahrend Vorgänge in der Natur nach dem Augenschein geschildert werden und in der Übereinstimmung mit dem Augenschein ihre Wahrheit haben, sind Mitteilungen geschichtlicher Natur nur dann wahr, wenn sie mit den mitgeteilten Tatsachen übercinstim-men (124; vgl. 125).
Allerdings schränkt Schoepfer, ebd. 168, ein: “Die geschichi-liche Form einer biblischen Darstellung ist für sich allein noch kein hinlänglicher Beweis dafür, daß das so geschichtlich Dargestellte auch wirklich Geschichte sein will."
Die Unterscheidung von bildhafter Beschreibung einer räumlichen Struktur einerseits und der Schilderung des Geschichtshandelns Gottes andererseits mißachtet z. B. Mosis, Welt-Verständnis 221 f.. wenn er das Festhalten an der Wörtlichkeit des Schöpfungsberichtes mit dem Festhalten an der Wörtlichkeit in dem genannten MöRiKE-Gedicht vergleicht.
52 Mitterer, Entwicklungslehre.
Ebd. 123.
55 Ebd. 125.
% Mitterer, ebd., kritisiert die Festlegung des christlichen Glaubens auf bestimmte wissenschaftliche Vorstellungen allerdings zurecht, wenn damit der exegetisch zu ermittelnde Interpretationsspielraum relevanter Bibeltexte von einer sachfremden Instanz eingeengt wird.
Damit ist der im Zusammenhang mit der Frage nach biblischen Weltbildern immer wieder in geradezu stereotyper Weise aufgerollte “Fall Galilei” angesprochen. Mit den bereitgestellten Bewertungsmöglichkeiten (1. bis 3.) kann nun beurteilt werden, inwiefern ein Vergleich der heute aktuellen Auseinandersetzung um die Evolutionslehre mit der damaligen Kontroverse vergleichbar ist.
In beiden Fällen wird behauptet, daß der Fehler begangen wurde bzw. werde, biblische Aussagen als naturkundlich relevant anzusehen. Durch den Fall Galilei habe das Christentum aufgrund dieses Fehlers Schaden genommen. Daher müsse man aus der Auseinandersetzung zwischen Galilei und der Kirche lernen, daß der Glaube schlecht beraten sei, wenn er sich mit einem bestimmten Weltbild vorbehaltlos identifiziere.
Die beiden Auseinandersetzungen unterscheiden sich jedoch wesentlich. Zwar sind die Geschehnisse um den Fall Galilei und seiner Interpretation umstritten,57 doch wird diese Auseinandersetzung in der Bestimmung des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie in der Weise benutzt, daß es bei Galilei darum gegangen sei, ob die Erde astronomischer Mittelpunkt des Weltalls sei. Hier habe sich die Kirche fatalerweise auf ein zeitbedingtes Weltbild festgelegt. Der eigentliche Fehler sei dabei nicht die spezielle Fehldeutung gewesen, sondern die Meinung, die Bibel enthalte überhaupt naturkundlich Relevantes.
Die heutige Auseinandersetzung um die Ursprungsfrage und das Geschichtskonzept unterscheidet sich vom Galilei-Streit insofern grundlegend, als damals die Rolle naturkundlicher Aussagen der Bibel für kosmographische Fragen zur Debatte stand, während es heute um das Geschichtshandeln Gottes geht (vgl. 3.). Die Vorstellung, die Bibel äußere sich explizit zur Kosmographie (Erde als astronomischer Mittelpunkt des Weltalls) beruhte auf der falschen Vorgehensweise, aus der benutzten Sprache des Augenscheins oder aus poetischer Sprache weltbildliche Aussagenableiten zu wollen (vgl. 1. und 2.). Die Vorstellung einer Mittelpunktsstellung der Erde basiert jedoch nicht auf biblischer Lehre
(genausowenig wie die Vorstellung vom “dreistöckigen Weltbild” oder die modernen Vorstellungen des 20. Jahrhunderts). Die bei diesen Schilderungen verwendete Ausdrucksweise kann aber nicht für ein räumliches Weltbild ausgewertet werden (s. o.).
Dagegen ist das in Genesis 1-11 Geschilderte offenkundig nicht in poetischer Sprache geschrieben. Es wird in einer allgemeinverständlichen Sprache von realen Geschehnissen berichtet. Umgekehrt kann man argumentieren, daß wenn Gott durch Evolution geschaffen hätte, dies in der Bibel ohne weiteres in der Alltagssprache ausgedrückt hätte werden können, zumal aus dem Altertum solche Vorstellungen vielfach bekannt sind.58 Man kann also nicht behaupten, das Zeugnis von fertig geschaffenen Arten entspreche damaligen zeitbedingten Vorstellungen. Da uns die biblischen Offenbarungen also nicht in einer wissenschaftlichen Ausdrucksweise gegeben sind, ist es verfehlt, aus der benutzten Sprache ein “biblisches” Weltbild ableiten zu wollen, um dieses dann einem “naturwissenschaftlichen” entgegenzusetzen.
Der entscheidende Punkt sei nochmals festgehalten: Das biblisch bezeugte (und in der Alltagssprache geschilderte) Geschichtshandeln Gottes betrifft die historischen Wissenschaftsbezüge, weil von Gott faktisch Geschichte gesetzt wird. Gott hat in und mit derselben Welt und derselben Geschichte gehandelt, die Gegenstand von Fachdisziplinen sind. Daher ist ein bibelfundierter Wissenschaftsbezug im geschichtlichen Sinne sinnvoll und in der heutigen Auseinandersetzung um Glaube und Denken notwendig.
Die Gegenüberstellung auf S. 213 soll das Gesagte verdeutlichen. Sie zeigt, daß der Vergleich zwischen der Galilei-Kontroverse und der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Ursprungsfrage irreführend ist.
Hemminger zitiert Galilei, daß die Bibel uns lehre, wie wir uns zum Himmel bewegen, nicht wie die Himmel sich bewegen, und macht darauf auf-
57	S. z. B. von Weizsäcker, Tragweite.
58	In Junker & Scherer, Entstehung Kap. 2, sind einige Beispiele
kurz dargestellt.
GALILEI
EVOLUTIONSLEHRE
Problemstellung
Struktur des Sonnensystems. Wie ist das Weltall aufgebaut? Jos 10, 12—15 (“Sonne stehe still”) und andere Bibelstellen wie Ps 19,5b-7 (Sonne als Bräutigam) wurden als Belege für ein geozentrisches Weltall angesehen.
Geschichte der Welt. Wie hat Gott in und mit dieser Welt gehandelt und wie wird er noch handeln? Vgl. Schöpfungsbericht; Mt 19,4ff. (Ehe); Mt 24,37-39 (Sintflut); Rom 5,12ff. (Adam -Christus); 2 Pt 3,3ff. (Sintflut - Wiederkunft Jesu) u. a.
zuständige Wissenschaft (außer der Theologie)
Naturwissenschaft, mit reproduzierbaren (wiederholt beobachtbaren) Phänomenen arbeitende empirische Wissenschaft. Reproduzierbare Belege sind möglich; außerwissenschaftliche Erkenntnisvoraussetzungen spielen eine untergeordnete Rolle; sie stehen hier nicht zur Debatte.
Historische Erfahrungswissenschaft; untersucht nicht-reproduzierbare, einmalige Vorgänge anhand von Dokumenten und Indizien. Beweise sind nicht möglich, nur Indiziendeutung; außerwissenschaftliche Erkenntnisvoraussetzungen spielen eine entscheidende Rolle; sie stehen hier wesentlich zur Debatte.
Worum geht es den biblischen Autoren bei den genannten Stellen ?
Es geht um das Handein Gottes, von welchem in der Alltagssprache (Jos 10) bzw. in einer poetischen Sprache (Ps 19 u. a.) berichtet wird; es geht nicht um eine Weltbildfrage. Die der Alltagssprache eventuell zugrundeliegenden Weltbilder sind wissenschaftlich nicht unbedingt relevant. Der Bibel geht es hier nicht um den strittigen Punkt, also der kosmographischen Struktur der Schöpfung.
Es geht um das Handeln Gottes, von welchem auch hier in der Alltagssprache berichtet wird; es geht auch hier nicht um eine Weltbildfrage. Der Bibel geht es hier um den strittigen Punkt.
Ist der strittige Sachverhalt (Struktur des Sonnensystems bzw. Geschichte des Menschen) von
der wissenschaftlichen Seite geklärt?
Ja, insofern als astronomische Daten unseres Sonnensystems bisher im heliozentrischen Bezugsrahmen widerspruchsfrei eingeordnet werden können. Im übrigen läßt das “kosmologische Prinzip” der Relativitätstheorie jedes Koordinatensystem gleichberechtigt zu.
Nein, die Geschichte des Menschen ist naturwissenschaftlich nicht demonstrierbar, es handelt sich um geschichtliche Rekonstruktionen. Der Erkenntnisgegenstand, die Geschichte des Menschen, ist empirisch nicht direkt zugänglich. Es ist nur möglich, unter der außerwissenschaftlichen Vorgabe einer Ursprungsvorstellung die Gegenwartsdaten bzw. historischen Dokumente (Bau der Lebewesen, Fossilien, geologische Systeme, astronomische Daten usw.) zu deuten.
merksam, daß die älteste naturkundliche Gesellschaft der Welt “nichts aus dem Wort” gelten lassen wollte.59 Damit will er dokumentieren, daß es ein Fehlweg sei, die biblische Überlieferung als naturkundlich oder geschichtlich relevant anzusehen. Doch dieser Bezug auf Galilei ist irreführend, denn beim Galilei-Streit ging es um die gegenwärtige Beschaffenheit der Welt, nicht um Kosmogene.se oder um eine Abstammungslehre. Wenn Galilei und andere im Buch der Natur lesen wollten, “um zu erfahren, welchen Gesetzen die Natur gehorcht”60, ging es um Reproduzierbares, also um die gegenwärtigen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten. Fragen der Genese standen nicht an. Daher ist auch die Behauptung zurückzuweisen, die moderne Schöpfungsforschung, welche die Historizität der biblischen Urgeschichte in ihren Theorieentwürfen zugrundelegt (s. Abschnitt 5.4), wende sich gegen die großen christlichen Naturforscher des 15. und 16. Jahrhunderts, denn in der heutigen Auseinandersetzung werden nicht Experiment und Beobachtung in Frage gestellt wie damals, als es um die Erforschung der Strukturen des Weltalls ging, während kosmqgonische Vorstellungen noch gar nicht entwickelt wurden.
4.	Die Bestimmung dessen, was an den biblischen Texten bloßes Ausdrucksmittel ohne beabsichtigten Aussageinhalt ist, darf nicht von wissenschaftlichen Theorien oder naturphilosophischen Konzeptionen aus erfolgen. Die Theorien der modernen Naturwissenschaft (die oft als nicht mehr zu hinterfragende Fakten verstanden werden) als Maßstabder Exegese zu nehmen, hieße nämlich, die Auslegung biblischer Texte von einem prinzi-
piell anfechtbaren Wissensstand abhängig zu machen. Das geschieht z. B., wenn man mit Blick auf die Evolutionslehre die Aussagen über das Handeln Gottes in der biblischen Urgeschichte als weltbildverhaftet und damit als bedeutungslos für die Rekonstruktion der Erd- und Menschheitsgeschichte ansieht. Die Entscheidung, ob die Bibel an bestimmten Stellen Weltbildverhaftetes beinhaltet, muß aufgrund des Kontextes getroffen werden. Was ein Text sagen will, entscheidet sich in erster Linie am Text selber.
Zusammenfassend kann man also festhalten, daß das reale Handeln Gottes in und mit dieser Welt in der Sprache der Sinneswahrnehmung ausgedrückt wird, die wir heute genauso oder ganz ähnlich verwenden würden. Die verwendete Sprache kann nicht im Sinne eines räumlichen Weltbildes ausgewertet werden.6' Ebenso können poetische Formulierungen nicht unmittelbar weltbildhaft ausgedeutet werden. Vor allem aber muß unterschieden werden zwischen Elementen räumlicher Weltbildvorstellungen, die bei Schilderungen über historische Ereignisse verwendet werden, und den Aussagen über die Geschichte selber. Erstere stehen im Dienst des letzteren. Den Texten der biblischen Bücher ist unschwer zu entnehmen, daß sie über reale Geschichtsereignisse zu berichten beanspruchen. Das Geschichtshandeln Gottes ist folglich als Aussageinhalt zu werten, wobei die Schreiber der biblischen Bücher Weltbildelemente kosmo-graphischer Art einsetzen konnten, um das Handeln Gottes anschaulich und verständlich zu schildern.
5.4	Inwiefern betreffen Aussagen der Bibel die Wissenschaft?
Nachdem klargestellt worden ist, daß die biblischen Offenbarungen, auch die Urgeschichte, grundsätzlich Relevanz für die Rekonstruktion der Naturgeschichte besitzen, soll dies an einer Reihe von Beispielen aus der Biologie und Paläontologie konkretisiert werden (Abschnitt 5.5). Zuvor sollen jedoch einige grundsätzliche Über-
legungen dazu angestellt werden, inwiefern die biblischen Schilderungen für Theoriebildungen der Erfahrungswissenschaften relevant sind. Was
59	Hemminger, Kreationismus 4f.
60	Ebd. 4; Hervorhebung nicht im Original.
“ Vgl. Ouweneel, Evolution 364.
ist damit gemeint, daß die Bibel (natur)ge-schichtlich relevant ist? Welche Kriterien sind anzuwenden, nach denen biblische Aussagen als relevant oder irrelevant für die betreffenden Fachwissenschaften gewertet werden können? Wie werden diese Kriterien biblisch begründet?
Es liegt auf der Hand, daß hier primär exegetische Arbeit geleistet werden muß. Die exegetische Arbeit muß erweisen, welche Aussageabsichten die Bibeltexte haben, die direkt oder indirekt Bezüge zu naturkundlichen und geschichtlichen Dingen aufweisen. Dabei ist eine Zusammenarbeit von Fachwissenschaftlern und Exege -ten erforderlich. Unabhängig von den exegetisch zu ermittelnden Details sollen im folgenden jedoch einige allgemeine Gesichtspunkte zur aufgeworfenen Frage formuliert werden.
Als hermeneutische Prinzipien bei der Auslegung von Bibeltexten, die naturkundliche Aspekte aufweisen, sollen hervorgehoben werden:
1.	Die biblischen Autoren schildern das Handeln und die Absichten Gottes mit dem Menschen und mit der ganzen Welt sowie Wesenszüge Gottes. Sie bezeugen den Willen, die Absichten und das Wesen Gottes, insofern das für den Menschen von Belang ist. Sie machen dagegen in der Regel keine isolierten Aussagen über die empirische Schöpfungsbefindlichkeit.
2.	Die Schöpfungswerke werden in der Relation zu Gott und zum Menschen gesehen. Eine lehrbuchartige Beschreibung von Schöpfungswerken gibt es nicht. Vielmehr sollen mit solchen Beschreibungen Aussagen über Gott oder den Menschen und seine Situation verdeutlicht werden.
Diese Kriterien sind biblisch durch die Bedeutung der genannten Themen (Weg Gottes mit dem Menschen und das Wesen Gottes sowie die Situation des Menschen) in der gesamten biblischen Überlieferung begründet. Sie sind in einzelnen Passagen unter Berücksichtigung der exegetischen Detailergebnisse anzuwenden.
Einige Beispiele sollen die genannten Grundsätze verdeutlichen:
- In Abschnitt 4.3.2.1 wurde erläutert, inwiefern Röm 5,12-21 zwar einerseits nicht geschrie-
ben wurde, um naturkundliche Details zu schildern, wie aber dennoch naturkundliche Relevanz gegeben ist.
Ähnlich steht auch die in Abschnitt 4.3.2.2 besprochene Perikope Röm 8,19-22 primär nicht im Zusammenhang mit Ursprungsfragen, sondern es geht um die Zukunft und die Hoffnung der ganzen Schöpfung. Die dort vermittelte Hoffnung ist aber nur vor einem bestimmten geschichtlichen Hintergrund verständlich und realistisch, so daß dieser Hintergrund ebenfalls wichtig ist.
-	In Mt 19,3-8 geht Jesus im Gespräch mit den Pharisäern auf das Problem der Ehescheidung ein. Auf die Frage, wann Ehescheidung erlaubt sei, greift Jesus auf den Anfang zurück und zitiert aus den ersten beiden Kapiteln der Genesis. Zweifellos will Jesus hier nicht in erster Linie über den Ursprung des Menschengeschlechts belehren. Es geht um die Unauflöslichkeit der Ehe. Um aber diesen Sachverhalt zu klären, erinnert Jesus an die ursprüngliche Bestimmung und greift zurück auf die Schöpfung. Damit ist klar, daß die Ehe eine Schöpfungsinstitution und nicht etwas evolutiv Herausgebildetes ist. Jesus macht hier indirekt eine maßgebliche Aussage über den Ursprung des Menschengeschlechts, insofern als er pars pro toto die Schöpfungserzählungen Gen 1 und 2 als realistisch voraussetzt. Wäre dieser Ursprung nicht real, wäre Jesu Aussage über das Wesen der Ehe hinfällig. Daher kann — biblisch gesehen — der Beginn der Menschheit nicht in beliebiger Weise rekonstruiert werden.
-	Zum zweiten Grundsatz (2. oben) kann beispielsweise Psalm 104 genannt werden. Er ist auffallend wenig anthropozentrisch, doch macht er deutlich, wie die Lebewesen von ihrem Schöpfer abhängig sind.
Indem die biblischen Autoren Gottes Taten in dieser Welt bezeugen und seine Absichten enthüllen, machen sie also zwangsläufig Aussagen über die Welt.62 Es ist nicht statthaft, diese “Nebenaussagen” deshalb als irrelevant abzu-
62 Das Problem der wellbildlichen Einkleidung wurde in Abschnitt 5.3 behandelt.
tun, nur weil sie nicht zur Hauptintention und zum eigentlichen Anlaß der betreffenden Ausführungen gehören. Denn ohne den jeweiligen Bezug (z. B. bei typologischen Vergleichen) geht der Sinn der Hauptaussage verloren, wie die Exegesen von Röm 5,12ff. und Röm 8,19ff. in Abschnitt 4.3.2 zeigten.
Die so verstandene Geschichtsrekonstruktion auf biblischer Grundlage, im folgenden als Schöpfungsforschung bezeichnet, geschieht in vier Schritten:
1.	Das biblisch motivierte und begründete Hinterfragen der Prämissen, die in wissenschaftliche Theorien eingehen (ohne außerwissenschaftliche Prämissen gibt es keine Theorien).
2.	Daraus folgend die Entwicklung von biblisch vertretbaren Prämissen in der Theoriebildung und den historischen Rekonstruktionen der Wissenschaften.
3.	Auf der so gewonnenen Basis die Entwicklung von prüfbaren Theorien und die Ableitung prüfbarer Schlußfolgerungen.
4.	Ihre Prüfung anhand empirischer Befunde.
Diese Schritte sollen im folgenden Abschnitt an einer Reihe von Beispielen durchgeführt werden. Dabei soll keine ins Detail gehende Fachdiskussion geführt,63 sondern es sollen Grundlinien wiedergegeben werden. Vieles ist in der Schöpfungsforschung unerledigtes Programm. (Zu den Schritten 2 bis 4 vgl. auch Abb. 7 in Abschnitt 5.6.2.)
Die einzelnen Schritte sind in der Praxis nicht immer scharf zu trennen. Insbesondere bedingen die Ergebnisse von Schritt 1 und 2 einander gegenseitig; auch die Schritte 3 und 4 sind eng miteinander gekoppelt.
Zu 1.: In jede Theorie gehen vorwissenschaftliche Voraussetzungen philosophischer oder religiöser Art ein. Diese Voraussetzungen sind biblisch zu hinterfragen.64
Ein Beispiel: Wenn in Hebr 11,3 gesagt wird, daß man durch Glauben erkennen kann, daß das Sichtbare nicht aus dem sinnlich Wahrnehmbaren (wörtlich “nicht aus dem Erscheinenden”) gemacht ist, so kann man daraus einen Deutungsansatz für das Erklären der erforschbaren
Phänomene ableiten: Das Komplexe ist primär und nicht aus “Primitivem” ableitbar. Leben ist vor dem “Nichtleben” da. In Selbstorganisationshypothesen wird diese Reihenfolge genau umgekehrt (“primitiv” -* komplex; Nichtleben -» Leben); dieses Vorgehen ist vom biblischen Schöpfungszeugnis her zu kritisieren.
Zu 2.: In einem zweiten Schritt kommt es darauf an, aus den biblischen Überlieferungen, soweit sie naturkundlich relevant sind, Basissätze (eigene Voraussetzungen) der fachwissenschaftlichen Disziplinen als Alternativen für das im ersten Schritt Verworfene abzuleiten. Aus den genannten hermeneutischen Prinzipien für naturkundlich relevante Aussagen folgt, daß konkret für wissenschaftliche Modellbildungen verwertbare Daten in den biblischen Texten nur “nebenbei” genannt und nur in dem Maße ausgeführt werden, wie es erforderlich ist, das Handeln und die Absichten Gottes zu beschreiben. Aus diesem Umstand und aus der bereits erwähnten Tatsache, daß die biblischen Berichte nicht in fachwissenschaftlicher Sprache verfaßt sind, folgt weiter, daß die biblischen Texte nicht unmittelbar in wissenschaftlichen Theorien “eingebaut” werden können. Vielmehr geben sie den Rahmen und die Motivation für die Formulierung von Theorien.
Im vorigen Abschnitt wurde mit Hebr 11,3 be-reitsein Beispiel genannt: Ein Basissatz einer die biblische Urgeschichte zugrunde legenden Geschichtsrekonstruktion könnte lauten:	Das
Komplexe ist ursprünglich, das Einfachere abgeleitet.
Zu 3.: Die unter 2. gewonnenen Leitvorstellungen geben die Anhaltspunkte für die Entwicklung von Theorien bzw. geschichtlichen Rekonstruktionen. Diese Theorien dürfen dem biblischen Zeugnis nicht widersprechen. Selbstver-
“ Dazu wird an den entsprechenden Stellen jeweilsauf Fachliteratur verwiesen.
M Schlink, ÖkumDogm 76, drückt diese Aufgabe in bezug auf Schöpfungsfragen aus: “Die Schöpfungsaussagen sind zu machen in der Besinnung darauf, welches wohl die Mythen unserer Zeit sind, in deren Durchbrechung der Glaube zu bezeugen ist." Das gilt auch für andere Bereiche biblischer Aussagen.
stündlich müssen sie auch mit den beobachteten Daten verträglich sein.
Zu 4.: Die Prüfung der Verträglichkeit mit den beobachteten Daten geschieht im vierten Schritt. Der wissenschaftlichen Vorgehensweise entsprechend müssen die entwickelten Theorien empirischen Prüfungen unterzogen werden. Sie müssen so gestaltet sein, daß diese Prüfung möglich ist. In diesem Schritt gleicht die Vorgehensweise in der Schöpfungsforschung dem Vorgehen in
der Evolutionsforschung. Bestätigen sich die aus den Theorieentwürfen abgeleiteten Schlußfolgerungen, so bedeutet dies eine Stützung (kein Beweis; vgl. Abschnitte 1.4 und 5.6.2) der zugrundeliegenden Vorstellung, andernfalls sind Modifikationen oder ganz neue Ansätze erforderlich. Wichtig ist hier, daß eventuell notwendige Neukonzeptionen von Theorien nicht die biblischen Offenbarungen selber betreffen, sondern die von ihnen motivierten Theorien (vgl. dazu Abschnitt 5.6.2).
5.5	Grundriß biblisch fundierter Geschichtsrekonstruktion
Die Untersuchung der Konsequenzen, die aus den unverzichtbaren Aspekten aller Evolutionstheorien folgen, hat ergeben (Kapitel 4), daß wesentliche Inhalte der biblischen Heilslehre in Anpassung an die Evolutionsanschauung neu formuliert werden müssen. Wie gezeigt wurde, handelt es sich bei diesen Neuformulierungen nicht um “alte” Inhalte in neuer Aufmachung, sondern um neue Inhalte. Wesentlich dafür, daß neue Inhalte des christlichen Glaubens daraus resultieren, ist der Verzicht, die biblische Urgeschichte als Zeugnis der realen Frühgeschichte der Menschheit zu verstehen. Diese Preisgabe hat zur Folge, daß eine Evolutionsanschauung an die Stelle der biblischen Geschichtsschau tritt. Die biblische Bewertung der durch Sünde, Leid und Tod gekennzeichneten Situation der unerlö-sten Menschheit sowie die biblischen Zeugnisse über bestimmte Wesenszüge Gottes lassen sich in einem wie auch immer gearteten evolutionären Konzept nicht aufrechterhalten. Biblisch gesehen sind daher globale (theistische) Evolutionsanschauungen zu verwerfen. Damit wird als Alternative dazu das historische Verständnis der ganzen biblischen Urgeschichte als Deutungsrahmen wieder aktuell. Wenn also die Historizität der biblischen Urgeschichte vorauszusetzen ist, können für eine biblisch fundierte Rekonstruktion der Weltall-, Organismen- und Menschheitsgeschichte folgende Basissätze abgeleitet werden:
1.	Als Ausgangspunkt der Kosmos- und Menschheitsgeschichte ist eine schöpfungsinformationsgemäße Komplexität vorauszusetzen. Für die Kosmosgeschichte bedeutet dies anstelle von Urknalltheorien die Vorstellung eines informativ strukturierten Kosmos als Startpunkt für kosmische Entwicklungen. Die Geschichte der Lebewesen nahm von fertigen “Arten” ihren Anfang. Der Mensch, zum Bilde Gottes geschaffen, war von Anfang an vollständig mit allem ausgestattet, was zum Menschsein gehört.
2.	Mit dem Sündenfall der ersten Menschen und dem göttlichen Gerichtsakt der Vertreibung aus der Ursprungsökologie ist ein fundamentaler Bruch in der gesamten Schöpfung gegeben. Es ist damit zu rechnen, daß alle Bereiche der sichtbaren (und unsichtbaren) Welt durch diesen Bruch in ihrer Struktur und in ihren Gesetzmäßigkeiten mehr oder weniger verändert wurden.
3.	Die Sintflut führte als weltweite Überschwemmung zu einer Zerstörung der gesamten Erdoberfläche. Die Struktur der gegenwärtigen, nachflutlichen Erdgestalt ist von diesem Hintergrund aus zu verstehen.65
“ Dazu gehören wahrscheinlich Phänomene wie die Kontinentaldrift (Plattentektonik), Gebirgsbildung, Eiszeit und die Abfolgen der Organismenreste (Fossilien) in Schichtgesteinen (Megasukzessionen). Möglicherweise wurden Spuren der vorflutlichen Welt weitgehend oder völlig zerstört.
4.	Die Ausbreitung der Menschheit und der in Noahs Arche geretteten Tierwelt in der nach-flutlichen Welt geschah vom Nahen Osten aus. Das gescheiterte Unternehmen des Turmbaus zu Babel war der Ausgangspunkt für die Zerstreuung der heutigen Völker auf der Erde.
5.	Die gegenwärtige Situation der Menschheit ist durch die Spannung von Macht und Ohnmacht gekennzeichnet. Wachsenden technischen Möglichkeiten stehen wachsende Lebensprobleme entgegen. Diese Dilemma-Situation resultiert aus den göttlich gesetzten Einschränkungen aufgrund des Sündenfalls und der Sintflut, und nicht aus Krisen der Evolution.
6.	Die Zukunft der Welt ist durch eine zunehmende Verschlechterung im zwischenmenschlichen Bereich gekennzeichnet, die durch innerweltliche Möglichkeiten nicht dauerhaft verbessert werden kann. Erst Gottes Neuschaffen von Himmel und Erde wird die Verhältnisse grundsätzlich wandeln.
Die genannten Punkte sind recht pauschal und gerafft gehalten. Sie sollen im folgenden an mehreren Beispielen aus dem Bereich der Biologie und Paläontologie detaillierter ausgeführt werden. Es geht dabei darum, den Zusammenhang zu den Daten der jeweils relevanten Wissenschaften im biblischen Bezugsrahmen zu interpretieren.
5.5.1	Grundtypenbiologie
Als erstes Beispiel sei das Zeugnis gewählt, daß Gott “jedes nach seiner Art” schuf. Die Erschaffung von Pflanzen und Tieren hat insofern mit dem Menschen zu tun (vgl. das erste der beiden genannten hermeneutischen Prinzipien), als alle Schöpfungswerke auf den Menschen zugeordnet sind. Die Erschaffung des Menschen geschieht in einem Beziehungsgefüge mit der physikalischen und belebten Umwelt. Daher hängen letztlich alle Schöpfungswerke mit dem Menschen zusammen. Was folgt nun aus Gen 1 für eine Biologie, welche die biblische Urgeschichte in ihren Geschichtsrekonstruktionen voraussetzt?
Im 1. und 2. Schritt geht es um die Auseinan-
dersetzung mit den vorhandenen Konzepten zur Entstehung der Lebewesen. Das führt heute zur Kontroverse mit der Evolutionslehre. Wie Kapitel 4 gezeigt hat, scheidet das Evolutionskonzept als metaphysische Leitanschauung aus.66 Wenn eine universelle Evolution nicht stattgefunden hat, dann bleibt die Möglichkeit eines komplexen Anfangs, hinter den die biologische Wissenschaft nicht mehr hinaus fragen kann (aufgrund ihrer methodischen Beschränkungen). Diese Annahme wird gleichzeitig durch die durchgehend in Hebr 11,3 prägnant zusammengefaßte biblische Sicht von der Schöpfung als einem naturkundlich nicht erklärbaren Geschehen gestützt (s. o.). Die von daher motivierte Vorstellung eines komplexen Anfangs der Schöpfung wird im Bereich der Biologie so verstanden, daß die Lebewesen in fertiger Form (ohne “primitive” Vorstufen) geschaffen wurden, und zwar mit der Fähigkeit zu Variabilität und Spezialisierung (komplexe Ausgangssituation).
3.	Schritt: Es ist nun erforderlich, modellhaft die Ausstattung der unmittelbar durch das schöpferische Wort geschaffenen Formen (man spricht in der biologischen Schöpfungslehre von “Grundtypen”67) genauer zu fassen sowie ein Kriterium für die Abgrenzung der verschiedenen Grundtypen vorzugeben. Beide Aufgaben können durch Beobachtungen an den heute existierenden Lebewesen motiviert und vollzogen werden.68 Dazu muß in der Schöpfungsforschung aber auch die exegetische Aufgabe kommen, abzuklären, inwieweit der biblische Gebrauch des Wortes für die geschaffenen Arten ( j’D) ein Abgrenzungskriterium liefert und inwieweit das biblische Gesamtzeugnis Auskunft über das Ausmaß der Variabilität der geschaffenen Arten gibt. Dazu kann gesagt werden: Die Betonung des “nach seiner Art” legt einen Ursprung der Lebewesen
“ Auf innerbiologische Kritik wird hier nicht eingegangen; vgl. dazu Abschnitt 3.6.3; zu Literaturangaben s. Anm. 86 in Abschnitt 1.6.
67	Junker & Scherer, Entstehung Kap. 10.
68	Und zwar dadurch, daß Züchtungs- und Mutationsforschung begrenzte Variabilität und rekurrente Variation (s. Abschnitt 2.4) nahelegen und daß Artbildungsprozesse zu Spezialisierungen und in Entwicklungssackgassen führen, nicht jedoch eine beginnende Höherentwicklung darstellen; vgl. Junker & Scherer a. a. O. Kap. 3,4 und 10).
in getrennt erschaffenen Einheiten nahe. Über weitere Details, die den Biologen interessieren würden, äußert sich der Text jedoch nicht (was als Beleg für das erste der beiden genannten hermeneutischen Prinzipien gewertet werden kann69). Da also die biblischen Texte exegetisch keine exakte Bestimmung des “Artbegriffs” erlauben, hat der Biologe entsprechend Freiheit, diesen Begriff mit biologischem Inhalt auszustatten.70
Vor diesem exegetischen Hintergrund und unter Berücksichtigung empirischer Befunde aus der Biologie wurde das folgende Grundtypkonzept entwickelt: Alle biologischen Arten, die direkt oder indirekt durch Kreuzungen verbunden sind, werden zu einem Grundtyp (entspricht einer geschaffenen Art) gerechnet. Dabei muß sichergestellt sein, daß nach einer echten Befruchtung die Embryonalentwicklung wenigstens beginnt, wobei das Erbgut beider Eltern ausgeprägt werden muß. Es wird postuliert, daß den geschaffenen Arten (den Grundtypen) ein großes genetisches Variationspotential mitgegeben wurde, das sich im Laufe der Organismengeschichte durch Spezialisierung in Anpassung an variable Umweltbedingungen ausgeprägt hat.71
4.	Schritt: Die Prüfung des Grundtypkonzepts ist durch folgende Weisen möglich:
Der Schöpfungsbericht impliziert nur beim Menschen eine definitive Grundtypgrenze. Nur der Mensch wird in der Schöpfungs- und Paradieseserzählung als besonderes Schöpfungswerk hervorgehoben. Über die Erschaffung der Tiere und der Pflanzen wird zwar gesagt, daß sie “nach ihrer Art” geschaffen sind, jedoch werden keine konkreten Beispiele für diese “Arten” genannt. Am Beispiel des Menschen könnte daher das Grundtypkonzept am leichtesten widerlegt werden. Das wäre der Fall, wenn der Mensch mit Tieren durch Kreuzungen verbunden wäre (im Sinne der Grundtypdefinition). Berichte darüber, daß dies tatsächlich gelungen sei, haben sich als nicht haltbar erwiesen.72 An dieser Stelle verbieten ethische Gründe, das Grundtypkonzept zu überprüfen.
Das bedeutet jedoch nicht, daß eine Prüfung ausgeschlossen ist. Denn das Grundtypmodell
wäre auch dann widerlegt, wenn eine sehr große Anzahl von Organismengruppen direkt oder indirekt verbunden wäre, z. B. die gesamte Klasse der Vögel oder wenigstens ein Großteil davon. Es erscheint nämlich vom evolutionstheoretischen Standpunkt aus nicht undenkbar, daß beispielsweise die huhnähnlichste Ente mit dem entenähnlichsten Huhn, weiter das taubenähnlichste Huhn mit der huhnähnlichsten Taube usw. durch Kreuzungen verbunden sind und auf diese Weise schließlich (nahezu) die ganze Vogelwelt. Damit aber wäre der Grundtypgedanke ad absurdum geführt.
Abb. 2: Innerhalb von Grundtypen (Kreise) zeigt sich in den bisher untersuchten Fällen eine reiche Kreuzbarkeit (Verbindungen zwischen den Kreisen = biologischen Arten); dagegen sind die Grundtypen gegeneinander scharf abgegrenzt.
Bislang sind allerdings nur wenige Organismengruppen auf Grundtypgrenzen hin untersucht worden. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen
M Vgl. Jones, Analysis; Jones, Boundaries.
70	ObderHinweisaufden“artgemäßenSamen”inGen 1,11 sich in einer Grundtypdefinition niederschlagen soll, muß dahingestellt bleiben. Im weiteren Text in V. 29 spielt der Same nur eine Rolle als Nahrungsmittel.
71	Hier wurde übrigens in der Vergangenheit die Wendung "nach seiner Art” zu eng ausgelegt, als man zur Zeit Darwins im 19. Jahrhundert aus biblischen Texten fälschlicherweise eine strikte Artkonstanzlehre ableitete. Nach dem biblischen Zeugnis stammen nämlich alle Menschenrassen von den Noahsöhnen und deren Frauen ab, was eine beträchtliche Variabilität einschließt. Darwin verwarf aufgrund zahlreicher Beobachtungen die strikte Artkonstanz, die auch er aufgrund eines falschen Bibelverständnisses zunächst angenommen hatte, und vertrat mit der Vorstellung einer allgemeinen Abstammung aller Arten von einfachen Vorläufern das andere Extrem.
72	J Linker & Scherer, Entstehung 241.
das Grundtypkonzept. Denn einerseits zeigt sich innerhalb von (zunächst mutmaßlichen) Grundtypgrenzen durchweg eine reiche Kreuzbarkeit mit direkter oder indirekter Verbundenheit der meisten oder sogar aller vertretenen Arten, andererseits eine scharfe Grenze zu den taxono-mischen Nachbargruppen (Abb. 2).n Das Grundtypkonzept ist auch insofern bestätigt worden, als zahlreiche Fehlversuche von Kreuzungen bekannt sind, die zwischen taxonomisch relativ weit entfernten Arten versucht wurden. Beispielsweise sind innerhalb der Süßgräser-Unterfami-lie der Festucoideae ca. 30 Fälle mißlungener Gattungsbastardierungen bekannt.
Weitere Testmöglichkeiten des Grundtypkonzepts bestehen darin, Merkmalsmuster verschiedener (mutmaßlicher) Grundtypen zu vergleichen. Dieser Aspekt wird eigens in Abschnitt
5.5.6	behandelt.
5.5.2	Folgen des Sündenfalls
Der erste Schritt besteht auch hier in der Auseinandersetzung mit Konzepten einer theistischen Evolution. Diese Auseinandersetzung wurde in Kapitel 4 geführt.
Im zweiten Schritt geht es um biblisch begründete Leitanschauungen. Die Auslegung von Röm 8,19ff und Gen 3,16—19 hat erbracht (Abschnitt
4.3.2), daß es aufgrund des Sündenfalls des ersten Menschenpaares zu grundlegenden Veränderungen auch in der sichtbaren Welt gekommen ist. In Gen 3,16—19 werden einige Folgen des Ungehorsams von Adam und Eva beschrieben. Es werden nur Konsequenzen genannt, die sich auf die Daseinsweise des Menschen auswirken (vgl. die o. g. hermeneutischen Grundsätze). Aber damit werden gleichzeitig Dinge über die übrige Schöpfung ausgesagt: Daß die Frau jetzt Schmerzen bei der Geburt erleiden muß, erscheint nur durch eine wie auch immer geartete Änderung der physikalischen Rahmenbedingungen oder der körperlichen Konstitution denkbar. Doch wird nichts weiter gesagt, was die physisch-biologische Ursache dafür ist. Ebenso ist es mit den Dornen und Disteln, die die Arbeit behindern. Es werden hier keine detaillierten
Berichterstattungen über Umbrüche in der Schöpfung oder Hinweise für biologische Modellbildungen gegeben, es geht vielmehr um die Arbeit des Menschen. Aber die Arbeit hat etwas mit der übrigen Schöpfung zu tun, so daß auch diese ins Blickfeld kommt und etwas Reales über sie ausgesagt wird. Die Tatsache, daß die Mühsal der Arbeit Folge des Fluches ist, kann sinnvollerweise nur aufrechterhalten werden, wenn ohne diesen Fluch die Arbeit eben nicht mühselig war. Das aber scheint nur bei grundlegend anders gearteten Umweltbedingungen möglich zu sein. Die Auslegungen von Röm 5,12ff. und Röm 8,19ff. und im Zusammenhang damit von Gen 3 hat gezeigt, daß ein Urständ vom Schöpfungszustand nach dem Sündenfall zu unterscheiden ist. Die ersten Kapitel der Genesis handeln von daseinsbegründenden Realitäten (vgl. Abschnitt
4.3.2). Tierische Nahrung (sei es bei Räubern oder Parasiten) gehört nicht zur ursprünglichen Schöpfungsordnung, wie aus Gen l,29f. (pflanzliche Nahrung für den Menschen und die Tiere) implizit hervorgeht. Das muß bei Überlegungen über die Umbrüche infolge des Sündenfalls bedacht werden.
Da also in den ersten drei Kapiteln der Genesis und den sie auslegenden Stellen im Neuen Te-stament historische Zustände und Geschehnisse geschildert werden bzw. auf sie Bezug genommen wird, wenn somit der dort explizit oder implizit beschriebene Urständ eine Proto-Reali-tät74 war und nicht etwa eine Potentialität, dann liefern die biblischen Texte folgende Eckpfeiler, auf die man sich in einer Zusammenschau vom biblischen Zeugnis und Daten der Wissenschaft beziehen muß:
Die Welt nach dem Fall ist von der Welt vor dem Fall in ihrer Gestalt zu unterscheiden (Unterschiede beziehen sich nicht nur auf die Innerlichkeit oder das Erleben des Menschen). Die Unterschiede betreffen die Struktur der Schöpfung, die Art der ökologischen Verflechtungen
73 Scherer, Typen, Junker, Gnmdtypkonzept.
1' Eine Schöpfungswirklichkeit mit einer ihr gemäßen “Proto-
Physik” und einer “Proto-Biologie”, die durch den Gerichtsakt Gottes der uns geläufigen Physik und Biologie gesetzestypisch nicht zugänglich sind.
(vor allem die Ernährungsweise, Details s. u.) und die Anwesenheit von Leiden und Tod in der ganzen Schöpfung (da sie der “Knechtschaft der Vergänglichkeit” erst unterworfen wurde).7S Damit verbunden sind des weiteren die physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung, da Abwesenheit von Leiden und Sterben unter den heute herrschenden Bedingungen undenkbar sind. Aufgrund der Verflechtung verschiedener Aspekte der Schöpfung müssen bei einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse alle Aspekte der Schöpfung aufgrund des Sündenfalls in irgendeiner Weise umbruchsartig, nichtevolutionär umgestaltet worden sein. Die folgenden Überlegungen (vgl. den dritten Schritt) sollen für den Bereich der Biologie diese allgemeinen Feststellungen beispielhaft veranschaulichen.
Zuvor muß jedoch noch eine grundsätzliche Schwierigkeit erwähnt werden:
Der Sündenfall-Umbruch bedeutet eine Erkenntnisschranke für das Denken und Forschen. Eine Retropolation heutiger Gesetzmäßigkeiten und Verhältnisse über diese Grenze hinaus in den Urständ ist prinzipiell nicht möglich. (Das ist auch sonst problematisch.) Es kann nur das gesagt werden, was die biblischen Texte an Merkmalen der Ursprungswelt schildern. Daher können über diese Schilderungen hinaus keine konkreten Beschreibungen des Urstandes gegeben werden (das gilt vice versa für die zukünftige Schöpfung). Der Grund liegt darin, daß hier Gott in analogieloser und damit wissenschaftlich nicht erforschbarer Weise handelt. Hier besteht für die Erkenntnismethode der Wissenschaft eine undurchlässige Grenze. Wissenschaftliche Forschungen betreffen also nicht den Urständ oder den Umbruch in die gegenwärtige Schöpfungsgestalt, sondern Phänomene und Entwicklungen nach diesem Umbruch.
In diesem Sinne muß einprotologischer Vorbehalt (vgl. Abschnitt 4.3.2.1) in Rechnung gestellt werden. Dieser Vorbehalt besagt, daß ein konkretes und anschauliches Zurückdenken oder Zurückforschen über die Sündenfallgrenze in den Urständ zurück nicht möglich ist: Der Weg zum Paradies ist in jeder Hinsicht versperrt. Der Cherub steht vor der Tür (Gen 3,24), auch vor
der Tür der Erkenntnis der Bedingungen des Urstandes. (Das ist kein Widerspruch zum Programm der Schöpfungsforschung, denn Schöpfungsforschung macht keine Untersuchungen in den praelapsarischen Bereich hinein.)
Im dritten Schritt kommt es zur Konfrontation mit den Daten der Wissenschaften. Dies soll hier für den Bereich der Biologie geschehen. Für die weiteren Ausführungen ist der Begriff 'fallsge-staltig” hilfreich. Er soll eingeführt werden, um biologische (oder auch physikalisch-chemische etc.) Strukturen oder Verhältnisse zu beschreiben, die nur in der Welt nach dem Fall einen Platz haben. Dazu gehören im biologischen Bereich vor allem Strukturen, die im ausschließlichen Zusammenhang mit dem Erwerb tierischer Beute bzw. umgekehrt der Feindabwehr dienen, sowie Mechanismen der Krankheitsabwehr.76
Werden also der Sündenfall und die Folgen des Fluches (Gen 3,16—19) als historische Ein-schitte in der Menschheitsgeschichte angesehen, erhebt sich die Frage, wie ein Umbruch von der ursprünglichen Welt vor dem Fall in die Welt danach vonstatten gegangen sein könnte. Es soll ausgeschlossen werden, daß Gott Fallsgestalti-ges am Anfang geschaffen und damit von vornherein gewollt hat, denn dies bedeutete, daß es zur Schöpfung wesensmäßig gehörte. Wenn also das Zeugnis von Gen l,29f. im Sinne einer realen Phase in der Geschichte der Erde verstanden wird, so muß man sich zunächst fragen, welche heute existierenden Strukturen und Verhaltensweisen und ökologischen Beziehungen in einer Ursprungswelt sinnlos sind, in der “allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, was Lebensodem in sich hat... alles grüne Kraut der Pflanzen zur Nahrung” angewiesen ist. Man muß sich also fragen, welche Unterschiede zwischen der ursprünglichen und heutigen Tier- und Pflanzengestalt und Ökologie aufgrund des biblischen Zeugnisses angenommen werden müssen.
75	S. dazu die Ausführungen zur Theodizee-Frage weiter unten
in diesem Abschnitt und im Abschnitt 4.7.
76	Krankheitsabwehr ist nur bei Krankheitsgefahr erforderlich,
die ihrerseits als ein “fallsgestaltiges” Phänomen zu werten ist.
Die Antwort darauf lautet in einer allgemeinen Form: Alle Strukturen und Verhaltensweisen, die ausschließlich zum Finden, Erbeuten, Verzehren und Verdauen tierischer Nahrung benötigt werden, können nicht als Kennzeichen der ursprünglichen Schöpfung gewertet werden (fallsgestaltige Strukturen).
Halten wir uns dazu einige Beispiele vor Augen, die in einer “sehr guten” (bzw. “sehr schönen”) Schöpfung in heutiger Ausprägung keinen Platz gehabt hätten: Die Nahrungsketten bzw. -netze mußten viel einfacher gewesen sein, da ein Großteil des jetzigen Nahrungsnetzes aus Räuber-Beute-Beziehungen besteht; zum Erwerb tierischer Nahrung erforderliche Strukturen und Verhaltensweisen waren nicht ausgebildet, ebensowenig Strukturen und Verhaltensweisen der Feindabwehr (Tarnung, Mimese, Mimikry, s. Abb. 3, Täuschungsmanöver, zur Abwehr geeignete Körperteile usw.).77 Krankheiten und Mißbildungen — der Tribut, den eine Höherentwicklung “zahlen” muß — gab es nicht. Folglich gab es entweder keine Mutationen oder nur konstruktive, sozusagen “vorgeplante” Erbänderungen, die keine Nachteile für ihre Träger mit sich brachten. Das heißt, daß das Erbgut (und der Stoffwechsel) nicht störungsanfällig war, was unter den gegenwärtigen Umweltbedingungen und auf der Grundlage der heutigen chemischen Gesetze undenkbar ist.
Abb. 3: Mimikry (Scheinwamtracht) am Beispiel von Hornisse (oben) und Homissenschwärmer. Der harmlose Schwärmer ahmt das gefährliche Vorbild nach, um dadurch eher gegen Freßfeinde geschützt zu sein. (Aus Junker & Scherer, Entstehung)
Damit einher geht die Abwesenheit von Mechanismen der Krankheitsabwehr; ein Immunsystem war also nicht notwendig oder hatte eventuell andere Aufgaben zu erfüllen. Es konnte keine Parasiten gegeben haben, keine lebensschädigenden oder tödlichen Viren, keine Rückbildungserscheinungen (“rudimentäre Organe”), keinen Artentod (Aussterben), und mindestens der Mensch - nach Röm 8,19ff. aber auch die Tiere — sollte auch nicht individuell sterben.78
77	Ein interessanter Gesichtspunkt soll dazu jedoch erwähnt werden: Viele Organe haben mehrere Funktionen. Beispielsweise dienen Stacheln und Dornen nicht nur als Hindernisse gegen Verzehrer, sondern sind auch Kondensationskerne für Tau. Sie helfen also bei der Wasserversorgung der Pflanzen. Im Kannenblatt der Kannenpflanze (vgl. Abb. 5) werden nicht nur Insekten verdaut, sondern die Flüssigkeit dient vielen anderen Insekten als Nährsubstanz für ihre Larven, die dort ihre Entwicklung unbeschadet durchmachen. Ein drittes Beispiel: Spinnennetze sind auch geeignet, Pollen zu fangen. Pollenfressende Spinnen nutzen die Netze zu diesem Zweck. Dies sind Beispiele dafür, daß komplexe Strukturen, die heute für den Erwerb tierischer Nahrung benötigt werden, auch nicht-fallsgestaltige Funktionen ausüben können. Ein Übergang in die Bedingungen nach dem Sündenfall könnte in solchen Fällen wenigstens teilweise durch “Entartung" verstehbar sein. Beispielsweise könnte es sein, daß das Kannenblatt schon immer der Fürsorge für manche Larven diente, jedoch nach dem Fall destruktive Merkmale ausprägte. (Durch “Entartung” allein ist aber auch dieses Beispiel kaum zu verstehen, denn die Kannenpflanze besitzt die Fähigkeit zur Auflösung, Aufnahme und Verdauung tierischer Nahrung. Man könnte spekulieren, daß in einer früheren Symbiose tierische Nährstoffe in die Kannenflüssigkeit abgegeben wurden, die die Pflanze verwerten konnte, daß also zunächst eine Symbiose vorlag, ein Zusammenleben auf der Basis gegenseitigen Nutzens.) Solche Überlegungen müssen freilich spekulativ bleiben, doch ist hervorzuheben, daß manche fallsgestaltige Strukturen durchaus auch in einer Welt ohne Fressen und Gefressenwerden von Tieren einen sinnvollen, konstruktiven Platz eingenommen haben könnten.
78	Die Pflanzenwelt muß gesondert betrachtet werden. Sie wird in den biblischen Texten anders eingestuft als die Tierwelt. Dies wird daran deutlich, daß die Pflanzen keine Seele im Sinne der t2*E3 haben, die Tier und Mensch besitzen. Es zeigt sich auch daran, daß Pflanzennahrung schon von Anfang an vorgesehen war. Man kann sich im übrigen von Pflanzen ernähren, ohne daß sie dabei sterben (vegetative Pflanzenteile, Teile von Früchten). Das gilt zwar heute nicht in allen Fällen, könnte aber in der Ursprungswelt generell so gewesen sein. Denn auch für die Lebensweise der Pflanzen gilt derselbe prolologische Vorbehalt wie für die Lebensweise der Tiere. Die Möglichkeit muß offengehalten werden, daß der Sündenfall-Umbruch alle Aspekte der Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen hat, also auch die Pflanzenwelt. Man könnte daher vermuten, daß auch die Pflanzenwelt vor dem Fall unsterblich war, auch wenn regenerierbare Teile von Pflanzen als Nahrung gedient haben.
Angesichts dieser Unterschiede zwischen einer Ursprungs- und der Rezent-Ökologie ist es unmöglich, den Aufbau und die Gesetze der Biosphäre vor dem Sündenfall zu beschreiben. Wir können uns keine Begriffe von einem Ökosystem machen, in dem die in Gen l,29f. angedeuteten Zustände herrschen. Da die Heilige Schrift uns hierüber nicht näher informiert und uns die Möglichkeit einer Untersuchung ursprünglicher ökologischer Zusammenhänge verwehrt ist, muß der Urständ ganz im erfahrungswissenschaftlichen Dunkeln bleiben. Die ursprüngliche Schöpfung vor dem Fall ist und bleibt ein echtes Geheimnis (protologischer Vorbehalt). Daher ist es auch nicht möglich, einen Übergang von der ursprünglichen zur heutigen Ökologie anschaulich zu beschreiben. Es können lediglich unhaltbare Vorstellungen abgewiesen werden, ohne eine positive Antwort (“so war es”) dagegenstellen zu können. Mit dem im folgenden vorgestellten Deutungsversuch soll anhand eines Analogiebeispiels jedoch verdeutlicht werden, daß ein umbruchsartiger Gestaltwandel ohne Neuschöpfung wenigstens erahnt werden kann. Dieser Deutungsversuch soll als Denkhilfe zeigen, daß ein nicht-evolutionärer Übergang (im Sinne einer Makroevolution) vom prä- in den postlapsarischen Zustand auch vom Verständnis des heutigen Lebens aus nicht unsinnig ist. Zunächst sollen jedoch einige unbefriedigende Antwortversuche skizziert und kritisiert werden.
Entwicklung zur fallsgestaltigen Lebensweise?
Ein aus biologischen Gründen nicht vertretbarer Deutungsversuch ist die Annahme einer allmählichen Entstehung der Raubtiergestalt bzw. der räuberischen Lebensweise durch mikroevoluti-ve, empirisch bekannte Prozesse nach dem Sündenfall. Durch mikroevolutive Prozesse werden vorhandene Strukturen nur verändert, aber keine neuartigen entwickelt. Nur solche Prozesse sind durch Beobachtung und Experiment empirisch nachvollziehbar.
Schon bei der Erklärung des Raubtiergebisses (Abb. 4) stößt man hier auf kaum überwindbare Erklärungsschwierigkeiten, wenn man davon ausgehen will, daß es durch bekannte Varia-
Abb. 4: Raubtiergebiß (Löwe; oben) und Pflanzenfressergebiß (Pferd).
tionsprozesse (also durch Mikroevolution) aus einem Pflanzenfressergebiß umgebildet sei. Viel deutlicher wird die Problematik in anderen Fällen, etwa bei fleischfressenden Pflanzen. Stellvertretend soll dieses Beispiel erläutert werden: Die Strukturen, die (etwa bei der Kannenpflanze, s. Abb. 5) das Fangen und Verdauen tierischer Nahrung ermöglichen, müssen vollständig ausgebildet sein, damit sie ihren Dienst erfüllen können. Eine andere nicht-destruktive Funktion dieser Fallen ist in den meisten Fällen kaum denkbar. Die Notwendigkeit des Aufeinander-Abgestimmtseins aller Fallenteile und ihres gleichzeitigen Auftretens wird auf der einen Seite zurecht als Argument gegen eine allmähliche evolutive Entstehung dieser Strukturen während einer Stammesgeschichte ins Feld geführt. Damit schließt man aber gleichzeitig eine sündenfallbedingte allmähliche Bildung aus. Da eine separate physische Neuschöpfung ebenfalls auszuschließen ist, muß nach anderen Ursachen gefragt werden.79
” Für eine physische Neuschöpfung nach dem Fall gibt es aus der Schrift keine Anhaltspunkte - im Gegenteil: nach Gen 2,1 und Hebr 4,3 war die gesamte Schöpfung vollendet. Im Falle einer Neuschöpfung bestünde kein Zusammenhang zwischen der Welt vor und nach dem Sündenfall; der neue Zustand nach dem Fall wäre unabhängig von dem, was vorher war, im Dasein. Die Annahme einer Neuschöpfung ist also nicht haltbar.
Abb. 5: Kannenblatt der Kannenpflanze. Damit das Blatt als Falle funktionieren kann, müssen folgende Strukturen und Fähigkeiten gleichzeitig ausgebildet sein: Kannenform des Blattes, farbiger Kannenrand (zur Anlockung der Insekten), glitschiger Kannenrand, Verdauungsflüssigkeit, Fähigkeit, die aufgelösten Bestandteile der Insekten aufzunehmen und zu verarbeiten.
Die Vorstellung eines allmählichen Umbruchs scheitert außerdem an der Tatsache, daß alle Lebewesen ökologisch durch Fressen und Gefressenwerden miteinander verbunden sind. Ein allmählicher Übergang von einem ganz anders organisierten Ökosystem in die heutigen komplizierten Bedingungen entzieht sich ebenfalls einer Erklärung durch bekannte biologische Prozesse.
Es soll und kann damit nicht ausgeschlossen werden, daß ein allmählicher Übergang von einem nicht-fallsgestaltigen Stadium aus in einzelnen Fällen denkbar ist oder wahrscheinlich gemacht werden kann. Die heute empirisch bekannten Phänomene im Bereich des Lebendigen liefern jedoch in der Regel keine Analogien für einen allmählichen Übergang von der ursprünglichen in die heutige Ökologie. Es handelt sich offenbar um ein Geschehen, das jenseits aller Erfahrung und Vorstellbarkeit liegt. Die anstehende Frage ist damit naturwissenschaftlich vermutlich nicht lösbar.
Sprunghafte Veränderungen?
Im weiteren soll nun ein Denkansatz vorgestellt werden, in dem bewußt der Argumentationsspielraum der Erfahrungswissenschaften verlassen wird. Dabei soll der Spekulation jedoch nicht freier Lauf gelassen werden, sondern einerseits
die biblisch bezeugte Realität einer unsichtbaren Wirklichkeit in Rechnung gestellt und andererseits auf das heute verfügbare biologische Wissen zurückgegriffen werden.
Fremdbestimmung der Lebewesen
Dieser Deutungsversuch nimmt auf die Erkenntnis der Biologie Bezug, daß die Genome (das Erbgut) der Organismen und ihre informationsgesteuerten Funktionszyklen hierarchisch gesteuert wirken (vgl. Abschnitt 2.3 zum Leib-Seele-Problem).
Man könnte sich in der anstehenden Frage nach dem Übergang in die Bedingungen und Strukturen nach dem Fall hypothetisch folgendes denken: Die genetischen Grundlagen (die Bausteine als solche) wurden im Gefolge des Sündenfalls nicht geändert, die Instanz aber, die ihren Zusammenbau regelt, reagiert auf die veränderten Lebensbedingungen nach dem Fall. Mit demselben “Baumaterial”, also auf derselben genetischen Grundlage, werden verschiedenartige “Gebilde” errichtet.
Für diese Vorstellunggibt es ein interessantes Modell aus der Rezentbiologie: die fremddienliche Zweckmäßigkeit, wie sie in bestechendster Form bei Pflanzengallen zu beobachten ist. Gallen sind spezifisch geformte Gebilde, die vor allem auf Blattoberflächen durch Einwirkung fremder Stoffe (von Bakterien, Pilzen oder Tieren) entstehen.80 So bildet beispielsweise die Rose nach einem Stich und der Eiablage der Rosengallwespe sog. “Rosenäpfel” (s. Abb. 6), büschelige Gebilde, in deren Innerem sich einige Kammern für die darin sich entwickelnden Larven befinden. Es gibt eine reiche Formenvielfalt unter den Gallen. “Wie spitze Hörner sehen manche aus, andere gleichen eher länglichen Zwiebeln, kugelrunden Murmeln, flachen Sonnenhüten, goldglänzenden Münzen oder gar einem zierlichen Miniatur-Pfahlbau.”81 Es werden Formen gebildet, die die Wirtspflanze sonst nicht erzeugt. Am gleichen Blatt können verschiedene “Gailtiere” Gallen völlig unterschiedlicher Gestalt hervor-
80	Beiderbeck & Koevoet, Pflanzengallen.
81	W. Kuhn, Stolpersteine 46.
Abb. 6: Oben: Eichenzweig mit Galläpfeln, die von der Eichengallwespe hen’orgerufen wurden. Unten: Ein Rosenapfel (Galle), der von der 3 mm langen Gemeinen Rosengallwespe (rechts) henorgerufen wurde.
rufen. Die neuen Wege werden oft mit äußerster Präzision beschritten. Der Stoffwechsel wird zugunsten der Produktion bestimmter Inhaltsstoffe (z. B. Gerbstoffe) umgestellt, manche Wege werden intensiviert, andere verschlossen oder Seitenwege eingeschaltet.82 Als Auslöser für die Gallbildung dient den verschiedenen Schmarotzerarten ein Wuchsstoff. Erbsubstanz (DNS) wird jedoch nicht übertragen. Meistens sind die Gallen in komplizierter Weise den Bedürfnissen des Gastes angepaßt. Dazu gehören ein passender Hohlraum, ein widerstandsfähiges Gehäuse, zartwandige, der Ernährung dienende Zellen im Innern der Gallen, die Erzeugung bitterer Stoffe, die Vögel oder Raupen vom Fressen abhalten, sowie z. T. die Ausbildung einer Trennschicht, die das Öffnen der Galle ermöglicht, sobald die Insassen zum Ausschwärmen alt genug sind.
Was geschieht hier? Unter dem Einfluß auslösender Substanzen wird das Baumaterial der Wirtspflanze zum Bau artfremder Strukturen verwendet. Die Gallen ähneln in ihrer Form
gewöhnlich den normalen Pflanzenstrukturen nicht. Dabei ist die genetische Grundlage der Pflanzen nicht verändert worden. Es werden keine Gene in die Pflanzen injiziert, es erfolgt keine Gentransplantation. Die Gene und der Zellstoffwechsel geraten offenbar unter “fremde Herrschaft” und werden entsprechend genutzt. Das Baumaterial bleibt, die Art und Weise des Zusammenbaus ändert sich.
Diesen Beispielen entsprechend könnte man sich denken, daß die geschaffenen Organismen durch den Sündenfall unter eine neue “Herrschaft” (andere Steuerungsinstanzen), unter eine Art Anpassungstrieb an die Bedingungen “dieses Äons” gerieten und dadurch ihre Lebensweise änderten. Dieser Wechsel muß gleichzeitig und bei den verschiedenen Arten aufeinander abgestimmt erfolgt sein, so daß ein nahtloser Übergang in die Ökologie nach dem Sündenfall möglich war. Wichtig ist bei diesem Lösungsversuch, daß die Identität der Arten und Individuen gewahrt bleibt. Zugleich kann so nachvollzogen werden, daß das neue komplizierte ökologische Gefüge in seiner Fallsgestaltigkeit koordiniert “zusammengesetzt” wurde.83
Die Theodizee-Frage im Rahmen dieses Erklärungsversuchs
Im Rahmen dieses Lösungsversuchs muß nicht angenommen werden, Gott habe (unmittelbar oder latent) fallsgestaltige Anlagen erschaffen. Das “sogenannte Böse” (K. Lorenz) mußte in keiner Weise “vorgebildet” gewesen sein und war gemäß dieser Vorstellung nicht Teil der ursprünglichen guten Schöpfung Gottes. Außerdem bleiben die Individualitäten erhalten; es ist nicht erforderlich, eine Neuschöpfung anzunehmen.
Als weitere Frage erhebt sich, wer für den beschriebenen Wechsel der Gestaltsausprägung und die geänderten Verhaltensweisen sowie das neue
82 Beiderbeck & Koevoet, a. a. O. 44.
85 Außer dem Gallenbeispiel konnten zahlreiche ähnliche Phänomene aus der Biologie genannt werden, bei denen Organismen unter dem Einfluß von Fremdgewebe oder -Substanzen oder aufgrund von Umwcltreizen ihre Gestalt andern
ökologische Gefüge verantwortlich zeichnet. Hierzu wird an die Diskussion zu Röm 8,19ff. verwiesen (Abschnitt 4.3.2.2). Die geschilderte Deutung kann die “Unterwerfung” der Schöpfung veranschaulichen.
Die einschränkenden Lebensbedingungen post lapsum sind Ausdruck von Gericht und Gnade. Die Tat des Ungehorsams des ersten Menschenpaares hat einschneidende Folgen (Gericht); gleichzeitig gewährt der Schöpfer weiterhin Lebensmöglichkeiten mit sekundären Gleichgewichten, die allerdings auf Konkurrenz, Kampf und Tod basieren. Gott gebraucht diese Folgen des Falles, um die Menschheit auf ihre verlorene Situation und ihre Erlösungsbedürftigkeit aufmerksam zu machen. In diese Situation hinein legt er die Hoffnung auf zukünftige Befreiung (Röm 8,19ff.). Das ist der Gnadenaspekt des Fluches, der die ganze Welt aufgrund der Sünde des Menschen getroffen hat.
Vierter Schritt: Wie bei allen historischen Abläufen kann es auch hier keine direkten Prüfmöglichkeiten geben. Die Prüfmöglichkeiten sind hier insofern besonders beschränkt, als der Empirie natürlich nur unsere heutige Welt, die Welt nach dem Fall zugänglich ist. Das Grundtypkonzept ist insofern wesentlich direkter prüfbar, als Grenzen der Artbildung, Spezialisierungsprozesse und Genpoolverarmung auch heute der Forschung zugänglich sind oder nach Belegen für eine vermutete programmierte Variabilität experimentell gesucht werden kann. Vergleichbares kann es zum Sündenfall-Geschehen nicht geben, weil es sich hier um ein singuläres Ereignis handelt. Die Prüfmöglichkeit kann sich nur auf die Frage beschränken, ob es heute Prozesse gibt, durch die umbruchsartig Gestalten verändert werden können, und welche man als Analogiephänomene deuten kann. Genau dies ist tatsächlich der Fall, wie das Beispiel der Pflanzengallen belegen soll. Dieses Beispiel zeigt, daß die Vorstellung, daß Organismen unter Erhaltung ihrer Individualität einen durchgreifenden Gestaltwandel durchmachen können, keine Spekulation ist, sondern Beobachtungstatsache. Spekulativ ist nur die Projektion solcher Beispiele auf den Fall. Gestaltwandel gibt es auch bei den metabolen
Insekten (z. B. von der Raupe zum Falter), wobei in diesem Fall allerdings das Erbgut für den Falter bereits in der Larve vorhanden ist. Das Gallenbeispiel verdeutlicht, daß (anders als beim Übergang von der Larve zum adulten Insekt) ein solcher Gestaltwandel möglich ist, ohne daß die genetischen Voraussetzungen im Wirtsorganismus im vorhinein gegeben sind.84
Eine Prüfmöglichkeit ist auch insofern gegeben (und oben angewandt worden), als man aufgrund des heutigen biologischen Wissens die Möglichkeit einer allmählichen evolutiven Entwicklung zur Raubtier- oder Parasitengestalt ausschließen kann.
Als weitere Prüfmöglichkeit wird von Kritikern das Gedankenexperiment ins Feld geführt, daß eine Welt ohne Tod eine ökologische Unmöglichkeit sei. Es ergeben sich unlösbare Apo-rien.85 Bei diesem Gedankenexperiment wird jedoch der protologische Vorbehalt nicht bedacht. Die Gesetzmäßigkeiten und die Möglichkeiten einer Welt ohne Tod entziehen sich unserem Vorstellungsvermögen. Außerdem ist uns ein Wissen darüber verschlossen, welchen Weg Gott seine Schöpfung geführt hätte, wenn die Todesmacht nicht in sie eingebrochen wäre. Es war zwar der Vermehrungsauftrag vor diesem Einbruch gegeben, aber es kann keine Aussage darüber gemacht werden, was Gott mit der Welt vorgehabt hätte, wenn dieser Auftrag, die Erde zu füllen, ausgeführt gewesen wäre. Unter den heutigen Lebensbedingungen nach dem Fall ist der Tod als regulative Instanz erforderlich. Es wäre aber ein entscheidender Denkfehler, die heutigen Verhältnisse unter bloßem Wegfall des Phänomens des Todes und unter Beibehaltung aller anderen ökologischen und biologischen Rahmenbedingungen der Lebewesen auf die Ursprungswelt zu übertragen. Bei einem solchen Verfahren bleibt die sehr wahrscheinliche Tat-
84	Jedenfalls ist es beliebig unwahrscheinlich, daß eine bestimmte Baumart dutzende verschiedener Satze von Genen besitzt, die für den Bau der teilweise sehr verschiedenen Gallentypen erforderlich sein müßten. Vieles deutet darauf hin, daß die Formbildung nicht auf der Ebene des Genoms verstanden werden Itann, vgl. Abschnitt 2.3.
85	Z. B. Steiner, Tod 40f.
sache außer acht, daß der Sündenfall-Einschnitt alle Bereiche der Wirklichkeit betroffen hat. Dadurch besteht eine Erkenntnisschranke, über die hinaus nur soweit gedacht werden kann, als die biblische Überlieferung Informationen dazu gibt.
Man muß also eine Ursprungsökologie (die nicht konkret ausgemalt werden kann) und eine “fallsgestaltige” Ökologie “dieses Äons” post lapsum unterscheiden. Die biologische Forschung kann nur letztere beschreiben und erforschen. Gesetzmäßigkeiten der Fallsökologie dürfen nicht auf die Ursprungsökologie übertragen werden.
5.5.3	Folgen der Sintflut
Für die Rekonstruktion der die biblischen Zeugnisse berücksichtigenden Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte ist das Sintflutgericht von zentraler Bedeutung. Eine globale Überschwemmung der Erde muß die Erboberfläche von Grund auf verändert haben. Auch die Organismenwelt war nachhaltig betroffen. Damit sind vor allem die Geowissenschaften, soweit sie geschichtliche Prozesse rekonstruieren, und die Paläontologie als Fachdisziplinen betroffen, in deren Theorieentwürfen dieses Globalereignis berücksichtigt werden muß.
Erster Schritt: In erdgeschichtlichen Modellen wurde im Anschluß an den Geologen Lyell (1797-1875) das Uniformitätsprinzip (Aktualismus) vorausgesetzt. Danach sind heutige geologische Prozesse Vorbild für Abläufe in der Vergangenheit, und zwar sowohl hinsichtlich der Ablaufformen als auch der räumlichen und zeitlichen Dimensionen. Dieses Prinzip ist vom biblischen Zeugnis her grundsätzlich zu hinterfragen, da die biblische Überlieferung katastrophi-sche Umbrüche bezeugt, wobei die Sintflut als wichtiger Auslöser zu betrachten ist. Darüber hinaus muß nach dem protologischen Vorbehalt mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß vor dem Sündenfall (während der Schöpfungswoche) geologische Prozesse in anderer Weise und Geschwindigkeit abgelaufen sind, als dies heute der Fall ist. Auch wenn das aktualistische Prinzip
deshalb nicht grundsätzlich zu verwerfen ist, muß es als Alleinerklärungsprinzip für vergangene geologische Prozesse ausgeschlossen werden.
Zweiter Schritt: Aus der biblischen Urgeschichte können nur sehr grobe Anhaltspunkte für eine Sintflutgeologie und die damit zusammenhängenden Wissenschaftszweige gewonnen werden. Kein einziger Satz aus dem Sintflutbericht kann unmittelbar als Axiom für geowissenschaftliche Modellbildungen dienen. Hemminger hat recht, wenn er schreibt, daß die Sintflutgeschichte etwas ganz anderes will als Naturkunde treiben.86 In der Tat wurde der Sintflutbericht nicht geschrieben, um Geowissenschaftlern und Paläontologen Hinweise für die Deutung von Schichtgesteinen und Fossilien zu geben. Genesis 6—9 macht jedoch explizit und implizit klar, daß es eine weltweite Überflutung der Erde gegeben hat (alle Berge wurden bedeckt; die Rettung der Tiere in der Arche wäre sinnlos, wenn es sich nur um eine Lokalflut gehandelt hätte; das Versprechen Gottes, nie wieder eine solche Wasserflut zu schicken, wäre hunderte Male gebrochen worden, wenn es sich nicht um eine Globalflut gehandelt hätte usw.87). Es geht um das Handeln Gottes mit dem Menschen und der ganzen Erde. Und dieses Handeln hat sich nicht allein in der menschlichen Psyche ereignet, sondern auf derselben Erde, die Geologen und Paläontologen heute erforschen. Es ist also eine logische Konsequenz, wenn auch biblisch gesehen nur eine nebensächliche Folge, daß die Sintfluterzählung für die Geo- und Biowissenschaften relevant ist. Im vorigen Abschnitt wurde bereits erwähnt, daß grundsätzlich mit katastrophischen Prozessen gerechnet werden muß, allerdings nicht ausschließlich. Welche geologischen oder paläontologischen Phänomene in welcher Weise mit dem ursprünglichen Schöpfungshandeln Gottes oder mit der Sintflut in Beziehung zu bringen sind, bleibt zunächst offen.
Eine weitere wesentliche und für die Rekonstruktion der Erdgeschichte folgenreiche Vorgabe ist der Zeitrahmen, der bei Akzeptanz der
86	Hemminger, Kreationismiis.
87	Vgl. Whitcomb & Morris, Sintflut 37-88.
biblischen Urgeschichte als historischer Realität zugrundegelegt werden muß. Er ist vergleichsweise sehr kurz.
Der Sintfluterzählung der Bibel kann man also beispielsweise nicht entnehmen, ob die Sedimentgesteine ganz oder teilweise während der Sintflut entstanden sind. Vom biblischen Bericht ausgehend läßt sich lediglich ein Deutungsrahmen abstecken, der nahelegt, daß ein Großteil der Sedimentgesteine (vor allem die fossilführenden ab dem Kambrium) in einen direkten oder indirekten Zusammenhang mit der Sintflut gebracht werden müssen, denn es ist zu erwarten, daß ein solches Geschehen die gesamte Erdoberfläche massiv in Mitleidenschaft gezogen hat.8* Gott selber kündigt nach Gen 6,13 an, daß er die Lebewesen mitsamt der Erde rtilgen will. Als Zeugnisse des Todes (namentlich eines gewaltsamen!) können Fossilien nicht Zeugnisse der guten Schöpfung Gottes am Anfang sein,
d.	h. Fossilien bergende Gesteine sind nicht auf die ursprüngliche Schöpfung Gottes zurückzuführen, da sie das Todesprinzip nicht kannte (vgl. Abschnitte 4.3.2.1 und 4.4). Auch aus diesem Grund wird ein direkter oder indirekter Zusammenhang zwischen den fossilführenden Schichtgesteinen und dem Sintflutgericht nahegelegt.
Im dritten Schritt geht es darum, geowissenschaft-liche und paläontologische Theorien zu entwickeln, die katastrophische Verhältnisse und kurze Zeiträume voraussetzen. Von vorevolutionären Katastrophentheorien (Cuvier und Anhänger) abgesehen, gab es hierzu erst Anfang der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts einen gründlich ausgearbeiteten Entwurf,89 nach dem fast alle fossilführenden Sedimentgesteine (die geologischen Systeme ab dem Kambrium) im Sintflutjahr entstanden sein sollten, während nur die am höchsten gelegenen Schichten (Quartär und evtl, teilweise Tertiär) nachflutlich einzuordnen wären. Die vorkambrischen Systeme, die weitgehend fossilleer sind, werden nach dem Whit coMB-MoRRis’schen Modell der Schöpfungswoche zugeordnet. Diese Vorstellung hat sich als nicht haltbar erwiesen, u. a. weil zumindest in den nachkarbonischen Schichten zahlreiche Phänomene (wie z. B. Spuren einer Landbesiedlung,
Dinosauriernester, Anzeichen eines längeren Trockenfallens) nicht während des einen Sintflutjahres aufgetreten sein konnten.
Nach einem erheblich modifizierten Modell von Scheven90 sind nur die Sedimentgesteine vom Kambrium (inclusive dem sog. Eokambrium) bis einschließlich dem Karbon dem Sintflutjahr zuzuordnen.91 Die dem Karbon folgenden Schichten sind nach diesem Modell erst nach der Sintflut durch lokale bis regionale Folgekatastrophen entstanden. Die durch die Flut verwüstete Erde wurde allmählich wiederbesiedelt. Entsprechend den Verhältnissen heutiger Brachländer erfolgte die Wiederbesiedlung der Erde in regel-hafter Weise. Da weltweit ähnliche Ausgangsbedingungen Vorlagen, ergab sich eine weltweit ähnliche Abfolge von Lebensgemeinschaften (Mega-Sukzessionen). Durch Folgekatastrophen nach der Sintflut wurden Wiederbesiedlungsstadien immer wieder zerstört und durch Überschüttung konserviert (Entstehung von Fossilien). Weltweit ähnliche Abfolgen von Lebensgemeinschaften wurden so in regelhafter Weise im Fossilbefund “durchgepaust”.92 Durch dieses “Mega-Sukzessions-Modell” sollen die Regel-haftigkeiten der Fossilablagerungen ebenso erklärt werden wie das regelmäßige Fehlen von Zwischenformen.
Nach anderen Konzepten werden (nahezu) die gesamten fossilführenden Sedimente nachflutlich eingestuft. Die Megasukzession erstreckt sich danach über die ganze Schichtenfolge ab dem Kambrium. Nach diesem Modell sind die durch die Sintflut entstandenen Schichten mit ihren Lebewesenresten hochgradig umgewandelt worden (z. B. durch Aufschmelzung).
Im vierten Schritt geht es um die Prüfung der Theorien, hier des Mega-Sukzessions-Modells. Im Rahmen dieser Arbeit können nur einige Schlaglichter gegeben werden.
86 Scheven, Karbonstudien; Scheven, Megasukzessionen.
89 Whitcomb & Morris, Sintflut.
50 Scheven, Megasukzessionen.
91	Zum Karbon vgl. Scheven, Karbonstudien, und Junker & Scherer, Entstehung Abschnitt 8.5.
92	Näheres in Junker & Scherer, a. a. O. 153-156.
-	Geologische Befunde belegen vielfach (aber nicht durchweg) rasche Ablagerungen von Sedimenten. Bemerkenswerterweise rechnet man auch in der evolutionstheoretisch orientierten Wissenschaft mehr und mehr mit katastrophi-schen Vorgängen in der Erdgeschichte, auch wenn man diese nicht im Zusammenhang mit der biblischen Sintflut sieht, sondern im Rahmen eines Jahrmilliardenkonzepts.
-	Zahlreiche Fälle von Massenvermehrungen, die fossil konserviert wurden, sind als Zeugnisse großräumig gestörter Ökosysteme zu werten. Dies entspricht den Szenarien des Mega-Sukzes-sions-Modells.
-	Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß während der Sintflut keine, danach nur wenige und erst allmählich zunehmende Landflächen vorhanden waren, wird der Trend im Fossilbericht verständlich, nach oben hin eine Zunahme an Fossilien von Landorganismen zu finden.
-	Die Tatsache, daß die verschiedenen Tier-und Pflanzengruppen im Fossilbericht explosionsartig und in verschiedene Formen ausdifferenziert auftauchen, ohne daß unbestrittene Vorläuferformen dokumentiert sind, ist in diesem Modellrahmen ebenfalls plausibel.
Dennoch bleibt vieles rätselhaft. Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, daß ganze Gruppen von Lebewesen in vielen Schichten völlig fehlen, in denen sie (nach dem Mega-Sukzes-sions-Modell) zwar nicht in großer Zahl, aber doch wenigstens gelegentlich zu finden sein sollten, weil sie in der betreffenden Zeit, als diese Schichten gebildet wurden, nach diesem Modell existiert haben mußten. An einem Beispiel soll diese Problematik deutlich gemacht werden: Die Erde wurde nach der Flut u. a. durch die allein in der Arche überlebenden Säugetiere neu besiedelt (das resultiert aus dem biblischen Zeugnis, daß die Flut weltweit war und ein Überleben der land- und luftlebenden Lungenatmer nur in der Arche Noah möglich war). Nach dem Mega-Sukzessions-Modell sind alle geologischen Systeme ab dem Perm (nach dem ScHEVENSchen Modell) oder schon ab dem Kambrium (nach anderen Auffassungen) nach der Sintflut entstanden, beispielsweise das sog. Erdmittelalter, das von Reptilien beherrscht wurde. Warum findet
man dort keine (“modernen”) plazentalen Säugetiere? (Man findet wohl andere Säugetiere, die aber ganz anderen Grundtypen als den heutigen zuzurechnen sind.) Man kann zwar argumentieren, daß aufgrund der damals vermutlich vorherrschenden Lebensräume Amphibien und Reptilien bessere Ausbreitungsmöglichkeiten hatten und daher in weit größerer Anzahl als Säugetiere Vorkommen konnten, aber dann könnte man dennoch wenigstens ausnahmsweise auch Reste von Säugetieren im “Erdmittelalter” erwarten. Ein Schlüssel zur Erklärung dieses Sachverhalts scheint noch nicht gefunden.93
Eine andere Schwierigkeit betrifft den benötigten zeitlichen Rahmen für die geologischen Prozesse, die nach der Sintflut abgelaufen sein müssen, wie z. B. die Kontinentaldrift, Riffwachs-tum oder Abkühlung geschmolzener Gesteinsmassen. Hier ist weitgehend unklar, wie unter heutigen Bedingungen die offenbar abgelaufenen Prozesse in kurzer Zeit vonstatten gehen konnten. Möglicherweise muß hier ein diluvialer Vorbehalt gemacht werden, d. h., man muß die Möglichkeit einkalkulieren, daß nicht nur beim Sündenfall, sondern auch in anderer Weise durch die Sintflut sich die Lebensverhältnisse geändert haben. Darauf deuten biblisch gesehen jedenfalls die auffällig regelhaft abnehmenden Lebensalter der Stammväter hin.
5.5.4	Ausbreitung der nachsintflutlichen Menschheit
Nach der Sintflut verbreitete sich die Menschheit (und die in der Arche gerettete Tierwelt) vom Nahen Osten aus über die gesamte Erde. Das Gros der nachflutlichen Menschheit blieb offenbar bis zur Zeit des Turmbaus zu Babel lokal sehr eng beisammen, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß einige kleinere Gruppen sich bereits vor der allgemeinen Zerstreuung nach dem Scheitern des Turmbaus absprengten. Im Gefolge der Ausbreitung mußten sich aus den Noahnachkommen die Menschenrassen herausbilden.
,J Ausführlicher diskutiert in Junker & Scherer, a. a. O. 155.
Der erste Schritt besteht auch hier in der Auseinandersetzung mit evolutionstheoretischen Konzepten.94
Im zweiten Schritt gilt es, von den Schilderungen der biblischen Urgeschichte Voraussetzungen für die geschichtlichen Rekonstruktionen abzuleiten. Auch hier bieten die Erzählungen nur sehr knappe Informationen. Der Zeitraum von der Sintflut bis zum Turmbau zu Babel kann mehrere hundert Jahre betragen haben. Bis dahin war die Menschheit zum größten Teil lokal noch sehr begrenzt, um erst danach in größerer Zahl andere Teile der Erde wieder zu besiedeln.
Vom Schöpfungsbericht ausgehend ist anzunehmen, daß die ersten Menschen als zum Bilde Gottes geschaffene Persönlichkeiten zur Kommunikation fähig waren und sprechen konnten, daß sie in der Lage waren, das Schreiben zu erlernen95 und daß ihre geistigen Fähigkeiten groß waren.96 Primitive “Urmenschen” im Sinne der Abstammungslehre gab es danach nicht. Das gilt auch für die nachflutliche Menschheit, die geistig nicht als primitiv anzusehen ist.97 Dagegen müssen die Lebensverhältnisse zunächst sehr ungünstig gewesen sein. Technik und Kultur mußten erst mühsam wieder entwickelt werden.
Dritter und vierter Schritt: Die Daten der Pa-läanthropologie müssen in einen plausiblen Bezug gesetzt werden zu den im zweiten Schritt zusammengestellten biblisch motivierten Voraussetzungen. Nach dem derzeit diskutierten schöpfungstheoretischen Konzept sind die Fossilien des Homo erectus, des Neandertalers sowie intermediärer Formen zwischen beiden und zwischen ihnen und dem Homo sapiens zum Menschen zu rechnen und werden als Nachkommen der Noahfamilie betrachtet. Ein Teil des taxono-misch umstrittenen Homo /uj/u'fc-Komplexes ist wahrscheinlich ebenfalls dem Menschen zuzurechnen. Dagegen werden die zu Australopithe-ctts gehörenden Arten in einen eigenen, von Homo unabhängigen Grundtyp gestellt. Rama-pithecus und seine Verwandten bilden einen weiteren Grundtyp, möglicherweise gemeinsam mit dem Orang Utan.98 Diese Unterteilung wird durch diverse anatomische Eigenschaften gestützt.99 Neuere Befunde aus der Palälaryngolo-
gie100 und zur Werkzeugherstellung'01 bestätigen die Grenze zwischen Australopithecus und Homo.
Die verschiedenen zu Homo gehörenden Fossilien werden in einer gewissen Regelhaftigkeit in den jüngsten tertiären und quartären Schichtgesteinen gefunden. Diese Abfolge wird durch aufeinanderfolgende Auswanderungswellen vom Gebiet des Nahen Ostens aus erklärt. Zunächst haben sich kleine Gruppen abgesetzt, die aufgrund von Gendrift erecms-ähnlich waren. (Gendrift ist die zufallsbedingte, jedenfalls nicht selektionsgesteuerte, Veränderung des Gen- bzw. Merkmalsspektrums einer Population. Gendrift erfolgt beispielsweise dadurch, daß eine nichtrepräsentative Auswahl aus einer Population eine separierte Tochterpopulation bildet.) Diese Gruppe breitete sich teilweise nach Afrika, teilweise nach Asien aus. Eine andere, nach Norden auswandernde Gruppe etablierte sich in kälteren Klimaten als Neandertaler. Auf diese Weise kann das auffällige Verteilungsmuster der Homo-Fossilien (Neandertaler in Eurasien, im Nahen Osten und in Nordafrika; Homo erectus in Asien und Afrika) erklärt werden. Bemerkenswerterweise sind aus dem Nahen Osten alle drei Hauptgruppen fossil bekannt. Die im Nahen Osten zunächst verbleibende Hauptgruppe war in ihrer Merkmalsausprägung vermutlich sapietu-anig. Aus dieser Hauptgruppe wanderten später weitere (größere) Populationen nach Afrika und Asien aus und vermischten sich dort mit den einheimischen erec/«.v-Menschen, so daß Mischformen auftraten. Damit kann deren Existenz nicht-evolutionär verstanden werden.102
w S. dazu Hartwig-Scherer, Paläanihropotogie; Brandt, Ge-him\ Orem asd, Archäologie] zusammenfassend in Junker & Scherer, a. a. O. Kap. 9.
95	Finen zweifelsfreien Beleg gibt es dafür nicht, jedoch kann eine evolutive Hntstehung der Schreibkunst bislang nicht belegt werden; vgl. Beck, Genesis; Beck, Archäologie.
96	Adam konnte Tiere benennen; zu diesem Zweck mußte er in der I.age sein, das Typische der Formen zu erfassen und mit passenden Begriffen wiederzugeben.
97	Belege dafür finden sich bei Papke, Sterne.
98	Hartwig-Scherer, Ramapithecus.
99	Junker & Scherer, a. clO. Kap. 9.
100	Brandt, Gehirn.
101	Hartwig-Scherer, Paläolithikunv, Brandt, cl a. O.
102	Details in Hartwig-Scherer, a. a. O. sowie Hartwig-Scherer & Scherer, Grundlinien.
5.5.5	Die Zerteilung der “Erde”
Zur Zeit des fünften Stammvaters nach Noah, Peleg, wurde die “Erde zerteilt” (Gen 10,25). Ist die Erde oder sind die Völker gemeint? Haben wir hier einen Hinweis auf die Kontinentaldrift? Diese Auslegung würde gut in ein nachflutliches Szenario passen (vgl. Abschnitt 5.5.4). Denn es ist in diesem Rahmen geradezu zu fordern, daß das Auseinanderbrechen der Kontinente erst einige Jahrzehnte bis Jahrhunderte nach der Sintflut begann oder nach der Flut zumindest vorerst noch nicht allzuweit fortgeschritten war, da sich sonst kaum die in der Arche geretteten Tiere so auf die Kontinente hätten ausbreiten können, wie man sie heute antrifft. Andererseits ist nicht notwendigerweise zu erwarten, daß die äußerst knappe biblische Schilderung der nach-flutlichen Wiederausbreitung der Menschheit (die Tierwelt ist hier gar nicht mehr im Blick) auf eine Kontinentaldrift anspielt. Sicher ist zunächst jedoch, daß die “Zerteilung der Erde” ein ziemlich herausragendes Geschehen gewesen sein muß, denn in der sonst dürren Aufzählung der Abstammungsverhältnisse springt die Bemerkung darüber deutlich heraus. (Dieses Ereignis wird auch an der Parallelstelle 1 Chr 1,19 erwähnt.) Mit dieser “Teilung” wird offenbar eine wichtige Erfahrung der damaligen Menschheit erwähnt. Worin bestand nun diese Erfahrung?
Das Verbum J?3 kommt im AT nur viermal vor, an unserer Stelle im Niph’al (“geteilt werden”), und zwar nur dort und an der Parallelstelle 1 Chr l,19.l03Der Begriff “Erde” kann nur in seltenen Fällen mit “Menschheit” übersetzt werden; gewöhnlich ist damit die Erde im Gegensatz zum Himmel oder zum Meer, ein bestimmtes Land, ein Stammesterritorium, ein Stück Land, der Erdboden oder “Land” im übertragenen Sinne gemeint. In Gen 9,19; 11,1; 19,31 und 1 Kön 2,2 sind sicher Erdbewohner gemeint.104
Die meisten Ausleger verstehen aufgrund des weiteren Zusammenhangs von 1 Mose 10,25 die “Teilung der Erde” als “Aufteilung der Menschheit”105; einige Übersetzungen geben “Erde” entsprechend mit “Menschenwelt” wieder. “In seinen Tagen zerteilte sich die Erde” sei “ein 11,1-9 entsprechendes Ereignis”106; es sei auf die Episo-
de von Kapitel ll,lff. vorausgewiesen.107 Ist das berechtigt oder gar notwendig? Die Begründungen in den genannten Kommentaren sind dürftig.108 Westermann hält die beiden Verse 10,24f. in der Völkertafel Kap. 10 für einen Fremdkörper: “ In einem Zusammenhang, der es als ganzer mit der Verteilung der Menschheit zu tun hat, ist diese Bemerkung [zu Peleg] sehr seltsam und eigentlich nicht möglich; sie ist aber durchaus sinnvoll, wenn V. 24-25 eigentlich in den Zusammenhang von 11,10-32 gehört.”109 Dieses Argument sticht allerdings nur, wenn mit der “Teilung der Erde” tatsächlich die Verteilung der Menschheit gemeint wäre.
Als weiteres exegetisches Argument kann die Parallelität von 10,25 und 10,32 genannt werden: In Gen 10,32 heißt es: pX3 □vin mE3 -“Es breiteten sich aus die Völker auf Erden”..Es liegt derselbe Satzbau vor. Anstelle der “Erde” ( pX) werden hier jedoch die Völker ( D'HI) genannt Anstelle von steht 113 . Die Verben stehen beide Male im Niph’al.
Jacob macht hingegen darauf aufmerksam, daß px immer nur dann mit “Menschenwelt” wiedergegeben werden könne, wenn es mit ^2 verbunden sei: pX'^B oder pxn~P: “die ganze Erde, alle Welt” An den o. g. Stellen Gen 9,19; 11,1; 19,31 und 2 Kön 2,2 steht durchweg Sb bei pX. Außerdem müßte für das Zerteilen der Menschheit f!3 oder T1B stehen. Jacob vertritt also die Vorstellung, daß tatsächlich die Erde geteilt wurde - allerdings nicht im geologischen Sinne, vielmehr werde hier “die bedeutsame Mitteilung gemacht, daß die Zerstreuung über die Erde nach Verabredungen geschah, die den Völkern bestimmte Gebiete
105 Gesenius, Handwörterbuch. Zweimal kommt das Wort im Pi’el vor: Ps 55,10: "teile ihre Zunge” (d. h. ‘‘mache sie uneins) und mit der Bedeutung von “spalten" in Hi 38,25. Außerdem kommen ebenfalls nur selten einige Derivate vor: ibs : “Bach, gegrabener Kanal"; “p: “Gau (als Abteilungeines Stammes), Bach”; np : “Abteilung, Klasse.
1<M Gesenius laßt diese Möglichkeit für Gen 10,25 offen.
105	Deutzsch, Genesis; Westermann, BKAT; Zimmerli, Urgeschichte.
106	Westermann, BKAT 702.
107	Zimmerli, Urgeschichte.
108	Von Rad, ATD, geht auf die Problematik in ATD nicht ein.
109	Westermann; BKA T 700.
zuwiesen.”110 Darauf habe bereits 10,19 deutlich hingewiesen. Dort ist von Grenzen die Rede.
T'O'G (‘ in seinen Tagen”) könne nur heilten “im Laufe seines Lebens”; Peleg habe diesen Namen erst später erhalten. Damit wird auch die von Westermann gesehene Ungereimtheit gelöst, was die Bemerkung zu Peleg denn bedeuten solle, wenn ohnehin von der Ausbreitung der Menschheit die Rede ist. Denn hier wird offenbar ein anderes Geschehen als die Ausbreitung mitgeteilt.
Welche Schlußfolgerungen können gezogen werden? Da die biblische Schilderung sich offenkundig auf die Menschheit konzentriert, ist von daher eine Anspielung auf eine Zerteilung der Erde im Sinne der Kontinentaldrift unwahrscheinlich. Da die Übersetzung durch “Erde” (nicht im Sinne von Menschheit) exegetisch am nächsten zu liegen scheint (man beachte das Argument von Jacob) bleibt es dennoch möglich, daß auf ein geologisches Ereignis angespielt wird. Die beginnende Kontinentaldrift war kein punktuelles Ereignis; dem entspräche die zeitlich weit greifende Wendung “zu seinen Lebzeiten” (s.
o.). Die Auslegung von Jacob erscheint vor dem Kontext jedoch mindestens plausibler. Eine definitive Entscheidung scheint nicht möglich zu sein; eine Kontinentspaltung kann jedenfalls aus dem Text nicht zwingend herausgelesen werden, wenn sie auch mit ihm verträglich sein mag.
Im folgenden sollen an zwei weiteren biologischen Phänomenen schöpfungstheoretische Deutungsweisen erläutert werden.
5.5.6	Deutung von Ähnlichkeit
Ein universales Phänomen des Lebens ist die Ähnlichkeit der Organismen. Aufgrund von Ähnlichkeiten kann man die Organismenwelt hierarchisch ordnen. Es besteht kein Formenchaos, sondern es gibt abgestufte Ähnlichkeiten. Woher rührt dies?
Ähnlichkeiten sind zu einem Großteil durch ähnliche Funktionen zu erklären, die die verglichenen Strukturen zu erfüllen haben. Daß Linsenaugen verschiedener Wirbeltiere einander in
ihrem Bauplan ähneln, ist von daher nicht weiter verwunderlich. Über offenkundig funktionsbedingte Ähnlichkeiten hinaus scheint es aber weitere Merkmale zu geben, deren Ähnlichkeit nicht durch Funktionsähnlichkeit begründbar ist (zumindest ist in vielen Fällen eine solche Erklärung unbekannt). Beispiel dafür sind die Extremitätenknochen der Landwirbeltiere, die trotz unterschiedlichster Funktionen den selben Grundbauplan aufweisen. Solche Ähnlichkeiten verlangen eine andere Erklärung als die der Funktion.
Für die weiteren Ausführungen sind einige Begriffsklärungen erforderlich. Man unterscheidet zwischen homologen und analogen Ähnlichkeiten. Eine exakte Begriffsabgrenzung ist nicht leicht, ebensowenig wie die Unterscheidung homologer von analogen Ähnlichkeiten in manchen konkreten Fällen. Eine angemessene Diskussion dieser Problematik würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, doch kann für unsere Zwecke über die Schwierigkeiten zunächst hinweggesehen und festgestellt werden, daß unter Analogien funktionsbedingte Ähnlichkeiten verstanden werden, während Homologien bauplanbedingte Ähnlichkeiten sind, die durch die Funktion der verglichenen Strukturen (scheinbar?) nicht erklärt werden können.111 Beispielsweise sind der Vogelflügel und der Insektenflügel analoge Gebilde. Soweit sie Ähnlichkeiten aufweisen (Tragfläche), sind sie funktionell verständlich. Ihre Baupläne sind jedoch grundverschieden (Gefieder bzw. Geäder mit dünnen Häuten).
Dagegen sind die Vorderextremitäten der Landwirbeltiere homolog. Denn sie weisen trotz unterschiedlichster Funktionen (Greifhand, Grabbein, Flügel, Flosse usw.) einen fast auf den ersten Blick vergleichbaren Grundbauplan auf. Eine Reihe von Homologiekriterien soll sicherstellen, in welchen Fällen homologe Ähnlichkeiten vorliegen.
110	Jacob, Tora 293.
111	Vgl. Ax,Syj(ema(iJ:,JuNKEB&ScHERER,a.a.O. Kap.6,Osche, Homologisieren.
Erster Schritt: Durch die Evolutionslehre wird die abgestufte (homologe) Ähnlichkeit aller Organismen auf Abstammung von gemeinsamen Vorfahren zurückgeführt. Homologien zwischen zwei Organismen treten dadurch auf, daß ein von einem gemeinsamen Vorfahren erworbener Grundbauplan in den sich auseinander entwik-kelnden Nachkommen nicht beliebig abgewandelt werden kann. Dadurch kommt es zu einer begrenzten Fixierung von einmal erworbenen Grundbauplänen und zu Kanalisierungen der Entwicklungsrichtungen, was sich in der Existenz von Homologien niederschlägt.
Es muß an dieser Stelle nicht weiter hervorgehoben werden, daß dieser Erklärungsansatz vom biblischen Standpunkt aus abzulehnen ist. Diese Ablehnung kann aber auch biologisch begründet werden (vgl. vierter Schritt).
Zweiter Schritt: Vom biblischen Schöpfungszeugnis ausgehend ist eine typologische Deutung des Ähnlichkeitsmasters der Lebewesen naheliegend. Wenn die Organismen “nach ihrer Art” geschaffen wurden, so können artspezifische (bzw. grund-typspezifische, vgl. Abschnitt 5.5.1) Merkmalsmuster postuliert werden. Diese Möglichkeit räumen selbst manche Evolutionstheoretiker ein. Zum Phänomen der abgestuften, hierarchisch geordneten Ähnlichkeit der Lebewesen meint der Ornithologe und Evolutionstheoretiker Peters, es vertrage sich nicht nur mit der Vorstellung einer Evolution, sondern mindestens ebensogut mit der Vorstellung einer scala rerum oder einer statisch typologisch geordneten Welt “Ohne Zusatzannahmen zwingt die Ähnlichkeit der Organismen für sich allein also keineswegs zu einem Glauben an Evolution.”112 Der Zoologe Osche stellt fest: “Wenn mehrere ‘Systeme’ die gleiche Information aufweisen, muß eine Informationsübertragung stattgefunden haben.”113 Als Informationsspeicher für diese Übertragung könne “ein ‘Schöpfer’ angenommen werden, nach dessen ‘Plan’ die verglichenen Strukturen erstellt worden sind.” In der Evolutionsforschung und Stammbaumrekonstruktion werde - so Osche weiter — jedoch nur die Informationsübertragung durch Vererbung (Abstammung) zugelassen.
Dritter Schritt: Das typologische Konzept der Schöpfungslehre muß konkret auf Organismengruppen bezogen werden. Dabei wird auf das Grundtypkonzept zurückgegriffen, und es werden grundtypspezifische Merkmalsmuster postuliert. Des weiteren kann ein Theorienvergleich mit dem Evolutionskonzept durchgeführt werden.
Vierter Schritt: Es muß nun geprüft werden, ob grundtypspezifische Merkmale oder Merkmalskombinationen erkennbar sind. Soweit hierzu (bislang nur spärliche) Untersuchungen vorliegen, kann dies nachvollzogen werden.114
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Testmöglichkeiten, mit denen die Erklärungskraft der konkurrierenden Modelle geprüft werden kann.
1.	Gibt es ein widerspruchsfreies phylogenetisches System? Wenn alle Lebewesen in einem gemeinsamen Stammbaum mehr oder weniger eng miteinander verbunden wären, dürften in den verschiedenen Taxa Merkmalskombinationen nicht in beliebiger Weise auftreten, sondern nur so, daß eine schlüssige Stammbaumrekonstruktion möglich ist. Im Schöpfungsmodell besteht ein derartiger Erklärungszwang nicht, da in einem typologischen Konzept Merkmale prinzipiell beliebig kombiniert werden können, solange dies funktionell sinnvoll ist. Am Beispiel des Schnabeltieres kann die Problematik beispielhaft verdeutlicht werden. Dieses seltsame Tier, das nach ersten Berichten für ein Fabelwesen gehalten wurde, vereinigt in sich Säuger-, repti-lien- und vogeltypische Merkmale. Die Einordnung in einen Stammbaum ist außerordentlich schwierig. Es bleibt nur die Möglichkeit, Konvergenzen, d. h. unabhängiger Erwerb homolog erscheinender Merkmale, zu postulieren (beispielsweise für die Entwicklung des entenartigen Schnabels). Die Notwendigkeit, Konvergenzentwicklungen annehmen zu müssen, ist nun aber keine Ausnahme, sondern beinahe die Re-
112	D. S. Peters, Evolutionstheorie 202.
113	Osche, a. a. O.
11J Beispiele: Enten-Hämoglobine; anatomische Merkmale der
Triticeen; Apfelfrucht der Maloideen, vgl. Scherer, Typen.
gel.115 Dagegen lassen sich Konvergenzphänomene im typologischen Konzept plausibel deuten. Denn da im typologischen Deutungsrahmen keine Rücksicht auf denkbare Abstammungsverhältnisse genommen werden muß (Abstammung bewirkt eine enge Kanalisierung der Veränderungsmöglichkeiten), sind beliebige Merkmalskombinationen möglich, solange der Organismus lebensfähig ist. Ein Schöpfer ist also frei, Merkmale in den Geschöpfen beliebig zu kombinieren.
2.	Serielle Homologie. Bauplanähnlichkeiten finden sich nicht nur beim Vergleich verschiedener Organismen, sondern auch innerhalb von Organismen. Beispielsweise sind die Vorder- und Hinterextremitäten von Landwirbeltieren homolog, die Wirbelkörper gleichen einander usw. Diese Ähnlichkeiten können kaum durch gemeinsame Abstammung (zunächst eine Extremität oder ein Wirbelkörper usw., dann deren Verdopplung bzw. Vervielfachung) erklärt werden. Im Rahmen der Evolutionslehre ergibt sich bei der Erklärung serieller Homologien folgendes Dilemma (man denke dabei z. B. an die Entwicklung der Tetrapodenextremität):
-	Entweder wurde eine bereits in komplexer Form entwickelte Struktur verdoppelt. Das bringt jedoch unübersehbare Schwierigkeiten in der Mechanismenfrage mit sich, denn komplexe Strukturen müssen komplex im Organismus integriert sein. Andererseits werden aber solch tiefgreifende Ähnlichkeiten gewöhnlich als Folge gemeinsamer Abstammung gewertet.
—	Um das Problem des Mechanismus zu umgehen, könnte man annehmen, daß die serial homologen Organe auf getrennten Wegen entstanden sind, also Parallelbildungen darstellen, und erst später unter eine regulative Instanz gerieten. Diese Lösung würde bedeuten, daß die homologe Ähnlichkeit entgegen sonst üblicher Schlußweisen nicht auf gemeinsame Abstammung zurückgeführt wird.
3.	Sexuelle Homologie. Ähnlich problematisch unter evolutionstheoretischen Prämissen ist die Deutung von sexuellen Homologien (Homologien der Sexualorgane). Auch hier ist entsprechend der Homologiekriterien vom morphologischen Befund her eine unzweifelhafte Homolo-
gie festzustellen. Dennoch kann das eindeutige Vorliegen einer homologen Ähnlichkeit auch in diesem Fall nicht durch gemeinsame Abstammung gedeutet werden, denn dies würde bedeuten, daß entweder die Vorfahren Zwitter waren (was aber allgemein ausgeschlossen wird) oder daß die Homologien nicht auf Abstammung von einem gemeinsamen Vorläuferstadium zurückgeführt werden können. Letzteres würde wie im Falle der seriellen Homologien bedeuten, daß Homologien auch nicht-evolutionär deutbar sind. Damit kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, daß Homologien bei verschiedenen Arten nicht-evolutionär interpretiert werden können. Dabei spielt keine Rolle, daß es Modelle für die Entstehungsweise seriell und sexuell homologer Organe gibt; wichtig ist nur, daß vergleichbare Befunde (Homologien, Homonomien, sexuelle Homologien) teils für phylogenetisch auswertbar erachtet werden, teils aber nicht. Dagegen können in einem typologischen Konzept alle Homologiephänomene unter einem einheitlichen Gesichtspunkt verstanden werden. Dieses Deutungsprinzip ist die freie Kombination von Körperteilen im Rahmen funktionell sinnvoller oder ästhetischer Konstruktionen.
5.5.7	Deutung von rudimentären Organen
Vor einigen Jahren veröffentlichte der Pflanzenphysiologe Mohr in den Freiburger Universitätsblättern bemerkenswerte Sätze zum Vergleich über Schöpfungslehre und Evolutionslehre:116
“Die Welt als Schöpfung eines allwissenden und allmächtigen Schöpfers ist ein ebenso brauchbarer Ausgangspunkt für funktionale Erklärungen in der Biologie. Allerdings bereitet die überzeugende Erklärung der in jedem biologischen System vorkommenden Defekte und rudimentären Teile unter diesen Umständen nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten. Es fällt dem Naturforscher schwer, offensichtliche Defekte und rudimentäre Teile unter diesen Umständen als Teil eines göttlichen ‘Heilsplans’ anzuerkennen. Die Evolutionstheorie hingegen kann die angepaßte Zweckmäßigkeit eines
115 Eine längere Beispielliste findet sich in Junker & Scherer, a. a.O. 248f.
114 Mohr, Sinnfragen.
Organismus ebenso überzeugend und elegant erklären wie seine Unzulänglichkeiten."
Unter rudimentären Organen versteht man Organe, die keine Funktion haben (strenggenommen keine Funktion zu haben scheinen) oder deren Funktion scheinbar eingeschränkt ist und nicht in einem sinnvollen Verhältnis zum strukturellen Aufwand zu stehen scheint.117 Gewöhnlich werden solche Organe (unter evolutionstheoretischen Prämissen) als rückgebildet interpretiert, als Organe also, die einen Funktionsverlust erlitten haben, jedoch noch (unnötigerweise) funktionslose bzw. -arme Strukturen beibehalten haben.118
Als überzeugter Evolutionstheoretiker würde der eingangs dieses Abschnittes genannte Mohr also Schöpfung als Ausgangspunkt für Deutungen biologischer Fakten prinzipiell anerkennen, doch die Existenz sogenannter “rudimentärer Organe” läßt dies nach seiner Meinung nicht zu.119 Die Existenz verkümmerter oder gar völlig zwecklos erscheinender (also rudimentärer) Organe scheint im Rahmen einer Schöpfungslehre in der Tat auf den ersten Blick nicht deutbar, denn sollte der Schöpfer Unvollkommenes geschaffen haben? Der Zoologe Riedl meinte sogar: “Wir wären eine katastrophale Planung, hätte uns jemand geplant.”120 Er will damit zum Ausdruck bringen, daß der (erwachsene) Organismus Spuren völlig anders konstruierter Vorfahren aufweise. So nennt er die Konstruktion des menschlichen Körpers eine “Torpedo-Brücken-Turm-Konstruktion”, also ein Torpedo, der zuerst zu einer Brücke und dann noch zu einem Turm umkonstruiert wurde. Unser Körper sei ein “Kompromiß seiner Geschichte”. Bekannte Beispiele rudimentärer Organe sind der Wurmfortsatz des Menschen, der bei einer Entzündung sogar lebensgefährlich werden kann, Beckengürtelreste bei Walen oder Flügelstummel bei flugunfähigen Insekten oder Vögeln.121 Während solche Strukturen im Rahmen eines Schöpfungsmodells als unverständlich angesehen werden, soll natürliche Selektion dagegen eine Erklärung sowohl für die Zweckmäßigkeit der Organe als auch für die gelegentlich (scheinbar) anzutreffende Zwecklosigkeit von Strukturen bieten: Durch die Wirkung der natürlichen
Auslese blieben Organe erhalten, würden verbessert oder sogar neu “geschaffen”; nach Wegfall der Selektionswirkung seien sie der Verkümmerung preisgegeben. Die Vorstellung einer Evolution lasse rudimentäre Organe verständlich erscheinen. Rudimentäre Organe werden also als Indiz gegen die biblische Schöpfungsanschauung gewertet, da in einer wohldurchdachten und planvollen Schöpfung für solche Organe kein Platz bliebe. Wie werden diese Organe im Rahmen eines biblisch motivierten Schöpfungsmodells gedeutet?
Erster und zweiter Schritt: Bei der Klärung von Prämissen für die Deutung rudimentärer Organe muß vor allem berücksichtigt werden, daß nach dem biblischen Zeugnis die heutige Schöpfung vom Ursprung verschieden und fallsgestal-tig (s. Abschnitt 5.5.2) ausgeprägt ist. Beispielsweise wird am heilenden Handeln und an Totenauferweckungen Jesu deutlich, daß die Welt nicht so ist, wie sie ursprünglich gestaltet gedacht werden kann (vgl. Abschnitt 4.3.2.3). Widerspruch gegen das Leben hat sich in der Schöpfung manifestiert, und Jesus tritt dagegen zeichenhaft an.122 Dadurch macht er, abgesehen davon, daß er den betroffenen Menschen gnädig begegnet, deutlich, daß Tod, Besessenheit, Krankheit, Mißbildung und andere Unvollkommenheiten der Schöpfung nicht ihrem eigentlichen, ursprünglichen Wesen entsprechen. Vor diesem Hintergrund kann es keinen Zweifel geben, daß die in Gen 3,16-19 beschriebenen Folgen des Sündenfalls (Geburt unter Schmerzen, Arbeit im Schweiße des Angesichts, Dornen und Disteln) reale Umbrüche auch in der außermenschlichen
117	Vgl. Krumbiegel, Rückbildungserscheinungen-, Diehl, Abstammungslehre, Junker, Rudimentäre Organe.
118	Eine ausführliche Kriteriendiskussion zur Feststellung des rudimentären Charakters von Organen findet sich bei Junker, a. a. O., und Junker, Rudimente.
119	Es soll damit nicht behauptet werden, daß es in Mohrs Augen keine anderen Gründe gäbe, die SchOpfungslehre abzulehnen, doch nennt er im zitierten Aufsatz keine.
120	Riedl, Strategie 19 lf.
121	Alle diese Organe sind übrigens nicht funktionslos. Nähere Angaben finden sich bei Junker, Rudimentäre Organe.
122	Vgl. Heim, Jesus, Heim, Wellvollender, Beck, Universalität 371 ff.; vgl. Abschnitt 4.5.2.
Schöpfung implizieren. An dieser Stelle ist besonders an die Auslegung von Röm 8,19ff. zu erinnern (Abschnitt 4.3.2.2).
Diese Situation muß bei der Bewertung rudimentärer Organe berücksichtigt werden. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Unzweckmäßigkeiten und “rudimentäre Organe” Ausdruck der Fallsgestalt der Schöpfung sind. Degeneration des Erbguts und Aussterben von Arten können als Folgen des Sündenfalls angesehen werden (wobei letzteres auch im Zusammenhang mit der Sintflut gesehen werden muß). Degeneration des Erbguts wiederum kann zu Organrückbildungen oder organischen Defekten führen. Solche Dinge können nicht als Teile eines “göttlichen Heilsplans” (Mohr) angesehen werden. Man muß sie in biblischer Perspektive vielmehr vor dem Hintergrund des Sündenfalls sehen.
Dritter und vierter Schritt: In der Schöpfungsforschung gibt es im wesentlichen drei Konzepte bzw. Strategien zur Deutung von Organausprägungen, die rückgebildet erscheinen.
1. Zunächst muß daraufhingewiesen werden, daß es methodisch sehr schwierig, wenn nicht unmöglich ist, die Funktionslosigkeit eines Organs oder eine Diskrepanz zwischen Struktur und Funktion nachzuweisen. Möglicherweise hat man bislang an der falschen Stelle gesucht und noch nicht die richtigen Fragen gestellt.123 Viele Organe wurden in der Vergangenheit in der Tat in ihrer Funktionsweise falsch eingeschätzt, so daß die Liste rudimentärer Organe erheblich gekürzt wurde. Das sollte vor voreiligen Schlußfolgerungen warnen.124
Dennoch gibt es durchaus Argumente dafür, daß eingeschränkte Funktion oder eine Diskrepanz von Struktur und Funktion vorliegt. Solche Argumente können aber nur in Verbindung mit einer erklärenden Theorie oder einer Abstammungsvorstellung vorgebracht werden. Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts sei ein Beispiel genannt: Der Funktionsw/fwf von Organen wird oft im Hinblick auf Vergleiche mit homologen Organen (vgl. Abschnitt 5.5.6) begründet: Wenn verwandte Organismen ein im betrachteten Organismus rudimentäres Organ
in strukturell voll ausgeprägter Weise besitzen, wird eine Degeneration angenommen. Der Funk-tionsver/Mjt als solcher kann nicht festgestellt werden, sondern nur unterschiedlich ausgeprägte Funktionsfähigkeiten homologer Organe verschiedener Organismen. Wenn man von einem Abstammungszusammenhang ausgeht, kann man diese verschiedenen Ausprägungen in eine Abstammungsreihe stellen. Die Basis für die Feststellung einer Rückbildung ist nicht die umfassende Kenntnis der Funktionsweise eines Organs, sondern der Vergleich mit homologen Vollorganen auf der Basis der evolutionstheoretischen Vorgabe. Dieser Vergleich erzwingt jedoch die evolutionstheoretische Deutung durch Rudimentation nicht (vgl. den dritten Punkt weiter unten).
2. Die zweite Deutungsmöglichkeit der Schöpfungslehre besteht in der Annahme, daß durch die veränderten Lebensbedingungen nach dem Sündenfall (und nach der Sintflut) sowie aufgrund der vorhandenen Zerfallstendenz in der gesamten Schöpfung Rudimentationen eintre-ten können. Ein typisches Beispiel für diese Deutungsmöglichkeit sind die bei Höhlentieren beobachteten Rudimentationen.
Höhlentiere zeigen eine Reihe von Rückbildungserscheinungen, die im Zusammenhang mit ihrer besonderen Lebensweise stehen. Die auffälligsten Merkmale sind Reduktion der Augen, Pigmentverlust und Rudimentation des Rumpfkanals bei Fischen. Außerdem werden Verhaltensänderungen beobachtet: stärkere Lichtscheu bei Wasserasseln, Verlust der endogenen Tages-rhythmik, Verlust der Fluchtreaktion bei Freiwerden einer Alarmsubstanz nach Verletzung der Epidermis von Artgenossen und Rückbildung von Verhaltensweisen des Aggressionsver-
123	Vgl. Scadding, Vestigial Organs; Scadding, Scientific evidence\ Junker, Rudimente.
124	Die Funktion des Wurmfortsatzes, wohl das bekannteste Beispiel eines rudimentären Organs, ist die Unterstützungder Funktion der Mandeln bei der Krankheitsabwehr (daher wird er auch als “Dickdarmmandel” bezeichnet), besonders in den ersten Lebensjahren. Die erwähnten Beckenknochen der Wale bilden unverzichtbare Ansatzstellen für die Muskulatur des Darms und der Genitalien. Ausführliche Informationen zur Funktionsweise rudimentärer Organe finden sich in Junker, Rudimentäre Organe.
haltens.125 Beim Salmler Astyanax bleibt das normal angelegte Auge gegenüber seinen oberirdisch lebenden Artgenossen im Wachstum während der Embryonalentwicklung zurück, wird von umgebendem Gewebe überwachsen und unter die Körperoberfläche versenkt. Die Retina zeigt Degenerationserscheinungen, die Linse zerfällt und die Pupille wird durch die Iris verschlossen.
Alle Defekte können durch bloße Degeneration erklärt werden und sind daher im genannten Deutungsrahmen (zweiter Schritt) verständlich.
Als zweites Beispiel dieser Art kann die Form und Funktion des Wurmfortsatzes am Blinddarm des Menschen genannt werden. Der Wurmfortsatz ist nicht funktionslos (s. Anm. 124), doch könnte er früher “besser funktioniert haben”.
Nicht alle als rudimentär eingestuften Organe können in dieser Weise gedeutet werden (andere Fälle folgen unter 3.). Daher stellt sich die Frage nach einem Kriterium, wann die Deutung durch Degeneration (also durch tatsächliche Rudimentation) im Schöpfungsmodell zutreffen kann. Die Antwort darauf wird aus dem Grundtypmodell (Abschnitt 5.5.1) entwickelt. Danach werden diejenigen biologischen Arten (Biospezies) als abstammungsmäßig verbunden betrachtet, die direkt oder indirekt durch Kreuzungen verbunden sind, wobei nur gefordert wird, daß das Kreuzungsprodukt wenigstens die Embryonalentwicklung beginnt. Auf dieser theoretischen Grundlage bietet sich an, immer dann echte Rudimentation anzunehmen, wenn innerhalb eines Grundtyps Arten mit einem rudimentären Organ und dem betreffenden homologen Vollorgan Vorkommen, wenn also nach dem Grundtypkriterium ein genealogischer Zusammenhang zwischen diesen Arten (bzw. Rassen) besteht. Ein Organ ist also dann als tatsächlich rückgebildet zu betrachten, wenn zum selben Grundtyp gehörende Arten ein homologes Vollorgan besitzen. Dieses Kriterium betrifft nicht nur das untersuchte rudimentäre Organ und homologe Vollorgane, sondern auch davon unabhängige Befunde. Die Sicherheit, mit der nach diesem Kriterium ein Organ als rudimentär eingestuft wird, hängt davon ab, ob eine gemeinsame Grundtypzugehörigkeit festgestellt werden kann.126
3.	Die dritte Deutungsmöglichkeit greift in den Fällen, wo eine Rückbildung im Grundtyprahmen ausgeschlossen ist. Das ist dann der Fall, wenn entfernter verwandte Organismen, die nicht zum selben Grundtyp gehören, teilweise ein rudimentäres, teilweise jedoch ein homologes Vollorgan besitzen. In solchen Fällen kann man im Rahmen der Schöpfungslehre in der Regel davon ausgehen, daß das rudimentäre Organ gar keine tatsächliche Rückbildung erfahren hat, sondern (im wesentlichen) in der Vorgefundenen Form geschaffen wurde. Hier zielt die Schöpfungsforschung darauf ab, die Theoriegeleitet-heit der evolutionstheoretischen Deutung herauszustellen und die Möglichkeit (nicht die alleinige!) einer schöpfungstheoretischen Deutung hervorzuheben. Ein typisches Beispiel soll auch hier die Deutungsweise illustrieren:
Die Abdominalknochen der Walartigen
Alle Walartigen (Wale, Delphine) besitzen ein Paar stabförmiger Knochen in ihrem Körper, versteckt zwischen Muskelgewebe. Einige Walarten besitzen außerdem noch ein oder zwei weitere Knochenpaare, die mit den Abdominalknochen verbunden sind, so z. B. der Grönlandwal. Der Walforscher Arvy schreibt über diese Knochen: “Dieser ‘Gürtel’ besteht aus einem einzigen Knochenpaar, das sich im hinteren Abdomen auf beiden Seiten der Mittellinie des Körpers befindet. Der Knochen ist vergleichsweise klein. ... Er ist unter den Muskeln und Sehnen versteckt, so daß er - besonders bei kleinen Cetaceen [Walartigen] - oft unbemerkt
125	Vgl. Junker, Rudimentäre Organe 30ff.
126	Als zusätzliches untergeordnetes Kriterium kann auch noch die Lebensweise der untersuchten Formen herangezogen werden: Vielfach haben Arten mit einem rudimentären Organ fast dieselbe ökologische Nische inne wie verwandte Arten ohne Rudiment, so z. B. der flugunfähige Inselkormoran, dessen ökologische Nische mit der der flugfähigen anderen Kormorane im Wesentlichen identisch ist, oder die bereits erwähnten Höhlenfische. Dagegen ist der ebenfalls flugunfähige auf Neuseeland lebende Kiwi taxonomisch isoliert; d. h., er besitzt keine nahen Verwandten unter den Vögeln. Es gibt keine flugfähigen Vögel, die zum selben Grundtyp gehören wie die Kiwis, weshalb nach dem o. g. Kriterium die Stummelflügel des Kiwi im Schöpfungsmodell nicht als rudimentär klassifiziert werden können.
bleibt, wenn nicht sorgfältig nach ihm gesucht wird.”127 Bemerkenswert ist, daß der Abdominalknochen bei manchen Arten eine Gelenkhöhlung aufweist, in welcher der eine der beiden weiteren Knochen sitzt. Damit ist eine Ähnlichkeit mit dem Becken- und Extremitätenskelett der Landsäugetiere offensichtlich. Die Knochen sind nicht funktionslos, denn sie bieten Muskeln des Verdauungs- und Genitalbereichs Ansatzstellen (das gilt auch für die Beckenknochen der Landsäugetiere, die darüber hinaus natürlich noch weitere Funktionen haben). Die zur Beinlokomotion gehörige Muskulatur fehlt völlig,128 tritt aber bei sehr selten vorkommenden Atavismen auf. Die Knochen sind also als Ansatzstellen für diverse Muskulatur lebenswichtig. Soweit die wichtigsten vorliegenden Befunde.
Im Rahmen der Schöpfungslehre kann man diese Strukturen nicht wie in den vorigen Beispielen im Sinne einer Degeneration deuten, denn das hieße, daß die Wale früher Hinterextremitäten gehabt hätten, die sie im Laufe der Zeit dann verloren haben. Doch wäre unverständlich, weshalb die Wale diese ohne Änderung der Lebensweise verlieren konnten. Will man die Beckenknochen der Walartigen als “Rest” deuten, kann man kaum umhin, sie als Rest einer Landextremität anzusehen, wie es die Evolutionstheoretiker tun (s. u.). Das würde aber bedeuten, daß die Vorfahren der Wale Landsäugetiere gewesen wären und mit dem Übergang ins Wasserleben eine tiefgreifende Umwandlung erfahren hätten, die bei weitem nicht mikroevo-lutiv (im Sinne des Ausschöpfens einer schöpfungsgemäß vorgegebenen Variationsspanne) erklärbar wäre. Wir hätten es zweifellos mit einem mafcraevolutiven Schritt zu tun.
Das Argumentationsschema der Evolutionstheorie lautet also folgendermaßen: Die abdominalen Knochen sind rückgebildete Beckenknochen (bei manchen Arten finden sich auch Extremitätenknochenrudimente). Sie waren für die Lebensweise im Wasser nicht mehr in der ursprünglichen Weise erforderlich oder in mancher Hinsicht sogar hinderlich und konnten daher degenerieren. Sie sind aber nicht völlig verschwunden, weil Teilfunktionen erhalten blieben oder verstärkt wurden (z. B. als Ansatzstelle für die
bei Walen stark ausgebildete Aftermuskulatur). Die Homologie (Bauplanähnlichkeit) derStruk-turen wird durch die Lage begründet (im Falle des Grönlandwals auch durch die spezifische Qualität von Knochenteilen — Gelenkhöhlung!). Auf Knochen im Beckenbereich kann der Organismus “Wal” zwar nicht verzichten (sie sind lebensnotwendig), da aber diese Knochen sich an der entsprechenden Stelle wie die Beckenknochen der Landwirbeltiere befinden, kann man dies als durch Abstammung bedingte Ähnlichkeit interpretieren.
Damit wird aber deutlich, daß das Argument für die Deutung durch Rudimentation nicht durch die Funktionsweise des betreffenden Organs begründet wird, sondern durch einen Ähnlichkeitsvergleich. Letztlich gilt, was Scadding herausgestellt hat, daß rudimentäre Organe über die Feststellung ihrer Homologie mit Vollorganen anderer Arten hinaus keine Beweiskraft für die Evolutionslehre haben.129 Homologien können jedoch, wie im vorigen Abschnitt erläutert, auch durch Schöpfung erklärt werden. In unserem Beispiel bedeutet dies: Die Abdominalknochen der Walartigen wurden im wesentlichen in der heute vorliegenden Form geschaffen. Sie haben eine artgemäße Ausprägung, und das bedeutet für einen Wal eine vergleichsweise rudimentäre Ausprägung im Vergleich mit Bek-kenknochen von Landsäugetieren. Eine Deutung durch Evolution ist weder erforderlich noch zwingend, wenn auch möglich. Die gestaltliche Ausprägung der Abdominalknochen ist auch im schöpfungstheoretischen Rahmen verständlich. Der Lebensweise von Walen und Delphinen ist es angemessen, kleine Abdominalknochen zu besitzen.
Wichtig ist, daß in der Schöpfungsforschung auf die Ganzheit der Organismen besonderer Wert gelegt wird (resultierend aus dem Schöpfungsbericht, wonach die Lebewesen nach ihrer Art geschaffen wurden). Für die Bewertung rudimentärer Organe ist dies insofern von Bedeutung, als Organe nicht primär durch den Ver-
127	Arvy, Cetacean girdles 180.
128	Deimer, ExtremitätengürteL
129	Scadding, Vesligial Organs, Scadding, Scientific evidence.
gleich mit Homologorganen anderer Organismen verstanden werden sollen, sondern im Zusammenhang des Organismus-Ganzen. Ein Vergleich isolierter Organe wird der Realität der Organismen nicht gerecht. Organe müssen primär im Gefüge des ganzen Organismus verstanden werden. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Abdominalknochen der Walartigen gesehen werden. Ihre Funktionsweise ist der Lebensweise der Walartigen angemessen, sie brauchen für ihre Lebensweise keine größeren Abdominalknochen, wie das bei den Landsäugetieren der Fall ist. D. h., man braucht keine evolutionäre Geschichte anzunehmen, um die Struktur und Funktion dieser Knochen verstehen zu können.
5.5.8	Schlußfolgerungen
Aus den erläuterten Beispielen wird deutlich, daß die biblische Offenbarung über das Handeln Gottes vor allem für die historischen Wissenschaften sowie die Humanwissenschaften (im weiten Sinne) relevant sind, weniger dagegen für Strukturwissenschaften und den Bereich der Naturwissenschaften, in dem es um die Erforschung von Gegenwartsprozessen geht (z. B. Aufbau des Weltalls, Eigenschaften der Elementarteilchen, Stoffwechselmechanismen der Lebewesen und dergleichen). Diese Erkenntnis hat auch Konsequenzen für die Frage, ob die Bibel ein bestimmtes Weltbild vertrete. Wenn mit “Weltbild” die Struktur und das Funktionieren unserer Welt gemeint ist, wie sie durch Beobachtung und Experiment zu ermitteln sind, wird man dies verneinen können. Dagegen ist biblisch gesehen eine bestimmte Geschichtsschau wesentlich; die “großen Taten Gottes” (Apg 2,11; Ps 78,7) haben besondere Bedeutung: in der Schöpfung, im Gericht, in Führungen seines Volkes, in der Erlösung und Vollendung. Die Taten Gottes werden aber in der Sprache der sinnlichen Wahrnehmung oder in poetischer Form (also “unwissenschaftlich”) beschrieben und sind damit für jeden verstehbar. Aus diesem Grunde erlaubt somit die verwendete Sprache keinen
Rückschluß auf ein biblisches Weltbild, weder im Sinne einer Verwerfung noch einer Bestätigung.
Zusammenfassend soll zunächst noch einmal betont werden, daß es den biblischen Autoren auf das Geschichtshandeln Gottes ankommt. Daraus folgt, daß die Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit dem Menschen und der Geschichte der Schöpfung befassen, die biblischen Berichte zugrundelegen müssen. Um im einzelnen abzuklären, was dies konkret bedeutet, muß exegetische Arbeit geleistet werden: Beachtung des Kontextes und der Textgattung, Berücksichtigung des heilsgeschichtlichen Zusammenhanges, Verwertung philologischer Kenntnisse.
Unter Berücksichtigung der “biblischen Randbedingungen” werden dann Theorieentwürfe entwickelt, indem die wissenschaftlichen Daten in einen Zusammenhang mit diesen Rahmengegebenheiten gebracht werden.
Wie hier vorgegangen wird, wurde anhand einiger Beispiele verdeutlicht. In vier Schritten werden zunächst Prämissen vom biblischen Zeugnis her hinterfragt, die in bestehende Theorien und historische Rekonstruktionen einge-hen. Widersprechen diese Denkvoraussetzungen biblischen Glaubensinhalten, sind sie durch biblisch vertretbare Prämissen zu ersetzen. Unter Beachtung dieser Prämissen werden Theorien und historische Rekonstruktionen entwickelt, aus denen prüfbare Schlußfolgerungen abgeleitet werden. Im vierten Schritt werden diese aus der Theorie abgeleiteten Sachverhalte empirischen Tests unterzogen.
Auf diese Weise sollen und können die biblischen Berichte nicht bewiesen werden. Die biblisch begründeten Modellbildungen bilden keinen Glaubensersatz. Das wird daran deutlich, daß — wie jede Wissenschaft — auch die biblisch motivierte und begründete Wissenschaft mit Glauben beginnen muß. Da der biblische Glaube jedoch Anspruch auf Realitätsbezug erhebt, sogar einen umfassenden, muß der Zusammenhang mit der wissenschaftlich erforschbaren Wirklichkeit hergestellt werden.
5.6	Einwände
Mit den in Abschnitt 5.4 genannten hermeneutischen Grundsätzen für eine biblisch begründete Wissenschaft können unzutreffende Vorstellungen über die Schöpfungsforschung korrigiert werden. Einige Beispiele sollengenanntwerden:
5.6.1	Einwand: Das Wort Gottes wird zur wissenschaftlichen Theorie ausgebaut
Die Vorstellung, Gottes Wort werde zu einer wissenschaftlichen Theorie ausgebaut, ist nicht gemeint. Sie ist nach dem bisher Gesagten inadäquat. Der biblischen Überlieferung können nur grobe Rahmendaten entnommen werden, die Basissätze für eine historische Rekonstruktion motivieren. Sie geben Anhaltspunkte, die in Basissätze wissenschaftlicher Theorien eingehen können (z. B. Einschnitte in der Weltgeschichte: Sündenfall, Sintflut, Zerstreuung der Menschheit nach dem gescheiterten Versuch des Turmbaues zu Babel u. a.). Für konkrete Theoriebildung werden hier lediglich die Eckdaten geliefert. Nicht zufällig gibt bzw. gab es “bibeltreue” Theorien zur Erdgeschichte, die in sehr unterschiedlicher Weise die Sedimentgesteine mit der Sintflut in Verbindung bringen (vgl. Abschnitt
5.5.3). Die Unterschiedlichkeit der Modelle liegt nicht in Irrtümern in der Auslegung der biblischen Texte begründet; vielmehr läßt der aus der Bibel gewonnene Modellrahmen sehr viel Spielraum für unterschiedliche Rekonstruktionsmöglichkeiten.
5.6.2	Einwand: Der Glaube soll intellektuell gestützt oder bewiesen werden
Das Bemühen, Aussagen der historisch verstandenen biblischen Ur- und Heilsgeschichte (im Sinne von Abschnitt 1.1) in eine Beziehung zu den Daten der Geschichtswissenschaften (auch im Bereich des Kosmos und der außermenschlichen Organismenwelt) zu bringen, wird mit dem
Einwand kritisiert, man wolle damit den Glauben intellektuell stützen oder sogar beweisen. Damit werde der Glaube durch Wissen130 ersetzt und gleichzeitig angreifbar. Denn wenn Aussagen des Glaubens als Basissätze in wissenschaftliche Theorien eingehen, würde mit den darauf konstruierten Theorien auch die Glaubensbasis angreifbar werden. In diesem Sinne hat sich beispielsweise Hemminger geäußert.131 Er versteht beispielsweise den Sintflutbericht nur bildlich132 und entzieht ihn so der Angreifbarkeit.
Daran ist richtig, daß der christliche Glaube angreifbar ist. Es liegt in der Natur jedes geschichtsbezogenen Glaubens, daß er intellektuell in Frage gestellt werden kann. Die Ereignisse in der Geschichte der Welt, die biblisch als Ausdruck (“Spuren”) des Handelns Gottes interpretiert werden, lassen andere Deutungsmöglichkeiten offen. Wenn der Glaube jedoch keine Bezüge zur realen Welt und ihrer Geschichte aufweisen würde, könnte er auch nicht mit rationalen Argumenten oder wissenschaftlichen Daten hinterfragt werden. Daher ist fraglich, ob ein unangreifbarer Glaube überhaupt einen Bezug zur realen Welt und Geschichte (außerhalb der Psyche des Menschen) hat. Die Möglichkeit, daß der biblische Glaube angegriffen wird, ist unvermeidlich. Dies wird schon in den Evangelienberichten deutlich, insbesondere in den Zeugnissen über die Auferstehung Jesu. Der Realität dieses Ereignisses wurde von Anfang an mit rationalen Argumenten widersprochen. Wäre Auferstehung eine Realität, die sich nur im Bewußtsein von Menschen ereignet, bliebe sie einer Kritikmöglichkeit entzogen. (In 1 Kor 15 wird die Historizität der Auferstehung gerade mit ihrer geistlichen Bedeutung verknüpft.)
Durch Schöpfungsforschung ist zwar eine intellektuelle Stützung des Glaubens möglich, dies ist aber nicht die Motivation dafür. Ein Beweis
130	Zum Begriff “Wissen” vgl. Anm. 9 in Abschnilt 5.1.
131	Hemminger, Kreationismus 41.
132	Ebd. 37ff.
schöpfungstheoretischer Modelle wird dagegen keineswegs angestrebt. Vielmehr impliziert der Glaube eine von Gottes Wort her bestimmte Sichtweise von der Schöpfung und ist Ausgangs-punkt des Denkens und Forschens, nicht deren Ziel. Und da der Glaube auch nach den Fakten dieser Welt fragt, resultiert daraus eine sehr konkrete Schöpfungsforschung und -lehre. Dabei kann die so verstandene Schöpfungslehre andere Sichtweisen wie die evolutionäre neben sich dulden. Die Evolutionsanschauung muß nicht mit naturwissenschaftlichen Daten oder Argumenten widerlegt werden.133 Es genügt der Nachweis, daß die Evolutionsanschauung nur eine mögliche Interpretation wissenschaftlicher Daten liefert, jedoch keine zwingende; die Feststellung der Offenheit der fachwissenschaftlichen Diskussion über Ursprungs- und Geschichtsfragen reicht aus. Die Notwendigkeit der Interpretation wissenschaftlicher Daten (des “Wissens”) aus der Sicht eines bestimmten Glaubens bleibt bestehen; der Glaube wird daher keinesfalls durch Wissen ersetzt.
Zu dieser Problematik hat sich ähnlich wie Hemminger auch Lengsfeld geäußert. Er argumentiert in bezugauf die Frage nach der Realität eines historischen Urstandes und Sündenfalls: “Dem historisch-biologisch verstandenen Monogenismus, der Historizität des Sündenfalles und des Urstandes ist zumindest nicht der gleiche Grad von wissenschaftlich verifizierbarer Gewißheit eigen, den man sonst hat und erwartet, wenn Aussagen über historische Zustände und Ereignisse oder biologische Tatbestände gemacht werden.”134 Dem kann man zustimmen, wenn damit ein Zusammenhang mit historischen Begebenheiten nicht grundsätzlich geleugnet wird. Es genügt hier ein “Denkmöglich”.135 Doch scheint Lengsfeld diesen Zusammenhang gerade vermeiden zu wollen, wenn er weiter ausführt, daß diese historischen oder biologischen Postulate biblische Aussagen nicht glaubwürdiger machen, sondern das Tor zu Zweifeln mannigfacher Art öffnen. Letztlich liegt hier wie bei Hemminger eine subtile Art der Entflechtung von Glauben und Wissen vor. Der Glaube wird vom Wissen getrennt. Wenn Gott aber in der Geschichte konkret gehandelt hat und weiter handelt, dann
sind die Spuren dieses Handelns Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Diese kann aber mit ihren Methoden nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, die auf der Basis der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisweise grundsätzlich bezweifelbar sind. Zweifel dieser Art begleiten also notwendigerweise einen realitätsbezogenen Glauben. Wenn Lengsfeld dagegen “auf unbewiesene historische und biologische Postulate verzichten” will,136 verzichtet er auf den Realitätsbezug des christlichen Glaubens.
Abb. 7 soll den Zusammenhang zwischen der biblischen Überlieferung und den durch sie motivierten und darauf basierten historischen Rekonstruktionen der Schöpfungsforschung verdeutlichen. Mit der Grundtypenbiologie soll dieses Vorgehen anhand eines konkreten Beispiels nochmals veranschaulicht werden (vgl. Abschnitt
5.5.1). Ausgangspunkt (1) sind die biblischen Texte (hier: das Zeugnis, daß Gott Tiere und Pfanzen “nach ihrer Art” geschaffen hat, sowie sonstige biblische Angaben über die “geschaffenen Arten” ( J'D ); außerdem weitere Schöpfungstexte). In der Schöpfungsforschung wird die Verbindlichkeit dieser Texte nach einer hermeneutisch verantwortenden Exegese137 für das weitere Vorgehen vorausgesetzt (2). Bei diesem Schritt dürfen naturwissenschaftliche Theorien die Auslegung nicht bestimmen. (Im Falle der “geschaffenen Arten” stellt sich, wie in Abschnitt
5.5.1	gezeigt, heraus, daß die biblischen Texte den Artbegriff nicht konkretisieren, so daß hier für den Biologen ein weiter Spielraum der Definitionsmöglichkeiten gegeben ist.) Damit sind noch keine Basissätze für historische Rekonstruktionen gewonnen. Die (unbeweisbaren) Basissätze sind jetzt unter Beachtung des exegetischen Interpretationsspielraums aufzustellen (3). Mit den Basissätzen wird eine bestimmte Auslegungsmöglichkeit festgelegt. (In der Grund-
153 Freilich gibt es zahlreiche Daien und Argumente, die die Evolutionsanschauung unplausibel erscheinen lassen 134 Lengsfeld, Adam und Christus 231.
133 Zum Begriff s. Abschnitt 4.7.1.1.
136	Lengsfeld, a. a. O. 235.
137	Vgl. Maier, Hermeneutik.
Abb. 7 (Erläuterungen im Text)
typenbiologie wird die getrennte Erschaffung flexibler und variabler “Grundtypen” vorausgesetzt, die nach dem Grundtypkriterium erkennbar sein sollen.) Die Basissätze sind zwar nicht beweisbar (vgl. Abschnitt 1.4), müssen aber Schlußfolgerungen erlauben, die aus ihnen abgeleitet werden können und einer Prüfung anhand empirischer Daten zugänglich sind (4). (In unserem Beispiel heißt eine Schlußfolgerung, daß bei Anwendung des Grundtypkriteriums verschiedene Grundtypen scharf voneinander abgrenzbar sind.) Diese Prüfung ist durchzuführen (5). Werden die Schlußfolgerungen bestätigt (6a), können die zugrundegelegten Basissätze beibehalten werden; sie sind damit nicht falsifiziert, aber auch nicht bewiesen worden; in Abschnitt 1.4 wurde dargelegt, weshalb ein Beweis prinzipiell nicht möglich ist. Schon aus diesem Grund ist es wissenschaftstheoretisch geurteilt widersprüchlich und polemisch, der Schöpfungsforschung vorzuhalten, sie strebe einen Beweis biblischer Aussagen an. Erst recht bedeutet die Nicht-Widerlegung der schöpfungstheoretischen Basissätze keinen Beweis der zugrundeliegenden biblischen Überlieferung. Allerdings bietet die Bewährung schöpfungstheoretischer Modell-
bildungen durchaus eine Stütze für die Glaubensinhalte, die der Glaube zwar nicht notwendig hat, aber auch nicht zu verachten braucht.
Fällt die Prüfung negativ aus (6b), bedeutet das nur, daß das schöpfungstheoretische Postulat zu modifizieren oder zu ersetzen ist; die biblischen Aussagen sind damit jedoch nicht widerlegt. Vielmehr sind jetzt unter Beachtung des Auslegungsspielraums (7) neue Basissätze zu entwickeln. Die Glaubensinhalte werden dadurch nicht direkt angegriffen. Es ist freilich möglich, daß die historischen Bezüge von Glaubenssätzen unplausibel erscheinen.
5.6.3	Einwand: Die Schöpfungsforschung entzieht naturkundlich verstandene Aussagen der Bibel der Erfahrungskritik
Wie bereits ausgeführt, werden nicht einfach biblische Aussagen an die Basis von wissenschaftlichen Theorien oder gar mit empirischen Daten auf eine Ebene gestellt, sondern aus dem biblischen Zeugnis bestimmte Sätze gewonnen, die als Axiome (unbewiesene Basissätze) für wissenschaftliche Theorien verwendet werden können.
Ein vergleichbares Verfahren wendet jede Wissenschaft an. Im Wissenschaftsprozeß werden dann die erarbeiteten Theorien der Erfahrungskritik ausgesetzt. Das gilt auch für schöpfungstheoretische Entwürfe. Beispielsweise wird ausdrücklich eingeräumt, daß die spezielle Formulierung des Grundtypkonzepts ein Fehlweg sein könnte.
Weiter ist wichtig: Man muß unterscheiden zwischen dem biblischen Wortlaut (z. B. “ein jedes nach seiner Art”) und dem daraus abgeleiteten Basissatz einer wissenschaftlichen Theorie (z. B.: “Die Stammformen aller Lebewesen waren komplex”; vgl. den dritten Schritt in Abschnitt
5.5.1). Auch letzteres muß in der Schöpfungsforschung kritisierbar bleiben.
Man muß also unterscheiden zwischen der biblisch-glaubensgemäßen Motivation von Prämissen und den Prämissen selbst, die zur Grundlage der schöpfungstheoretischen Modellbildung gewählt werden. Diese Prämissen werden wie in den sonstigen Wissenschaften der Kritik durch empirische Daten und alternative Hypothesen unterzogen. Müssen solche Prämissen revidiert werden, ist auch eine Rückfrage an den Bibeltext und das Bibelverständnis angebracht, aber nicht mit der Möglichkeit, die Interpretation der Bibeltexte von diesen Ergebnissen her zu diktieren. Das Ergebnis eines solchen Rückfragens könnte sein, daß eine Zusammenschau biblischer Aussagen und wissenschaftlicher Theorien nicht möglich ist. Da die biblische Überlieferung einen Realitätsbezug zu der Wirklichkeit, die Gegenstand auch wissenschaftlicher Untersuchung ist, aufweist, muß das biblische Zeugnis dieser Konfrontation ausgesetzt werden. Alles andere hieße, den Glauben in einen unangreifbaren, von der empirischen Realität enthobenen Bereich abzuschieben.13*
Zusammenfassend kann man sagen, daß der Unterschied zwischen der Schöpfungsforschung und der herkömmlichen Wissenschaft darin besteht, daß der biblischen Überlieferung soviel Realitätsbezug zugestanden wird, daß auch die historischen Wissenschaften die Aussagen der Bibel berücksichtigen müssen. Alles andere hieße, die biblische Botschaft aus einem wichtigen Bereich
der Realität auszuklammern, und das entspräche nicht der Tatsache, daß die ganze Welt Schöpfung in heilsgeschichtlicher Bestimmung ist. Die inhaltlichen Vorgaben, die biblischen Texten entnommen werden, dürfen den exegetisch zu erhebenden Auslegungsspielraum nicht verlassen und müssen an der Erfahrung geprüft werden.
Was geschieht aber, wenn die Prüfung negativ ausfällt? Darauf kann nicht pauschal geantwortet, sondern es muß von Fall zu Fall geprüft werden, indem das ganze Konzept in den Blick genommen wird. Denn ein Detail entscheidet nicht über das Ganze. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept dafür, wann Falsifikation oder Ex-haustion einer Theorie die angemessene Strategie ist.139 Zum Beispiel: Wenn nach gegenwärtigem Kenntnisstand der Biologie im Rahmen der Schöpfungslehre nur darüber spekuliert werden kann, wie die Süßwasserfische die Versalzung während der Sintflut überleben konnten,140 so
,J* Esist übrigens “empirisch” falsch, daß, wie Gegner der Schöpfungsforschung immer wieder behaupten, alle Wissenschaften nicht nur ihre Ergebnisse und Theorien, sondern auch ihre Voraussetzungen der Kritik unterwerfen. Wohl kaum ein überzeugter Evolutionstheoretiker stellt das “Faktum der Evolution" (nicht eine spezielle Variante) zur Diskussion. Dies hat zur Folge, daß widersprechende Daten nicht zur Hinterfragung der Voraussetzungen führen (vgl. Spinner, Pluralismus). Solche Daten wurden in großer Zahl in Ilues, Jahrhundertirrtum; Junker & Scherer, Entstehung-, Kahle, Evolution-, W. Kuhn, Stolpersteine; Lonnig, Artbegriff, Scherer, Probleme; Shapiro, Schöpfung, Vollmert, Molekül u. a. zusammengestellt.
139	Spinner, Pluralismus 82.
140	Eine Erklärung dafür, wie Süßwasserorganismen die Versalzung während der Sintflut überlebt haben, könnte in folgender Richtung gesucht werden: Nach dem Grundtypkonzept sind die geschaffenen Formen, die Grundtypen, mit einer programmierten Variabilität und einer großen Flexibilität (Modi-fikabilität) ausgestattel worden. Ursprünglich könnte so jedem wasserlebenden Grundtyp die Fähigkeit zu eigen gewesen sein, ein weites Spektrum an Salzgehalt tolerieren zu können. Die heutige (mehr oder weniger obligatorische) Anpassung an Süß- oder Salzwasser wäre danach ein sekundärer Zustand der Spezialisierung und Flexibilitätseinschränkung. Modifikationen können durch Verlustmutationen dadurch fixiert werden, daßein Teil des Modifikationsspektrums verloren geht (Lonnig, Artbildung 473, 586-588). In konstanten Umwelten (z. B. bei dauerhafter Lebensweise im SUßwasser) können Einschränkungen der Modifikationsmöglichkeiten ohne Auslesenachteil verkraftet werden (ein Fisch, der immer im Süßwasser lebt, kann den Verlust der ursprünglichen Fähigkeit, auch Salzwasser zu tolerieren, unbeschadet ver-
kann dieses Detailproblem alleine nicht das ganze Gebäude in Frage stellen. Nicht anders ist es bei der Evolutionslehre. Auch hier denkt kein Evolutionstheoretiker daran, zugestandenermaßen im eigenen Modell ungelöste Probleme zum Anlaß zu nehmen, über die Evolutionslehre grundsätzlich nachzudenken.
5.6.4	Einwand: In der Schöpfungsforschung stehen die Ergebnisse von vornherein fest
Ergebnisse stehen in der Schöpfungsforschung nicht von vornherein fest. Es werden wie in jeder Wissenschaft Basissätze vorgegeben, die nicht empirisch begründet werden können, sondern proto-historischer bzw. meta-naturwissenschaftlicher Art sind. Daß beispielsweise die Welt Schöpfung ist und durch direkte Schöpfungsakte (im Sinne eines historischen Verständnisses von Gen 1, vgl. Abschnitt 1.1) entstanden ist, kann durch Naturwissenschaft weder bewiesen noch widerlegt werden. Der Satz “Die Welt ist Schöpfung” kann folglich nur als Axiom bzw. als Glaubenssatz akzeptiert oder verworfen werden. Auch der Sündenfall-Umbruch und das Sintflutgericht sind Gegebenheiten, die in der Schöpfungsforschung nicht hinterfragt werden, aber auch durch die Erfahrungswissenschaften weder bewiesen noch widerlegt werden können.
Daraus folgt, daß in der Schöpfungsforschung nicht etwa Glaubenssätze an die Stelle möglicher naturwissenschaftlicher Theorien gesetzt, sondern daß biblische Glaubenssätze anstelle unbi-blischerAnschauungen gewählt werden (vgl. Abschnitt 1.4).
Im übrigen muß auch hier an die Adresse der Evolutionstheoretiker rückgefragt werden, welcher Evolutionsforscher heute die “Tatsache der Evolution” an sich zu falsifizieren versucht. Es werden zwar - namentlich in den letzten anderthalb Jahrzehnten - immer wieder neue Evolutionstheorien publiziert, die bisher Unverstandenes erklären sollen, aber dies alles geschieht ohne jede kritische Rückfrage, ob Evolution wirklich eine umfassende Realität ist. Dies zeigt eindrucksvoll, daß das Evolutionsprinzip ein metaphysisches Rahmenparadigma ist, das dem
üblichen wissenschaftlichen Vorgehen der Hypothesenbildung, -Verwerfung und -Verbesserung bzw. -ersetzung entzogen ist.
5.6.5	Einwand: Ein diesen Äon und seine Frühgeschichte charakterisierendes Verständnis der biblischen Urgeschichte ist aufgrund der wissenschaftlichen Daten nicht haltbar
Zu diesem Einwand ist zweierlei zu sagen:
1.	Keine geschichtliche Rekonstruktion (wie die Evolutions- oder Schöpfungslehre) kann Faktum werden; als solche muß sie immer hinter-fragbar bleiben141, zumal in den historischen Wissenschaften nur Plausibilitätsargumente möglich sind.142 Man kann als Natur- und Geschichtswissenschaftler nicht wissen, wie die Geschichte des Lebens abgelaufen ist, sondern nur vermuten. 143 Dazu werden Theorien entwickelt, die den Datenraum der Gegenwart widerspruchsfrei einzubauen versuchen. Weder die evolutionstheoretische noch die schöpfungstheoretische Deutung kann hier mit Absolutheit vertreten oder zwingend widerlegt werden.
2.	In Teilbereichen existieren alternative schöpfungstheoretische Ansätze,144 womit die Mono-
kraften).
Durch dieses Konzept einer maximalen Flexibilität der geschaffenen Grundtypen können auch andere Probleme einer Lösung nähergebracht werden, die im Zusammenhang mit einer weltweiten Sintflut entstehen. Zwei Beispiele seien dazu genannt:
—	Die Pflanzen konnten das Sintflutwasser möglicherweise mit dadurch Uberstehen, daß es zu ihrem Modifikationsspektrum gehörte, schwimmfähige und lange benetzungstolerante Samen oder Früchte zu bilden (beide Eigenschaften besitzen heute viele, aber nicht alle Früchte).
-	Die Tiere konnten die lange Zeit in der Arche Noah vielleicht dadurch relativ leicht überstehen, weil die Fähigkeit, in eine Schlafphase (Winter- oder Sommerschlaf) überzugehen, Allgemeingut aller Grundtypen gewesen sein könnte.
141	Vgl. Spinner, Pluralismus.
142	Vgl. Steinebrunner, Sturz; Popper, Historizismus Kap. 27; Gutmann & Bonik, Kritische Evolutionstheorie; vgl. Mollen hauer, Erkenntnis 22.
io p0ppER: Alles Wissen ist Vermutungswissen (vgl. Steinebrunner, Sturz).
144 Brandt, Gehirn; Hartwig-Scherer, Ramapithecus; H artwig-Scherer & Scherer, Grundlinien; Junker & Scherer, Entstehung', Junker, Grundtypkonzept; Scherer, Typen; Scheven, Karbonstudien; Scheven,Megasukzessionen.
polstellung der Evolutionslehre weiter zu hinterfragen ist. Schöpfungsforschung, die die in der biblischen Urgeschichte bezeugten Taten Gottes voraussetzt, kann vorliegende Daten plausibel interpretieren und zu neuen Ergebnissen und neuen Fragestellungen führen. Schwer im Schöpfungsmodell interpretierbare Daten können eine Falsifikation nicht zwingend begründen (vgl. Kapitel 1). Solche Daten gibt es ohnehin in großer Zahl auch im evolutionären Deutungsrahmen, was von manchen Evolutionstheoretikern selbst festgestellt wird.145
5.6.6	Einwand: Die schöpfungstheoretischen Forschungsansätze sind wissenschaftlich nicht fruchtbar
Ständen die Ergebnisse der Schöpfungsforschung von vornherein fest (vgl. Abschnitt 5.6.4), wäre sie wissenschaftlich unfruchtbar und belanglos. Dies trifft jedoch, wie gezeigt, nicht zu. Vielmehr hat die Schöpfungsforschung bereits einige Erkenntnisse gebracht, die unter evolutionstheoretischen Voraussetzungen nicht gewonnen worden wären. Beispielsweise konnte gezeigt werden, daß mit dem Grundtypkriterium146 verschiedene “Typen des Lebens” scharf voneinander abgegrenzt werden können. Manche evolutionstheoretisch unerklärte Phänomene können erklärt werden (z. B. die Äquidistanz der Aminosäuresequenzunterschiede des Cytochrom c verschiedener Arten147). Zahlreiche weitere Beispiele könnten angefügt werden.148 Die bisherige Forschung hat darüber hinaus eine Reihe von Fragestellungen eröffnet, die Testmöglichkeiten erlauben und empirisch angehbar sind, so etwa das Konzept einer “programmierten Variabilität”, die Frage nach einem molekularen Korrelat zur Grundtypdefinition u. a. m.149
5.6.7	Einwand: Die biblisch begründete Schöpfungslehre ist eine “andere Naturwissenschaft”
Hemminger behauptet, der “Kreationismus”150 betreibe eine andere Naturwissenschaft und verlasse bewährte Prinzipien. Die Schöpfungs-
forschung mißachte zwar nicht die Empirie, akzeptiere sie jedoch nicht als alleinige Instanz bei der Entscheidung zwischen konkurrierenden Beschreibungen und Erklärungen.151 “Empirisch” bedeute heute nämlich, “daß die Entscheidung zwischen konkurrierenden Beschreibungen und Erklärungen der Natur nur durch die objektive Erfahrung fallen” dürfe.152 Unausgesprochen geht Hemminger davon aus, daß im Falle der Evolutionswissenschaft dieser Grundsatz eingehalten werde: dort entscheide in der Theorienkonkurrenz tatsächlich alleine die Empirie. Doch davon kann nicht die Rede sein. Auch in der Evolutionslehre gehen empirisch nicht begründbare Argumente in den Entscheidungsprozeß ein. Der erkenntnistheoretische Schwachpunkt - wenn es denn einer ist —, der Hemminger dem “Kreationismus” vorwirft, haftet auch der Evolutionswissenschaft an. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen im Vergleich der Theorien die Evolutionsforschung mit nicht-empirischen, metaphysischen Argumenten arbeiten muß, wo die Schöpfungsforschung dies nicht nötig hat, z. B. im Falle der Erklärung der Regelhaftigkeit der Fossillücken; im Falle der Entstehung der ersten lebenden Zelle; im Falle der Evolutionsmechanismen, ebenso im Bereich der Vergleichenden Morphologie (vgl. Abschnitt 5.5.6); weiterhin aber auch im Bereich der Kosmo- und Geowissenschaften. Hier wäre ein umfassender Vergleich notwendig; es dürfen nicht nur einzelne Bereiche gegeneinander abgewogen werden. Ob in einem solchen Vergleich die Schöpfungsforschung gegenüber der Evolutionsforschung als weniger plausible Rekonstruktion erscheint, hat in dieser umfassenden Weise m. W. noch niemand geprüft.
145	Denton, Evolution; Vollmert, Molekül, Dose, Präbiotische Evolution; Shapiro, Schöpfung u. a.
146	Junker & Scherer, a. a. O. Kap. 10; Scherer, a. a. O., Junker, a. a O.
147	Vgl. Denton, Evolution.
118 Aus der kausalen Evolutionsforschung, zur Grundtypenbiologie, im Bereich der Paläontologie sowie im Bereich der Vergleichenden Anatomie.
149	Vgl. Junker & Scherer, a a. O. Kap. 10.
150	Zum Begriff vgl. Anm. 277 in Abschnitt 3.6.2.
151	Hemminger, Kreationismus 3. Vgl. dazu Pannenberg, Creation 7: “Theology has to relate to the Science there is rather than invent a different form of Science for its own use."
152	Vgl. Hemminger & Hemminger, Weltbilder 199ff.
Abgesehen davon spielt die Bewertung der in den verschiedenen Konzepten auftretenden Probleme eine große Rolle. Erfahrungsgemäß neigen Vertreter beider Richtungen dazu, die Probleme des bevorzugten Konzepts zu bagatellisieren und umgekehrt die Schwierigkeiten konkurrierender Modelle besonders hervorzukehren.
Besteht nun also wissenschaftstheoretisch gesehen ein Unterschied zwischen der Schöpfungsund Evolutionsforschung? Ein grundlegender Unterschied besteht darin, daß in der Schöpfungsforschung die biblischen Schilderungen der Urgeschichte als maßgebliche Dokumente der Vergangenheit gewertet werden. Für Evolutionstheoretiker gilt das Umgekehrte. Diese Dokumente werden als nicht-maßgeblich eingestuft. Die Schöpfungsforschung berücksichtigt also nicht nur die Daten, mit denen es die Erfahrungswissenschaften zu tun haben, sondern auch die biblischen Quellen als ebenfalls relevant für die historische Rekonstruktion. In evolutionstheoretischen Entwürfen stehen an deren Stelle naturphilosophische Axiome. In beiden Fällen besteht die Möglichkeit, diese Grundlagen zu hinterfragen. Das Hinterfragen der biblischen Grundlage geschieht dabei durch Exegese und archäologischhistorische Korrelation und darf nicht durch scheinbare Ergebnisse der Evolutionslehre diktiert werden.
Wie bereits erläutert wurde, werden nicht einfach biblische Aussagen wortwörtlich als Basissätze wissenschaftlicher Theorien gewählt (vgl. Abb. 7, S. 242). Denn die Bibel spricht keine wissenschaftliche Sprache. Vielmehr werden aus dem biblischen Zeugnis solche Axiome abgeleitet (vgl. Abschnitt 5.4). Die den schöpfungstheoretischen Modellbildungen zugrundeliegenden Axiome sollen also dem Zeugnis der Bibel entsprechen. Beispiele wurden in Abschnitt 5.5 ausführlich geschildert.
Zur Behauptung, die Schöpfungsforschung verlasse bewährte Prinzipien der Naturwissenschaft, sei daran erinnert, daß Schöpfungsforschung so wenig wie Evolutionsforschung “Naturwissenschaft” im üblichen Sinne ist. Denn Naturwissenschaft im engeren Sinne ist Gegenwartsanalyse und bemüht sich um Theorien über Gegenwarts-
prozesse (kausale Zusammenhänge, “Naturgesetze”; regelhaft ablaufende Vorgänge). In diesem eigentlichen Sinne ist Naturwissenschaft Teil der Schöpfungsforschung und unterscheidet sich - vielleicht von Randfragen abgesehen — gar nicht von der herkömmlichen Wissenschaft. Der Unterschied betrifft fast ausschließlich die Rekonstruktion vergangener Abläufe und der Ausgangsbedingungen, und das hat mit Naturwissenschaft im engeren Sinne erst in zweiter Linie (als Kontrollinstanz) zu tun. Schöpfungsforschung ist also eine andere Geschichtswissenschaft -und zwar eine solche, die die biblischen Bezüge zu geschichtlichen Fragen (auch im Bereich der “Naturgeschichte”) in ihren Rekonstruktionen zugrundelegt.153
Hemminger verwischt den Unterschied zwischen empirischer und historisch rekonstruierender Wissenschaft, indem er darauf verweist, daß letztere es mit komplizierterer Materie zu tun habe als erstere und historische Prozesse daher“schwer,ja gar nicht naturwissenschaftlich erklärbar” seien.154 Er bemerkt weiter, daß auch Gegenwartsprozesse u. U. wegen zuviel unbekannter Faktoren naturwissenschaftlich nicht in den Griff zu bekommen seien. Umgekehrt gebe es historische Prozesse, die sehr wohl naturwissenschaftlich erklärbar seien, nämlich im Bereich der Astrophysik (wobei er offenbar jedoch die Kosmogenese meint). Der Grund liege in der Einfachheit der zu untersuchenden Materie. Man könne hier sogar einen direkten Blick in die Vergangenheit tun, was im Bereich der Biologie nur indirekt möglich sei. Doch in Wirklichkeit ist der Blick in beiden Fällen nur indirekt, denn auch in der Astrophysik liegen nur Momentaufnahmen vor (jetzt meßbare Wirkungen vergangener Ursachen), die interpretationsbedürftig sind. Und damit kommen unweigerlich Prämissen ins Spiel, die meta-naturwissenschaftlich sind. Genaugenommen liegen gar keine Daten aus der Vergangenheit vor, sondern auch hier nur aus der Gegenwart, nämlich die gemessenen Emissionen, z. B. die bekannte Rotverschiebung in
153	Vgl. die Ausführungen zum Theorienpluralismus in Abschnitt 1.4.
154	Hemminger, Kreationismus 8ff.
Sternlichtspektren. Daß sie aus der Vergangenheit stammen, ist empirisch begründbar, aus wie ferner Vergangenheit und aufgrund welcher historischer Prozesse jedoch Interpretationssache, da die ermittelte Rotverschiebung ohne Vorgabe eines Deutungsrahmens nichts über ihre Ursache sagt. Astrophysikalische (kosmogenetische) Theorien sind damit nicht weniger historische Rekonstruktionen als biologische Abstammungstheorien. Momentaufnahmen werden zu einem Gesamtbild unter bestimmten Leitvorstellungen zusammengefügt. Daß den Astrophysikern kosmogenetische Theorien relativ leicht fallen, dürfte übrigens den Grund darin haben, daß man sehr wenig weiß. Je weniger bekannt ist, desto leichter sind konsistente Theorien möglich. Auffallenderweise nehmen gerade in der Astrophysik die Probleme zu, sobald man sich in dem Bereich bewegt, der mehr Daten hergibt: unser eigenes Planetensystem.155
5.6.8	Gottesbild und Gottes Handeln
Die Vorstellung, Gott habe den Kosmos und die Lebewesen in fertiger Form “aus dem Nichts” (“nicht aus dem Erscheinenden” - Hebr 11,3) geschaffen, stößt auf Kritik. Eine solche Schöpfungsmethode laufe auf ein “Handwerker-” oder “Uhrmacher-Gottesbild” hinaus, indem menschliches Schaffen auf Gott übertragen werde (vgl. Abschnitte 3.4.3.1, 4.7 und 4.7.3). So wie ein Gerät nach Abschluß der Herstellung völlig unabhängig vom Handwerker existieren könne, so werde nach der Handwerker-Gott-Vorstel-lung der Schöpfer von seiner Schöpfung getrennt, nachdem er sie fertiggestellt habe. Darüber hinaus wird an diesem Gottesbild kritisiert, es folge aus ihm die Vorstellung, Gott habe auch die Parasiten und Räuber als solche direkt erschaffen und sei damit für das Böse verantwortlich. Beispielsweise ergebe sich die absurde Konsequenz, Gott habe jede der vielen tausend Floh-, Wanzen- oder Lausarten einzeln erschaffen, jede, um ganz spezielle Organismen zu quälen.156
Diese Vorstellung folgt aber nicht aus der hier vertretenen biblisch-heilsgeschichtlichen Ge-
schichtsschau und wird durch sie auch nicht nahegelegt. Vielmehr handelt es sich um eine Unterstellung, die dadurch eine konstruierte Angriffsfläche bietet. Die “Schöpfungsmethode” Gottes kann nicht veranschaulicht werden; jede konkrete Vorstellung ist fehl am Platz. Hebr
11,3	kann als Grundsatz des biblischen Schöpfungsverständnisses angesehen werden: “Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort gemacht worden ist, es sollte eben das jetzt Sichtbare nicht aus dem sinnlich Wahrnehmbaren entstanden sein.”157 Hier wird gerafft ausgesagt, was allenthalben in der Heiligen Schrift über Schöpfung bezeugt wird: Die Welt (eigentlich: “Weltzeiten”) sind durch Gottes Wort gemacht worden. Damit wird bezeugt, daß ein göttlicher Wille hinter der Welt steht. Die Welt ist nicht notwendigerweise im Dasein. Und die Welt ist nicht aus dem Sichtbaren, aus dem sinnlich Wahrnehmbaren entstanden. Das heißt: Die Entstehung der Welt durch die Schöpfung Gottes ist analogielos zu menschlicher Erfahrung. Was “Schöpfung” ist, kann nicht anschaulich mit Begriffen menschlicher Erfahrung ausgedrückt werden. Das göttliche Schaffen ist anders. Erst durch den Schöpfungsakt wird “Material”. Das heute sinnlich Wahrnehmbare, d. h. die sichtbare Welt kann nicht durch innerweltliche Naturgesetzlichkeiten aus Vorstufen abgeleitet werden. Denn wenn eine bestimmte Materiestufe in sich selber die Potenz zur Hervorbringung echter Neuheiten trüge, wäre Gottes Wort zur Hervorbringung des Neuen nicht (mehr) erforderlich, und das Neue träte auf der Basis des schon Vorhandenen auf. Das soll aber gerade ausgeschlossen werden (vgl. Abschnitt 4.7).
Darüber hinaus übersehen die Kritiker der “Handerwerker”-Gott-Vorstellung, daß ein Unterschied zwischen der Welt vor und nach dem Fall gemacht werden muß. Gott hat die Parasiten nicht in der Weise geschaffen, wie sie heute existieren (s. Abschnitt 5.5.2). Die Kritik, daß Gott solche Organismen als Bestandteile der sehr guten Schöpfung gewollt und geschaffen habe,
155 Pailer, Planetenfonchung.
154 Bresch in öffentlichen Vortragen; vgl. Isak, Evolution 398.
1S7	Übersetzung nach Menge.
entfällt damit. Dennoch existieren diese Geschöpfe in ihrer Fallsgestaltigkeit nicht ohne Gottes Willen (vgl. Abschnitt 4.3.2.2). Doch wird die Fallsgestaltigkeit als Ausdruck und Folge des Einbruchs der Sünde in diese Welt verstanden.158
Gottes Beziehung zur Schöpfung nach dem Anfang
Eine besondere Schöpfung am Anfang im Sinne von Hebr 11,3 (vgl. die obigen Erläuterungen) schließt nicht aus, daß Gott auch nach diesem Anfang mit seiner Schöpfung in beständiger Verbindung bleibt und kontingent leitend und schaffend handelt. So ist beispielsweise jeder Mensch eine “Neuschöpfung” bei aller biologischen Kontinuität mit den Eltern. Die Auffassung, Gott sei im Sinne des Deismus nach der Schöpfung von der Welt getrennt, resultiert nicht aus dem Konzept einer besonderen Schöpfung. Es ist nicht einsichtig, weshalb diese Verbindung abbrechen sollte. Eine fertige Schöpfung aus dem Nichts schließt die Notwendigkeit einer beständigen Bewahrung nicht aus. Wie sich Gottes bewahrendes Wirken, der concursus divinus konkret äußert, kann man wie den ursprünglichen Schöpfungsvorgang nicht anschaulich beschreiben. Das ist aber kein Argument gegen die Sicht, daß dieses Handeln beständig notwendig für den Erhalt der Welt ist. (In Abschnitt 4.7.1.1 wurde dies auch für die theistisch-evolutionisti-sche Sicht zugestanden.) In dieser Sicht ist Gott aber auch frei, seine beständige Interaktion mit der Welt durch überraschende Wirkungen zu überlagern, welche naturgesetzlich nicht faßbar sind.159 Man spricht dann von Wundern. Solche Wunder sind aber keine Zauberstückchen und keine Durchbrechungen von Naturgesetzen (vgl. Abschnitt 4.7.1.1, c.), sondern Ausdruck dessen, daß Gott souverän seinem gewöhnlichen, Regelmäßigkeit garantierenden Erhaltungshandeln besondere Wirkungen hinzufügen kann. Um den souveränen concursus divinus denken zu können, ist die Feststellung der kontingenten Offenheit aller Erfahrungswirklichkeit notwendig. Das Neue Testament versteht das vollmächtig-kontingente Handeln Jesu Christi als Zeichen des hereingebrochenen Reiches Gottes.
5.6.9	Zusammenfassung
Kritische Rückfragen an die Schöpfungsforschung betreffen vor allem den Zusammenhang von Glauben und Wissen, die wissenschaftliche Methodik und das Gottesbild. Glauben und Wissen werden in der Schöpfungsforschung unterschieden, aber nicht getrennt. Beides gehört verschiedenen Fragerichtungen an, die aber in einem Verhältnis von “Glaubensvoraussetzung” und “Detailinterpretation” stehen. Das schließt ein, daß Gottes Wort nicht zur Theorie ausgebaut wird, sondern als Motivation für die Entwicklung von Basissätzen dient, welche Grundlagen für Theorien werden können. Da Glaubensinhalte wissenschaftlich unbeweisbare Ausgangspunkte bleiben, kann es auch nicht darum gehen, das Glaubenswissen mit wissenschaftlichen Argumenten zu belegen oder zu beweisen. Eine Stützung von Glaubensaussagen ist jedoch insofern möglich, als eine plausible Zusammenschau von Glaubensinhalten und erforschbarem Wissen die Glaubwürdigkeit biblischer Inhalte unterstreichen kann.
Schöpfungstheoretische Geschichtsrekonstruktionen sind wie andere Konzepte kritisierbar, ihre Ergebnisse stehen nicht von vornherein fest, sie führen in wissenschaftlich fruchtbare neue Fragestellungen, die zu Erkenntnissen führen, die innerhalb anderer Paradigmen nicht gewonnen worden wären. Ein historisches Verständnis der biblischen Urgeschichte kann angesichts der naturwissenschaftlichen Daten vertreten werden, auch wenn zahllose Fragen unbeantwortet sind, insbesondere Fragen nach dem zeitlichem Umfang der Erdgeschichte. Doch auch die konkurrierenden evolutionären Geschichts-
158	Nebenbei sei noch angemerkt, daß auch hier der Grundtypgedanke zu berücksichtigen ist. Den zahlreichen heutigen Para-siten-Anen entsprechen vermutlich vergleichsweise wenige Grundtypen. Die Wirtsspezialisierung ist danach als mikro-evolutive Grundtypdiversinkation zu betrachten.
159	Für dieses geschichtlich unableitbare Handeln wird nicht von
ungefähr das exklusiv für Gottes Schaffen gebräuchliche Nb:	verwendet; vgl. Moltmann, Schöpfung. Auch wenn
Gott in der Geschichte und nicht nur an ihrem Anfang schöpferisch tätig ist, muß dennoch zwischen seinem schöpferischen und erhaltenden Handeln unterschieden werden. Es wäre lediglich verkehrt, die Geschichte nach dem Anfang nur unter dem Begriff des Erhaltens zu fassen.
rekonstruktionen kämpfen mit ungelösten Fragen, die nicht weniger gewichtig sind.
Das Gottesbild der Schöpfungsforschung entspricht nicht einem “Handwerker-Gott”; diese Vorstellung ist lediglich als Karikatur der Gegner zu werten. Denn über die Art und Weise des
Schöpfungshandelns Gottes wird nichts Erfahrungsgesetzliches ausgesagt. Die Notwendigkeit der Verbindung des Schöpfers mit der Welt auch nach der Vollendung der Schöpfung am Anfang wird auch im Rahmen der Schöpfungsforschung hervorgehoben.
5.7	Eine konsistente schöpfungswissenschaftliche historische Rekonstruktion der
Erd- und Menschheitsgeschichte?
Betrachtet man die Bemühungen in den verschiedenen Disziplinen der Naturwissenschaften, Ursprungstheorien zu entwickeln, fallen folgende Punkte auf:
-	Es besteht ein starkes Interesse nach geschlossenen Konzepten, wobei die Welt unter möglichst einheitlichen Gesichtspunkten erklärt werden soll.160
-	Die Modellbildungen eilen den empirischen Belegen weit voraus. Daß sie die Empirie übersteigen müssen, liegt in der Natur der Sache. Ohne Theorien gibt es nur zusammenhanglose und damit aussagelose Daten. Doch ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität hier besonders groß. Dies äußert sich darin, daß zu den betreffenden Problemen oft eine Fülle konkurrierender Theorien vorliegt, deren Zahl eher im Zunehmen als im Abnehmen begriffen ist. Paradebeispiel ist die Kosmologie, die es allerdings auch vergleichsweise schwer hat, Daten zu gewinnen. Ein weiterer Bereich ist die Erforschung der Biogenese, durch die man bisher vornehmlich klären konnte, wie das Leben nicht entstanden ist.161 Im Bereich der biologischen Evolution kann das Mechanismenproblem nicht als geklärt gelten. Zeuge dafür ist die auf diesem Gebiet in den letzten 20 Jahren fast sprunghaft angestiegene Zahl neuer Theorien. Auch die junge Disziplin der Synergetik zeichnet sich in Bezug auf Fragen der Evolution bisher mehr durch programmatische Absichten als durch empirische Belege aus.162
Ist die Schöpfungsforschung die Lösung aus diesen Dilemmata? Ist eine intern und vor allem extern konsistente historische Rekonstruktion der Menschheits-, Organismen- und Kosmosge-
schichte unter biblischen Vorzeichen möglich? Die Ausführungen dieser Arbeit sollen zum einen deutlich gemacht haben, daß die biblischen Schriften zwar nicht zu diesem Zwecke geschrieben wurden, daß aber die biblische Botschaft in ihrer Gesamtheit geschichtlichen Gesamtentwürfen gegenüber nicht neutral ist, weil zentrale Inhalte des christlichen Glaubens nicht aufrechterhalten werden können, wenn die Evolutionsgeschichte wahr wäre.
Aufgrund des biblischen Gesamtzeugnisses können also Ursprungskonzepte durchaus abgewehrt werden, die nicht auf biblisch fundierten Prämissen basieren; doch damit sind eigene Konzepte noch nicht begründet.
Konsistente geschichtliche Modelle können nur dann entwickelt werden, wenn gewisse Gleichförmigkeiten in den Abläufen gegeben sind oder wenn glaubwürdige historische Dokumente (Zeugnisse) über vergangene Geschehnisse vorliegen. Die biblische Urgeschichte erfüllt sehr bruchstückhaft die zweite Bedingung, wenn auch nur mit sehr groben Eckdaten. Aus der biblischen Urgeschichte geht aber auch hervor, daß mit grundlegenden Umbrüchen in der Geschichte gerechnet werden muß, die die erste Bedingung unerfüllbar machen. Am Beispiel der Dis-
Sei es, daß man versucht, die physikalischen Grundkrafte in einer “Grand Unifying Theory” (GUT) auf eine einzige zurückzuführen, sei es, daß Veränderungen im Bereich des Lebendigen wie auch in der leblosen Natur durch ein einheitliches Selektionsprinzip erklärt werden oder daß die menschlichen Verhaltensweisen durch einen einzigen Grundantrieb (z. B. Sexualität oder Aggression) erklärt werden sollen.
141	Dose, Präbiotische Evolution; Shapiro, Schöpfung.
142	Niemann, Selbstorganisation.
kussion um den Sündenfall-Umbruch wurde dies deutlich (Abschnitt 5.5.2). Es ist grundsätzlich nicht möglich, über dieses Datum hinaus heutige Bedingungen fortschreibend zu retropolieren. Es muß zumindest mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß dieser Umbruch alle Aspekte der Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen hat, physikalische “Konstanten” eingeschlossen. Da aber keine konkreten Angaben über mögliche Veränderungen gemacht werden können, liegt an dieser Stelle eine für das Denken und Forschen des Menschen undurchdringliche Schranke vor (protologischer Vorbehalt). Dies könnte zur Folge haben, daß konsistente Geschichts-und Kosmogenesemodelle unmöglich sind, weil wesentliche Daten fehlen und immer fehlen werden.163 Man kann diese Situation so kennzeichnen: Der protologische und (mit Einschränkung) der diluviale Vorbehalt (s. u.) lassen eine konsistente Gesamterklärung der Schöpfung und eine schlüssige Rekonstruktion ihrer Geschichte (möglicherweise) nicht zu.
Eine ähnliche Erkenntnisschranke wie die des Sündenfalls, vielleicht eine etwas “durchlässigere”, ist das Sintflutereignis. Es gibt einige biblische Informationen über die Zeit vor dieser Schranke. Wenn aber die ganze Erde samt ihren Bewohnern durch die Sintflut “vertilgt” wurde (Gen 6ff.), dann sind offenbar die Spuren der vorflutlichen Welt zerstört worden. Dokumente aus dieser Zeit dürften der wissenschaftlichen Erforschung demnach weitgehend unzugänglich sein.164 Durch den Sintfluteinschnitt wurden die Lebensverhältnisse offenbar stark geändert. Das zeigt sich beispielsweise am rapiden Rückgang der Menschenalter. Die Gründe dafür sind unbekannt. Es gibt hierzu nur weitgehend unprüfbare Spekulationen. Auch hier muß die Möglichkeit eingeräumt werden, daß manche “Grundparameter der Umwelt” in einer Weise verändert wurden, daß eine Retropolation über dieses Datum hinaus fragwürdig ist.165
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Worte aus Jer 31,37: “So spricht der Herr: wenn man den Himmel oben messen könnte und den Grund der Erde unten erforschen, dann würde ich auch verwerfen das ganze Geschlecht Israels für all das, was sie getan haben, spricht der
Herr.” Bis zum “letzten” Tag bleibt Gott bei seiner Heilszusage an Israel. Daher sollte man den ersten Teil dieses Spruches umso mehr beherzigen. Er steht pars pro toto für die prinzipiellen Grenzen menschlicher Erkenntnis. “Ursprungsforschung” im Sinne einer Kausaltheorie ist Hybris des Menschen.
Was bedeutet dies für die Schöpfungsforschung? Es bedeutet zunächst nicht, daß die Fragen zum Ursprung unserer Jetztzeit sinnlos wären. Vielmehr sollte die erläuterte Situation zur Vorsicht mahnen und Bescheidenheit bewirken. Eine Globalerklärung der Welt, insbesondere ihrer geschichtlichen Aspekte entzieht sich menschlicher Möglichkeiten. Diesbezügliche Versuche überschreiten unseren jetzigen Erfahrungsraum weit (vgl. oben). Unter diesem Vorzeichen sind jedoch Teilerklärungen - oder besser gesagt: Erklärungsversuche über geschichtliche Abläufe in den genannten Schranken — durchaus sinnvoll. Ein solcher Teilaspekt ist die geschilderte Grundtypenbiologie. Sie stellt den Aspekt des Typgemäßen heraus und versucht, Entwicklungswege im Grundtyprahmen, die nach der Sintflut beschritten wurden, zu rekonstruieren. Die Grundtypforschung setzt nicht etwa in der Schöpfungswoche an, sondern frühestens nach dem Fall. Die Informatik kann den Informationsaspekt des Lebens darstellen und zeigen, daß Leben mehr ist als Physik und Chemie.166 In erdgeschichtlichen Modellen kann der katastro-
143	Vgl. Hawking, Geschichte der Zeit; vgl. dazu auch Beck, Urknall, insbesondere 68ff.
144	Die Karbonwälder oder Tiefseesedimente könnten mögliche Ausnahmen sein, ebenso Organismen, die die Flut in der Arche oder außerhalb (mindestens Pflanzen und Meeresorganismen, vielleicht auch Wirbellose) überlebt haben. Man kann außerdem darüber spekulieren, daß in der Arche auch literarische Quellen mitgeführt wurden; vgl. Papke, Sterne.
145	Hohe Menschheitsalter widersprechen zwar unserer heutigen Erfahrung. Wenn man jedoch bedenkt, daß nicht geklart ist, weshalb es Alterungsprozesse bei den Lebewesen überhaupt gibt, kann aufgrund empirischer Befunde die Möglichkeit wesentlich höherer Alter als der heute erreichbaren nicht ausgeschlossen werden. Möglicherweise gibt es eine Programmierung auf Alterung; sie erscheint jedoch nicht als zwingende Notwendigkeit. Von daher erscheint es grundsätzlich denkbar, daß die Menschen vor der Flut fast tausend Jahre alt werden konnten (vgl. Hartwig-Scherer & Scherer, Grundlinien).
Girr, Energie.
phische Aspekt vieler Abläufe gezeigt werden.167 Im Bereich der Astronomie können ebenfalls katastrophische Szenarien plausibel gemacht werden.168 Diverse Wissenschaftszweige liefern Hinweise auf eine kurze Erd- oder Kosmosgeschichte. Offenbar entgegenstehende Befunde,
die auf allmähliche, zeitintensive Prozesse und hohe Alter deuten, fordern zu weiteren Klärungen auf.
167 Scheven, Karbonstudien; Scheven, Megasukzessionen.
'* Pailer, Planetenforschung.
6.	Ergebnis
In der theologischen Auseinandersetzung um die Evolutionslehre geht es um weit mehr als um die Frage, auf welche Weise Gott die Welt erschaffen habe. Vielmehr steht das Gesamtbild von der Wirklichkeit und ihrer Geschichte zur Debatte. Es geht nicht nur um den Anfang, sondern um die gesamte Geschichte des Menschengeschlechts (und seiner Lebensumwelt) bis in die Zukunft hinein. Der Streit um die Schöpfung steht für den Streit um die Realität des Handelns Gottes insgesamt.1 Zentral ist die Bedeutung des Kommens Jesu Christi in diese Welt, seines Sterbens und seiner Auferstehung betroffen. In der Auseinandersetzung um die Evolutionslehre geht es um nicht weniger als um die Christologie. Die Darstellung und Kritik der verschiedenen Positionen hat deutlich gemacht, daß alle wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens von der Akzeptanz einer Evolutionsanschauung betroffen sind.
Die vorliegende Arbeit zeigt anhand dogmatischer Kerninhalte des biblischen Heilsverständnisses auf, daß die evolutionäre Geschichtsschau mit der biblisch-heilsgeschichtlichen Schau nicht verträglich ist. Harmonisierungen im Sinne einer “theistischen Evolution” laufen auf den Verlust oder auf fundamentale Umdeutungen vitaler Elemente der einen oder der anderen Sichtweise hinaus.
Neben der Darstellung und Kritik theistischer Evolutionskonzepte werden in dieser Arbeit Grundlinien der Schöpfungsforschung entworfen, die die Kosmosgeschichte auf der Basis der biblischen Ur- und Heilsgeschichte zu rekonstruieren versucht.
Die Untersuchung ist nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert und beschränkt sich im Wesentlichen auf Autoren des deutschsprachigen Raums und auf unser Jahrhundert.
Nach dem Grundgedanken aller Evolutionsanschauungen befindet sich die Welt im großen und ganzen in einem Prozeß zunehmender Komplexität und Integration, der sich über viele Milliar-
den Jahre erstreckt. Über eine postulierte astro-physikalische Evolution und eine chemische Evolution soll dieser Prozeß zur Bildung erster Lebewesen geführt haben, denen die gesamte Lebensvielfalt durch eine biologische Evolution entstammt. Mit dem Auftreten des Menschen soll eine Evolution des Geistigen begonnen haben.
Der “Evolutionsgeschichte” steht die biblischheilsgeschichtliche Schau gegenüber. Danach vermitteln die Geschichtsbücher der Bibel, einschließlich der Urgeschichte, eine historisch relevante Basis für das Geschichtsverständnis (Abschnitt
1.1). Die Menschheit befindet sich danach im großen und ganzen in einer “Abwärtstendenz”, die durch den Fluch Gottes infolge des Sündenfalls des Menschen und durch das Sintflutgericht ausgelöst wurde und die nur durch Gottes voraussetzungsloses Handeln umgekehrt werden kann.
Sowohl aus wissenschaftstheoretischen und fachwissenschaftlichen als auch aus theologischen Gründen besteht kein Zwang zu einem Denken im evolutionären Paradigma. Die alternative Vorgehensweise, nämlich die gesamte biblische Ur- und Heilsgeschichte als Rahmen auch für die historische Rekonstruktion im Bereich der Naturgeschichte vorauszusetzen, ist biblisch begründet, wissenschaftstheoretisch möglich und angesichts der historischen und naturwissenschaftlichen Daten nicht weniger plausibel als die Evolutionsanschauung.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung werden im folgenden zusammengefaßt:
1. Theologen, die sich mit der Evolutionslehre auseinandersetzen, gehen im deutschsprachigen Raum zumindest etwa seit der Jahrhundertwende fast ausschließlich von einer Evolution als "Tatsache"aus (Abschnitt 1.3). In unserem Jahr-
Hafner , Schöpfung 428.
hundert kommen aus der Wissenschaftstheorie und den historischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen mehr kritische Rückfragen an die Evolutionsanschauung als von der Theologie. Die meisten theologischen Autoren erweisen sich als relativ unkritisch gegenüber den Aussagen der Evolutionsforschung. Nach der modernen Wissenschaftstheorie sind dagegen umfassende Alternativen zur Evolutionslehre nicht nur möglich, sondern wegen des belebenden Konkurrenzeffekts sogar wünschenswert (Abschnitte 1.4; 3.6).
2.	Überraschend selten wird nach den dogmatischen Konsequenzen gefragt (Kapitel 4), die sich aus der Vorgabe der Evolutionsanschauung, also in einer theistischen Evolution, ergeben. Der Zusammenhang zwischen der Schöpfungs-, Sünden- und Heilslehre wird in zahlreichen Beiträgen über “Schöpfungsglaube und Entwicklungslehre” nicht thematisiert. Eine auffällige Ausnahme zu dieser Feststellung bildet lediglich die Diskussion um Sünde und Erbsünde (vor allem) im katholischen Bereich.
3.	In der theologischen Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre muß berücksichtigt werden, daß recht unterschiedliche Vorstellungen über den postulierten Evolutionsprozeß vertreten werden (Kapitel 2). Es gibt jedoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aller Evolutionskonzepte, nämlich die notwendigen Voraussetzungen für Evolution. Dazu gehören die über große Zeiträume hinweg allmählich zunehmende Komplexität und zunehmende Verschaltung von Subsystemen (Integration; Elementarteilchen -* Atome -» Moleküle -» Makromoleküle -* Einzeller -* Vielzeller usw.), die Kleinschrittigkeit des Organismenwandels und die Verbindung aller Organismen in einem einzigen Stammbaum, an dessen Basis Einzeller stehen; der Artenwandelvollzieht sich in Populationen; die bekannten Evolutionsfaktoren Mutation, Selektion, Isolation, Gendrift sind für den Veränderungsprozeß (vielleicht nicht ausschließlich, aber doch notwendig) erforderlich; ohne den individuellen Tod und ohne den Artentod (Aussterben) gibt es keine Evolution; nicht nur Körpermerkmale,
sondern auch Verhaltensweisen sind aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution (mindestens teilweise) zu erklären (Abschnitt 2.8).
4.	Die Durchsicht der Argumente, die für eine theistische Evolution vorgebracht werden, ergab, daß eine Harmonisierung der Evolutionslehre mit der biblischen Heilslehre nicht durch biblische Texte begründet werden kann. Aus der biblischen Überlieferung kann der Evolutionsgedanke nicht herausgelesen werden, wenn es auch möglich ist, die Evolutionsanschauung mit isoliert betrachteten Texten unter Mißachtung des Kontextes in Verbindung zu bringen (Abschnitt 3.4).
5.	Aufgrund der Unterschiede der Evolutionskonzepte erwies es sich für die Untersuchung als zweckmäßig, zwischen konsequenten und gemäßigten Evolutionskonzepten zu unterscheiden, auch wenn es fließende Übergänge gibt (Abschnitte 3.2/3).
Konsequente Evolutionsanschauungen gehen nach der in dieser Arbeit vorgenommenen Kennzeichnung davon aus, daß der Evolutionsprozeß vollständig durch innerweltliche Kausalitäten vonstatten gegangen ist. Angepaßt an diese Weitsicht wird die traditionell-biblische Heilslehre tiefgreifend umgeschrieben: der Sündenfall als ein sekundärer Einschnitt, verschuldet durch den Ungehorsam und den Vertrauensbruch der ersten Menschen Gott gegenüber, kann nicht gedacht werden; Sünde ist vielmehr Nebeneffekt des Evolutionsprozesses (Abschnitte 4.2/3). Das Böse (Tod und Leiden) ist keine gottwidrige Macht, sondern ein notwendiger und unvermeidlicher Aspekt der Schöpfung in ihrem Werdeprozeß (Abschnitt 4.4). Der an die Evolutionslehre angepaßten Deutung der Sünde als Nebeneffekt der Evolution entspricht die Veränderung des Inhaltes der Erlösung: Indem der widergöttliche Aspekt der Sünde übersehen und Sünde als Begleitphänomen der postulierten Evolution verharmlost wird, ändert sich der Bedeutungsinhalt der Erlösung. Erlösung heißt nicht mehr Befreiung vom Grundübel der Sünde und Versöhnung mit dem Vater durch den stellvertretenden Sühnetod von Jesus Christus, sondern
ist Weiterführung des Evolutionsprozesses bis zu seinem Ziel (Abschnitt 4.5). Die gegenwärtige Situation des Menschen (individuell und der Menschheit als Ganzer) ist nicht durch die Einschnitte des Sündenfalls und der Sintflut gekennzeichnet, durch welche die Lebensmöglichkeiten eingeschränkt wurden, sondern sie ist Durchgangsstation auf dem Weg in eine evolutiv zu erreichende bessere Zukunft. Die Zukunft bringt nicht die sichtbare Wiederkunft Jesu Christi mit einer Neuschaffung von Himmel und Erde, sondern eine Vollendung der Evolution durch weitere Integrationsschritte bis zum Erreichen des “Punktes Omega” (Teilhard), in dem die Menschheit untereinander und mit Christus vereint ist (Abschnitt 4.6). Auch hier wird der in der Schöpfung herrschende Widerspruch der Sünde übergangen und somit die Sünde verharmlost. An die Stelle einer universellen Grundtendenz zum Bösen hin (Sünde) tritt die Idee einer allgemeinen Aufwärtsbewegung (Integration).
Auch wenn christliche Begriffe beibehalten werden, ist nicht zu übersehen, daß es sich bei dieser Konzeption um ein neues, an die Evolutionslehre angepaßtes Evangelium handelt.2 Diese evolutionär angepaßte Umdeutung von Sündenfall, Gericht, Inkarnation, Erlösung und Eschatologie ist dadurch möglich, daß für Vertreter konsequent theistischer Evolutionsanschauungen nicht mehr der exegetisch zu ermittelnde Aussageinhalt biblischer Texte Maßstab für das Denken ist, sondern die Evolutionsanschauung. Anders ist es nicht möglich, die klaren biblischen Befunde zu Sünde, Tod, Erlösung, Glaube und Hoffnung grundlegend umzudeuten.
Die konsequent evolutionistische Sicht wirkt sich auch auf die Anthropologie aus (Abschnitt
4.1). Aufgrund des Werdeprozesses kann es kein festgefügtes Menschenbild geben; den Menschen gibt es nicht, vielmehr sind verschiedene Stadien einer evolutiven Transformation vom Tier zum Menschen zu unterscheiden, die nach Ansicht einer Reihe von Autoren noch nicht zum wahren Menschsein geführt hat. Dies hat nochmals Folgen für die Christologie: Jesus Christus kann nicht für alle Menschen Mittler zu Gott sein, da er selber nur eine bestimmte Evolutionsstufe repräsentiert. Der Absolutheitsanspruch Jesu
Christi kann damit nicht aufrechterhalten werden.
Die Hintergrundswelt der unsichtbaren Schöpfung, die Welt der Engel und Dämonen gerät in konsequent-evolutionistischen Entwürfen aus dem Blickfeld; diese Dimension wird kaum beachtet.
In der konsequent evolutionären Geschichtsschau geht die heilsgeschichtliche Gliederung verloren (Abschnitt 4.6). Schöpfung, Sünde, Erlösung und Vollendung sind Aspekte der einen Realität: der kosmischen Evolution, die als ein göttlich durchwirkter Prozeß angesehen wird. Alle wesentlichen Elemente der Heilsgeschichte sind von Anfang an gleichzeitig wirksam: Schöpfung ist gleich Evolution, gleich Erlösung (nämlich Befreiung von den Nebenwirkungen der Evolution). Der Prozeß der Evolution ist gleichzeitig ein Prozeß der Vollendung, aber auch ein Prozeß, der notwendigerweise Kehrseiten (Sünde, das Böse) mit sich bringt.
Vor diesem evolutionären Hintergrund verliert die christliche Erlösungshoffnung ihre wesentliche Substanz: Für das Individuum ist die biblisch verheißene Befreiung aus Sünde und Tod zweifelhaft, denn solange die Evolution nicht an ihr Ziel gelangt ist, gehört beides notwendig als Begleiterscheinung zum Werden der Welt. Wenn auch in den theistisch-evolutionistischen Konzepten ein glückliches Ende erhofft oder prognostiziert wird, so wird doch über das Schicksal des Einzelnen meist nichts gesagt. Die christliche Auferstehungshoffnung verliert jeden Anhaltspunkt, da eine leibhaftige Auferstehung Jesu in einem konsequent evolutionären Rahmen keinen Sinn macht. Denn Jesu Auferstehung ist ein Widerspruch und der Sieg gegen den Tod; der Tod ist aber eine Grundvoraussetzung für den Evolutionsprozeß und seinen Fortschritt (auch in die Zukunft hinein).
Auch für die Welt als Ganze ergeben sich fundamentale Konsequenzen. Die Beurteilung der gegenwärtigen Weltsituation und der Zukunftsaussichten könnte kaum gegensätzlicher sein als
2 Dabei isl im übrigen nicht ersichtlich, worin die “gute Botschaft” für die Individuen besteht, die den Punkt Omega nicht erleben.
wie sie sich in den gegenüberstehenden Geschichtskonzeptionen ergibt. Evolutionistisch gesehen befindet sich die Welt langfristig auf einem Weg der Besserung; Krisenphasen wie die gegenwärtige sind Anzeichen dafür, daß neue Evolutionsstufen erklommen werden. Nach dem biblischen Zeugnis dagegen sind diese Phänomene Ausdruck des göttlichen Gerichts und Indiz einer prinzipiellen Ohnmacht des Menschen. Das Eingeständnis dieser Ohnmacht soll den Menschen auf Gott verweisen, der allein eine Zukunft schaffen kann, die durch das Leben und nicht durch den Tod gekennzeichnet ist. Ohne diese biblische Perspektive resultieren aus einer falschen Diagnose zum Scheitern verurteilte Therapien.
Während in konsequent evolutionärer Perspektive die Menschheitsgeschichte als unbedeutende Randerscheinung an den äußersten Rand der Kosmosgeschichte gedrängt wird und die Heilsgeschichte in der Evolutionsgeschichte untergeht, rückt die Menschheit in der biblischheilsgeschichtlichen Sicht insofern in den Mittelpunkt der sichtbaren Welt, als die Geschichte des Kosmos an die Menschheitsgeschichte gebunden ist. Der Mensch ist das Zentrum der Schöpfungswerke Gottes, wie besonders Gen 2 verdeutlicht. Die geschichtliche Tat eines Menschen bedeutete den Einbruch der Sündenmacht in die Welt (Abschnitt 4.3); die Tat des Gottmenschen Jesus Christus hat diese Macht gebrochen, und sie wird bei der Parusie Jesu Christi endgültig besiegt werden. Die Wiederkunft Jesu und die mit ihr einhergehenden kosmischen Umwälzungen sind ebenfalls eng an Ereignisse der Menschheitsgeschichte gekoppelt. Die Geschichte Gottes mit der Welt ist immer eine Geschichte mit dem Menschen.
Aus einer theistischen Evolutionsauffassung ergeben sich auch Folgerungen für das Gottesbild (Abschnitt 4.7). Sind Leid und Tod Schöpfungsmittel, dann ist Gott selber Urheber und Alleinverantwortlicher für das Widerwärtige in der Schöpfung; die Theodizee-Frage wäre zuungunsten Gottes beantwortet. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie die Souveränität Gottes als des Herrn der Geschichte in einer eigengesetzlich verlaufenden Evolution gedacht werden kann.
Das Grundkonzept der Evolutionslehre besteht darin, alle Phänomene der Gegenwart und die Geschichte des Kosmos allein aus weltimmanenten Bedingungen zu erklären, d. h. zu zeigen, daß der Weg vom “Urknall zum menschlichen Geist” ohne Eingriffe Gottes rein naturwissenschaftlich nachvollziehbar ist. Konzepte einer theistischen Evolution können auf diesem Hintergrund nur darauf hinauslaufen, die unter diesem Ansatz gewonnenen Ergebnisse nachträglich durch christliche Inhalte zu modifizieren. Das läuft auf eine radikale Umdeutung der christlichen Heilslehre hinaus.
6.	Eine solche Umdeutung versuchen Vertreter gemäßigter Evolutionsanschauungen zu vermeiden. Das ist aber nur möglich, indem an vitalen Stellen der Evolutionslehre Abstriche gemacht werden und indem das Programm der Erklärung des Werdens “von unten”, d. h. aus weltimmanenten Bedingungen, zurückgewiesen wird. Damit aber sind Evolutionsforscher ihrer Forschungsmotivation (jedenfalls für die Erhellung der postulierten A/aAroevolution) beraubt.
Gemäßigte theistische Evolutionisten schränken die Evolutionslehre da ein, wo es nach ihrer dogmatisch begründeten Meinung erforderlich ist, und nicht an den Stellen, wo es aus wissenschaftstheoretischen Gründen angebracht wäre (vgl. z. B. die Abschnitte 4.1.2 und 4.4.2). Auch gemäßigte Vorstellungen belegen demnach wie die konsequenten Anschauungen, daß die Evolutionslehre grundlegende Aussagen des christlichen Glaubens betrifft.
Die Vertreter einer gemäßigten Evolutionsauffassung schrauben aus dogmatischen Gründen den Anspruch der Evolutionslehre zurück. Sie widersprechen dabei an unterschiedlichen Stellen Behauptungen von Evolutionstheoretikern explizit oder implizit. Deissler beispielsweise erhebt folgenden Einspruch: “Nur wenn die Aszendenztheorie in einer Weise formuliert würde, welche die Sonderrelation des Menschen zu Gott ausschlösse, müßte er [der Theologe] im Namen der biblischen Schöpfungsbotschaft widersprechen.”3 Dies ist eine typische Formulie-
3 Deissler, Weltbild 30.
rung. Wo sind aber die Grenzen der Zuständigkeiten? Die Antwort hängt offenbar von der dogmatischen Position ab. Die Akzeptanz der biologischen Evolutionstheorie hat Folgen für die Möglichkeit der Bestimmung der besonderen Relation des Menschen zu Gott. Also muß das Aussagespektrum der Evolutionstheorie beschnitten werden, wenn man bestimmte theologische Aussagen aufrechterhalten will.
Die Auffassung, Evolution mit Sondereingriffen Gottes zu ergänzen, ist ein dogmatisch motivierter Einspruch gegen einen Evolutionismus mit Allerklärungsanspruch. Das machen die Zitate aus den Abschnitten über gemäßigte Evolutionsanschauungen besonders im Hinblick auf die Sonderstellung des Menschen hinlänglich deutlich. Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Evolution kann eine Sonderstellung des Menschen nämlich nicht leicht begründet werden. Denn es liegt im Gefälle evolutionärer Entwürfe, alle Merkmale des Menschen einschließlich seiner Verhaltensweisen aus evolutionären Vorstufen abzuleiten. Hat sich das Verhalten des Menschen, auch solches, das biblisch als Ausdruck der Sünde des Menschen zu werten ist, aufgrund von Überlebensvorteilen in der postulierten Evolution etabliert, wird es sehr schwierig, von Sünde im biblischen Sinne (vgl. Abschnitt 4.2.1) zu sprechen; der biblische Inhalt der Sünde kann nur vertreten werden, wenn der evolutionäre Prozeß “von außen” durchbrochen oder eingeschränkt wird.4 Die Evolution wird damit aber zu einer Art Spielball. Je nach dogmatischen Erfordernissen wird ein passendes Evolutions-Szenario konstruiert, etwa dadurch, um ein Beispiel zu wiederholen, daß man mit Flick & Alszeghy oder Spaemann annimmt,5 daß ohne Sünde des Menschen die Evolution einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Wie in Abschnitt 4.3.3.3 dargelegt, ist eine solche Annahme willkürlich, und es wird darüber hinaus nicht geklärt, worin überhaupt die Sünde bestand, die einen Einfluß auf das Evolutionsgeschehen gehabt haben soll.
Ein anderes Beispiel: Im Rahmen der Evolutionslehre ist es außerordentlich spekulativ, ein erstes Menschenpaar im Tier-Mensch-Über-gangsfeld herauszuheben. Dieses Postulat wird
von der Evolutionstheorie nicht nahegelegt (im Gegenteil), sondern bedeutet einen dogmatisch begründeten Eingriff ins postulierte Evolutionsgeschehen.6
Einige unverzichtbare Tatsachen des christlichen Glaubens können mit Hilfe spekulativer gedanklicher Konstruktionen und durch Zurückweisung evolutionstheoretischer Inhalte und Erklärungsansprüche in gemäßigten Evolutionskonzepten beibehalten werden. Wenn Gott etwa durch einen besonderen nicht-evolutionären Eingriff Tiere zu Menschen transformierte, so kann offengehalten werden, daß bei dieser “Aktion” dem Menschen ein Anfang geschenkt wurde, an dem ihm Geist, Wille, Moral, Freiheit (zur Sünde) und Verantwortung geschenkt wurden. Vor einem solchen Hintergrund kann dann auch die christliche Erlösungslehre, die Eschatologie und eine heilsgeschichtliche Gliederung im traditionell-biblischen Sinne weiter vertreten werden. Allerdings wird damit die Evolutionsanschauung an zentraler Stelle zurückgewiesen, so daß im Grunde genommen keine echte Harmonisierung im Sinne einer theistischen “Evolution” vorläge. Außerdem können solche Konstruktionen keinen konkreten Bezug zur Evolutionsgeschichte der übrigen Organismenwelt und zur vormenschlichen Evolution (die beide beibehalten werden) herstellen.
Anderes bleibt jedoch auch in gemäßigten Evolutionsvorstellungen im Widerspruch zum biblischen Zeugnis: Der physische Tod kann in theistisch-evolutionistischen Konzepten nicht als der Sünde Sold verstanden werden; der Tod kann bei weitem nicht so deutlich negativ als Feind aller Geschöpfe bewertet werden, wie es die biblischen Autoren tun; das Handeln Jesu, seine Worte und Taten, widersprechen den
* Vgl. die in Abschnill 4.3.3.3 beschriebenen Entwürfe.
5	Ausgeführt in Abschnitt 4 3.3.3.
6	Diese Kritik gilt nicht für philosophische Überlegungen, die die Unableitbarkeit von kategorial Neuem in der Evolution (Leben, Bewußtsein, Erkenntnisfahigkeit, Moral usw.) aus einfacheren Vorstufen heraussteilen (vgl. z. B. Low, Evolution, vgl. Abschnitte 2.6 und 3.2), denn hier werden prinzipielle Erklä-rungsgrenzen evolutionärer Theorien aufgezeigt. Freilich ist damit der evolutionäre Erklärungsansatz von Grund auf in Frage gestellt.
Evolution	Evolution
naturgesetzlich	naturgesetzlich
verstehbar (1)	nicht voll verstehbar (2)
Zweifelhafte Schöpfungsmethode (3)
Souveränität	Gott bessert
Gottes einge-	gelegentlich
schränkt (5)	nach (8)
Monismus (4)
Deismus (6)
I
Atheismus (7)
Evolution nicht Ausdruck von Gottes schöpferischem Wirken. Die entscheidenden Schritte verlaufen nicht-evolutiv (9)
keine eigentliche Evolutionslehre, sondern stufenweise Schöpfung (10)
Mechanismen der Evolution, das Übel in der Welt kann nicht auf die Schuld des Menschen vor Gott zurückgeführt, sondern muß als Konstituti-vum der “guten Schöpfung” angesehen werden. Nur sehr wenige Theologen oder Naturwissenschaftler, die sich um eine Verhältnisbestimmung zwischen Evolutionslehre und biblischem Glauben bemühen, gehen auf diese zentralen Fragen ein - ein erstaunlicher Befund. Die Bemühungen, die Evolutionslehre mit biblischem Gedankengut zu harmonisieren, “leben” bei den meisten Autoren von Unscharfen. Harmonisierungen werden oft nur mit vagen, allgemeinen Formulierungen vorgenommen, ohne daß an konkreten Details die Tragfähigkeit solcher Konzepte geprüft wird.
Damit ist auch klar, daß man die Aussagen der biblischen Botschaft und der Evolutionslehre nicht zwei zusammenhanglosen oder nur berührenden Ebenen zuordnen kann. Beide Deutesysteme betreffen einander vielfältig. Eine Entflechtung ist nicht möglich. Entflechtungslösungen laufen letztlich auf eine volle Akzeptanz der Evolutionsanschauung hinaus und sind faktisch
der konsequent-evolutionstheoretischen Schau zuzuordnen.7
Das vorstehende Flußdiagramm faßt einige Ergebnisse aus Kapitel 3 und 4 zusammen. Es trägt der Tatsache Rechnung, daß verschiedene Konzepte einer theistischen Evolution vertreten werden, die in konsequente (1) und gemäßigte (2) Evolutionsanschauungen unterteilt werden können. Nach der konsequenten theistisch-evo-lutionistischen Sichtweise ist der Evolutionsprozeß naturgesetzlich vollständig verstehbar, mindestens prinzipiell, auch wenn vieles im einzelnen noch ungeklärt sein mag (1). Aus dieser Sichtweise folgt zum einen, daß Gott in seinem Schöpfungshandeln Todesmechanismen maßgeblich eingesetzt hat (3). Gott ist nicht nur Urheber
7	Diese Zuordnung ist dadurch begründet, daß Vertreter einer Entflechtung die Ergebnisse der Naturwissenschaften zwar als irrelevant für Glaubensfragen werten, diese Ergebnisse daher aber auch nicht kritisch hinterfragen. Da die Evolutionslehre als Teil der “Naturwissenschaft" verstanden wird, wird folglich auch die Evolutionslehre nicht hinterfragt, sondern als Faktum akzeptiert.
des Guten, sondern auch des Bösen, das sich im Todeswesen manifestiert. Der Tod mit allen seinen Begleiterscheinungen herrscht nicht erst in der Welt der Sünde, in der ein Widerspruch gegen Gottes Willen aufgetreten ist, sondern bereits in der prälapsarischen Welt. Das Böse ist ein Wesensbestandteil der Schöpfung, unabhängig von der Sündenmacht. Daraus resultiert eine monistische Weltanschauung (4). Gott ist gleichermaßen gut, wie er böse ist, und handelt entsprechend.
Zum anderen kann die Souveränität Gottes nicht mehr gedacht werden. Ein Gott, der nicht in die Zweitursachen-Ebene eingreift, sondern die Welt eigengesetzlich sich entwickeln läßt, handelt nicht souverän, selbst wenn er eingreifen könnte (5). Die göttliche causa prima und das erhaltende Handeln Gottes würde sich darauf beschränken, die Wehm ihrer Eigengesetzlichkeit zu erhalten. Diese Sicht wäre faktisch nicht von einem Deismus verschieden (6). Sie wäre genauso berechtigtermaßen auch als Atheismus vertretbar, wenn man als causa prima statt eines Schöpfergottes ewige Materiegesetze postulieren würde (7).
Alle diese Möglichkeiten sind angesichts des biblischen Zeugnisses unhaltbar. Diese Konsequenzen können in gemäßigt-evolutionistischen Entwürfen vermieden werden, nach denen die Evolution naturgesetzlich nicht vollständig im Sinne eines geschlossenen Kausalzusammenhangs verstehbar ist (2). Doch es treten andere Apo-rien auf. Wenn der Evolutionsprozeß nämlich einerseits auch hier als Schöpfungsmethode Gottes interpretiert wird, so bedeutet die Beschränkung der Eigengesetzlichkeit dieses Prozesses, daß Gott an den entscheidenden Stellen nachbessern mußte (8) - eine fragwürdige Gottesvorstellung. Seine gewöhnliche evolutive Methode wäre unzureichend, um Neues in der Evolution hervorzubringen. Diese Schlußfolgerung kann unter der Annahme vermieden werden, daß der gewöhnliche nicht-innovative Evolutionsprozeß gar nicht Ausdruck von Gottes schöpferischem Wirken, sondern seines Erhaltungshandelns ist (9). Soweit der Evolutionsprozeß eigengesetzlich verläuft, kann er nach dieser Sicht nichts Neues wie Leben, Bewußtsein, Moral,
Freiheit, Geist hervorbringen. Das würde aber bedeuten, daß ausgerechnet die entscheidenden Schritte des Organsimenwandels nicht-evolutiv verlaufen sind (9). Damit handelt es sich bei dieser Alternative nicht um eine Harmonisierung, sondern um eine Art Evolutions-Schöp-fungs-Mosaik; man könnte auch von einer stufenweisen Schöpfung sprechen (10). Das Flußdiagramm zeigt somit Aporien theistisch-evolu-tionistischer Anschauungen auf, die im Rahmen der Evolutionsanschauung nicht auflösbar erscheinen.
7.	Die Vorstellung einer theistischen Evolution führt also in ein theologisches Dilemma, das nur durch eine alternative Konzeption überwunden werden kann, in der die Evolutionsanschauung ganz aufgegeben wird. Die in dieser Arbeit vertretene Alternative greift die im vorigen Jahrhundert weithin aufgegebene Sicht wieder auf, vom biblischen Geschichtsbild her zu denken und entsprechend die Daten zu deuten, selbstverständlich unter Berücksichtigung der inzwischen immens angewachsenen Datenbasis. Die Ausführungen des 4. Kapitels zeigten, daß der Bezug des Glaubens zur Menschheits- und gesamten Weltgeschichte auch die Geschichte der außermenschlichen Schöpfung einschließt (vgl. Abschnitt 5.2). Die biblische Urgeschichte ist einerseits mit zentralen Aussagen des Neuen Testaments gekoppelt, andererseits werden durch sie auch Bezüge zur Erdgeschichte, nicht nur zur Menschheitsgeschichte gesetzt. Da das Zeugnis vom geschichtlichen Handeln Gottes mit der Menschheit der biblischen Überlieferung wesentlich ist (Abschnitte 5.1 und 5.3), ergibt sich die Notwendigkeit nach einer Rückfrage nach dem Zusammenhang mit den Daten aller Wissenschaftsdisziplinen, die historische Rekonstruktionen erarbeiten. Die Ausführungen des
5.	Kapitels sollten beispielhaft aufzeigen, daß und wie auf der Basis eines historischen Verständnisses der biblischen Urgeschichte im Bereich der Biologie und Erdgeschichte fruchtbare theoretische und historische Wissenschaft betrieben werden kann. Durch die in Abschnitt 5.5 vorgestellten schöpfungstheoretischen Ansätze können die Daten der naturwissenschaftlich und
historisch arbeitenden Fachgebiete gedeutet, und aus ihnen können falsifizierbare Schlußfolgerungen abgeleitet werden. Sie ermöglichen neue wissenschaftliche Erkenntnisse und können eine Reihe von evolutionstheoretisch schwer deutbaren Befunden plausibel interpretieren.
Die schöpfungstheoretische Geschichtsrekonstruktion kann als “Schöpfungs- und Katastro-phenmodell” bezeichnet werden. Damit werden die zwei wesentlichen Kennzeichen erfaßt: zum einen die Unableitbarkeit der gegenwärtigen Schöpfungsstruktur von einfacheren Vorstufen, d. h. ihre analogielose Entstehung durch das Schöpfungshandeln Gottes, zum anderen ihre durch katastrophische Einschnitte charakterisierte Geschichte (Sündenfall und Sintflut mit Folgelasten). Nach der schöpfungstheoretischen Geschichtsrekonstruktion beginnt die Geschichte der Welt mit einem fertigen, komplex strukturierten Kosmos und mit fertigen geschaffenen Arten (Grundtypen), den Menschen eingeschlossen. Die historische Rekonstruktion kann jedoch erst die Geschichte nach dem Fall erfassen. Über die Sündenfall-Grenze zurück kann nicht konkret retropoliert werden, da damit gerechnet werden muß, daß an dieser Grenze durch Gottes Gerichtshandeln Umbrüche in der Schöpfungsstruktur und ihrer Gesetzmäßigkeiten (“Naturgesetze”) erfolgt sind. Auch mit der Sintflut ist ein globaler Einschnitt in der Erdgeschichte gegeben, durch den möglicherweise manche Lebensbedingungen irreversibel geändert wurden. Angesichts dieser globalen Umbrüche kann man von “Mega-Sukzessionen” der Erdgeschichte sprechen.8
Wird vorausgesetzt und geglaubt, daß Gott analogielos in Schöpfung und Gericht gehandelt hat, erübrigen sich für die Schöpfungsforschung manche Fragen, nämlich Fragen nach der Genese von Leben, Bewußtsein, Geist, Moral, Freiheit, Verantwortung. Forschungsgegenstand ist die Geschichte der Welt, in der diese Kategorien von Anfang an vorhanden sind. Schöpfungsforschung muß vier Vorbehalte bedenken: den Vorbehalt des analogielosen Handelns Gottes (ohne Anknüpfungspunkt: creatio ex nihilo), den protologischen Vorbehalt (die Welt vor dem Sündenfall kann nicht konkret-anschaulich be-
schrieben oder rekonstruiert werden) und den diluvialen Vorbehalt (auch die Welt vor der Flut ist uns weitgehend verschlossen). Für die Zukunft gilt darüber hinaus auch der eschatologi-sche Vorbehalt. Die Geschichts- und Naturwissenschaften mit ihren begrenzten Erkenntnisspielräumen können nur die Schöpfung post diluvium post lapsum erforschen. Daß diese Wissenschaft dennoch unzählige fruchtbare Fragestellungen kennt, wurde in Abschnitt 5.5 dargestellt. Die Schöpfungsforschung hat nicht weniger Fragen als die Evolutionsforschung; ihre Fragen lauten anders, und sie ist davon überzeugt, schöpfungsgerechte Fragen zu stellen. Fragen nach der Entstehung von Neuem, die die Evolutionsforschung durch immanente Kausalitäten beantworten will, hält sie für verfehlt und aussichtslos.
Angesichts plausibler Deutungsmöglichkeiten der Daten im Rahmen eines biblisch fundierten Schöpfungs- und Katastrophenmodells entfällt das ausgesprochen oder unausgesprochen im Hintergrund stehende Argument, der biblischen Urgeschichte könne keine die konkrete Schöpfungsgeschichte betreffende Relevanz zukommen, weil dies naturwissenschaftlich unhaltbar oder mindestens sehr unplausibel sei. Tatsächlich besteht auf dem Gebiet der historischen Rekonstruktion der Naturgeschichte eine Ideenkonkurrenz zwischen der biblisch-heilsgeschichtlichen und evolutionären Geschichtsschau. Die Evolutionslehre kann kein Erklärungsmonopol beanspruchen. Beide Konzepte können geschichtliche Dokumente und Daten der Naturwissenschaften historisch interpretieren, in beiden Konzepten gibt es (je unterschiedliche) “sperrige” Daten, die zur Zeit im jeweiligen Modell nicht plausibel interpretierbar sind.
Die Daten der Geschichts- und Naturwissenschaften stehen nicht gegen das Zeugnis, wonach Sünde und Tod (mit allen ihren Begleiterschei-
8	Diesen Begriff hat Scheven, Megasukzessionen, für die nach seiner erdgeschichtlichen Schau global ähnlich verlaufenden Abfolgen von Wiederbesiedlungsphasen nach der Sintflut eingeführt. Der Begriff wird hier ausgeweitet. Auch im kosmischen Bereich könnte es Mega-Sukzessionen gegeben haben (vgl. Beck, Urknall).
nungen) sekundär in die Welt eingebrochen sind. Sie lassen sich vor dem Hintergrund eines die gesamte Schöpfungsgestalt betreffenden Sündenfalls deuten. Die Naturwissenschaften können nur den Gegenwartsaspekt der Schöpfungswirklichkeit (also des Äons post lapsum) beschreiben. Ohne naturphilosophisch-metaphysische Prämissen ist eine Retropolation in die Vergangenheit nicht möglich. Die Konzeption einer evolutionär angepaßten Heilslehre wird weder durch naturwissenschaftliche Daten noch durch historische Dokumente gefordert, noch kann sie - wie in Kapitel 4 deutlich wurde -durch bibelexegetische Befunde begründet werden.
Wissenschaft auf biblisch-heilsgeschichtlicher Grundlage beinhaltet nicht den “Einbau” biblischer Inhalte in wissenschaftliche Theorien, sondern versteht zunächst die biblischen Überlieferungen als relevante historische Dokumente, auf die in einer geschichtlichen Rekonstruktion Bezug zu nehmen ist. Die biblische Heilsgeschichte ist motivierend und leitend für historische Rekonstruktionen und naturwissenschaftliche Theorien (Abschnitt 5.4). Sie dient als Grundlage für die Entwicklung konkreter Basissätze, die in Theorien und historische Rekonstruktionen eingehen. Die so entwickelten Theorien müssen einer Prüfung anhand des Datenwissens der einzelnen Fachdisziplinen unterzogen werden. Dieser Test kann zur Widerlegung schöpfungstheoretischer Modelle führen oder ihre Modifikation erfordern. Die biblische Basis wird dadurch jedoch nicht direkt angegriffen (vgl. Abb. 7). Bei einem Fehlschlagen einer Theorie müssen jedoch die den schöpfungstheoretischen Modellen und Rekonstruktionen zugrundegelegten Basissätze hinterfragt und neu formuliert werden. Diese Neuformulierung muß aber erneut vom biblischen Zeugnis ausgehen. Stehen
die Ergebnisse der Tests dagegen im Einklang mit den von den schöpfungstheoretischen Modellen abgeleiteten Schlußfolgerungen, so hat sich das betreffende Konzept bewährt, es kann auf diesem Wege jedoch prinzipiell nicht bewiesen werden (was vice versa auch für Evolutionstheorien gilt). In der Grundtypenbiologie sind hier bereits ermutigende Ergebnisse erzielt worden, während in der Rekonstruktion der Erdgeschichte wesentliche Fragen vorerst ungeklärt bleiben. Aber auch in diesem Bereich lassen sich zahlreiche Daten in einem Schöpfungs- und Katastrophenmodell plausibel deuten, z. B. die Re-gelhaftigkeit der Fossillücken und zahllose Merkmale von Gesteinen, die auf rasche Bildung schließen lassen.
Aufgrund des protologischen und mit Einschränkung des diluvialen Vorbehalts stößt eine an der biblischen Ur- und Heilsgeschichte orientierte Geschichtsdeutung an Grenzen der Inter-pretierbarkeit historischer Dokumente. Da die biblische Überlieferung das freie und souveräne, nicht an Gesetzmäßigkeiten gebundene Handeln Gottes bezeugt, müssen Bemühungen um Klärung des Geschichtsablaufes an Grenzen stoßen (Abschnitt 5.7).
Die biblisch-heilsgeschichtliche Schau ermöglicht ein realistisches und nüchternes Verständnis der gegenwärtigen Menschheitssituation und der Zukunftsperspektiven des Menschen. Der Mensch steht in seinem Handeln in einer gottgewollten Spannung von Macht und Ohnmacht, die nur durch Gottes eschatologisches Handeln aufgelöst werden wird.
Unter der biblisch-heilsgeschichtlichen Leitanschauung mit der Inkarnation des Gottessohnes im Zentrum kann eine fruchtbare Geschichts-und Naturwissenschaft heutigen Wissenschaftsregeln gemäß vollzogen werden. Die Aufgabe ist lohnend und vielversprechend.
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Albert, Hans 18
Alszeghy, Zoltän 52,133,134,135,
139,157
Althaus, Paul 16,109, 116,118,
130,141, 142
Altner, Günter 55,92,133,151, 160,161,164,167,171,177,181 Andres, W. 54
Aquin, Thomas von 122,154 Armstrong, Gregory T. 115 Arvy, Lucie 237,238 Auer, Johann 47, 48,57 Ax, Peter 42,232 Baitsch, Helmut 58 Balz, Horst R. 117 Bange, Wolfgang 62 Barr, James 79 Barrett, C. K. 163 Barth, Karl 117,118,139 Baumann, Urs 17,63,108,109,
123,133,145 Bavink, Bernhard 14,87 Bayer, Oswald 20,117 Beck, Horst W. 12,21,24,33,34, 49,56,71,85,122,173,180,191, 201,206,210,230,235,250,259 Behler, Wolfgang 195,196 Beiderbeck, Rolf 224,225 Beisser, Friedrich 155 Benz, Ernst 93,101,126,152,167, 173,175,176,177 Berry, Robert J. 38, 54,72, 77,96,
112.124.156.184.194
Beth, Karl 15, 50,72,81,102,155,
167.194
Bettex, Friedrich 157 Beyerhaus, Peter 182 Biedermann, P. Hermenegild M. 112,117, 118
Blechschmidt, Erich 31,34,75 Boman, Thorleif 79 Bonik, Klaus 34, 37,38,244 Boros, Ladislaus 60,61,65, 136,
154
Bosshard, Stefan Niklaus 15,60,
86,105,112,137,149,156,171, 184,192,193,205 Brandenburger, Egon 110,112,115 Brandt, Michael 98,230,244 Bresch, Carsten 27,39,41,45,93, 102,103,104,141,166,176,247 Breuning, Wilhelm 22 Brinktrine, Johannes 52 Bröker, Werner 72,124,136,137,
138,166,195
Brunner, Emil 16,48,50,56,61,
62,75,98,99,108,110,119,123, 124,129,140,141,154,157,159, 194,205,210 Buri, Fritz 22,62 Cassuto, Umberto 71,208 Claeys, Karel 69 Cobb, John B., Jr. 161 Congar, Yves M.-J. 134,158,198 Cullmann, Oscar 117,132,150,203 Dacqu6, Edgar 138 Daecke, Sigurd Martin 14,55,60, 73,87,161,163,164,166,167,
169.179
Davidheiser, Bolton 52,56 Deimer, Petra 238 Deissler, Alfons 55,255 Delitzsch, Franz 114,117,208,231 Delling, Gerhard 168 Denton, Michael 14,25,245 Dessauer, Philipp 48,59,154 Diehl, Manfred 235 Ditfurth, Hoimar von 33,38,45,
73,74,92,93,102,103,105,126, 141,160,163,166,176 Dittmann, Wilhelm 110,118,119 Dörpinghaus, Hermann Josef 11, 13,14,52,59
Dohmen, Christoph 114,207,208 Dolch, Heimo 102 Dose, Klaus 14,24,27,245,249 Drummond, Henry 101,167 Dubarle, Andrö-Marie 119,120,
121
Eccles, John C. 33,34,35 Echternach, Helmut 117,118,122 Eigen, Manfred 30,32 Engelland, Hans 81 Erben, Heinrich K. 40 Fäh, Heinz 30 Fattinger, Rudolf 146,147 Feiner, Johannes 54,73,97,98,
106.108.143.144.162.179 Fields, Weston W. 158
Flick, Maurizio 52,133,134,135,
139,157
Flückiger, Felix 201,210 Fothergill, P. G. 50 Franzen, Jens-Lorenz 34 Frauenknecht, Hans 127 Freundorfer, Joseph 109,110,111, 113,114,115,203 Fritzsche, Hans-Georg 63,72,105,
106
Fruhstorfer, Karl 114,184 Funke, Gerhard 20 Ganoczy, Alexandre 192 Gese, Hartmut 149,150,209,210 Gesenius, Wilhelm 79,113, 231 Gilkey, Langdon 61,63,68,86,87, 120,121,134,143,149,156,188, 193, 196,197,201 Gitt, Werner 24,25, 35,192,250 Glick, Thomas F. 13 Godet, Frederic 109,110,112 Göttsberger, Johann 72 Goez, Wilhelm 22,194 Goppelt, Leonhard 115,163 Griffin, David R. 161 Grünzweig, Fritz 119 Grundmann, Walter 115,118 Gutmann, Wolfgang Friedrich 34, 37,38, 244 Haag, Ernst 154
Haag, Herbert 17,61,92,98,108, 112, 144
Haas, Adolf 38,39,52, 53,71,72, 135,136,195
Haas, Johannes 31,49,54 Haeffner, Gerd 126 Hägele, Peter C. 192 Hafner, Hermann 252 Hartwig-Scherer, Sigrid 98,230, 244,250
Hawking, Stephen 250 Hebart, Friedemann 81,142 Heberer, Gerhard 15 Heim, Karl 77,78,117,118, 137, 150,172,173,187,191,235 Heinisch, Paul 146, 202 Heiller, Walter 138,192 Hemminger, Hansjörg 26,49,61, 67,75,81,94,95,114,117,126, 143,154,156,173,174,196,212, 214, 227,240, 241, 245,246 Hemminger, Wolfgang 75,81,94, 95,114,117,126,143,154,156, 173,174,196,245, 246 Hengstenberg, Hans-Eduard 26, 50,51,75,189,190 Hennig, Willi 42 Holthaus, Stephan 11,13,15,49, 59,90
Hossfeld, Frank-Lothar 124 Hoyle, Fred 11,27 Hübner, Jürgen 16,63,66,78,91, 92,94,98,127,131,133,164,
166,179,181,184, 193,210 Hübner, Kurt 17,38 Huene, Friedrich Freiherr von 38, 77,79,138
Hulsbosch, Ansfried 47,50, 102, 104,108,121,127,128,132,133, 145, 146
Hummel, Reinhart 161
Huxley, Thomas 40
Illies, Joachim 24, 25, 38,42,44,
53, 86, 194, 243 Isak, Rainer 45,65,176,247 Jacob, Benno 71, 208, 231,232 Jessberger, Rolf 30 Jones, Arthur 219 Junker, Reinhard 13, 24, 25, 27,37, 75,78,98,193, 194, 212, 218,
219,220,222,228, 229,230,232, 234,235, 236, 237,243,244, 245 Käsemann, Ernst 109,110,111,
112,113,115,117 Kahle, Henning 25, 194,243 Kaiser, Philipp 30 Kaplan, Reinhard 29 Kinder, Ernst 116, 159 King, Rachel H. 192,193 Köberle, Adolf 16, 191 Köster, Heinrich M. 16,17, 70, 71, 102,116,119,128,133,153,154, 166,167
Koestler, Arthur 93,108,176,192 Koevoet, Ingo 224, 225 Koltermann, Rainer 47,48,73,
166,175
Köppers, W. 50,51, 54 Kraus, Hans Joachim 13,29,80,87, 206
Krimmer, Heiko 117 Kroeker, Jakob 157 Krumbiegel, Ingo 235 Külling, Samuel 206,207 Künneth, Walter 122, 150,171,172 Kuhn, Thomas S. 19 Kuhn, Wolfgang 14, 24, 25,44,224, 243
Kuli, Ulrich 28,29,30, 40,41,43, 44, 54
Kuss, Otto 104, 109, 110,112,116, 117,118
Lachenmann, Hans 82,209 Ladd, George Eldon 177,178 Lakner, Franz 22 Landersdorfer, Simon 114 Lanzenberger, Gerhard 69,71, 79, 80,143, 144, 184,190 Lay, Rupert 101,165,176 Lefdvre, Wolfgang 13
Lengsfeld, Peter 109,110,115,241 Lenk, Hans 17,84,202 Lenoir, Timothy 53, 75 Lerner, Eric J. 27 Liebi, Roger 41 Lidnart, A 63,77 Lochmann, Jan Milic 62 Locker, Alfred 26,31,32,56,76 Löhrer, Magnus 97,143,144,162 Lönnig, Wolf-Ekkehard 25,38, 194, 243
Löw, Reinhard 26, 31,32,41,44, 45,52,56, 256 Löwith, Karl 79,182, 203 Lohfink, Norbert 24, 70,88,89,90 Lorenz, Konrad 32,44,94,104, 105,141,225 Lüke, Ulrich 93 Luther, Martin 118 Lyonnet, Stanislas 115 Mahner, Martin 30,86, 87 Maier, Gerhard 20,180,241 Martelet, G. 126,130 Mayr, Ernst 28,31,36,37,42,43 McCosh, James 101 McDowell, Josh 207 Meisen, A G. M. van 12 Mensching, G. 65 Messenger, E. C. 48,209 Michel, Karl-Heinz 201,203,204, 205
Michel, Otto 115,117,118 Mitterer, Albert 51,62,63,64,65, 211
Mivart, George Jackson 50,52 Mocek, Reinhard 62 Mohr, Hans 40,105,149,234,235 Mollenhauer, Dieter 17,84,244 Moltmann, Jürgen 15,48,54,62, 67,152,162,169,179,180,181, 192,205, 248
Moore, James R. 11,55,101 Morant, Peter 55,114 Morris, Henry M. 97,227,228 Mosis, Rudolf 67, 209,211 Müller, Aloys 61 Müller, Paul 138 Mussner, Franz 178 Niemann, Ulrich 33,249 Obenland, Martin 230 Oesch, W. M. 135,160 Oldershaw, Robert 27 Onna, Ben van 50,127,135,137 Osche, Günther 38,41,232,233 Ott, Heinrich 22,182 Ouweneel, W. J. 209, 214 Overhage, Paul 23,47,57,97
Pailer, Norbert 247,251 Pannenberg, Wolfhart 13,14, 15, 33,40,73, 78,79,90,113,184, 245
Papke, Werner 230, 250 Parker, D. 107 Paulsen, Henning 117,118 Peacocke, Arthur R. 73 Pdrier, P.-M. 58 Peters, Dieter Stefan 233 Peters, Norbert 15 Pohl, Alfred 206,208 Popper, Karl Raimund 18, 34, 202, 244
Rad, Gerhard von 70, 71, 79,95,
97,113, 114, 198,205,231 Ragaz, Leonhard 47,108, 194 Rahner, Karl 23, 49,50,51, 57,58, 59,60,64,65,97,116,144,145, 146,154,161,164,169 Ramsey, I. T. 65
Ratzinger, Joseph 47,48, 54,57,
61, 86, 94, 204, 205, 206 Renckens, Henricus 70, 135 Rendtorff, Rolf 71, 208 Rensch, Bernhard 29,43 Riedl, Rupert 38,93,105, 235 Robinson, Daniel N. 33, 34, 35 Rohrbach, Hans 77,96,137 Roloff, Jürgen 119 Ross, Allen P. 207 Ruckstuhl, Eugen 111,150 Rupp, Hartmut 87 Sauer, Erich 157
Sautter, Gerhard 181,182, 203,204 Savage, Milton J. 93,101, 173,175 Scadding, S. R. 236,238 Schaaffs, Werner 50,78 Schaeffer, Francis A 204 Scheffczyk, Leo 25,48,56, 73,96, 101,108, 111,115,116,118,124, 128, 130, 131, 133,134, 140, 141, 142, 145,154,164,166, 168, 169, 170, 179, 181,197 Schclkle, Kar! Hermann HO, 111, 120,133, 201
Scherer, Siegfried 13, 24, 25, 27,37, 78,88,98,194,212,218,219,
220, 222, 228, 229,230, 232, 233, 234, 243, 244,245,250 Scheven, Joachim 228, 244, 251,
259
Schiwy, Günter 165 Schlaich, K. 97
Schiink, Edmund 15,72,130, 189, 205, 216
Schützer, Albert L. 136,146, 147
Schmaus, Michael 47,48, 51,52,
53,54,55,57, 58,60,65,69, 107, 122,133,134,136,144, 146,147, 154, 194
Schmidt, Ferdinand 37 Schmidt, Wolf-Rüdiger 176 Schmitt, Alois 52 Schmitz-Moormann, Karl 16,21, 31,32,86,101,102,120,121,
125,126,127, 129,133,134,151, 153,165,166,167,180,184,197 Schneider, Hermann 27 Schönborn, Christoph 108 Schoepfer, Aemilian 72,209, 211 Schoonenberg, Piet 71,128,131, 132,133,136,145,185 Schumacher, Heinz 96,98, 156,157 Schwantes, Heinz 117 Schwegler, Theodor 23 Sertillanges, A. D. 56 Seybold, Michael 17,108,120,126, 133,1%
Shapiro, Robert 14, 24, 27,194, 243,245, 249
Simpson, George Gaylord 38 Smulders, Pierre 73,93,101,104, 125,128,132, 133,152,176,177, 184, 205
Spaemann, Robert 26,31,41,44, 45,51,52,54, 56,107,124,133,
145,157
Spilsbury, Richard 40,151 Spinner, Helmut F. 14,17,18,19, 84, 202, 243, 244 Sprockhoff, Harald von 91 Spülbeck, Otto 50 Stadelmann, Helge 181,201, 203 Stange, Carl 121,122
Staudinger, Ferdinand 109 Stegmüller, Wolfgang 31,202 Steinbüchel, Theodor 57 Steinebrunner, Bernd 17,83,84, 244
Steiner, Maximilian 226 Stephan, Manfred 69 Stewart, D. 207
Stockhausen, Alma von 11,14,26 Stripf, Rainer 31 Studiengemeinschaft Wort und Wissen 202
Stuhlhofer, Franz 13,31,87,188 Stuhlmacher, Peter 110,117 Süßmann, G. 15,90 Swinburne, R. 134,1%
Teilhard de Chardin, Pierre 15,33, 40, 58,93,101,102,120,121, 123,125,126,127,129,131,132, 133,145,147,152,153,163,164, 165,166,167,169,170,174,175, 176,177,179,185,191,197,254 Tennant, F. R. 15,102,121,126 Ternus, Josef 57,85 Theissen, Gerd 40,93,102,103, 161,164,166,168,176 Thielicke, Helmut 50,63,64,66, 67, 74, 80, 98, 99 Thiselton, Anthony C. 79 Tillich, Paul 15,16,140 Torrance, Thomas F. 187 Track, Joachim 16,62,67,85,187, 188
Van Till, Howard J. 49,61,73,75, 87,88
Vavilov, N. I. 38
Verbrugge, M. 78
Viallet, Francois-Alben 153,165
Villalmonte, A. de 126,130 Vischer, Lucas 73,98,179 Vögtle, Anton 85,86 Volk, Hermann 50,63,72,188 Vollborn, W. 113,156 Vollmer, Gerhard 28, 29,32,33,
34.35.39.44
Vollmert, Bruno 14, 24, 25,78,
194, 243, 245 Wasmann, Erich 14,72 Weger, Karl-Heinz 109, 110,115, 120,121,123,145,147,203 Weissmahr, B61a 12,13,48,49,50, 52,56,58,59,60,61,65,185,186, 187
Weizsäcker, Carl Friedrich von 149, 212
Wendland, Heinz-Dietrich 110 Westermann, Claus 16,69,79,81, 94,95,98,99,113,114,120,127, 206, 231,232
Whitcomb, John C. 97, 227,228 Wickramasinghe, N. C. 11,27 Wilckens, Ulrich 104,109,113, 115,116,117 Williams, N. P. 102 Willmann, Rainer 42 Winkler, Ruthild 30,32 Winklhofer, Alois 185 Wolff, Christian 110 Wuketits, Franz Manfred 28,30,
31.33.38.40.41.42.43.44 Zahn, Theodor 119 Zapletal, Vinc. 15
Zimmerli, Walther 113, 116,117, 188,231
Zimmermann, Walter 29
ALTES TESTAMENT		Numeri		Jeremia	
		16,30	73	2,23-25	119
Genesis				3,17	119
1-11	11,20,67,70,82, 198,	Deuteronomium		6,7	119
	199,200,204,211,212	8,3f.	188	9,13	119
1-2	72, 206 - 208, 215	32,5	178	13,23	119
1	13,22,69,71,81,97,			16,12	119
	123, 205	Josua		17,9	119
1,2	158	2,22	208	31,37	250
1,11	219	10	209, 213		
1,1 lf.	78			Hesekiel	
1,20	78	1. Samuel		36,26	119
1,24	78	16,7	164		
l,26f.	71			Hosea	
1,28	96	1. Könige		4,12	119
1,29	219	2,2	231	5,4	119
l,29f.	198,220, 221,223	2,36ff.	113		
1,31	21,101,127,158			Arnos	
2-3	70,113f., 123,124,137	I. Chronik		3,6	76, 130
2	71,81, 120,123, 205,	1,19	231		
	255			Micha	
2,1	223	Hiob		7,18	162
2,4	77	38-41	122, 162		
2,7	54,71	38,25	231		
2,15	%				
2,17	113,114	Psalmen		NEUES TESTAMENT	
3	116, 117,118,139	18	162		
3,3	149	19	88,213	Matthäus	
3,7	113	49,13	80	4,1-11	164, 173
3,16-19	198, 220, 221, 235	51,6	131	6,9	210
3,19	113,114, 149,155	55,10	231	6,33	180
3,22	113	78,7	239	10,34	178
3,24	221	90	119	11,16	178
4,8	104	90,2	77	12,8	162
6-9	227,250	94,10	178	12,28	132
6,5	119	102,26	119	12,29.41.42 178	
6,13	228	103,3	162	16,4	178
8,21	119	104	80,215	17,17	178
9,19	231	104,2	210	19,3-8	119, 164,213,215
10	231	104,30	73	20,26	193
10,19	232	130,4	162	20,28	168
10,25	231	139	74	22,23-33	172
10,32	231			24	177, 178,180
11	231	Prediger		24,9-14	178
18,14	188	3,19	80	24,13.44	178
19,31	231			24,14	180
47,9	156	Jesaja		24,27	178
		40,6	119	24,35	178
Exodus		40,12-26	162	24,37-39	164,178,182, 213
3,6	172	43,1	78	25	178
14	162	45,7	76,130	26,53	164
20,11	158	59, lf.	131	26,64	162
34.10	73	65,17	73	28,19	180
Markus		Römer		Philipper	
1,15	132	1,3-4	77	1,21-24	159
1,40-42	162	l,19f.	87,101	2,5-11	80,129,162,163,164,
2,1-12	162	3,23	118,131		168,171
2,5	150	5	71	2,15	178
2,10-12	162	5,5-10	112	3,10	171
4,35	162	5,8	169	3,10-14	172
8,12	178	5,12ff.	104,109-112,113,	3,20	172
13,10	180		114,115,116,144,149,		
13,24f.	85		155,180,202,213,215,	Kolosser	
13,30	178		220	i,i5fr.	164, 199
13,32	164,178	5,12	109-112,143,157	1,16	163,193
14,36	150	5,13f.	110,111,112	1,18.24	170
		5,19	111	1,19	170
Lukas		5,21	110	1,23	170
5,1-11	162	6	104,110,118	2,8ff.	168
10,17-20	132	6,23	118,131,149	2,9	162,170
11,29	178	8,17	178	3,1-3	172
12,50	150	8,19-23	81,87,116-118,149,	3,4	172
13,4	151		150,180,182,202,215,	3,10	164
17,21	132		220,222,226, 236		
18,27	188	8,28	155		
19,10	160, 168	9,5	162	1. Thessalonicher	
22,53	173			4,13-18	178
				5,1-4	177
		1. Korinther			
Johannes		2,14	101	2. Thessalonicher	
1	193, 199	7,31	119,180	2,1-12	178
1,3	163	12,6	76	2,3-10	178
1,14	163	15	110,115,131,155,240	2,8	180
1,29	160,168	15,12ff.	171		
2,1-12	162	15,19	171	1. Timotheus	
2,25	164	15,21 f.	110,144,171	2,6	168
3,16	169	15,26	149,159	2,12-14	119
5,1 ff.	193	15,35ff.	152,172		
5,25.28f.	155	15,42	114	2. Timotheus	
8,44	159	15,47	114	1,10	131, 150
8,58	162	15,50	119		
9,1 ff.	150,151			Titus	
10,10	168	2. Korinther		2,13	162
10,30	162	4,6f.	205		
10,38	162	4,17f.	178		
14,2	151	4,18	119	Hebräer	
14,6	163,170	5,1 ff.	152	1,8	162
16,9	101,103,131	5,17	168	2,14	150,173
16,9-11	178	5,21	129	4.3	223
16,33	178	10,4	119	4,15	129
				5,7	150
				7,26f.	164
Apostelgeschichte		Galater		9,11-10,18 164	
1,7	178	1,4	173	9,27	178
1,8	180			9,28	178,180
1,11	180	Epheser		10,27	178
2,11	239	l,19f.	171,172	11,3	79, 216,218,247
2,40	178	1,23	170	11,13-16	172
4,12	163,170	2,1 ff.	101,103,168,173	12,2	104
17,31	171	2,11 ff.	103,170	12,11	155
20,28	170	4,24	168	13,14	172
Jakobus	
1,13	101
1,15	131
1,17	198
5,14ff.	150
/. Petrus	
2,11	172
2,22	129
2,24	169
3,18	169
4,12-19	178
2. Petrus	
3,3ff.	213
3,7	85, 178
3,12 f.	178
1. Johannes	
2,25	119
3,8	159,
5,12	131
5,20	162
Offenbarung	
5,9	169
6-19	178
20,11	85
21	122,
21,1	178
150, 152, 175, 180
»pascal« vertag berlin
In der zeitgenössischen Theologie gilt es als unzweifelhaft, daß die Evolutionsanschauung (Abstammungslehre) und die biblische Heilslehre miteinander vereinbar sind, nicht zuletzt, weil beide auf verschiedene Fragen antworten. Der Autor bespricht die unterschiedlichen Versuche, Evolutionsvorstellungen und die biblische Heilsgeschichte zur Deckung zu bringen. Er zeigt, daß eine konsequent durchdachte Evolutionslehre jedoch zu einer fundamentalen Neuinterpretation traditioneller christlicher Vorstellungen von Sünde, Inkarnation, Erlösung und Vollendung führt. Demgegenüber hält der Autor von „Leben durch Sterben?" am Primat der biblischen Glaubensinhalte fest und hinterfragt von dort aus evolutionistische Vorstellungen.
ISBN 3-927390-06-2
9 ll78392 7ll39006 5'